Die Integration von Kindern mit Verhaltensstörungen hat in der Kindergartenpraxis eine große Bedeutung. Durch eigene Erfahrung in der Arbeit mit Kindergartenkindern konnte herausgefunden werden, dass ein nicht unbedeutender Teil der Integrationskinder diesen Status auf Grund ihrer Verhaltensprobleme bekommen haben. Des Weiteren wurden viele Kinder bemerkt, die zwar ebenfalls Verhaltensstörungen aufzeigten, jedoch nicht offiziell integrativ betreut wurden. Die Erzieherinnen und vor allem die integrativ arbeitenden Erzieherinnen stehen demzufolge vor der Herausforderung auch recht viele Kinder mit Verhaltensstörungen zu betreuen und zu fördern. Im Rahmen dieser Praxiserfahrung entwickelte sich die Frage, inwieweit die Erzieherinnen in dieser Arbeit unterstützt werden und welche Voraussetzungen für die gemeinsame Betreuung von unauffälligen und auffälligen Kindern gegeben sein sollten. Eine umfangreiche Literaturrecherche ergab zwar Aufschluss über den möglichen Umgang mit Kindern mit Verhaltensstörungen (vgl. u.a. SCHEPPING 1995; TEXTOR 2004; UTZ 1998), es wurde allerdings nur sehr begrenzt darauf eingegangen, was die Erzieherinnen zu diesem Thema zu sagen haben[34]. Die vorliegende Studie erhebt nun keinesfalls den Anspruch, diese Lücke vollständig zu schließen. Sie versucht jedoch einen Einblick in die Sichtweisen der Erzieherinnen zu geben, welche täglich mit den betreffenden Kindern arbeiten und somit die Experten für dieses Thema sind.
Im Rahmen der Literaturdurchsicht sowie während der intensiven Auseinandersetzung mit der Fragestellung kristallisierten sich drei entscheidende Bereiche für die Arbeit mit Kindern mit Verhaltensstörungen heraus. Zunächst bilden die Einstellungen der Erzieherinnen die Grundlage jedweder Beschäftigung mit dem Thema. Wie in Kap. 2.3.1 bereits beschrieben, haben diese einen ernstzunehmenden Einfluss auf den Erfolg der gemeinsamen Erziehung. Von Interesse sind dabei neben der konkreten Meinung bezüglich der Integration von Kindern mit Verhaltensstörungen auch die persönlichen Ursachenerklärungen sowie die subjektiven Zielsetzungen der Arbeit. Darauf aufbauend stellt sich die Frage nach den personellen bzw. qualifikatorischen und den institutionellen sowie vom Träger zu erbringenden Voraussetzungen der Integration. Letztendlich richtet sich das Augenmerk auch auf die Fördermöglichkeiten von Kindern mit Verhaltensstörungen im Kindergarten und inwieweit sich die Erzieherinnen selbst zutrauen, diese auch anzuwenden. Diese drei Schwerpunkte, die Einstellungen, die Voraussetzungen wie auch die Fördermöglichkeiten, bilden den Rahmen der durchgeführten Untersuchung.
Die genaue empirische Bezeichnung der Forschungsmethode gestaltet sich allerdings etwas schwieriger. KROMREY (1994, 55f.) unterscheidet u.a. zwischen zwei Arten deskriptiver Fragestellungen. Zum einen kann das Forschungsinteresse auf ein relativ neues Problemfeld gerichtet sein, über welches nur wenig Wissen existiert. Eine Untersuchung würde in diesem Fall wenig vorstrukturiert sein und explorativen bzw. erkundenden Charakter haben. Des Weiteren beschreibt er die Möglichkeit „diagnostisch“ zu arbeiten, d.h. es soll eine möglichst exakte Beschreibung eines komplexen Sachverhaltes erarbeitet werden, wobei hinreichendes Rahmenwissen vorhanden ist und deshalb hoch standardisiert gearbeitet werden kann. Die vorliegende Studie bewegt sich nun zwischen diesen beiden Erkenntnisinteressen. Auf der einen Seite ist umfassendes Vorwissen über den Bereich der Integration im Elementarbereich und den dazu gehörigen Voraussetzungen vorhanden, auf der anderen Seite existieren aber für den speziellen Fall „Integration von Kindern mit Verhaltensstörungen im Kindergarten“ sehr wenige Kenntnisse. Demnach könnte von diagnostischer Arbeit im Sinne KROMREYS gesprochen werden. Betrachtet man jedoch das von KROMREY (1994, 56) angebrachte Beispiel für die Diagnose[35], scheint der Begriff „erkundend“ doch besser zu passen und wird somit auch für die vorliegende Studie verwendet. Von einer Mischform der beiden Fragestellungstypen wird auf Grund der konkret vorliegenden Arbeitsweise gesprochen, denn die vorhandenen Kenntnisse in benachbarten Bereichen werden für die Untersuchung genutzt und es wird dadurch hauptsächlich standardisiert gearbeitet. Diese Vorgehen rechtfertigt auch die weitgehende thematische Vorstrukturierung und somit den quantitativen Charakter der Studie.
Die Definition als Erkundungsstudie schließt allerdings nicht aus, dass bezüglich einiger Fragestellungen persönliche Vermutungen hinsichtlich des Antwortverhaltens der Erzieherinnen geäußert werden. Die Wahl des Untersuchungsinstrumentes sowie dessen Aufbau und Konstruktion werden im Folgenden beschrieben.
Die entwickelte Problemstellung galt es nun empirisch zu bearbeiten. In den bereits durchgeführten Untersuchungen, die annäherungsweise das Thema berühren, wurden vornehmlich Interviews mit Erzieherinnen oder Beobachtungen durchgeführt (vgl. z.B. KLEIN et al. 1987; KNIEL/KNIEL 1984; WOLFRAM 1995b; Durchführung einer Elternbefragung: KOBELT NEUHAUS 2001). Die Methode der Beobachtung fiel für das anliegende Forschungsvorhaben aus inhaltlicher Sicht weg. Für die Befragung der Erzieherinnen standen demzufolge das mündliche Interview sowie der schriftliche Fragebogen zur Auswahl. Das Interview stellt grundlegend ein sehr geeignetes Instrument für die erkundende Sozialforschung dar und wird dementsprechend häufig genutzt (vgl. zur mündlichen Befragung BORTZ/DÖRING 2002, 237-253). Den Anforderungen der vorliegenden Untersuchungen konnte diese Form der Befragung allerdings aus verschiedenen Gründen nicht entsprechen. Einen wichtigen Aspekt stellt dabei der sehr große Zeitaufwand für die Befragten dar. Dadurch wäre es nur möglich, einige wenige, sehr interessierte Personen zu befragen, welche wohl am ehesten bereit wären den entsprechenden Aufwand aufzubringen, jedoch die Gesamtheit der Erzieherinnen nicht repräsentativ wiedergeben würden. Da im Rahmen der Untersuchungen aber nicht nur stark engagierte Erzieherinnen, sondern eine umfangreiche Stichprobe mit integrativ und auch nicht-integrativ arbeitenden Erzieherinnen befragt werden sollte (siehe Kap. 6.1), kam die mündliche Befragung allein deshalb schon nicht in Frage. Einen weiteren wichtigen Nachteil des Interviews stellt zudem die fehlende Anonymität dar, welche die Bereitschaft zur Teilnahme weiter eingrenzen dürfte. Es wurde also eine quantitative Untersuchung in Form einer schriftlichen Befragung durchgeführt, um möglichst viele Erzieherinnen zu erreichen. Der Fragebogen ermöglichte zum einen die Kontaktierung einer großen Stichprobe, zum anderen waren die teilnehmenden Erzieherinnen in der Lage, selbst über den Zeitpunkt des Ausfüllens zu entscheiden und konnten leichter von der Anonymität der Befragung überzeugt werden (vgl. zur schriftlichen Befragung BORTZ/DÖRING 2002, 253-262). Ein Nachteil der schriftlichen Befragung stellte allerdings die fehlende Möglichkeit der Erläuterung einzelner Fragen dar, welcher durch möglichst eindeutige Formulierungen ausgeglichen werden musste.
Nach der Auswahl des Erhebungsinstrumentes galt es, die hauptsächliche Frageform zu klären. Im Rahmen einer explorativen Studie bieten sich normalerweise offene Fragen an, um den Themenbereich möglichst weit reichend zu erkunden (vgl. BORTZ/DÖRING 2002, 239). Der Fragebogen bietet diesbezüglich jedoch eher geringe Möglich-keiten, da die Motivation zur Beantwortung dieser offenen Fragen wesentlich geringer scheint als zur Auseinandersetzung mit bereits vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (vgl. BORTZ/DÖRING 2002, 254 sowie zu den Nachteilen offener Fragen im Fragebogen: KROMREY 1994, 279). Zur Lösung dieses Problems wurden in der vorliegenden Untersuchung hauptsächlich halboffene Fragen verwendet, welche Antwortmöglichkeiten vorgaben, die unter Nutzung bereits vorhandenen Wissens aus benachbarten Themenbereichen erstellt wurden. In diesen halboffenen Fragen wurde als letzte Kategorie „Sonstiges, und zwar: …“ zur Wahl gestellt. Somit konnten zusätzlich zu den Antwortvorgaben vorhandene Ideen sowie alle potentiellen Antworten erfasst werden.
Obwohl der Fragebogen also ein eher unkonventionelles Mittel für explorative Arbeiten darstellt, ist er für das vorliegende Forschungsanliegen das Mittel der Wahl und konnte durchaus an die Anforderungen angepasst werden.
Der verwendete Fragebogen lässt sich in sieben Abschnitte mit insgesamt 26 Fragen unterteilen. Zunächst werden Fragen zur Arbeitssituation der befragten Erzieherin gestellt („Persönliche Angaben I“: Fragen 1 – 8). Diese dienen der Stichprobenbeschreibung sowie der differenzierten Auswertung der Ergebnisse. Die beiden darauf folgenden offenen Fragen (9/10) bilden die Einleitung in das Thema der Untersuchung und können inhaltlich den Bereichen „Einstellungen“ und „Voraussetzungen“ zugeordnet werden. Die offene Fragestellung soll den Erzieherinnen ermöglichen, sich zunächst in die Problematik hineinzudenken und sich auf die kommenden Fragen einzustellen. Im weiteren Verlauf des...