Die meisten Menschen assoziieren den Begriff Sexualität entweder mit dem weiblichen oder männlichen Geschlecht oder mit dem rein körperlichen Akt zwischen zwei Menschen. Dabei beinhaltet der Begriff sehr viel mehr. In ihrer weiter gefassten Definition präsentieren Blanch et al. (1990) «Sexualität als schöne Blume».
Ich habe das Bild von Blanch et al. aufgegriffen und eine Rosenknospe daraus gemacht. Wenn die prachtvolle Rosenknospe sich entfaltet, werden ihre Blütenblätter und damit die vielen Facetten der «Sexualität» sichtbar:
- Sinnlichkeit;
- Intimität;
- Identität;
- Erfahrungen, die im Laufe des Lebens gemacht wurden;
- Reproduktion.
Weiter unten am Stängel befindet sich die dornige «dunkle» Seite der schönen Rosenknospe, ihre verborgenen Facetten in Form
Jeder Teil der voll entfalteten Rose entspricht dem Stück eines Puzzlespiels, das zusammen mit den anderen «die Gesamtheit» der menschlichen Sexualität ausmacht. Die Einstellung gegenüber der eigenen Sexualität hängt davon ab, ob die Blütenblätter der Rose für positive oder negative Erfahrungen stehen. Zur Erläuterung des Konzepts werden die einzelnen Blütenblätter und ihre Bedeutung im Folgenden beschrieben.
1.1 Sinnlichkeit
Sinnlichkeit ist mehr als nur sinnlicher Genuss. Es ist auch die Fähigkeit unseres Gehirns, das unsere körperlichen Empfindungen steuert, die Informationen unserer fünf wichtigsten Sinne wahrzunehmen, zu interpretieren und zu beantworten:
- Geruchssinn
- Tastsinn
- Geschmackssinn
- Gesichtssinn
- Gehörsinn.
Einige Menschen haben einen bevorzugten Sinn, der einen Einfluss darauf hat, wie sie sich anderen präsentieren, z.B. durch den Geruch ihres Körpers, das Parfüm, das sie benutzen, die Art, wie sie kommunizieren oder die Kleidung, mit der sie andere auf sich aufmerksam machen. Manche Menschen wirken sinnlicher oder körperbewusster als andere; Frauen tragen knapp sitzende Kleider oder kurze Röcke, Männer enge Jeans oder vorn aufgeknöpfte Hemden. Die Art, wie man sich präsentiert, hängt meistens davon ab, mit wem man zusammen ist oder wessen Aufmerksamkeit man auf sich ziehen will.
Jeder Mensch reagiert anders auf angenehme Reize. Einige Menschen berauschen sich an dem Duft von Gardenien oder an dem Parfüm einer anderen Person, andere an dem Duft gebratener Speisen oder dem Sprühnebel des Salzwassers bei einem Strandspaziergang, während sie den Wind in ihren Haaren und den Sand unter ihren Füßen spüren.
Es gibt eine Fülle von angenehmen Reizen – ein großartiger Sonnenuntergang, ein imposanter Wasserfall, das Gesicht eines geliebten Menschen oder die Geräusche der Vögel in den raschelnden Baumwipfeln. Für einige Menschen ist ein Candle-Light-Dinner und stimmungsvolle sanfte Musik ein sinnliches Erlebnis. Ihr Gesichtssinn und ihr Gehörsinn werden ebenso stimuliert wie ihr Geschmackssinn durch das gute Essen und die guten Getränke, wie z.B. Champagner, Erdbeeren und Schokolade.
Manche Menschen mögen auch Dinge, die ein wohliges Gefühl auslösen. Es ist angenehm, sich von einem anderen die Haare bürsten zu lassen, Samt oder Seide zu berühren oder in Satinbettwäsche zu schlafen, in einem warmen Bad zu sitzen oder sich den Körper mit wohlriechendem Öl massieren zu lassen.
Der Tastsinn hat eine starke Wirkung und weckt, besonders wenn er durch Küssen, Umarmen, Kuscheln, Streicheln oder Liebkosen (sich selbst oder einen anderen) stimuliert wird, körperliches Verlangen. Manche Menschen befriedigen ihre sinnlichen Bedürfnisse durch das Anschauen von aufreizendem erotischem Material, die Nay (2004) als «einschlägige Zeitschriften und Filme» bezeichnet. Dieses Verlangen kann zwischen zwei Menschen zu einvernehmlicher leidenschaftlicher körperlicher Liebe oder zu Selbstbelohnung in Form von Masturbation führen. An dieser Stelle berührt die Sexualität den Bereich der Intimität.
1.2 Intimität
Alle Menschen haben das Bedürfnis nach Nähe und versuchen, der Einsamkeit zu entgehen; dieses Bedürfnis veranlasst sie, nach einem passenden Intimpartner oder «Seelenverwandten» zu suchen. Laut Alzheimer’s Australia, Vic. (2008) beinhaltet Intimität auf körperlicher Ebene «fürsorgliche Berührung, Geben und Empfangen von Liebe und Zuneigung und Austausch von Gefühlen».
Nach Moss et al. (1993) hat Intimität fünf Ebenen:
- Bindung: Gefühl von Nähe, Zusammenhalt und Verbundenheit
- Affektive Intimität: Fürsorglichkeit, Mitgefühl und Rücksichtnahme
- Kognitive Intimität: Austausch und gleiche Wahrnehmungen, was andere Menschen, Informationen, Werte und die Ziele der Beziehung betrifft
- Körperliche Intimität: körperliche Nähe von Körperkontakt bis hin zu Geschlechtsverkehr
- Gegenseitigkeit: Prinzip des Gebens und Nehmens.
Während die drei ersten Ebenen von Moss keiner weiteren Erläuterung bedürfen, bedeutet die vierte Ebene – körperliches Nähe – für die meisten Menschen nicht nur die Vereinigung zweier Körper, sondern auch eine tiefe emotionale Erfahrung der Verbundenheit. Für Greengross et al. (1989) ist «intimer Körperkontakt mehr als genitale Erregung; er vermittelt auch Sicherheit und Trost und ist eine Gelegenheit, Liebe und Zärtlichkeit auszudrücken, Freud und Leid zu teilen, Dinge, über die am Tage meistens nicht gesprochen wird.»
Es sollte jedoch erwähnt werden, dass dies nicht für alle Menschen gilt. Körperliche Intimität kann auch völlig emotionslos sein und nach Nay (2004) nur diesen einen Zweck haben: «Abbau sexueller Spannungen mit einer Sexualbegleiterin.» Solche Kontakte dienen der sexuellen Entspannung und Befriedigung.
Gegenseitigkeit, die fünfte Ebene, bedeutet Respekt und Vertrauen gegenüber dem Partner. Vertrauen in einer Beziehung schenkt Sicherheit und Schutz, Trost und Beruhigung, «eine Schulter zum Anlehnen» in schwierigen Zeiten.
Gegenseitigkeit bedeutet auch Wohlgefühl und körperliches Verlangen; es geht darum, sich einem anderen Menschen zu offenbaren und sich ihm hinzugeben. Ältere Ehepartner beispielsweise, die ihr Leben miteinander verbracht haben, sich respektieren, wissen, was dem anderen Vergnügen bereitet, ihn sexuell erregt und befriedigt, haben keine Hemmungen wegen ihrer alternden Körper. Die Vertrautheit ihrer intimen Beziehung und die daraus resultierende Freiheit führen dazu, dass körperliche sexuelle Aktivitäten nach der Menopause, zu einem natürlichen Bestandteil ihres Lebens werden.
Die Studie von Kuhn (2002) kommt zu dem Schluss: «Wahrscheinlich hält das Bedürfnis nach Intimität bis zum Lebensende an.» Dies bedeutet, der Tod eines Partners kann sexuell und emotional eine große Lücke im Leben eines Menschen hinterlassen. Daher verspüren einige Menschen das Bedürfnis, auf die Suche nach anderen Intimpartnern zu gehen.
1.3 Identität
Das ganze «Konzept Sexualität» dreht sich um Identität: die Identität der Person, ihre Persönlichkeit. Bancroft (2009) schreibt: «Sie beinhaltet die ganze Skala der Selbstwahrnehmung; Selbstwertgefühl, Beziehungen zu anderen, Rollen, die wir ausüben oder die uns übertragen werden.» Deshalb ist es auch bei älteren Menschen wichtig herauszufinden, «wer» sie in ihrer Lebensgeschichte waren.
Ältere Menschen verfügen über viel Lebenserfahrung, unabhängig davon, ob sie männlich oder weiblich, heterosexuell, homosexuell, bisexuell, transsexuell oder Transvestiten sind. Sie können verschiedene Funktionen und Rollen haben; White (2010) nennt folgende Rollen:
- Sohn/Tochter, Enkelkind und Bruder/Schwester
- Freund, Student, Angestellter und Kollege
- Freund/Freundin, Geliebter, Verlobter und Ehepartner/Partner
- Elternteil, Nachbar, Bürger, Vertrauter, Großelternteil und Rentner.
Diese Rollen vermischen sich, da sie im Laufe des Lebens wechseln. Laut Nay et al. (2007) haben Menschen auch «eine Geschichte, einen Kontext, eine Familie, Ziele und Stärken». Zudem wird Identität durch religiöse und kulturelle Überzeugungen sowie veränderliche Persönlichkeitsmerkmale geprägt. Soziales Auftreten und Verhalten, Erfahrungen, Leistungen, Enttäuschungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse sowie der auf andere ausgeübte Einfluss – all dies macht einen Menschen zu dem, was er ist.
Hajjar et al. (2004) schreiben: «Da ein enger Zusammenhang zwischen sexueller Identität und Selbstwertgefühl besteht, beeinträchtigt eine Verneinung der Sexualität nicht nur das Sexualleben, sondern auch das Selbstbild, die sozialen Beziehungen und die psychische Gesundheit.»
In der Außenwelt werden die Identität und die Persönlichkeit eines Menschen maßgeblich von seinem äußeren Erscheinungsbild bestimmt. Dazu gehört ein gepflegtes Aussehen – bei den Frauen eine attraktive Frisur, manikürte Nägel und Make-up und bei den Männern ein glatt rasiertes Gesicht und glänzende Schuhe. Kleidung, Auftreten, Verhalten, bevorzugte Farben, Speisen, der Lebensstil sowie körperliche sexuelle Vorlieben spielen dabei eine Rolle.
In den meisten Fällen wird die berufliche Identität entscheidend durch die Berufswahl, z.B. Lehrer, Tischler, Pflegeperson, Buchhalter, eines Menschen geprägt. Selbst wenn er aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, bleibt dieser Aspekt der Identität ein integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit und...