Kapitel 4.2.2, Beitragsbelastung und Reformmodelle
Die Tatsache, dass der versicherungspflichtige selbständig tätige Lehrer seinen Rentenversicherungsbeitrag in voller Höhe selbst zu tragen hat, stellt für viele der Betroffenen eine durch ihr niedriges Einkommen nicht tragbare Belastung dar. Die Beitragshöhe verbunden mit einem niedrigen Einkommen könnte damit ein Grund dafür sein, dass viele der tatsächlich versicherungspflichtigen selbständig tätigen Lehrer ihrer Versicherungspflicht nicht nachkommen. Fraglich ist aber, ob ein niedrigerer Beitrag allein zwangsläufig zu einer höheren Akzeptanz der Versicherungspflicht unter den selbständig tätigen Lehrern führen würde. So wird hinsichtlich der versicherungspflichtigen Künstler und Publizisten, welche den Beitrag nur in Höhe der Hälfte selbst zu tragen haben, ebenfalls davon ausgegangen, dass nicht alle von ihnen der Versicherungspflicht nachkommen. Es wird vermutet, dass auch andere Gründe, wie beispielsweise die alleinige Betrachtung der aktuellen finanziellen Situation verbunden mit einer Verdrängung der Risiken des Alters und der Erwerbsminderung sowie die generelle Ansicht, die private Vorsorge wäre in jedem Fall vorteilhafter, zu einer geringen Akzeptanz der Versicherungspflicht unter den Betroffenen führen.
Eine generelle Aussage hinsichtlich der Frage, ob ein Beitragssatz von derzeit 19,9% bei alleiniger Tragung zumutbar ist, lässt sich allerdings nicht pauschal treffen. Die Ergebnisse der durchgeführten Umfrage haben gezeigt, dass durch eine lehrende selbständige Tätigkeit Einkommen in nahezu allen Bereichen erzielt werden können. Auch hinsichtlich der Stundensätze von Honorarlehrkräften an Volkshochschulen ergeben sich beispielsweise Einkommen von 15 Euro bis 60 Euro. Eine genaue Bezifferung der selbständig tätigen Lehrer mit einem eher niedrigen Einkommen kann jedoch mangels entsprechender Daten nicht vorgenommen werden. Allgemein ist jedoch von sehr niedrigen Einkommen auszugehen, beispielsweise auch bei den Dozenten für Deutsch als Fremdsprache, welche aufgrund geringer, vorgegebener Teilnehmergebühren an manchen Weiterbildungseinrichtungen nur ein Honorar von 10 Euro je Stunde erhalten. In diesem Bereich ist es vielen Lehrern trotz einer Vollzeittätigkeit kaum möglich, ein angemessenes Nettoeinkommen zu erzielen. Auch eine von der Gewerkschaft ver.di eingerichtete Datenbank zeigt sehr oft sehr niedrige Honorare, zum Teil unter 9 Euro je Stunde. Nur wenige Weiterbildungseinrichtungen zahlen einen Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung an die bei ihnen selbständig tätigen Lehrer. Dieser Zuschuss wird auf freiwilliger Basis gezahlt und deckt zum Teil den Arbeitgeberanteil der Rentenversicherungsbeiträge ab. Da aber nur wenige Honorarlehrkräfte unter teilweise hohen Voraussetzungen, beispielsweise an den Umfang ihrer Stundenzahl, hiervon profitieren und diese Regelungen auch nur für Honorarlehrkräfte an Volkshochschulen vorhanden sind, jedoch nicht für alle anderen in Betracht kommenden Lehrtätigkeiten, ist dieses vorteilhafte Modell nur wenig verbreitet. Ausgehend von den obigen Überlegungen wurde von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Hans-Böckler-Stiftung ein Projekt in Auftrag gegeben, in welchem mehrere Konzepte zur Neuregelung der Absicherung von selbständig tätigen Lehrern erarbeitet wurden, welche hier kurz vorgestellt werden sollen.Um gerade die niedrigen Einkommen zu entlasten, werden grundsätzlich vier verschiedene Modelle vorgeschlagen. Zum einen wird vorgeschlagen, die Gleitzonenregelung für abhängig Beschäftigte auch auf die selbständig Tätigen zu übertragen. Dadurch würde sich die Belastung, hier noch ausgehend von einem Beitragssatz in Höhe von 19,5%, bei Einkommen zwischen 400 Euro und 800 Euro um max. 7,8% vermindern, bei Halbierung des Beitragssatzes sogar um bis zu 13,7%. Eine solche Übertragung würde jedoch lediglich die sehr geringen Einkommen im Bereich bis 800 Euro entlasten. Die darüber liegenden, immer noch geringen Einkommen wären weiterhin mit dem vollen Beitragssatz belastet.Hier setzt das zweite Modell an, welches die Einführung eines Freibetrages auf die Bemessungsgrundlage vorschlägt. Als Beispiel wird ein Freibetrag von monatlich 250 Euro vorgeschlagen, welcher zu einer tatsächlichen Belastung von 7,31% bei 400 Euro Bruttoeinkommen bis zu einer Belastung von 18,54% bei einem Einkommen von 5.100 Euro bei einem Beitragssatz von 19,5% führen würde.
Hier wird bereits deutlich, dass nicht nur die niedrigeren Einkommen, sondern alle Einkommensbereiche von einem solchen Freibetrag profitieren würden. Für diesen Fall wird eine Einkommensobergrenze vorgeschlagen, bis zu der ein Freibetrag berücksichtigt werden könnte. Problematisch ist bei diesem Modell die Frage, ob der späteren Leistungsgewährung das tatsächliche Einkommen oder nur die verminderte Beitragsbemessungsgrundlage zugrunde gelegt werden sollte. Im ersten Fall würde sich eine Leistung ohne entsprechende Gegenleistung ergeben, deren Differenz dann aus Steuermitteln gezahlt werden müsste.Eine weitere, nicht die Änderung der tatsächlichen Beitragszahlung betreffende Möglichkeit wird in der vollen steuerlichen Berücksichtigung der Rentenversicherungsbeiträge gesehen. Diese Variante erscheint jedoch gerade deshalb nicht sinnvoll, da hier aufgrund der Steuerprogression die höheren Einkommen auch stärker entlastet werden würden. Im Hinblick auf die Problematik der geringen Einkommen der selbständig tätigen Lehrer ist dieses Modell demnach nicht hilfreich.Die letzte vorgeschlagene Entlastungsmöglichkeit wird in einem Beitragserlass gesehen. Bei einem aktuellen Beitragssatz von 19,9% und einem unterstellten Beitragserlass von monatlich 200 Euro würde bis zu einem Einkommen von 1.000 Euro kein Beitrag mehr zu zahlen sein.Alle Modelle, ausgenommen die steuerliche Berücksichtigung der Rentenversicherungsbeiträge, würden zu einer deutlichen Entlastung vor allem der niedrigen Einkommen führen. Die Einführung einer Gleitzonenregelung würde jedoch nur Einkommen bis 800 Euro entlasten und wäre nur bedingt zu empfehlen. Sowohl das Freibetragsmodell als auch der Beitragserlass wären Varianten, die auch Einkommen oberhalb von 800 Euro entlasten würden. Fraglich ist hier jedoch die Finanzierung der daraus resultierenden Einnahmeausfälle. Vorgeschlagen werden hierzu alternativ ein Bundeszuschuss, eine anteilige Beitragszahlung durch den Auftraggeber oder eine der Künstlersozialversicherung ähnliche Regelung, bei der Auftraggeber und Bundeszuschuss einen anteiligen Beitrag übernehmen könnten. Da aber weder die Höhe der möglichen Einnahmeausfälle der gesetzlichen Rentenversicherung genau beziffert werden kann noch eine Aussage hinsichtlich der Reaktionen der Auftraggeber bei einer anteiligen Belastung gemacht werden kann, kann eine konkrete Empfehlung mangels Unkenntnis über deren Folgen nicht gegeben werden. Zumindest erscheint die Einführung einer der Künstlersozialversicherung ähnlichen Regelung eher unwahrscheinlich, da die damaligen Begleitumstände eine einmalige Konstellation darstellten und damit maßgeblich zur Einführung dieses Sondersystems beitrugen. Auch die Politik sieht eine solche Möglichkeit zur Zeit nicht und begründet dies zum einen mit der historisch gewachsenen Beziehung zwischen Künstlern und Vermarktern, welche so bei den selbständig tätigen Lehrern nicht vorliege, zum anderen mit der Befürchtung, auch andere Personengruppen könnten dann ein solches Sondersystem für sich beanspruchen wollen. Da ein solches System eine Kombination aus Bundeszuschuss und Beteiligung des Auftraggebers darstellt, ist fraglich, ob diese als Einzelmaßnahmen überhaupt möglich wären. Da ein Bundeszuschuss politisch nur schwer durchsetzbar wäre, erscheint die anteilige Beitragstragung durch die Auftraggeber die geeignetere Möglichkeit, welche wie schon oben erwähnt, an einigen Volkshochschulen bereits auf freiwilliger Basis in Form eines Zuschusses zur Rentenversicherung in die Praxis umgesetzt wurde. Allerdings wären auch hier auftretende negative Reaktionen, beispielsweise die Reduzierung von Bildungsangeboten und damit der Wegfall von Lehraufträgen, in einer Abwägung der Vor- und Nachteile zu berücksichtigen.
Zudem stellt sich hier die Frage nach der Umsetzung in der Praxis, da eine reibungslose Abführung der Beiträge durch den Auftraggeber wahrscheinlich nur bei solchen selbständig tätigen Lehrern möglich wäre, die ihre Tätigkeit bei einer großen Einrichtung, beispielsweise einer Volkshochschule, nachgehen, nicht jedoch dort, wo Einzelpersonen die Auftraggeber darstellen. Alternativ würde sich die Möglichkeit anbieten, zwar den Auftraggeber zur Tragung eines Beitragsanteils zu verpflichten, die Abführung des gesamten Beitrags jedoch dem selbständig tätigen Lehrer zu überlassen, wobei hier jedoch die Gefahr bestünde, dass im Zweifelsfall dieser Beitragsanteil durch den Selbständigen auf gerichtlichem Wege eingefordert werden müsste. Eine derartige Ausgestaltung erscheint damit nicht praxisnah. Aufgrund der finanziellen Auswirkungen eines Beitragserlasses oder einer Freibetragsregelung dürften derartige Maßnahmen in naher Zukunft ebenfalls ausscheiden. Damit würde sich als letzte Möglichkeit die Einführung einer Gleitzone anbieten, welche bei ihrer derzeitigen Ausgestaltung zwar nur Einkommen bis 800 Euro begünstigen würde, hier jedoch zur Entlastung der Betroffenen zumindest als ein erster Schritt gesehen werden könnte.Die Politik hingegen sieht das Problem auch nicht in der derzeitigen Beitragsgestaltung, sondern vielmehr in den zu niedrigen Einkommen der selbständig tätigen Lehrer, deren Steigerung auf ein angemessenes Niveau eine Modifizierung der Beitragsgestaltung überflüssig machen würde. Sollte dennoch eine Modifizierung der Beitragsgestaltung in Betracht kommen, wird zumindest erwartet, dass sich die Mehrausgaben teilweise durch eine dann höhere Bereitschaft zur Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung kompensieren lassen könnten. Diese Annahme wird auch durch die Ergebnisse der durchgeführten Umfrage gestützt. Für diejenigen, die unabhängig von einer bestehenden Versicherungspflicht bisher keine Rentenversicherungsbeiträge zahlen, zeigt sich folgende Verteilung (siehe Abb. 11: Bereitschaft zur Beitragszahlung bei hälftiger Beitragstragung).
Nur ein Drittel derjenigen, die bisher keine Beiträge zahlen, würde also eine Beitragszahlung auch bei halbiertem Beitragssatz weiterhin grundsätzlich ablehnen. Hinsichtlich der Frage, welchen Betrag vom monatlichen Einkommen die Teilnehmer für die Altersvorsorge aufwenden würden, ergab sich eine nahezu gleichmäßige Verteilung im Bereich von unter 5% bis hin zu 15 bis 20%. Die darauf aufbauend gestellte Frage, ob dieser Betrag auch in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt werden würde, beantworteten zumindest 16 Teilnehmer mit ja, von denen 9 Personen bisher trotz bestehender Versicherungspflicht keine Beiträge zahlen. Anzumerken ist dabei, dass eine Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung vor allem von denjenigen in Betracht gezogen werden würde, welche lediglich bereit wären, einen Anteil von bis zu 10% des monatlichen Einkommens für die Altersvorsorge aufzuwenden. Insgesamt zeigt sich damit, dass eine niedrigere Beitragsbelastung durchaus zu einer gesteigerten Bereitschaft unter den betroffenen selbständig tätigen Lehrern führen könnte, ihrer Versicherungspflicht und der damit verbundenen Beitragspflicht nachzukommen. In welchem Umfang hierdurch jedoch die erheblichen Einnahmeausfälle der gesetzlichen Rentenversicherung kompensiert werden könnten, kann mangels konkreter Daten hinsichtlich des Umfangs des betroffenen Personenkreises hier nicht festgestellt werden.Zusammenfassend wird deutlich, dass die bisherige Belastung für viele der Betroffenen nicht tragbar ist. Die aufgezeigten Entlastungsmöglichkeiten hingegen würden zu erheblichen Einnahmeausfällen in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, welche aber teilweise durch eine gesteigerte Bereitschaft zur Beitragszahlung wieder ausgeglichen werden könnten. Hier sind letzten Endes aber nicht nur die entstehenden Kosten, sondern vor allem auch der daraus resultierende Nutzen hinsichtlich der Absicherung der Betroffenen zu beachten, welche sich bei gegebenen Bedingungen aus finanziellen Gründen der Versicherungspflicht und damit einer zumindest existenzsichernden Vorsorge für das Alter entziehen.
An dieser Stelle ist die Politik gefordert, auf die Einkommenssituation der selbständig tätigen Lehrer mit entsprechenden Regelungen zu reagieren. Ein erster Schritt wäre die Einführung einer Gleitzone. Da aber alle vorgestellten Modelle finanzielle als auch in ihrer Umsetzung Schwierigkeiten verursachen würden, sollte mittelfristig sowohl durch die Politik als auch durch die Interessenvertretungen auf die Erhöhung der Einkommen der selbständig tätigen Lehrer hingewirkt werden, da sich bei ausreichend hohen Einkommen Modifizierungen der Beitragsbelastung entbehren würden. Zumindest die mit öffentlichen Geldern finanzierten Bildungsangebote könnten durch die Politik positiv beeinflusst werden, so dass die kritisierten niedrigen Honorare eine spürbare Erhöhung erfahren könnten. Fraglich bleibt aber, ob angesichts knapper öffentlicher Haushalte derartige Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden würden.