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E-Book

Sicherheit und Entwicklung in der Weltgesellschaft

Liberales Paradigma und Statebuilding in Afghanistan

AutorFlorian Kühn
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl386 Seiten
ISBN9783531923604
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,96 EUR


Florian P. Kühn ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Politik der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg.

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Leseprobe
5 Liberales Paradigma und Statebuilding: Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese (S. 187-188)

In diesem Kapitel werden die Fäden der beiden konzeptionellen Ausarbeitungen zur Sicherheit und zur Entwicklung zusammengeführt. Es ist gezeigt worden, dass beide Begriffe und Konzepte und die Politik, die daraus resultiert, historisch bedingt sind, entwicklungs- und sicherheitspolitische Zielstellungen also von historischen Umständen abhängen.

Sicherheit und Entwicklung hingen darin zusammen, dass Staaten und ihr politisches System als Sicherheitsproblem verstanden wurden und in der Folge entwicklungspolitisch unterstützt wurden, um ihre politische Haltung zu beeinflussen. Gleichzeitig repräsentierten und reproduzierten diese Beziehungen Abhängigkeiten, die historisch weiter zurückreichen. Die Strukturen des Kolonialismus schlugen sich in internationalem Recht, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen nieder.

Die skizzierten Vorstellungen übertragen die Idealtypen auf die Welt, so dass Staatlichkeit zur Doktrin wurde. Die idealtypisierten Merkmale territorialer Kontrolle und Gewaltmonopol als Ausdruck rationaler, verstetigter Herrschaftsbeziehungen gelten als Richtmarke, an der die Abweichung und damit die Schwäche von Staatlichkeit abzulesen ist. Sowohl entwicklungs- als auch sicherheitsbezogene Überlegungen beziehen sich also letztlich auf den Staat.

In diesem Staat kann Entwicklung letztlich nur durch Fortschritt verwirklicht werden, der als Wachstum verstanden wird. Selbst dort, wo self-reliance als Ziel von Entwicklung gilt, dient der Staat immer noch als Kontrollinstanz, deren Aufgabe die Einhegung menschlichen Tuns ist (N. Cooper 2006: 330). In dieser liberalen Konstruktion verschmelzen geopolitische und biopolitische Zielsetzungen. Seit den 1990er Jahren bezogen sich sowohl der Sicherheitsbegriff als auch der Entwicklungsbegriff auf den individualisierten Menschen.

Dies erlaubt eine Biopolitik, die ihren Gegenstand gerade nicht in territorialer Kontrolle hat, sondern in der Kontrolle und Eindämmung des menschlichen Faktors findet. Politische Räume sind also nicht mehr staatliche oder nationale, die den Kategorien Souveränität und Autonomie entsprechen, sondern sind insbesondere in Postkonflikt-Konstellationen stark internationalisiert. Unterschiedliche Akteure wie staatliche Organisationen und Regierungsinstitutionen, NGOs, religiöse und tribale Autoritäten, Terroristen und Aufständische, aber auch Interventionstruppen, lokale und politische Eliten interagieren in diesem Raum hochkomplexer Dynamiken.

Dabei sind diese Akteure in den wenigsten Fällen unitaristisch, handeln nicht einheitlich oder kohärent, sondern haben multiple Identitäten, die sich überschneiden und ineinander übergehen. Die Zuschreibung von festen Kategorien, denen zufolge politische Akteure sortiert werden können, werden dem Geschehen im politischen Raum oder ‚Machtfeld‘ des internationalisierten Staates nicht gerecht (J. Heathershaw/D. Lambach 2008b).

Der ‚unterentwickelte‘ Staat gewinnt also an Bedeutung, weil seine Charakteristika dem Ideal nicht entsprechen. Er dient als institutionelle Plattform, auf der die sozialen Beziehungen der Individuen nach westlichem Vorbild gestaltet werden können. Indem Armut und Unterentwicklung von einer humanen Katastrophe zu einem bedrohlichen Sicherheitsproblem umgedeutet wurden, lässt sich dies innerhalb eines liberalen Paradigmas begründen und erklären. Die Widersprüche jedoch, die darin enthalten sind, bleiben häufig unbeachtet oder werden der simplen Tatsache zugeschrieben, dass die sozialen Beziehungen, die adressiert werden, außerhalb der liberalen Weltsicht liegen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort10
1 Dank12
2 Einleitung14
2.1 Prolog14
2.2 Afghanistans Aufbau auf dem Prüfstand16
2.3 Aufbau und Fragestellung der Arbeit18
2.3.1 Die Kapitel zu Sicherheit und Entwicklung19
2.3.2 Das Konzept der Synthese von Sicherheits- und Entwicklungspolitik22
2.3.3 Fallstudie Afghanistan29
2.4 Erkenntnisinteresse und Wissenschaftsverständnis35
2.5 Stand der Literatur zu Afghanistan39
3 Sicherheitspolitik43
3.1 Der Sicherheitsbegriff45
3.1.1 Kritik der Internationalen Beziehungen1447
3.1.1.1 Realistische Ansätze48
3.1.1.2 Liberale und institutionalistische Ansätze50
3.1.2 Verhältnis von Sicherheit und Frieden53
3.1.3 Bezugspunkte von Sicherheit und die Internationalen Beziehungen56
3.1.3.1 Die Erhaltung des Staates und des Systems56
3.1.3.2 Werte und ihre Referenzen59
3.1.3.3 Historizität und Geltung60
3.1.3.4 Politökonomischer Primas: Der Staat und die Gewalt62
3.1.3.5 Ausweitung der Sicherheit64
3.2 Ebenen von Sicherheitspolitik65
3.2.1 Sicherheit und das internationale System66
3.2.1.1 Strukturanalytische Diagnose: Anarchie69
3.2.1.2 Die Sicherheitsgemeinschaft73
3.2.1.3 Die Gesellschaftlichkeit der Sicherheit77
3.2.1.4 Normen, Werte, Ideen – und die Sicherheit im Staat80
3.2.2 Sicherheit als Aufgabe des Staates81
3.2.2.1 Die Begründung des Staates als Sicherheitsakteur nach innen82
3.2.2.2 Innere und äußere Sicherheit91
3.2.3 Die personale Ebene103
3.2.3.1 Personen im Staat103
3.2.3.2 Individuelle Sicherheit als internationale Aufgabe105
3.2.3.3 Konsequenzen für die personale Ebene von Sicherheit109
3.3 Zusammenfassung110
4 Entwicklungspolitik113
4.1 ‚Development as Freedom‘?113
4.1.1 Entwicklung als wissenschaftliches Projekt113
4.1.1.1 Die Entfaltung des Individuums114
4.1.1.2 Wissenschaft als Maßstab für intendierte Entwicklung116
4.1.1.3 Gesellschaftlichkeit und Entwicklung: historisch-materialistische Teleologie117
4.1.1.4 Wissenschaftsglaube und Entwicklungsprognostik120
4.1.2 Liberaler Fundamentalismus121
4.1.3 Wachstum als Indikator für Entwicklung125
4.1.3.1 „Stages of Growth“ – Rostows Entwicklungsentwurf125
4.1.3.2 Wachstum und Dependenz128
4.1.4 Staatlichkeit und Entwicklung131
4.1.4.1 Immanente und exogene Modernisierung131
4.1.4.2 Märkte als Ausdruck der Freiheit132
4.1.4.3 Pazifizierte Ausgleichsmechanismen freier Individuen?134
4.1.4.4 Konstruktion von Normen und Werten135
4.1.5 Zusammenfassung: Reduktion existenzieller Risiken137
4.2 Ebenen von Entwicklung138
4.2.1 Internationale Entwicklung141
4.2.1.1 Wirtschaftsboom nach 1945 als beschleunigender Faktor der ‚westlichen Entwicklung‘141
4.2.1.2 Der Kalte Krieg und politisch motivierte Hilfe zur Entwicklung143
4.2.1.3 Dekolonisierung145
4.2.1.4 Wirtschaftliche Integration147
4.2.1.5 Diachrone Betrachtung von Entwicklung150
4.2.1.6 Politisches Imperium?153
4.2.1.7 Dynamische Entwicklung im Weltmaßstab154
4.2.2 Staatliche Entwicklung162
4.2.2.1 Ideal und Praktiken des Staates und gesellschaftlicher Akteure162
4.2.2.2 Die Position des Staates in der internationalen politischen Ökonomie164
4.2.3 Personale Entwicklung172
4.2.3.1 Entwicklung und Nothilfe172
4.2.3.2 Nachhaltige Entwicklung und ‚needs-based aid‘175
4.2.3.3 Freiheit zur Entwicklung177
4.2.3.4 Reduktion existenzieller Risiken179
4.3 ‚Mehrebenen‘-Politik und Risikoreduktion182
5 Liberales Paradigma und Statebuilding:Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese188
5.1 Weltgesellschaft und liberale Ansätze189
5.2 Externe Eingriffe und Souveränität195
5.2.1 Das Subjekt: Die Sicherheitsgemeinschaft199
5.2.2 Das Objekt: Fragile Staaten206
5.2.3 (Un-)Gleichheit in der liberalen Weltsicht211
5.2.4 Entwicklung als Modernisierung in der Weltgesellschaft213
5.3 Securitization und Developmentalization126217
5.4 Gewaltmonopolisierung als Ausdruck der Staatlichkeitsdoktrin229
5.4.1 Gewaltmonopolisierung durch nichtstaatliche Akteure231
5.4.2 Das Sicherheitsdilemma auf den Ebenen von Staat und Gesellschaft234
5.4.3 Gewalt als Wirtschaftsfaktor238
5.5 Rentierstaatlichkeit und Staatsfinanzierung242
5.5.1 Die ökonomische Rente244
5.5.2 Die politische Rente245
5.5.3 Die Rente als Problem der internationalen Politik246
5.5.4 Die Rente als Hindernis kapitalistischer Vergesellschaftung247
5.5.4.1 Rent-seeking248
5.5.4.2 ‚Dutch disease‘251
5.5.4.3 Nachhaltige Abhängigkeitsstrukturen253
5.6 Staatsaufbau als Risikofaktor255
5.7 Staatsaufbau in staatsferner Gegend: Widersprüche liberaler Weltpolitik258
5.7.1 Alle Menschen sind gleich, manche jedoch nicht259
5.7.2 Alle Staaten sollen sich ihre Regierungsform selbst geben, solange es Demokratie ist261
5.7.3 Demokratie bringt allen etwas, nur keinen Wohlstand262
5.7.4 Gewalt kann nur der Staat eindämmen oder externes Militär263
6 Afghanistan als sicherheitspolitischer Prüfstein265
6.1 Weltgesellschaft und liberaler Staatsaufbau281
6.2 Externe Eingriffe und Souveränität290
6.3 Securitization und Developmentalization304
6.4 Gewaltmonopolisierung als Ausdruck der Staatlichkeitsdoktrin310
6.5 Rentierstaatlichkeit und Staatsfinanzierung210315
6.6 Staatsaufbau als Risikofaktor331
6.7 Staatsaufbau in staatsferner Gegend334
6.7.1 Alle Menschen sind gleich, manche jedoch nicht336
6.7.2 Alle Staaten sollen sich ihre Regierungsform selbst geben, solange es Demokratie ist338
6.7.3 Demokratie bringt allen etwas, nur keinen Wohlstand340
6.7.4 Gewalt kann nur der Staat eindämmen oder externes Militär341
7 Schluss343
8 Literatur352

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