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Scores & Highscores - Zur Ästhetik von Musik in Computerspielen

AutorSven Conrad
VerlagSven Conrad
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783955775902
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich 'Soziale Arbeit - Medien - Kultur' (Fachhochschule Merseburg), Note: 1,0. Sprache: Deutsch. Aus dem Gutachten: 'Die Arbeit bereitet aufgrund einer anspruchsvollen, lebendigen und im Detail auch ironischen Sprachgestaltung großes Lesevergnügen.' Die Theorie wird durch Hör- und Filmbeispiele veranschaulicht, die im Text an entsprechender Stelle ausgewiesen sind und online abgerufen werden können. Abstract: Die Musik in Computerspielen ist erwachsen geworden. Was vor gut einem Vierteljahrhundert mit monofonen Kunstklängen begann, hat sich zu einem Metier entwickelt, das nicht minder professionalisiert ist als das der Filmmusik. Über die Jahre erreichten die Game-Scores durch die Weiterentwicklung der Soundhardware kompositions- und klangtechnisch eine immer neue Qualität. Die besonderen Gestaltmerkmale der Computerspielmusik sind zum Einen über die technische Evolution des Digitalsounds erschließbar: angefangen beim PC-Speaker und verschiedenen Methoden der Klangsynthese bis hin zum Sampling und zur digitalen Klangreproduktion. Darüberhinaus wird die Ästhetik der Spielmusik von ihrer Funktionalität bestimmt. Ein speziell auf Game-Scores abgestimmtes Funktionsmodell dient als Ausgangspunkt für die Erläuterung funktionsästhetischer Besonderheiten. Auch das ihr eigentümliche Konzept der interaktiven Musik wird in diesem Zusammenhang ausführlich behandelt. Der praktische Teil dieser Arbeit examiniert die sich hartnäckig haltende, aber bisher unbestätigte Hypothese, dass Spielmusik hochgradig repetitiv sei. Nach dem Entwurf eines Intrumentariums zur Ermittlung von Repetitivität wird im Rahmen einer Medienanalyse geklärt, inwiefern diese Behauptung gerechtfertigt ist.

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Leseprobe

Informatives Referat


Obwohl die Medienwissenschaft das Medium Computerspiel inzwischen aus ganz verschiedenen Perspektiven untersucht, lässt sich feststellen, dass Betrachtungen zur musikalischen, ja zur auditiven Schicht überhaupt, eher die Ausnahme bilden. Dabei hat sich, wie Kapitel 1 aufzeigt, inzwischen ein ganzer Industriezweig um die Musik von Computerspielen gebildet, der von einer eigenen Lobby weiterentwickelt und vermarktet wird.

Die naheliegende Verwandschaft zur Filmmusik, welche wissenschaftlich verhältnismäßig gut erschlossenen ist, wirft zunächst die Frage auf, ob die Musik von Computerspielen überhaupt so weit abgrenzbar ist, um sich ihrer Ästhetik im Rahmen einer Abschlussarbeit zu widmen. Die Kapitel 2 und 3 zeigen, dass die Game-Scores – wie Computerspielmusiken im anglo-amerikanischen Sprachraum bezeichnet werden – tatsächlich über einzigartige Gestaltmerkmale verfügen, die sie deutlich von anderen musikalischen Stilistiken unterscheiden, auch von der Filmmusik. Die Kenntnis dieser Gestaltmerkmale bildet die Grundlage dafür, die Qualität einer Spielmusik konkret, über eine bloße subjektive Bewertung hinaus zu beurteilen (was in den Rezensionen von Spiel-Magazinen ohnehin viel zu selten der Fall ist).

Zu den markantesten Eigenheiten der Computerspielmusik zählt gewiss das in den 80er und 90er Jahren vorherrschende synthetische Klangbild der Beep- und Blip-Sounds, sowie das neuerdings populäre Konzept interaktiver Musik, das auf eine Echtzeit-Veränderung der Musik in Abhängigkeit von der Spielereingabe abzielt. Hierin zeichnen sich bereits jene beiden Stränge ab, auf deren Grundlage erörtert werden kann, warum eine Spielmusik ist, wie sie ist:

  1. eine Ästhetik in Abhängigkeit der Technik
  2. eine Ästhetik in Abhängigkeit der Funktionalität

Einerseits ist die musikalische Ästhetik technisch bedingt (Kapitel 2), d. h. die Kapazität der Spielsysteme und Datenträger, aber auch das jeweilige Prinzip der Klangerzeugung setzen dem Komponisten und Sounddesigner Grenzen. So war es z. B. mit einigen Soundchips nicht möglich, mehr als vier Instrumentalstimmen gleichzeitig zu erzeugen. Eine Retrospektive auf die unterschiedlichen Methoden digitaler Klangerzeugung zeichnet in diesem Kapitel die ereignisreiche Evolution der Game-Scores nach. Begriffe aus dem Bereich der Ton- und Computertechnik, die in diesem Zusammenhang häufig fallen (Bitrate, MIDI, Sampling oder FM-Synthese...), mögen zunächst befremdlich wirken, sind jedoch in der computergestützten Audio- und Musikproduktion inzwischen auch für den Hobbyproduzenten zum Standardvokabular geworden. Dass nunmehr auch Otto-Normal-Verbraucher Gelegenheit hat, sich medial zu produzieren, Podcasting und Homerecording zu betreiben – dies fußt ganz wesentlich auf der sprunghaften Weiterentwicklung und massenhaften Verbreitung von Soundkarten. Computerspiele und Game-Scores haben unzweifelhaft ihren Beitrag dazu geleistet.

Die oszillationsbasierte Synthese war bis in die 90er Jahre hinein ein gängiges Prinzip zur Klang- und Musikerzeugung. Ende der 70er Jahre war die Rechenkapazität der Prozessoren aber noch so begrenzt, dass nicht mal eine 12-Ton-Skala in wohltemperierter Stimmung erzeugt werden konnte. Die ersten Melodien bestanden aus wenigen monofonen Tonfolgen, die harmonisch nicht ganz stimmig waren und überhaupt nur dann abgespielt werden konnten, wenn genügend Rechenkapazität frei war (z. B. während des Titelbildschirms). Mit den 8-bit-Soundchips und der subtraktiven Synthese war dann erstmalig so etwas wie Sounddesign möglich. Mehrere Klänge konnten nun simultan wiedergegeben und mithilfe von Hüllkurven und Niederfrequenzoszillatoren modelliert werden. Ein berühmter Vertreter dieser "3+1-Chips" war der Soundprozessor des Heimcomputers C64, der seine 3 Klangkanäle plus Rauschkanal auch simultan zum Spielverlauf zur Geltung bringen konnte und mit dem sich das Game-Score-Composing nun auch als Profession etablierte. Die Verbreitung von Soundkarten zum Ende der 80er Jahre läutete die Ära der frequenzmodulierenden Klangerzeugung ein. Die FM-Chips wurden noch bis zum Ende der 90er Jahre in Soundkarten verbaut und ermöglichten im Vergleich zur Subtraktivsynthese komplexere, obertonreiche Klangmodellierungen. Obwohl die Klangqualität mit digitalisierter Musik nicht vergleichbar war, konnte sich die FM-Synthese aufgrund ihrer ressourcenschonenden Funktionsweise lange Zeit gegenüber moderneren Methoden der Klangerzeugung behaupten. Ein Zwischenschritt zur digitalen Musikreproduktion war das Sampling, das Ende der 80er Jahre mit den Wavetable-Soundkarten zur Marktreife gelangte. Die Grundidee des Samplings besteht darin, digitale Aufnahmeschnipsel ("Samples") von echten Instrumenten langsamer oder schneller abzuspielen, um dadurch Tonhöhenveränderungen zu generieren. Gesampelte Soundtracks waren insbesondere auf dem Amiga populär, wobei die Musik aufgrund des digitalisierungsbedingten Quantisierungsrauschens meist etwas "dreckig" wirkte. Erstmals konnte eine Spielmusik aber nun ihren ganz eigenen Klangcharakter entfalten. Mit der Einführung der CD-ROM verlor das Sampling auf dem Sektor der Spielesoundtracks aber an Bedeutung, da nun auch die großen Datenmengen digitalisierter "Live"-Musik auf einem billigen Datenträger gespeichert werden konnten. Ehe Kompressionsformate wie MP3 oder OGG Einzug hielten, waren Game-Soundtracks auch durch die technischen Grenzen der CD-ROM bestimmt. Da PCM-Dateien relativ viel Speicherplatz beanspruchen, konnten zunächst nur wenige Titel direkt vom CD-ROM-Laufwerk abgespielt werden. Interaktive Soundtracks, die mit Überblendungen verschiedener Dateien operieren, waren erst mit den steigenden Prozessor- und RAM-Kapazitäten im neuen Jahrtausend realisierbar.

Neben den technischen Rahmenbedingungen ist die Gestaltung einer Spielmusik stets von ihrem Zweck/ ihrer Funktionalität abhängig. Ausgehend von einem modifizierten Funktionsmodell aus der Filmmusikwissenschaft werden in Kapitel 3 die funktionsästhetischen Merkmale beschrieben. Um beispielsweise einen bestimmten geografischen Schauplatz akustisch erfahrbar zu machen, werden mit Vorliebe traditionell-ethnische Instrumente eingesetzt. Die Musik gewinnt dadurch buchstäblich an Bedeutung – sie wird entschlüsselbar und erfüllt eine semantische Funktion. Das geht so weit, dass Musik als Geräuschersatz herangezogen wird, um bestimmte Geschehnisse zu illustrieren, ähnlich wie man dies im Film mit der Mickey-Mousing-Technik versucht. Insbesondere Fantasy-Elemente, für die es keine Geräuschentsprechung gibt (z. B. Wirkung eines Zaubers) können mit musikalischen Mitteln glaubhaft gemacht werden und Wiedererkennbarkeit erlangen. Musik eignet sich ferner dazu, die Strukturebenen eines Spiels (Menü, In-Game, Abspann) akustisch voneinander zu separieren. Die musikalische Untermalung von Menüs ist für gewöhnlich eher tragend und atmosphärisch gehalten, um Spannung aufzubauen und die Wahrnehmungskapazitäten des Nutzers bei umfangreichen Menüeinstellungen nicht unnötig zu strapazieren. Will man dramaturgische Wendungen innerhalb des Spiels musikalisch illustrieren, so kommt man nicht an dem Konzept interaktiver Musik vorbei. Anhand von auslösenden Ereignissen werden Formteile aneinandergereiht oder Instrumentenspuren übereinandergeschichtet. Hier besteht die größte Herausforderung wohl darin, die Synchronität zu den Spielereignissen zu wahren und den musikalischen Wechsel trotzdem harmonisch und metrisch sinnvoll in die Komposition zu integrieren. Interessanterweise lehnt sich interaktive Musik indirekt an Kompositionstechniken an, die bereits vor 50 Jahren von avantgardistischen Komponisten wie Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen angewandt wurden. Insofern kann man behaupten, dass auch in der Trivialkultur ein Stückchen Avantgarde steckt. Die persuasive Wirkung der Musik (das Glaubhaftmachen von Realität) ergibt sich unter anderem daraus, dass die Qualität der auditiven Schicht im Gegensatz zur grafischen bereits ein Höchstmaß an Realitätstreue erreicht hat. Allerdings lassen sich durch den komplexen Prozess menschlicher Wahrnehmung und Bewertung keine Patentrezepte formulieren, mit denen man bestimmte Wirkungen notwendig beim Rezipienten hervorrufen könnte. Dass In-Game-Musik häufig mit einer Dialog- und Geräuschebene konkurriert, also nur eines von mehreren Tonelementen ist, sollte schon beim Komponieren und Arrangieren berücksichtigt werden. Durch die Aussparung von bestimmten Tonregistern können Frequenzdopplungen – und damit Intransparenz im Gesamtmix – von Vornherein vermieden werden. Die endgültige Mischung aller Tonebenen erfolgt idealerweise mit speziellen Software-Tools, die Lautstärke- und Klanganpassungen parallel zum Spielvorgang ermöglichen. Das spielerische Element von Musik wird in sogenannten Musikspielen aufgegriffen, die die Musikalität des Spielers mit Controllern, Mikrofonen oder Eye-Toy-Kameras herausfordern. Dabei kann es sich um Tanz, Gesang oder rhythmische Eingaben handeln. Um schnelle Erfolgserlebnisse zu bieten, handelt es sich meist um populäres, beatbetontes musikalisches Material. Eine andere Frage beim Audio- und Musikdesign besteht darin, unter welchen speziellen Umgebungsbedingungen ein Spiel rezipiert wird. So wird in der Regel der Gesamtmix einer Dynamikkompression unterzogen um sicherzustellen, dass die Musik nicht von Lüftergeräuschen des Computers übertönt wird. Spielhallenautomaten werden bevorzugt schrill und höhenbetont produziert, um sich die Aufmerksamkeit von Besuchern zu sichern. Dass Computerspielmusik trotz ihres innovativen Potenzials nicht gerade als genial oder avantgardistisch empfunden wird, liegt wohl vor...

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