Die neue Nachbarin
Wenn ich vom Fußballspielen nach Hause komme, bin ich nicht gerade in der besten Verfassung für einen Flirt.
Ich bin vollgeschwitzt und je nach Witterung auch ziemlich dreckig. Dazu meist völlig ausgepowert.
Nicht gerade ideal, um bei einer Frau zu landen.
Doch in genau so einer Situation begegnete ich eines Abends meiner neuen Nachbarin.
Sie hielt mir die Haustür auf.
Ich war verschwitzt und schmutzig und hatte auch noch meine löchrigste Jogginghose an. Wie ich erst später beim Blick in den Spiegel feststellte, befand sich zudem von einem missglückten Kopfballversuch ein schlammiger Abdruck auf meiner Stirn.
Vielleicht war das der Grund, warum sie mich anlächelte. Sie war eine überaus zierliche Frau. Vielleicht knapp einen Meter sechzig groß. Lange, gewellte braune Haare und große blaue Augen, mit denen sie zu mir hochsah.
Ich sah sie an diesem Tag nicht zum ersten Mal. Bereits eine Woche zuvor war sie mir aufgefallen, als sie vor meinem Fenster mit vollgepackten Einkaufstüten vorbeiging.
Was für ein süßes Ding, hatte ich gedacht.
»Du bist wohl neu hier?«, fragte ich, während ich an ihr vorbei ins Haus ging.
»Richtig, vor zwei Wochen eingezogen. Mein Name ist Anna«, antwortete sie mit einer hellen, fast kindlichen Stimme.
»Da, wo ich herkomme, halten ja eher die Männer den Frauen die Tür auf … aber danke, Anna«, sagte ich und zwinkerte ihr zu.
»Da ist man einmal nett, und schon muss man sich solche Sprüche anhören!«, beschwerte sie sich lachend. Gemeinsam gingen wir die Treppen hinauf.
»Sag mal, läufst du immer in so eleganten Klamotten herum?«, fragte Anna und musterte mich kritisch.
»Nein, ich hatte gerade ein Bewerbungsgespräch bei einer Bank und habe mich deshalb schick gemacht. Normalerweise trage ich sportlichere Klamotten«, konterte ich staubtrocken.
Sie lachte, und dann waren wir auch schon an meiner Wohnung angelangt.
»Hier wohne ich.«
»Ach, cool. Ich wohne direkt gegenüber.« Sie deutete auf die benachbarte Wohnungstür.
»Dann sind wir jetzt also Nachbarn«, stellte ich fest.
»Ja, ich hoffe, du bist nicht besonders laut oder so.«
»Ach, kaum«, sagte ich, »nur wenn meine Kumpels von den Hells Angels vorbeikommen, dann hören wir hier manchmal etwas lauter AC/DC und so was. Außerdem übe ich regelmäßig auf meinem Alphorn. Ausgefallenes Instrument, ich weiß.«
Ich schaute ihr in die Augen. »Gut zu wissen, dass du hier direkt gegenüber wohnst. Wenn ich mal einen Kuchen backen will und keine Eier im Haus habe, weiß ich ja jetzt, wer mir aushelfen kann.«
»Ach, und du glaubst, dass ich immer Eier dahabe?«, lachte sie herausfordernd.
»Also bitte, eine gute Hausfrau erkenne ich doch auf hundert Meter«, antwortete ich mit einem schelmischen Grinsen. »Ich kann mir schon vorstellen, wie gut dir eine Schürze steht.«
»Oh, Mann, du bist echt unglaublich!«
»Hehe, na dann auf eine gute Nachbarschaft«, sagte ich und steckte meinen Wohnungsschlüssel ins Schloss.
Die Tage vergingen. Ich schrieb an einer Seminararbeit und hatte unsere Begegnung fast schon vergessen, als ich eines Abends wieder vom Training nach Hause kam und mein Blick an Annas Wohnungstür hängen blieb. Spontan entschloss ich mich, ihr einen Besuch abzustatten, und klingelte an ihrer Tür. Es wäre zu schade gewesen, nicht an unsere zufällige Begegnung anzuknüpfen. Irgendwie hatte Anna mir gefallen. Und wer wusste schon, wann ich sie sonst wiedersehen würde.
Sie öffnete in einem unheimlich verwaschenen Freizeitanzug.
»Schick, schick …«, spottete ich.
»Das sagt der Richtige!«, konterte sie.
Ich war natürlich wieder einmal total vom Fußball eingesaut.
»Ich dachte, ich pass mich mal deinem Niveau an«, fuhr sie mit einem zynischen Lächeln fort.
»Ach, du wusstest, dass ich komme?«
»Es lag so etwas in der Luft.«
Annas klare, blaue Augen strahlten mich an.
»Jedenfalls«, ergriff ich das Wort, »bin ich gekommen, um auf dein Angebot einzugehen!«
»Was für ein Angebot?«, fragte sie verdutzt.
»Dass du mir Eier leihst, falls ich einen Kuchen backen will.«
»Haha, von wegen Angebot«, prustete sie los. »Das habe ich dir nie angeboten. Du hast das einfach mit kackfrecher Selbstverständlichkeit eingefordert!«
Ich überlegte einen Moment.
»Dann möchte ich meiner Forderung hiermit Nachdruck verleihen!«
»Du willst allen Ernstes jetzt einen Kuchen backen?« Anna schaute auf ihre Armbanduhr. »Es ist halb zehn.«
»Nicht jetzt«, entgegnete ich. »Aber am Sonntagnachmittag, so gegen vier. Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nie in meinem Leben einen Kuchen gebacken habe. Ich könnte also noch eine helfende Hand gebrauchen«, lächelte ich sie einladend an.
Ein Moment der Stille.
»Ist das etwa deine Art, nach einem Date zu fragen?«
»Ich habe nie etwas von einem Date gesagt«, antwortete ich. »Wenn du magst, kommst du Sonntagnachmittag rüber, und wir backen einen leckeren Kuchen zusammen. Den können wir uns danach natürlich auch gemeinsam schmecken lassen.«
»Okay, warum nicht?«, sagte sie. »Was für ein Kuchen soll es denn werden?«
»Überraschung«, antwortete ich.
In Wirklichkeit hatte ich natürlich keine Ahnung.
»Gut, soll ich irgendwas mitbringen?«
»Eier!«
Am übernächsten Tag war es dann so weit. Ich hatte mich in der Zwischenzeit im Internet schlaugemacht, was man so alles für einen Kuchen braucht, und alle nötigen Zutaten eingekauft – bis auf die Eier, versteht sich.
Die Wahl fiel auf einen klassischen Schokoladenkuchen. Da konnte man nämlich fast nichts falsch machen. Falls doch etwas schiefgehen sollte, würde ich einfach alles auf Anna schieben, dachte ich grinsend.
Punkt 16 Uhr klingelte es an der Tür. Anna stand mit einem Zehnerkarton Eier davor. »Ich dachte, ich bring ein paar mehr mit, damit du nicht jeden Tag vorbeikommst.«
Die Frau hatte Humor. Das gefiel mir.
»Wow, du kannst ja richtig gut aussehen!« Sie musterte mich von oben bis unten. Tatsächlich hatte sie mich bisher nur in gammeligen Sportklamotten gesehen. Jetzt trug ich immerhin ein Hemd und eine Jeans.
»Das Kompliment kann ich zurückgeben.« Sie schien mir an diesem Tag wirklich noch eine Spur attraktiver als ohnehin schon. Hatte sie sich etwa extra für mich hübsch gemacht?
Ohne Umwege führte ich sie in die Küche, wo ich die Zutaten und Backutensilien auf dem Tisch ausgebreitet hatte. »Ui, da ist aber jemand vorbereitet. Ich dachte, du hast das noch nie gemacht?« Sie wirkte ehrlich überrascht.
»Meine Mami hat mir ein paar wertvolle Tipps gegeben!«, erklärte ich augenzwinkernd.
Und so fingen wir an, den Teig zuzubereiten. Dabei erzählte Anna, dass sie extra 300 Kilometer von ihrem Heimatort weggezogen war, um an die Schauspielschule zu gehen.
»Eine zukünftige Schauspielerin«, resümierte ich. »Kannst du denn auch einen Orgasmus vorspielen?«
»Ich hoffe nicht, dass das nötig ist …« Sie schlug noch zwei Eier in die Schüssel und begann alles zu verrühren.
Während wir die Zutaten in einen Teig verwandelten, erfuhr ich einiges über sie. Dass sie in ihrem Heimatort für die Kirche eine Jugendgruppe geleitet hatte. »In den Sommerferien bin ich dann immer mit den Kindern ins Ferienlager gefahren. Da spielen sich Dramen ab, das kannst du mir glauben.«
Und natürlich erzählte sie mir von ihrem großen Traum, eine bekannte Schauspielerin zu werden. »Es wäre schon himmlisch, mich selbst eines Tages auf der Leinwand zu sehen – oder wenigstens im Fernsehen.«
Sie stellte auch eine Menge Fragen über mich, die ich ihr ausführlich und humorvoll beantwortete.
Der Teig war fertig. Wir gaben ihn in die Backform, und Anna verstaute sie fachmännisch im Ofen.
»Und wer darf jetzt die Schüssel ausschlecken?«, fragte ich.
»Da du dich bisher vor allem durch Passivität und vornehme Zurückhaltung ausgezeichnet hast, würde ich mal sagen, dass dieses Privileg mir vorbehalten bleibt«, forderte sie keck.
»Wenn das so ist«, überlegte ich, »gilt hier das Gesetz des Stärkeren.«
Ich griff mir die Schüssel. Natürlich ließ sie sich das nicht gefallen und packte ebenfalls zu. So kabbelten wir um die Schüssel. Als sie nicht lockerlassen wollte, griff ich hinein, nahm etwas Teig mit den Fingern auf und verteilte ihn in ihrem Gesicht.
»Ich kann nicht glauben, dass du das gemacht hast.« Aber ihr Grinsen verriet mir, dass sie mir nicht böse war. Blitzschnell griff sie ihrerseits in die Schüssel und verpasste mir einen ordentlichen Patscher auf die Wange.
»Schau uns nur an«, lachte ich und betrachtete ihr vollgeschmiertes Gesicht. »So sehen normalerweise zwei Siebenjährige aus, nachdem sie ihrer Oma in der Küche geholfen haben.«
»Wer hat denn damit angefangen?«, fragte Anna nur. »Ich habe mich lediglich verteidigt.« Zum Zeichen ihres Triumphs streckte sie ihr Kinn in die Höhe.
»Du bist natürlich völlig unschuldig«, lachte ich und näherte mich ihr langsam. Behutsam streifte ich ihr etwas Teig vom Kinn, leckte meinen Finger ab und sah ihr in die Augen.
»Mmh … lecker!«
Sie hielt meinem Augenkontakt stand. »Genau wie du!« Noch während ich die Worte sprach, nahm ich ihr Gesicht in die rechte Hand und zog sie sanft heran. Mit der linken Hand hob ich ihr Kinn leicht an und küsste sie.
Erst kurz und vorsichtig. Dann noch mal....