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Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter

Sozialwissenschaftliche und psychologische Befunde

AutorHans-Werner Wahl, Marina Schmitt, Stephan Baas
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783170227293
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die zunehmende Individualisierung wird voraussichtlich zu einem deutlichen Anstieg von Singles im mittleren und höheren Lebensalter führen. Das Buch, dem eine von der Bertelsmann Stiftung geförderte Forschungsarbeit zugrundeliegt, bietet einen Überblick zu definitorischen und quantitativen Aspekten, zur sozialen Einbindung, zu Persönlichkeit und Werten, zu Gesundheit, zu Zukunftsperspektiven und zur gesellschaftlichen Wahrnehmung von Singles in der zweiten Lebenshälfte.

Dipl.-Soz. Stephan Baas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sozialpädagogische Forschung e. V., Mainz. Dr. Marina Schmitt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Psychologische Alternsforschung, Psychologisches Institut, Universität Heidelberg. Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ist Leiter der Abteilung für Psychologische Alternsforschung, Psychologisches Institut, Universität Heidelberg.

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Leseprobe

2 Wer ist Single? – Auf der Suche nach einer verbindlichen Definition


2.1 Überblick über bisherige Definitionsversuche


In Öffentlichkeit und Wissenschaft existiert keine Einigkeit darüber, was unter Singles eigentlich zu verstehen ist – die Begrifflichkeit ist vielfältig. Der wohl kleinste gemeinsame Nenner betrachtet Singles als Personen, die auf „die Führung einer exklusiven und dauerhaften Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt verzichten“ (Kern, 1998, S. 15). Schon die etymologische Bedeutung des amerikanischen Wortes „Single“ ist nicht ganz eindeutig. In der deutschen Adaption bedeutet „Single“ zunächst das Gegenteil von „married“ bzw. „verheiratet“, also „ledig“. Aber schon 1983 weist Spiegel auf eine weitere mögliche Bedeutung des Wortes „Singles“ hin: „als neuer Lebensstil ... sind die Singles aber keineswegs mit allen Ledigen identisch, auch nicht mit denen, die allein leben. Auch Geschiedene oder Verwitwete können Singles sein“ (Spiegel, 1983, S. 67).

Der Blick in die amerikanische Forschung hilft auch nur bedingt weiter. Stein definiert Singles folgendermaßen: „The term single continues to mean the legal absence of marriage“ (Stein, 1981b, S. 2). „People are either married or they are not married, i.e. they are single“ (Stein, 1981a, S. 9). Stein unterscheidet darüber hinaus die „never-marrieds“, die Ledigen, von den getrenntlebenden, geschie denen oder verwitweten Singles. In einem vielbeachteten Artikel hat Shostak (1987) zu einem späteren Zeitpunkt die Gruppe der „never-married“-Singles weiter unterteilt. Er entwarf eine Typologie, die Singles entlang der Dimensionen „Freiwilligkeit“ und „Dauerhaftigkeit“ charakterisiert. Entlang dieser Aspekte hat er Singles in insgesamt vier Gruppen eingeteilt: die ambivalenten (zeitweilig, freiwillig), die hoffenden (zeitweilig, unfreiwillig), die überzeugten (dauerhaft, freiwillig) und schließlich die resignierenden (dauerhaft, unfreiwillig) Singles.

Die Anwendbarkeit dieser Typologie auf bundesdeutsche Verhältnisse unterliegt aber soziokulturellen und -historischen Beschränkungen. Dies gilt besonders für die im Vergleich zur bundesdeutschen Gesellschaft deutlich stärker ausgeprägte Heiratsnorm in der amerikanischen Gesellschaft. Trotzdem ist diese Einteilung von großer Bedeutung. Seit ihrer Veröffentlichung war diese idealtypische Einteilung von alleinlebenden Menschen entlang der beiden Aspekte der Selbstbestimmtheit und der Dauerhaftigkeit des Single-Daseins leitend für die bundesdeutsche Forschung.

Betrachtet man die diesbezügliche Forschung im Rückblick, deuten sich vor allem vier Aspekte an, anhand derer Singles in der Vergangenheit beschrieben worden sind: der Aspekt der Haushaltsführung, die Frage nach Partnerschaften außerhalb des eigenen Haushalts, der Aspekt der Freiwilligkeit dieser Lebensform und schließlich die Dauerhaftigkeit des Lebens als Single bzw. die Stellung im Lebenszyklus. Diese vier Aspekte werden im Folgenden kurz erörtert, bevor in kritischer Abgrenzung dazu eine eigene Definition der Lebensform „Single“ vorgeschlagen wird.

2.2 Müssen Singles ledig sein und alleine wohnen?


Spätestens seit den 1980er Jahren, als sich die Sozialwissenschaften für die Singles zu interessieren begannen, wurde versucht, ihre Zahl und ihre Zunahme zu belegen, und dies zumeist unter Rückgriff auf die (öffentliche) Haushaltsstatistik. Auch heute noch wird die Zahl der Singles häu fig unter Zuhilfenahme von entsprechenden Daten der amtlichen Statistik berechnet, wie sie vor allem der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes bereitstellt. Die Zahl der Singles wird dabei über die Zahl der Einpersonenhaushalte bzw. alleinlebender Personen geschätzt. Alleinlebende gelten in diesem Zusammenhang als Personen, „die für sich alleine in einem Haushalt wohnen und wirtschaften, gleichgültig, welchen Familienstand sie haben“ (Bauereiss & Bayer, 1995, S. 37). Diese aus der amtlichen Statistik herrührende Gleichsetzung von Einpersonenhaushalten und Singles wurde im Laufe der Zeit von einer zunehmenden Anzahl von Sozialwissenschaftlern übernommen. So etwa versteht Bachmann (1992) unter einem Single u. a. eine „allein haushaltende Person“; bei Hradil (1995a) beinhaltet der Singlebegriff im weiteren Sinne die beiden Kriterien Einpersonenhaushalt und Alter; Soltau definiert Singles „als Menschen ..., die sich entschieden haben, allein zu leben und eine eigene Wohnung zu bewohnen“ (Soltau, 1993, S. 18).

Die Begründungen für diese Vorgehensweise bzw. Gleichsetzung sind unterschiedlich. Meyer und Schulze (1989) sehen etwa im Alleinwohnen eine wesentliche Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu den Singles, die zugleich von den von ihnen befragten Personen bestätigt wird. Demgegenüber weist etwa Hradil darauf hin, dass eine Definition, die Singles u. a. über die Haushaltsgröße definiert, aus technischen Gründen notwendig sein kann: „Eine so definierte Bevölkerungsgruppe ist soziologisch relativ einfach abgrenzbar und kann in unterschiedlich angelegten Untersuchungen übereinstimmend erfasst werden“ (Hradil, 1995a, S. 7).

Im Zusammenhang mit der Definition von Singles mithilfe von Indikatoren der amtlichen Haushaltsstatistik beziehen sich einige Forscherinnen und Forscher auch auf den Familienstand. Dies gilt vor allem für ältere Untersuchungen und Betrachtungen, in denen ledige Personen als Singles gelten (etwa bei Schwarz, 1983 oder Krüger, 1990). Auch Pohl bezieht sich auf den Familienstand und definiert als Singles diejenigen Personen, die „unabhängig von der Wohnform die Bevölkerungsgruppe aller Unverheirateten (ledig, geschieden und verwitwet)“ darstellen (Pohl, 1994, S. 47). Sie begründet ihr Vorgehen u. a. durch die vergleichsweise einfache empirische Operationalisierbarkeit: „Die Frage nach dem eigenen Familienstand ist sachlich-neutral, kommt für Beteiligte an empirischen Erhebungen nicht unerwartet und ist von jedem im Allgemeinen emotionslos beantwortbar. Bei der Frage, ob man ein Single ist oder ob man sich zurzeit als Singles bezeichnen würde, wird es hingegen schon schwieriger“ (Pohl, 1994, S. 47).

Der Nachteil einer Definition, die Singles einzig über ihren Familienstand als Nicht-Verheiratete charakterisiert, ist jedoch der gleiche wie bei der Definition über die Haushaltsform. Diese Singles können mit einem Partner zusammenleben, etwa im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Umgekehrt ist es aber auch denkbar, dass verheiratete Personen getrennt von ihrem Ehepartner leben und damit trotz ihres Familienstandes eher der Gruppe der Singles zugehörig sind (Kern, 1998). Insgesamt ist damit der entscheidende Nachteil einer ausschließlich auf Haushaltsform und Familienstand rekurrierenden Definition von Singles, dass ein Kriterium für das Vorhandensein einer Partnerschaft fehlt (Bauereiss & Bayer, 1995). Dies gilt insbesondere für haushaltsübergreifende Partnerschaften. Es stellt sich hier nämlich die Frage, ob Personen, die in einem Einpersonenhaushalt leben, unabhängig von darüber hinausgehenden Partnerschaften bei getrennten Haushalten als Singles gelten sollen. Die Tatsache des Alleinwohnens schließt nicht aus, dass eine feste Beziehung zu einem Partner außerhalb des eigenen Haushaltes unterhalten wird. Die (öffentliche) Haushaltsstatistik ist allerdings nicht in der Lage, solche haushaltsübergreifenden Partnerschaften abzubilden.

Die Haushaltsstatistik beinhaltet eine weitere Unschärfe in der Definition von Singles, auf die zuletzt hingewiesen werden soll. Sollen Alleinerziehende, die mit ihren Kindern oder ihrem Kind im gemeinsamen Haushalt leben und die in der amtlichen Statistik als Alleinerziehende definiert werden, zu den Singles gezählt werden? Hier besteht bislang ebenfalls kein Konsens. Während etwa auf der einen Seite Küpper (2002) die Wohnform – ob mit oder ohne Kinder – bei der Definition von Singles nicht berücksichtigt, sondern sich ausschließlich auf den Aspekt der Partnerschaft konzentriert, definiert Hradil (2003) Singles als Personen ohne Kinder im eigenen Haushalt. Auch Bachmann (1992) definiert Singles im Hinblick auf den Verzicht praktizierter Elternschaft – gemeint ist das Nicht-Vorhandensein des elterlichen Sorgerechts und einer alltäglichen Versorgungs- und Erziehungspraxis. Eine solche Definition von Singles kann allerdings zu deutlichen Verzerrrungen führen. Hradil (2003) weist darauf hin, dass Kinder nach Trennungen oder Scheidungen zumeist bei der Mutter wohnen. Diese Mütter gelten damit als Alleinerziehende, während die Väter zu den Singles zählen. Eine solche definitorische Vorgehensweise führt somit zu einer Unterschätzung weiblicher Singles (mit Kindern im gemeinsamen Haushalt) in empirischen Un tersuchungen. Dies führt dann dazu, dass die Realität männlicher und weiblicher Singles in empirischen Untersuchungen nur unzureichend abgebildet werden kann.

2.3 Können Singles Partnerschaften haben?


In der Single-Forschung existiert kein Konsens darüber, ob Singles Partner haben dürfen, mit denen sie aber nicht zusammenwohnen. Personen gelten unabhängig von einer solchen Partnerschaft als Singles, solange sie nur alleine wohnen (Jaeggi, 1992; Krüger, 1990; Opaschowski, 1994; Schofer, Bender & Utz, 1991; Soltau, 1993). Andere sehen in solchen Partnerschaften bei getrenntem Wohnen allerdings ein Ausschlusskriterium für die Zuordnung zur Gruppe der Singles: Als Singles gelten diesen Wissenschaftlern nur Personen, die keine feste Partnerschaft führen (Klein, 1999a; Küpper, 2002; Meyer & Schulze, 1989). So versteht...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Inhalt6
Vorwort10
1 Wie wird die Single-Thematik öffentlich-medial, gesellschaftlich und wissenschaftlich behandelt? – Eine Einführung12
1.1 Singles in der öffentlich-medialen Diskussion12
1.2 Singles im Licht sozialer Bindungen und gesellschaftlicher Solidarität13
1.3 Singles und ihre soziale Sicherung13
1.4 Singles im Spiegel von offizieller Berichterstattung und von Seniorenverbänden14
1.5 Singles als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung17
2 Wer ist Single? – Auf der Suche nach einer verbindlichen Definition19
2.1 Überblick über bisherige Definitionsversuche19
2.2 Müssen Singles ledig sein und alleine wohnen?20
2.3 Können Singles Partnerschaften haben?22
2.4 Leben Singles freiwillig als Single?23
2.5 Unterscheiden sich Singles nach ihrer Stellung im Lebenszyklus?25
2.6 Zusammenfassung und Fazit27
3 Wie viele Singles gibt es? – Verschiedene Perspektiven und Prognosen zur weiteren Entwicklung30
3.1 Singles als in Einpersonenhaushalten lebende Personen30
3.2 Singles als Personen ohne feste Partnerschaft36
3.3 Prognosen zur quantitativen Entwicklung38
3.4 Zusammenfassung und Fazit42
4 Wie sieht die Lebenssituation von Singles aus? – Befunde der empirischen Forschungsliteratur44
4.1 Soziologisch orientierte Befunde45
4.1.1 Sozio-demographische Charakteristika45
4.1.2 Gründe für ein Leben als Single47
4.1.3 Konsequenzen des Lebens als Single51
4.1.4 Typisierungen von Singles53
4.1.5 Soziale Netzwerke und soziale Isolation55
4.1.6 Einstellungen und Werte61
4.2 Psychologisch orientierte Befunde63
4.2.1 Persönlichkeitseigenschaften63
4.2.2 Androgynität67
4.2.3 Bindungsfähigkeit und Bindungsstile68
4.2.4 Subjektives Wohlbefinden71
4.3 Gesundheitsbezogene Befunde72
4.4 Vorstellungen von einem Leben im Alter75
4.5 Zusammenfassung und Fazit77
5 Welche Forschungslücken lassen sich schließen? – Befunde eigener Analysen und Untersuchungen81
5.1 Einsamkeit, Lebenszufriedenheit und Gesundheit von Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter: Befunde eigener Sekundärdatenanalysen81
5.1.1 Soziale Isolation und Einsamkeit81
5.1.2 Lebenszufriedenheit89
5.1.3 Körperliche und psychische Gesundheit93
5.1.4 Zusammenfassung und Fazit97
5.2 Lebensgestaltung und Zukunftsplanung von Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter103
5.2.1 Individuelle Sichtweise des Single-Daseins: Befunde von Leitfadeninterviews103
5.2.2 Lebensfragen alternder Singles: Befunde einer Fokusgruppendiskussion113
5.2.3 Zusammenfassung und Fazit119
6 Welcher Forschungs- und Handlungsbedarf ergibt sich? – Einige abschließende Betrachtungen122
6.1 Forschungsbedarf122
6.1.1 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition: Ein Muss für Forschung und Praxis122
6.1.2 Differentielle Perspektive oder: Wie unterschiedlich sind Singles wirklich?122
6.1.3 Soziologische Perspektive – Singles als gesellschaftliches Phänomen123
6.1.4 Psychologische Perspektive – Das Interesse der Psychologie an Singles sollte stärker werden124
6.1.5 Gesundheitliche Perspektive – Sind Singles biopsychosozial bedroht?125
6.1.6 Gesellschaftliche Herausforderungen der Zukunft – Singles gehören dazu125
6.1.7 Integrative und interdisziplinäre Perspektiven von Single-Untersuchungen126
6.1.8 Längsschnittliche Perspektiven – In der Single-Forschung kaum zu finden126
6.1.9 Biographische Perspektiven – In der Single-Forschung vernachlässigt127
6.2 Handlungsbedarf127
6.2.1 Politische und gesellschaftliche Wahrnehmung von Singles127
6.2.2 Einbindung der Singles in die Systeme der sozialen Sicherung128
6.2.3 Entwicklung von Angeboten128
Literatur130
Stichwortverzeichnis139

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