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E-Book

So überzeugt man mit Rhetorik

Schlagfertig argumentieren mit Aristoteles, Lincoln und Homer Simpson

AutorJay Heinrichs
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783492991971
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Wenn die Kinder nicht ins Bett wollen, der Chef die Gehaltserhöhung aufschiebt oder der Kontrolleur einen beim Schwarzfahren erwischt, hilft nur noch eines: Überzeugungskraft. In seinem seit Jahren aufgelegten Standardwerk erklärt Jay Heinrichs anhand zahlreicher Beispiele, welche rhetorischen Strategien uns täglich in der Werbung, in der Politik oder in ganz normalen Gesprächen begegnen, und wie wir sie selbst einsetzen können, um uns in den unterschiedlichsten Lebenslagen argumentativ durchzusetzen. Dabei unterstützen ihn die Kniffe so begabter Redner wie Cicero, Winston Churchill - und Homer Simpson. Ein kluges, lehrreiches und amüsantes Buch für alle, die die nächste verbale Auseinandersetzung endlich mal gewinnen möchten!

Jay Heinrichs war sechsundzwanzig Jahre lang als Journalist, Redakteur und Verleger tätig, bevor er sich ganz dem Thema Rhetorik verschrieben hat. Als Experte zum Thema berät und unterrichtet er unterschiedlichste Gruppen, von Studenten über Manager bis hin zu NASA-Wissenschaftlern.

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Leseprobe

1. ÖFFNE DEINE AUGEN


DAS UNSICHTBARE ARGUMENT


Eine persönliche Geschichte schrankenloser Überzeugungskraft


»Die Wahrheit entspringt dem Streit unter Freunden.« – DAVID HUME


 

Es ist früh am Morgen. Mein siebzehnjähriger Sohn sitzt beim Frühstück, was mir eine kurze Spanne verschafft, selbst das Badezimmer zu benutzen. Mit einem Handtuch um die Lenden trete ich ans Waschbecken, wobei ich tunlichst den grauenvollen Anblick im Spiegel meide. Als Schriftsteller muss ich mich nicht jeden Tag rasieren. (Im Marketing nennt man Leute wie mich verzweifelt »Verbraucher mit wenig Sinn für ihr Äußeres«.) Ich habe allerdings meine Standards, und Hygiene ist einer davon. Ich schnappe mir Zahnbürste und Zahnpasta, nur um festzustellen, dass die Tube leer ist. Wir haben einen Vorrat, doch der befindet sich in einem Regal im eiskalten Keller, und dafür bin ich nicht angezogen.

»George!«, rufe ich. »Wer hat die ganze Zahnpasta aufgebraucht?«

Eine sarkastische Stimme auf der anderen Seite der Tür antwortet. »Das ist ja wohl nicht der Punkt, Papa, oder? Der Punkt ist, wie wir so etwas in Zukunft vermeiden.«

Er hat mich am Wickel. Unzählige Male habe ich ihm gesagt, dass die produktivsten Argumente die Zukunftsform benutzen, das Tempus der noch offenstehenden Wahlmöglichkeiten.

»Du hast recht«, gebe ich zu. »Du hast gewonnen. Bringst du mir jetzt bitte die Zahnpasta?«

»Na klar.« George holt die Tube, glücklich, dass er seinen Vater in einem Rededuell geschlagen hat.

PROBIEREN SIE DIES IN EINER BESPRECHUNG

Antworten Sie, wenn Zweifel an Ihrer Idee laut werden: »Gut, optimieren wir sie.« Fokussieren Sie die Debatte nun auf die Überarbeitung Ihres Vorschlags, als hätte ihn die Gruppe im Grundsatz bereits angenommen. Es ist eine Form der Konzession – rhetorisches Ju-Jutsu, mit dem Sie die Bewegung des Gegners zu Ihrem Vorteil nutzen.

Aber hatte er das wirklich? Wer bekam denn am Ende, was er wollte? In Wirklichkeit hatte ich ihn überredet, indem ich ihm den Punkt zugestand. Wenn ich einfach gesagt hätte: »Los, sei nicht so ein Faulpelz, hol mir die Zahnpasta«, hätte George vielleicht ein langes Palaver vom Zaun gebrochen. Stattdessen verschaffte ich ihm ein Triumphgefühl, gewann auf diese Weise sein Wohlwollen und bekam genau das, was ich wollte. Ich hatte den Gipfel der Überredungskunst erreicht: Nicht nur hatte ich eine Einigung erzielt, sondern mein Publikum – wohlgemerkt, einen Teenager! – auch noch dazu gebracht, meinen Wunsch zu erfüllen.

Nein, George, ich habe gewonnen.

WIE MATRIX, NUR COOLER


Was ist das nur für ein Vater, der seinen eigenen Sohn in dieser Weise manipuliert? Ach, nennen wir es doch nicht Manipulation, nennen wir es Belehrung. Alle Eltern sollten die Rhetorik, die Kunst der überzeugenden Rede, als wesentliches Erziehungsmittel betrachten. Rhetorik ist die Kunst der Beeinflussung, der Freundschaft und Eloquenz, der Schlagfertigkeit und unabweisbaren Logik. Und sie macht die mächtigste aller sozialen Kräfte nutzbar, das Argument.

NÜTZLICHE FIGUR

Synkrise: Vergleichende Gegenüberstellung, vorzugsweise als scharfer Gegensatz: Nicht Manipulation, sondern Belehrung. Unten finden Sie ein ganzes Kapitel über Redefiguren sowie am Ende des Buches ein Glossar.

RHETORISCHER KNIFF!

Es ist nur fair, dass ich meine Karten offen auf den Tisch lege und Ihnen sage, wenn ich rhetorische Kniffe verwende, um Sie zu überreden. Die Matrix-Analogie ist mehr als ein populärkultureller Verweis auf einen Science-Fiction-Film; sie ist zugleich ein Hinweis auf etwas allgemein Akzeptiertes: die Existenz verborgener Mechanismen jenseits des Sichtbaren, von Computersoftware bis hin zur Quantenmechanik. Geteilte Anschauungen dieser Art werden in der Rhetorik als »Gemeinplätze« bezeichnet und spielen, wie wir noch sehen werden, in der Kunst der Überredung eine elementare Rolle.

Ob wir es bemerken oder nicht: Ständig sind wir Versuchen ausgesetzt, uns zu überreden, mit unseren Gefühlen zu spielen, auf unsere Haltungen und Entscheidungen einzuwirken oder uns zum Kauf dieses oder jenes Artikels zu bewegen. Ob es um politische Etikettierungen geht, um Werbung, Jargon, Gesten oder das Wecken von Schuldgefühlen in manipulativer Absicht: Allenthalben sind wir Gegenstand argumentativer Einflussnahme. Sie bildet eine Art realweltlicher Matrix, gewissermaßen das Steuerungsprogramm unseres sozialen Lebens. Rhetorik kann dazu dienen, die vielfältigen Argumentationsweisen offenzulegen. Indem sie die Kniffe lehrt, mit denen wir einander überreden und überzeugen, offenbart die Kunst der Persuasion diese soziale Matrix in ihrer ganzen manipulativen Glorie.

Den Alten galt die Rhetorik als entscheidende Fähigkeit zur Menschenführung – ein derart wichtiges Wissen, dass sie es ins Zentrum ihrer höheren Bildung stellten. Die Redekunst lehrte, bei jeder Gelegenheit etwas Passendes zum Besten zu geben, aber vor allem, wie man überzeugend spricht und schreibt und die Menschen mit Wortgewalt für sich einnimmt. Nachdem die Griechen sie erfunden hatten, leistete die Rhetorik das Ihre bei der Schaffung der ersten Demokratien der Welt. Sie verlieh römischen Rednern wie Julius Cäsar und Marcus Tullius Cicero das nötige Rüstzeug und gab der Bibel ihre prägnantesten Passagen. Sie inspirierte sogar William Shakespeare. Alle amerikanischen Gründerväter hatten Rhetorik studiert und bedienten sich ihrer Prinzipien, als sie die Verfassung der Vereinigten Staaten schrieben.

Im 19. Jahrhundert, als Sozialwissenschaftler die Vorstellung verwarfen, der Einzelne könne etwas gegen die unerbittlichen Kräfte der Geschichte ausrichten, verblasste die Rhetorik an den Universitäten. Wer will schon Führungsqualitäten vermitteln, wo der Glaube an den Einfluss von Führungspersönlichkeiten abhandengekommen ist? Gleichzeitig verdrängten die nationalen Literaturen die Klassiker aus den Lehrplänen, das Denken der Antike geriet aus der Mode. Einige bemerkenswerte Menschen studierten die Kunst jedoch weiter. Der amerikanische Politiker und berühmte Redner Daniel Webster eignete sich die Rhetorik zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Dartmouth College an, als er der United Fraternity beitrat, einem Debattierclub, der Jahre später in Alpha Delta Phi umbenannt wurde und bis heute fortbesteht. Der Club besaß eine beeindruckende klassische Bibliothek und lud einmal in der Woche zur Diskussion. Es gibt eine amerikanische Filmkomödie von 1978, Ich glaub, mich tritt ein Pferd, die den Debattierclub auf die Schippe nimmt. Den »Clubbrüdern« dieser populären Darstellung ist ihr klassisches Erbe zumindest noch in ihren »Toga-Partys« vage in Erinnerung.

RHETORISCHER KNIFF!

Hier zerre ich Sie von Daniel Webster zu einer Filmkomödie, nicht nur, um den Niedergang der Rhetorik zu veranschaulichen, sondern um Sie unbewusst für meine Position einzunehmen. Auf welcher Seite stehen Sie, auf der des großen Redners oder auf der des Filmklamauks? Der technische Ausdruck für diese Zwangsehe kontrastierender Gedanken heißt Antithese, das heißt »entgegengesetzte Ideen«.

Rhetorik wird an verstreuten Colleges und Universitäten bis heute gelehrt – tatsächlich ist die Beliebtheit des Fachs bei Studierenden des Grundstudiums stark gewachsen –, aber außerhalb der akademischen Welt ist sie beinahe ganz in Vergessenheit geraten. Was für ein Jammer! Stellen Sie sich vor, Sie hätten noch nie etwas von Newtons Gravitationsgesetz und den Kräften gehört, die das Universum antreiben, oder Sie machten zum ersten Mal Bekanntschaft mit Sigmund Freuds Modell der menschlichen Psyche, und plötzlich wird Ihnen Ihr Unbewusstes bewusst, wo das Es, das Ich und das Über-Ich ihre stillen Argumente wechseln.

Aus diesem Grund habe ich dieses Buch geschrieben: Ich möchte Sie durch diese wenig bekannte Welt der gediegenen Argumentation führen und Sie unter den Erwählten der Kunst der Persuasion willkommen heißen. Unterwegs bietet sich Ihnen die Gelegenheit, Ihr Image zu verbessern, indem Sie den drei von Aristoteles benannten Zügen überzeugender Führerschaft nacheifern: Tugend, Selbstlosigkeit und praktische Vernunft. Sie werden entdecken, wie Sie logische Hilfsmittel einsetzen können, um Trugschlüsse zu vermeiden und mit wasserdichten Feststellungen zu überzeugen. Aristoteles’ Prinzipien werden Ihnen auch bei der Entscheidung behilflich sein, welches Medium – Text, Telefongespräch, Himmelsschrift? – bei jeder Mitteilung die beste Wirkung erzielt. Sie werden nebenbei eine schlichte Strategie kennenlernen, wie man einen in wütenden Anschuldigungen stecken gebliebenen Streit wieder aus der Sackgasse führt.

PROBIEREN SIE DIES BEI EINER PRÄSENTATION

Dem Publikum den Mund wässrig zu machen – »Warten Sie erst, was gleich noch kommt!« –, ist ein Trick, den schon die Römer zwei Jahrtausende vor Erfindung der Dauerwerbesendung nutzten. Sie gaben ihm den hübschen Namen dirimens copulatio, was so viel heißt wie »mittels einer Unterbrechung eine Verbindung herstellen«. Es ist eine Form der Amplifikation, eine wichtige rhetorische Methode, mit der Sie beim Sprechen sozusagen den Ton lauter stellen. Bei einer Präsentation können Sie eine Aussage anreichern, indem Sie diese erweitern: »Wir haben nicht nur dies, sondern auch …«

Und das ist erst der Anfang. Die folgenden Seiten enthalten über hundert »Argumentationshilfsmittel«, die antiken Texten entliehen und an moderne Situationen...

Blick ins Buch

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