»Noch dies, mein Herr Vater«, fährt Marozia weiter. Sie kann ja nichts dafür. Sie handelt im Auftrag der Senatrix et Patricia Romanorum. »Mutter hat eine Revolte im Senat niedergeschlagen, bevor sie zum Volksaufstand eskalierte. Es gab zahlreiche Tote in der Stadt. Als ich Rom vor drei Tagen verließ, war die Lage ruhig. Mama hat die Rädelsführer öffentlich hinrichten lassen.«
»Namen!«
»Unzufriedene, Ganoven, Dummköpfe, Blödmänner! Mutter sagt, die Crescentier stünden dahinter. Sie hat bereits eine erste Maßnahme ergriffen, diese machthungrige Familie zu zähmen, ohne einen Bürgerkrieg zu provozieren.«
»Welche? Sprich!«
»Sie will – und dazu erbittet sie dein Einverständnis – meine Schwester Theodora mit Johannes Crescentius, dem ,Vestararius‘, dem päpstlichen Kämmerer und Finanzverwalter, verheiraten. Mama sagt, mit dieser Heirat schlagen wir zwei Fliegen auf einen Streich: Wir Tusculaner kontrollieren direkt die finanziellen Vorhaben des Papstes und vertiefen die Abhängigkeit des Laterans von den Grafen von Tusculum; gleichzeitig unterbinden wir durch die Hochzeit das Machtgebaren unserer ewigen Konkurrenten in Rom, die Crescentier.«
Graf Theophylakt nickt vor sich hin. Ein geschickter politischer Schachzug, das muss er zugeben. Alberich zuckt mit keiner Miene. Seine Schwiegermutter ist eine wahrlich gefährliche Frau, wenn man sie zum Feind hat und die Macht der Tusculaner bedroht ist. Ja, und sein eigenes Weib Marozia ist auf dem besten Weg, es ihr gleichzutun. Wenn es denn so weit ist!
»Sag an, Tochter: Weshalb schickt Theodora dich, um mir das mitzuteilen?«, fragt der Graf sein Geblüt, ohne sich über sein eigenes Urteil zu äußern.
Marozia schluckt leer. Sie hat höchsten Respekt vor der Autorität des Vaters.
»Mutter schickt mich, weil – weil du vielleicht einem Boten nicht geglaubt hättest. Weil du den Boten wegen einer schlechten Nachricht vielleicht hättest hinrichten lassen. Weil …« Marozia unterbricht sich. Sie senkt den Blick demütig zu Boden.
»Weil?«
Marozias Kehle ist ausgetrocknet. Die Zunge liegt dick im Gaumen. Noch hat sie nach dem schnellen Ritt nichts getrunken.
»Mama schickt mich zu dir – und Alberich, meinem Gatten, aufs Schlachtfeld«, fügt sie hinzu. »Sie meint, ich könne viel übers Kriegshandwerk erfahren und von deiner Truppenführung lernen. Es sei vorzüglich, wenn ein Weib Soldaten kommandieren kann, wenn ich einmal Senatrix und Patricia von Rom bin«, sagt sie kleinlaut, bescheiden.
Die Geräusche des Heerlagers dringen von draußen ins gräfliche Zelt. Alberich von Spoleto schweigt. Seine Familie erfüllt durch die Ehe mit Marozia lediglich einen lieblosen, politischen Zweck, vielleicht mit ein wenig gegenseitiger Sympathie – nichts weiter. Alberich könnte sein Weib manchmal fürchten, gleich der Skrupellosigkeit der Schwiegermutter. Da geziemt es sich, nur zu reden, wenn man gefragt wird. Er weiß, die Fickerei seiner Gattin mit Papst Johannes ist eine rein zweckdienliche Sache. Sie hat mit Moral rein gar nichts, aber mit Politik sehr viel zu tun.
»Ich danke dir, mein Kind«, sagt Graf Theophylakt nach einer Weile zufrieden. »Deine Mutter hat recht getan. Du hast ihr gehorcht und recht getan. Komm, lass dich umarmen!«
Marozias zierliche Gestalt versinkt zwischen den starken Armen an der riesenhaften Brust des Vaters. Er schlägt den Gong. Ein Bediensteter tritt ins Zelt.
»Wein! Vom besten!«, lautet der Befehl.
»Und Fleisch und Brot«, ergeht Marozias Anweisung direkt an den Diener. »Ich bin hungrig vom langen Ritt hierher.«
»Bist du allein gekommen? Oder hast du eine Eskorte?«
»Mama sagte, zehn Mann und ein Korporal würden als Begleitmannschaft genügen, um Wegelagerer und Räuber abzuwehren«, erwidert die Gefragte ein wenig müde. »Du weißt, Vater: Ich bin der Schwertführung durchaus kundig; du hast mich gut ausgebildet. Ich habe jetzt in Rom den besten Fechtlehrer. Ich verstehe, einen Angreifer ins Jenseits zu befördern. Und du hast mir durch das Schachspiel strategisches Denken beigebracht.«
»Und dein Kind? Alberich? Wie heißt doch gleich der Bastard, den du von Papst Sergius geboren hast?«
»Johannes«, antwortet Marozia lakonisch. Sie liebt beide Kinder, den Alberich vielleicht ein bisschen mehr. »Sie sind in Aglaias Obhut. Es geht ihnen gut. Sie wachsen und gedeihen. Manchmal findet Großmutter Zeit (sie meint ihre Mutter Theodora), mit den Kleinen zu spielen. Sie hat vor allem an Alberich den Narren gefressen.«
»Leidet mein Weib noch immer unter argem Husten?«
Marozia bejaht. Er sei schlimmer geworden. Vor allem nachts. Sie könne ohne das ärztliche Elixier kaum schlafen.
»Vater, darf ich dich etwas fragen?«, wechselt die Tochter abrupt das Thema. Es ist ihr jetzt genug der Familienangelegenheiten. Der Gefragte nickt milde.
»Ich habe eure Beratung im päpstlichen Hauptquartier gehört, als ich wartete, von euch empfangen zu werden«, sagt Marozia. »Ihr habt gefragt, wie der Feind aus der Festung zu zwingen wäre. Wie ihn zu dezimieren. Wie ihn zu veranlassen, Pfeile und Armbrustbolzen abzuschießen, ohne unsere eigenen Truppen zu gefährden. Wie die Mineure den Festungspalisaden nahe kommen könnten, um sie zum Einsturz zu bringen. – Darf ich einen Vorschlag machen?«
Graf Theophylakt schlägt die Eingangsplane zurück. Er betritt als Erster das Zelt des päpstlichen Hauptquartiers.
»Hört meine Tochter Marozia an, was sie zu sagen hat«, fordert er die versammelten Edelhäupter vor den auf Tischen ausgebreiteten Karten auf. »Sprich!«
König, Papst und Fürsten machen große Augen und trauen den Ohren nicht. Was Marozia vorschlägt, ist machbar, effektiv, entscheidend. Teufelsweib? Ein gesandter Engel des Herrn? Gewiefte Strategin? Vor allem der Strategos von Bari hätte als erfahrenster Krieger von allen darauf kommen müssen und nicht ein niedriges Weib.
Die Befehlsausgabe erfolgt sofort; die Vorbereitungsarbeiten werden unmittelbar eingeleitet …
Der Beobachtungsposten auf der Festung holt Mohammad Omar Ali auf die Palisadenplattform des Eckturms auf der flusszugewandten Seite.
»Bei Allah, was haben die vor?«, rätselt er. »Das ist ja eine Armada von Schiffen! Eine Abteilung Bogen- und Armbrustschützen her!«
Die Befohlenen gehen in Stellung.
»Erst schießen auf meinen Befehl! Wir haben nur wenige Pfeile und Bolzen zur Verfügung. Wir müssen haushälterisch damit umgehen.«
Marozia höchstselbst sitzt im vordersten Boot, das den Garigliano hinaufrudert. Zwanzig Schiffe folgen in Formation. Sie sind dick mit Schilf, Stroh und wasserdurchtränkten Planen bedeckt. Die Seitenwände sind mit den Schilden der Soldaten verstärkt, damit kein Pfeil, kein Armbrustbolzen durchschlägt.
»Keine Angst, Soldaten!«, sagt Marozia fast mütterlich tröstend. »Es kann nichts passieren. Seid bereit! Gleich werden sie schießen und uns ihre Pfeile und Armbrustbolzen schenken, die wir dann gegen sie verwenden.«
Ein arger Pfeilhagel geht auf die »gepanzerten« Boote nieder. Die Soldaten an den Rudern ziehen die Köpfe ein. Die Geschosse bleiben wirkungslos in den dichten Strohabdeckungen und dicken Schilfbündeln stecken. Feuerpfeile können nichts ausrichten. Die Flammen verlöschen in den wassergetränkten Planen. Die auftreffenden Armbrustbolzen sind wuchtig. Ihre Durchschlagskraft reicht aus, das Schilf und das Stroh zu durchdringen; sie bleiben aber wirkungslos im Holz der Schilder stecken, die die Wände vor dem Beschuss zusätzlich schützen.
»Seht ihr? Wir bleiben unversehrt. Wie ich es vorausgesagt habe«, verkündet Marozia der Rudermannschaft stolz.
»Und wenn die Sarazenen Brandkugeln schießen? Die Boote mit Steingeschossen versenken, durchlauchte Marozia?«, munkelt der Steuermann verängstigt. Er hält das Leitruder fest unter den linken Arm geklemmt und bekreuzigt sich mit der anderen Hand.
Die Gräfin lächelt müde und fast spöttisch. »Was seid ihr für Angsthasen!«, ruft sie aus. »Ihr seid Männer? Soldaten? Ich bin ein schwaches Weib! Aber ich fürchte mich nicht! Schleudern und Katapulte können die Geschosse nicht im steilen Winkel hochschießen, was sie nämlich tun müssten, um uns zu treffen; wir sind zu nah an der Festung dran. Schleudern und Katapulte sind Bogenschusswaffen. Der Feind muss uns direkt mit Pfeil und Armbrustbolzen beschießen.«
Der Beschuss trommelt auf die Boote nieder.
»Die Sarazenen glauben tatsächlich, wir greifen sie an?«
»Das ist der Sinn der Sache, Soldat«, erwidert Marozia gelassen.
»Kurshalten, Steuermann! Langsam weiterrudern, bis das Horn für das Wendemanöver...