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E-Book

Standardisierung der Bildung

Zwischen Subjekt und Kultur

AutorRegina Klein, Susanne Dungs
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl266 Seiten
ISBN9783531922966
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,26 EUR
Ausgehend von Adornos paradigmatischem Satz 'Bildung ist nichts anderes als Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Aneignung', untersucht dieser Band die Wechselwirkung zwischen Subjekt- und Kulturbildung. Analysiert wird, welchen manifesten und latenten Logiken die Diskurskarriere der Standardisierungssemantik und begleitende Leitbegriffe wie Kompetenz, Skills und Strategie folgt. Kritisch hinterfragt wird, welche paradigmatischen Modellvorstellungen wie Bildungsideale und -utopien, Lehr- und Lernkonzepte durch Bildungsstandards (re)produziert werden und welche Schließungstendenzen damit einhergehen. Reflexiv durchdrungen wird, wie sich der über Bildungsstandards implementierte kulturelle Zugriff auf das Subjekt auswirkt, dadurch aktiv aneignende Formen der Subjektkonstituierung nachhaltig verändert und das Soziale aushöhlt.

Dr. Regina Klein ist Professorin für Gesundheits- und Pflegesoziologie an der Fachhochschule Kärnten.
Dr. Susanne Dungs Professorin für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kärnten.

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Leseprobe
Teil II Standardisierungsformate in Diskurs und Politik (S. 106-108)

Reflexion

Barbara Friebertshäuser


Wie reproduzieren sich die gesellschaftlichen Eliten und welche Rolle spielen dabei Kulturstandards?


Bildungs- und Erziehungsprozesse vollziehen sich in einer Kultur, vermittelt auch über Kulturstandards, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Zu den anerkannten Kulturstandards gehören unter anderem: die Art und Weise zu Sprechen, die Gegenstände des Dialogs, die sozialen Umgangsformen, Tischsitten, angemessener Kleidungsstil, der Geschmack, die Kenntnis der kulturellen Traditionen und Regeln des sozialen Miteinanders.

Diese generelle Definition blendet aus, dass sich in der spezifischen Ausformung der sozialen und kulturellen Praxen auch die Charakteristika des Wahrnehmens, Denkens und Handelns von unterschiedlichen Teilkulturen innerhalb einer Gesellschaft reproduzieren. Hegemonialkulturen suchen aufgrund ihrer Macht, ihre Definitionen und Deutungen der Welt durchzusetzen.

Das wirft die Frage auf, in welcher Weise sich die gesellschaftlichen Eliten reproduzieren und welche (oftmals unreflektierte) Rolle dabei die Beherrschung hegemonialer Kulturstandards spielt. Normativ wird ein Kulturverständnis, indem es sich auf Phänomene der so genannten Hochkultur (Kunst, Ästhetik, Bildung, Kultiviertheit) verengt und die Phänomene der Alltagskultur ignoriert. Dahinter verbirgt sich der Mechanismus der Markierung von sozialer Differenz als Voraussetzung für gesellschaftliche Hierarchisierungen.

Denn über die Beherrschung der hegemonialen Kulturstandards reproduzieren sich die gesellschaftlichen Eliten. Die Ideologie der Chancengleichheit schreibt den Bildungsverlierern selbst die Beteiligung an ihrem Scheitern zu und blendet strukturelle Rahmenbedingungen aus. Auf diese Weise konzentriert sich bspw. die Diskussion um die Hauptschüler weniger auf sie als „Bildungsverlierer“ eines Schulsystem mit seinen Selektionsmechanismen oder gesellschaftliche Diskriminierungen, sondern individualisiert das Problem auf der Ebene des Schülers oder einzelner Schulen.

Das emphatische Plädoyer für ein „selbstbestimmtes Lernen“, das zwar an Traditionen der Reformpädagogik anzuknüpfen scheint, aber womöglich doch nur den Bedürfnissen einer privilegierten sozialen Gruppe entspricht, die auf das kulturelle Kapital ihres familialen Milieus zurückgreifen kann, erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht. Eine kritische Erziehungswissenschaft reflektiert diese Zusammenhänge, um der Kolonialisierung von Lebenswelten und Ausgrenzung des Einzelnen entgegen zu wirken und die Anerkennung hochgradig differenter Wissens- und Lebensformen nicht nur in postmodernen Diskursen theoretisch zu proklamieren, sondern auch im praktischen Handeln umzusetzen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Einleitende Bemerkungen zur Standardisierung der Ressource Mensch7
1 Standardisierung als marktregulierende Strategie zur Qualitätssicherung des Humankapitals8
2 Standardisierung als Reflexionsaufforderung im Wechselspiel zwischen Subjektund Kulturbildung11
I Standardisierungsformate im Wechselspiel zwischen Subjekt und Kultur14
II Standardisierungsformate in Diskurs und Politik16
III Standardisierungsformate in Organisationen und Institutionen18
Literatur21
Reflexion23
Teil I Standardisierungsformate im Wechselspiel zwischen Subjekt und Kultur24
Reflexion25
Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards26
1 Zur Wechselwirkung zwischen Kulturund Subjekt26
2 Kulturstandards – historischer Moment, Deutungsmacht, Definition und Funktion28
3 Bildungsstandards – historischer Moment, Deutungsmacht, Definition und Funktion30
4 Fest- Stellung durch Standardisierung34
5 Standardisierte Bildungsund Kulturräume – eine Feststellung41
6 Ent-standardisierte Kultur- und Bildungsräume – eine Utopie45
Literatur49
Standard-Ethik: Risikovermeidung durch standardisierende Regulierungen52
1 Der Ursprung der Ethik53
2 Messbarkeit von Ethik durch Standards und Ratings: unternehmerische und neurotechnische Standard-Ethiken55
2.1 Unternehmerische Standard-Ethik57
2.2 Neurotechnische Standard-Ethik61
(1) Der Versuch Treatment und Enhancement ethisch voneinander zu unterscheiden,führt zu einem standardisierenden Zuschnitt menschlichen Daseins.63
(2) Die erweiterte Biotechnologisierung ersetzt bisherige pädagogisch ausgerichteteDiskurse durch neurotechnische Standardisierungen.63
(3) Philosophisch-theoretisches Nachdenken über moralische Fragen wird durchstandardisierende Strategien des Neuro-Enhancement (Stichwort: MDS = Moral-Defizit-Syndrom) fortschreitend an die Wand gespielt.65
(4) Das offene und unverfügbare Wechselspiel zwischen Subjekt- und Kulturbildungwird in Technologie überführt. Dadurch wird Bildung in einen nach naturwissenschaftlichenGesetzen funktionierenden Komplex umgewandelt.66
3 Kritik der standard-ethischen Vernunft68
3.1 Kritik der unternehmens-ethischen Vernunft69
3.2 Kritik der neuro-ethischen Vernunft72
4 Noch einmal: Negativität der Moral75
Literatur78
Geschäftige Körper: Biomacht und kulturelle Standardisierungsprozesse81
1 Einleitung81
2 Macht, die an den Körpern ansetzt: Biomacht im Kontext neoliberaler Gouvernementalität83
3 Aktivierungen und Mobilisierungen88
3.1 Aktive Körper – zur Regulierung des Alter(n)s88
3.2 Mobile Körper – Disziplinierung und Regulierung Erwerbsarbeitsloser93
4 Schluss96
Literatur98
Teil II Standardisierungsformate in Diskurs und Politik101
Reflexion102
Standards und Risiko – Subjekte im Zwang zur Selbstabrichtung104
Literatur125
Der ‚Bildungsplan’ der Bildungs-Standardisierung und sein Anderes128
1 Vom Ein-Bilden Gottes zur Selbstinszenierungs-Bildung128
2 Das Verständnis von Bildung in der Antike129
3 Fortschreitende Ökonomisierung und Funktionalisierung von Bildung in der Neuzeit130
4 Vom Gebildet-werden-Sollen unter nicht-gebildeten Bildungsbedingungen132
5 Gelingendes Scheitern als der andere Bildungs-Prozess134
6 Bildung und Stellvertretung137
Literatur139
„Lifelong (L)earning“ – Bildung zwischen Kultur und Kapital141
1 Einleitung141
2 Zur Entwicklung einer gemeinschaftlichen europäischen Bildungspolitik142
2.1 Ein „neues Produktionsmodell“ als widersprüchliche Grundlage für die wirtschaftspolitische Konstruktion von „Bildung“?144
2.2 Lebenslanges Lernen…148
2.3 …anstatt „Bildung für alle“…150
2.4 …als entscheidender Faktor für Chancengleichheit?152
2.5 Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen und/trotz Subsidiaritätsprinzip?155
2.6 Das Humankapital – Bildung zwischen Kultur und Kapital?159
3 Zusammenfassung162
Literatur163
Teil III Standardisierungsformate in Organisationen und Institutionen168
Reflexion169
Steuergruppen, Schulentwicklung und Standardisierung172
1 Steuergruppen und Standards174
2 Steuergruppen, Managementstrategien und Selbstmodellierung176
3 Steuergruppen oder: Auf dem Weg zum standardisierten Lehrer?186
Literatur190
Kulturen der Bildung193
1 Standard: Begriff oder Wort?194
1.1 Wie „tickt“ das Wort „Standard“?195
1.2 Die Plastikwörter: Standardsprache einer internationalen Diktatur198
1.3 Die logopädische Expertin als Problemerzeugerin199
2 Logopädische Sprachtherapie in Deutschland201
2.1 Logopädie Gehilfin der Medizin201
2.2 Logopädische Sprachtherapie ist Therapie im Medium der Sprache202
3 Standardisierungsprozesse in der logopädischen Sprachtherapie202
3.1 Logopädie im Fahrwasser neuer „Wissenschaftlichkeit“203
4 Logopädie an der Grenze. Reflexionen jenseits des Faktischen205
4.1 Wissenschaftlichkeit um jeden Preis205
4.2 Eine hörbare Stimme206
4.3 Entsprachlichung33206
4.4 Das Sprachliche als Modus des Unendlichen207
5 Zum Schluss: Standardisierte Logopädie ist der Königsweg, das Sprachliche zu verfehlen.209
5.1 Unbemerkte Theorie209
5.2 Ausbildung zur Sprachlosigkeit210
Literatur211
Wessen Wissen?212
1 Wissen über Andere: der Umgang mit Differenz in der interkulturellen Pädagogik213
2 Postkolonialität: in Gegensätzen denken215
3 Eine postkoloniale Einwanderungsgesellschaft216
4 Verstrickungen – postkoloniale Antisemitismen219
5 Politiken der Unreinheit220
6 Bildungsprozesse in Widersprüchen222
Literatur224
Aspekte einer menschenwürdigen Bildungskultur225
1 Eigene Kompetenzbegriffe auf der Goldwaage225
2 Armutslagen von Kindern als Herausforderung für ein Bildungssystem226
3 Einmischung und Aufrechterhaltung durch die Kinderund Jugendhilfe227
4 Vernetztes Denken von Schulpädagogik und Sozialer Arbeit228
5 Sozial-Ökologischer Erziehungsund Bildungsbegriff: Abwehr von sozialen und kulturellen Bedrängungen229
6 Sozial-ökologisch inspirierte Erziehung und Bildung heißt: Affektiv förderliche Bedingungen herstellen230
7 Inklusive Bildungskulturen schaffen Integrationsbedingungen230
8 Soziale und ethische Grundorientierungen jenseits von Bildungsstandards232
8.1 Leitgedanken für eine gelingende (Grund)Schulpädagogik im Diskurs mit der Sozialen Arbeit232
8.2 Dialog und Bedeutungsbildung232
8.3 Intergenerationale und intersubjektive Bildung und Erziehung bedeutet: gemeinsam subjektive Entwicklungsprozesse ermöglichen234
8.4 Prozesshafte Erziehung als Möglichkeit der Urteilsbildung236
8.5 Handlungsempfehlungen als Orientierungshilfen auf Grundlage eines vernetzten Denkens von Sozialer Arbeit und Schulpädagogik238
8.6 Vision einer menschenwürdigen Bildungskultur239
Literatur240
Sich öffnen für das Unerwartete: Es kommt Bildung zustande242
1 Absprachen und der Lehr-Lern-Vertrag243
2 Selbstermächtigung auf vertraglicher Basis245
3 Subjektbildung geschieht wechselseitig und ist auf Nicht-Identisches bezogen246
4 Bildung ist Aneignung247
5 Verdinglichtes Bildungsverständnis248
6 Doppelcharakter von Bildung und Subjekt250
7 Spätmoderne Subjektbildung nach Meueler – zusammenfassende Gesamtschau251
Literatur254
Das Vergessen der Standardisierung255
1 Bildung, Reflexion und Fachdidaktik in der Philosophie256
2 Hochschulreform und Standardisierung257
3 Standardisierung als Entlastung260
Literatur261
AutorInnen264

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