6 Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch (S. 83-84)
Nicht jede ungeplante Schwangerschaft ist automatisch eine ungewollte Schwangerschaft. Junge Frauen unter 20 Jahren befinden sich aber meist in einer Situation, in der eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes weder emotional, noch von den äußeren Lebensbedingungen her passend ist. Auch ist nicht jede ungewollte Schwangerschaft automatisch eine Krisensituation. Herausfordernd im Beratungsgespräch sind aber jene Situationen, wo es darum geht, die junge Frau in ihrem Entscheidungsprozess zu begleiten bzw. sie in einer Krisensituation zu stützen.
Besonders junge Frauen warten mit dem Besuch bei der Frauenärztin, mit dem Gespräch bei der Beraterin oder der Vertrauenslehrerin relativ lange, wenn es sich um eine mögliche Schwangerschaft handelt. Ähnlich wie in anderen schwierigen Lebenssituationen auch, wird die Handlungsweise vieler junger Frauen durch den Versuch, die belastende Situation zu verdrängen, bestimmt. Anders als bei schlechten Noten oder versäumten Zahlungen, lässt sich das „Problem" nicht einfach später lösen. Die Möglichkeit mehrere Entscheidungsvarianten zur Verfügung zu haben besteht nur für eine relativ kurze Zeitspanne. In der allgemeinen Aufklärung ist es daher unbedingt notwendig, in sehr klarer Weise Informationen zum Thema Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch zu geben. Unabhängig von der moralischen Einstellung der Beraterin sind fachlich fundierte Informationen Voraussetzung für einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Thema.
Beraterinnen, die die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs grundsätzlich ablehnen, sollten Informationen über Schwangerschaftsabbruch und Beratungsgespräche im Falle einer ungewollten bzw. ungeplanten Schwangerschaft von einer Kollegin übernehmen lassen. Die Überweisung muss ohne der Information über die eigene Werthaltung geschehen können, da alleine dadurch eine einschränkende Stimmung zu diesem sensibilisierten Thema präsentiert wird. Eine freundliche, aufmunternde Überweisung, mit dem Hinweis, dass die genannte Institution in diesem Falle eine gute Unterstützung darstellt, ermöglicht der betroffenen Frau, rechtzeitig eine stützende Beratung in Anspruch nehmen zu können.
Im allgemeinen kann behauptet werden, dass Frauen, die sich gut informiert fühlen, sich nicht leichter für einen Abbruch entscheiden. Schlecht informierte Frauen hingegen kommen viel leichter in Bedrängnissituationen, da sie sich zu spät oder gar nicht um Unterstützung kümmern. Auch sehr jungen Frauen unter 20 Jahren ist bewusst, dass die Entscheidung für oder gegen das Austragen eines Kindes keine leichtfertige Entscheidung ist. Keine Frau wird sich daher in „bewusster Absicht" dieser Entscheidungsfrage stellen.
SCHWANGERSCHAFT UND SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH IM SEXUALPÄDAGOGISCHEN GRUPPENGESPRÄCH
Die emotionale Brisanz dieses Themas ist nicht nur spürbar, wenn Erwachsene Stellung dazu beziehen. Auch Jugendliche machen sich Gedanken zu diesem Thema, haben möglicherweise durch den Bekanntenkreis oder die eigene Familie bereits Erfahrungen mit dieser Entscheidungsfindung gemacht und haben auf jeden Fall bereits eine eigene Wertigkeit im Umgang mit dieser Frage. Die emotionalen Aspekte lassen sich weder mit Erwachsenen, noch mit Jugendlichen ausdiskutieren. Gelernte Wertigkeiten, kulturelle Vorschriften, persönliche Erfahrungen mischen sich zu sehr, um eine Diskussion führen zu können, die die echte Auseinandersetzung mit sich selbst fördert. Hinzu kommen noch Ängste, selbst in diese Situation geraten zu können, sowie gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, die schwer aufzubrechen sind. Jungen und Mädchen haben oft sehr unterschiedliche Zugänge, die nicht nur durch Rollenstereotype, sondern auch durch ganz persönliche männliche und weibliche Ängste geprägt sind. Um eine emotionale Auseinandersetzung in einer differenzierten Weise mit diesem Thema zu ermöglichen, kann es hilfreich sein, Jungen und Mädchen in vertauschten Rollen ein Beziehungsgespräch über eine ungewollte Schwangerschaft führen zu lassen.