Ihr Einfluss auf die Persönlichkeit
Auch wenn ein Kern unserer Persönlichkeit von Anfang an feststeht: Dieses Buch wäre total überflüssig, wenn wir nicht auch irgendwie Einfluss darauf hätten, was wir sind und was wir tun. Wie Sie in der Filter-Übung in Tool 16 gerade gesehen haben, haben Sie es selbst in der Hand, was Sie aus Ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen machen. Sie sind ein denkender Mensch und damit in der Lage, die Schlüsse, die Sie ziehen oder bisher gezogen haben, und Ihre Handlungen zu hinterfragen.
Fähigkeit zur Selbstreflexion nutzen
Für die Zukunft bedeutet das, dass Sie Ihr Verhalten und Ihre Handlungen zu einem größeren Teil selbst steuern als bisher. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion gibt Ihnen den Einfluss, den Sie benötigen, um das Beste aus sich zu machen, und sie ist zugleich Voraussetzung für Ihren Erfolg als Selbstcoacher. Wer nie darüber nachdenkt, wer er ist und warum er denkt und handelt, wie er denkt und handelt, der lebt sein Leben vor sich hin. Wer nie auf die Idee kommt, dass er auch anders denken und handeln kann, als er es tut, dessen Horizont reicht nur bis zur Schuhspitze.
Vom Selbstbewusstsein zur Selbsterkenntnis
Machen Sie sich bitte den folgenden Prozess bewusst:
■ Mit Selbstbewusstsein ist das Bewusstsein des eigenen Ichs gemeint. Kein Selbstbewusstsein zu haben, führt dazu, dass jemand sich entweder über- oder unterschätzt, da der Prozess der Selbstreflexion dann hier auch schon wieder endet.
■ Die Selbstbeobachtung setzt die Fähigkeit voraus, einen möglichst objektiven Standpunkt sich selbst gegenüber einzunehmen.
■ Selbstreflexion bedeutet das gezielte Nachdenken über sich selbst.
■ Daraus erwächst die Selbstkritik: das kritische Hinterfragen und Beurteilen des eigenen Ichs.
■ Das kritische Hinterfragen und Beurteilen des eigenen Ichs führt zur Selbsterkenntnis: sich klar werden und erkennen, wer man ist und wodurch das eigene Denken und Handeln geprägt ist.
■ Ziel der Selbsterkenntnis ist es, das eigene Denken und Handeln so zu verändern,
– dass es einem besser geht als vorher,
– dass man besser mit anderen klarkommt,
– dass man sich nicht länger mit lähmenden Gedanken quält,
– dass man sich nicht länger selbst im Weg steht,
– dass man mit sich ins Reine kommt und
– dass man das Beste aus sich macht.
Das Problem der objektiven Betrachtung
Dabei geht es gar nicht unbedingt nur ums Ego. Selbsterkenntnis und Veränderung kommen meist auch den Mitmenschen zugute. So selbstverständlich der Prozess „vom Selbstbewusstsein zur Selbsterkenntnis“ hier erscheint, so schwierig ist es, ihn wirklich bis zum Ende zu durchschreiten. Und das liegt nicht daran, dass wir am Ende dann doch davor zurückzucken, etwas zu ändern. Die größte Schwierigkeit, vom Selbstbewusstsein zur Selbsterkenntnis zu gelangen, liegt darin, sich selbst objektiv zu betrachten. Denn wie kann ich gleichzeitig Forscher und Forschungsgegenstand in einem sein? Der Käfer kann nicht gleichzeitig auf dem Glasplättchen unter dem Mikroskop liegen und oben durchs Mikroskop auf sich selbst herunterschauen. Wie soll dann ein Mensch sich selbst unter die Lupe nehmen?
Farbe der Erkenntnisbrille beachten
Objektivität im Sinne von persönlicher, emotionaler Unabhängigkeit können wir uns selbst gegenüber nicht erreichen. Das ist aber auch nicht notwendig. Sie sind keine Wissenschaftler, die an der Promotion über sich selbst schreiben. Es genügt, wenn Sie sich dessen bewusst sind, dass Sie:
1. immer Ihre ganz persönliche Brille auf der Nase haben und
2. in der Lage sind, diese Brille gegen ein anderes Modell auszutauschen.
Wir Menschen sind in der Lage, uns, unser Denken, Fühlen und Handeln zu reflektieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Wir können Grundannahmen hinterfragen, die uns beeinflussen. Wir können uns entscheiden unseren Horizont zu erweitern, indem wir erkennen, dass es nicht nur diese eine Annahme gib, sondern auch andere Sichtweisen möglich sind. Wenn Sie glauben, sich in einer bestimmten Situation nur so und nicht anders verhalten zu können, dann erinnern Sie sich daran, dass Sie die Brille, die Sie auf der Nase haben, ablegen und ein anderes Modell aufsetzen können. Das erfordert Mut. Und vergessen Sie nicht: Auch die neue Brille ist Ihre persönliche Sicht der Dinge.
Im Ego-Tunnel
Objektivität gibt es nicht. Der Philosoph Thomas Metzinger nennt das den Ego-Tunnel. Egal, was wir erleben, es ist unsere persönliche Art, es zu erleben. Auch dann, wenn wir uns das Erleben bewusst machen. Trotzdem gilt: Je mehr Brillen Sie in der Schublade haben, desto mehr Sichtweisen eröffnen Sie sich. Und je mehr Sichtweisen Sie sich eröffnen, desto eher sind Sie in der Lage, anders zu handeln als bisher. Sie vergrößern Ihre Auswahl an Handlungsmöglichkeiten.
Sie haben die Wahl. Selbstcoacher sind weder Sklaven ihrer Gene noch ihrer Erziehung.
Schritt 5: Was war? Was ist? Was wird sein?
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Für Selbstcoacher gehören diese drei Zeitebenen zusammen. Aber die Vergangenheit kann man doch nicht mehr ändern, wenden Sie jetzt vielleicht ein, empört oder bedauernd. Was vergangen ist, ist vergangen und lässt sich nicht mehr ändern. Ich glaube, doch.
Der Blick auf das, was war
„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“ ist der Titel eines Bestsellers des finnischen Psychiaters Ben Furman, internationaler Experte für lösungsorientierte Therapie, Coaching und Organisationsberatung. Darin belegt er nicht nur, dass eine verkorkste Kindheit nicht automatisch auch ein verkorkstes Leben bedeutet, sondern dass Erwachsene ihre Sicht auf die Vergangenheit verändern können. Alles, was uns in unserem Leben bislang passiert ist, hat eine Bedeutung. Was wir jedoch oft vergessen, ist, dass wir diese Bedeutung selber vergeben. Wir sind es, die einem Erlebnis eine bestimmte Bedeutung verleihen.
Erlebnissen eine neue Bedeutung verleihen
Wenn Sie sich jetzt an den Filter erinnern, der beeinflusst, auf welche Art und Weise Sie sich die Welt erklären, dann verstehen Sie, was das für Ihre Vergangenheit bedeutet: Sie können Erlebnisse durch eine andere, neue Brille sehen und ihnen eine neue Bedeutung verleihen. Brian Tracy, einer der namhaftesten Erfolgstrainer der Welt, sagt: „Wie Sie sich fühlen, hängt nicht davon ab, was Ihnen passiert, sondern davon, wie Sie die Dinge, die Ihnen passieren, auslegen.“
Neue Bedeutungsebenen
Das heißt: Wie Sie heute über Ihre Vergangenheit denken, können Sie morgen ändern. Die Bedeutung, die Sie den Geschehnissen verliehen haben, könnte auch eine ganz andere sein. Jemand, der einen schrecklichen Unfall hatte, hadert sein Leben lang mit den Folgen. Jemand anders, der einen schrecklichen Unfall hatte, bedauert, dass es andere noch schlimmer getroffen hat. Ein Dritter hat nach seinem Unfall eine ganz neue Erkenntnis darüber, was im Leben wirklich wichtig ist, und ist sogar dankbar für das, was ihm passiert ist.
Vor Ihrer Zeit
„Das war vor deiner Zeit.“ Wer hat das nicht schon einmal zu hören bekommen oder selbst zu jemandem gesagt? Damit ist man fein raus. Was vor meiner Zeit war, hat mit mir nicht viel zu tun. Oder vielleicht doch? Wenn Sie Eltern oder Großeltern haben, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, könnte der folgende Abschnitt Sie besonders interessieren.
Einfluss traumatischer Erlebnisse
In den vergangenen Jahren haben sich mit zunehmender Intensität unterschiedliche Wissenschaftler – Psychologen, Pädagogen, Biologen, Genetiker – mit den Folgen traumatischer Erlebnisse für die nachfolgenden Generationen beschäftigt. In Deutschland steht dabei zumeist der Zweite Weltkrieg im Fokus. Allerdings war es lange Zeit tabu, über die selbst erlebten Gräuel zu sprechen. Erst nach und nach kommen Erkenntnisse darüber ans Licht, welchen Einfluss die Erlebnisse vor 70 Jahren auf die nachfolgenden Generationen haben. Eine neue, bis zur Niederschrift dieser Zeilen noch nicht veröffentlichte Studie von Michael Ermann, Leiter der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik der Psychiatrischen Universitätsklinik München, belegt, dass Kinder und Enkel auch heute noch unter den Erlebnissen ihrer Eltern und Großeltern leiden. Und zwar stärker, als bislang angenommen.
Kriegserlebnisse und ihre Folgen
Selbst in Familien, in denen nicht über den Krieg gesprochen wurde, sind Denk- und Verhaltensmuster an die nächste Generation weitergegeben worden. Heute gehen Psychologen und Epigenetiker – also Biologen, die sich auf die Prozesse von Zellen spezialisiert haben – davon aus, dass sich Traumata weitervererben, und zwar nicht nur durch das Verhalten der Eltern ihren Kindern gegenüber, sondern im wahrsten Sinne des Wortes: über genetisch veränderte Zellen. Demnach können traumatische Erlebnisse das Erbgut verändern und sich so über Generationen weitervererben.
Nachdenken über die Zeit vor der...