EINLEITUNG
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FANFAREN FÜR DIE HELFER AUS STAHL
Die brodelnde Atmosphäre auf den Tribünen erinnert an den Einzug der Gladiatoren, damals in Rom, als die Kaiser herrschten. Tausende Menschen starren gebannt hinunter in die staubige Arena, wo das Spektakel gleich beginnen soll. Die einen sitzen geschützt unter einem hölzernen Dach, die anderen sind der sengenden Sonne ausgeliefert, aber dafür dem Geschehen wesentlich näher. Sie kommen aus aller Herren Länder, Jung und Alt, Kinder, Frauen und Männer bunt gemischt. Ein verwirrendes Stimmengewirr erfüllt die Luft, von überallher dringen Sprachfetzen in Englisch, Japanisch, Koreanisch, Chinesisch, Italienisch und Deutsch. Ein leichter Luftzug wirbelt in der Arena den Sand auf, aus einem Rohr quillt Dampf nach oben und verzieht sich in Richtung der Palmen und der fernen Hügelkette der San-Gabriel-Berge. Nach Pomona, der römischen Göttin der Baumfrüchte, ist dieser Ort im Los Angeles County benannt, wo der weltweit einzigartige Wettstreit nun stattfinden soll. Vor den Absperrungen stehen Trauben von Reportern, Fotografen, Schiedsrichtern – auch sie warten geduldig. Doch dann verstummen plötzlich die Gespräche, überall gehen die Smartphones und Kameras nach oben: Die Gladiatoren kommen!
Auf großen Plakatwänden vor der Fairplex Arena von Pomona waren sie schon angekündigt, die Helden dieser beiden Tage. Sie tragen kraftvolle Namen wie Atlas, Helios und Herkules, Running Man, Walk-man und Metal Rebel, familiäre wie Florian, Johnny, Hubo und Leo oder geheimnisvolle wie RoboSimian, Thormang oder Momaro. Manche konnte man bereits bewundern, nebenan im Empfangsbereich, wo sich lange Schlangen von Besuchern bildeten, die die Kraftprotze einmal aus der Nähe sehen wollten – immerhin bringen die meisten der Gladiatoren zwischen 150 und 200 Kilogramm auf die Waage. Wenn die Wettbüros unter den Tribünen noch geöffnet hätten, wie in den Jahrzehnten, als hier noch Pferderennen stattfanden, hätte sicher der ein oder andere Fan einen Einsatz gewagt: auf Herkules oder Metal Rebel, auf Hubo, RoboSimian oder Momaro. Doch so müssen sich die Zuschauer damit begnügen, ihre Favoriten lautstark anzufeuern und jeden Punkt zu beklatschen, den diese im Lauf des Wettbewerbs erringen.
Wettstreit der stählernen Champions: Im Juni 2015 maßen sich die weltbesten Roboter während der DARPA Robotics Challenge in Disziplinen wie Auto fahren, Türen öffnen, Löcher bohren, Ventile drehen oder über Geröll klettern – hier der Running Man, ein Atlas-Roboter des Unternehmens Boston Dynamics.
Dass sie stark sind , richtig stark, weiß jeder, der sie schon berühren durfte. Der mit den Händen über sie strich – allerdings nicht über ihren Bizeps oder die Muskeln am Oberschenkel, denn so etwas besitzen sie nicht. Dafür sind die meisten von ihnen umfassend gepanzert, mit Metallplatten an den Beinen, am Oberkörper, am Rücken und einem Stahlskelettkäfig, um den Kopf zu schützen. Sie haben Stereokameras, Antennen und Laserscanner, einen Batterierucksack, dicke Hydraulikschläuche, die aus ihrem Becken herausquellen, als hätte jemand gerade versucht, sie zu sezieren, und überall kompakte, aber leistungsstarke Elektromotoren: vor allem an den Gelenken von Beinen, Armen und Händen. Diese Gladiatoren von heute sind Roboter.
Und sie kämpfen auch nicht gegeneinander oder gegen wilde Tiere wie einst im Kolosseum, dem Amphitheater des alten Roms. Ganz im Gegenteil, sie sollen beweisen, dass sie – oder ihre Nachfolger – eines Tages in der Lage sein werden, Menschen zu retten. Beispielsweise bei Katastropheneinsätzen, wenn Gebäude einstürzen, alles voll Schutt ist und dichter Qualm durch die Gänge wabert. Oder wenn zu hohe radioaktive Strahlung Menschen daran hindert, Gebäude überhaupt erst zu betreten. Genau diese Situation war für die DARPA, die Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, der Anlass, die »Robotics Challenge« zu starten: den dreijährigen Roboter-Wettbewerb, der nun, im Juni 2015, hier in Pomona sein geradezu olympisches Finale findet.1
HÄTTEN ROBOTER DIE EXPLOSIONEN VON FUKUSHIMA VERHINDERN KÖNNEN? Am Beginn stand die Katastrophe von Fukushima, als am 11. März 2011 ein enormes Erdbeben der Stärke 9,0 die externe Stromversorgung der japanischen Kernkraftwerksanlage Fukushima Daiichi lahmlegte und 40 Minuten später die haushohen Wellen eines Tsunamis das Innere der Reaktorblöcke fluteten – wodurch auch alle Notstromgeneratoren ausfielen. Die Hitze der Brennstäbe ließ schon bald das Kühlwasser verdampfen, gefährliches Wasserstoffgas bildete sich. Verzweifelt versuchten in den Stunden danach menschliche Arbeiter, im Gebäude Ventile zu öffnen, um das explosive Gas entweichen zu lassen, doch die radioaktive Strahlung war bereits so hoch, dass sie sich unverrichteter Dinge zurückziehen mussten.
Am Nachmittag des zweiten Tages zerstörte schließlich der angesammelte Wasserstoff in einer gewaltigen Explosion das Dach des ersten Reaktorgebäudes. Eine Rauch- und Staubwolke stieg als dunkler Pilz in den Himmel und breitete sich schnell aus – mitsamt einer erheblichen Menge an Radioaktivität. Danach kam es in weiteren Reaktorblöcken ebenfalls zu Explosionen, rund 150000 Menschen mussten evakuiert werden. Auch noch Jahre später leben die meisten von ihnen in Notunterkünften – in ihre Heimat können sie wohl nie wieder zurückkehren.
Wie anders wäre wohl diese Katastrophe verlaufen, wenn damals anstelle von Menschen Roboter, denen radioaktive Strahlung wenig ausmacht, die Reaktorgebäude hätten betreten können? »Wenn sie rechtzeitig die Ventile hätten öffnen und andere Notfallmaßnahmen hätten einleiten können, wäre es vielleicht zu gar keiner Explosion gekommen«, mutmaßt Gill Pratt, der Leiter des Robotik-Wettbewerbs der DARPA.
Doch dazu müssen die Maschinen Dinge beherrschen, die 2011 noch kein Roboter in diesem Umfang konnte. Sie müssen Türen öffnen und auf Treppen steigen, über Geröll klettern und Hindernisse beiseiteräumen, Ventile aufdrehen und schließen, Hebel betätigen, Kabel herausziehen und in Steckdosen stecken sowie Werkzeuge benutzen, die für Menschen gemacht sind: beispielsweise mit Bohrmaschinen große Löcher in Wände bohren.
Genau diese Dinge müssen die Roboter nun auch in Pomona können, um den DARPA-Wettbewerb zu gewinnen. Und mehr noch: »Wir verlangen sogar, dass sie Fahrzeuge benutzen, um überhaupt erst in die Gefahrenzone vorzudringen«, sagt Pratt. Die Roboter müssen also zudem in der Lage sein, ein Auto zu lenken, Gas zu geben, zu bremsen und dann auszusteigen, das Gebäude zu betreten und dort ihre Aufgaben zu erfüllen. Und das alles in Zusammenarbeit mit Menschen, die weit entfernt in einer Halle ohne Sichtkontakt sitzen und versuchen, von dort aus die Roboter zu steuern – wobei immer wieder die Kommunikation gestört wird, denn im Katastrophenfall, so Pratt, »kann man auch nicht damit rechnen, jederzeit eine Breitband-Funkverbindung zur Verfügung zu haben«.
ZWEI MILLIONEN DOLLAR SIEGPRÄMIE Die Roboter müssen möglichst ausfallsicher sein, sich flexibel an manchmal überraschende Situationen anpassen und ihre Aufgaben auch noch in einer bestimmten Zeit erledigen, bevor ihnen im Ernstfall der Strom ausginge. Zwei Millionen Dollar Preisgeld hat die DARPA für denjenigen Roboter ausgelobt, der den Parcours in der Fairplex Arena von Pomona am besten bewältigt, eine Million für den Zweitplatzierten und eine halbe Million für den, der die Bronzemedaille erringt.
Für große Herausforderungen aller Art ist die DARPA einst gegründet worden. »Das Unmögliche möglich machen« ist seit 1958 ihr Wahlspruch, als es galt, den Vorsprung der Russen im Weltall aufzuholen. Die weltweit ersten Kommunikations- und Wettersatelliten gehen ebenso auf ihre Initiativen zurück wie das ARPANET, der Vorläufer des Internets, die Flüssigkristalldisplays, die Tarnkappentechnologie oder handliche Empfänger für die Satellitennavigation GPS. Im Jahr 2003 rief die DARPA einen Wettbewerb für maschinelle Übersetzungsprogramme ins Leben und in den Jahren danach mehrere »Grand Challenges« für das autonome Fahren in der Wüste und im Stadtverkehr.
Die Robotik-Herausforderung von 2015 haben 23 Teams aus aller Welt angenommen: aus Deutschland und Italien, Südkorea, Hongkong, Japan und den USA. Viele haben monate-, manche jahrelang an ihren Robotern geschraubt und gelötet, die Software und ihre Handlungsvorschriften, die Algorithmen, optimiert und ihre Einsatzteams für dieses große Finale trainiert. Die meisten kommen von exzellenten technischen Universitäten und Forschungsinstituten, doch zumindest indirekt sind auch einige Firmen beteiligt. So verlassen sich sieben Teams auf Varianten des Atlas-Roboters, eines 1,80 Meter großen Kolosses, der wie ein Mensch auf zwei Beinen gehen kann.2 Gebaut wurde er von Boston Dynamics, einem Unternehmen, das ursprünglich Roboter-Technik für das US-Militär entwickelte, bis es 2013 von Google übernommen und stärker in Richtung ziviler Anwendungen getrimmt wurde.
Andere Teams setzen auf humanoide Roboter der japanischen Firma Kawada Industries oder auf Eigenentwicklungen – von denen nicht alle zwei Beine haben. Manche schwören...