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E-Book

Sonnenkönig der Spätantike

Die Religionspolitik Konstantins des Großen

AutorMartin Wallraff
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783451345609
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Kaiser Konstantin (reg. 305-337) ist eine Schlüsselfigur der europäischen Religionsgeschichte. Häufig wird er als 'Vater des christlichen Abendlandes' bezeichnet. Dieses Bild ist im Licht der jüngeren Forschung zu korrigieren. Im vorliegenden Buch wird ein anderes und neues Konstantinbild entwickelt, das Konstantin zwar nicht weniger christlich als bisher angenommen zeichnet, aber doch in seinem Christentum anders, als den zeitgenössichen Theologen lieb sein konnte und als es sich viele moderene Gelehrte vorstellten. Mit der 'Sonne' (dem Sonnengott) als religiösem Leitbild gewinnt der Kaiser als typischer und prägender Exponent seiner Epoche, der Spätantike, an Profil. Und überraschend erweist sich diese Epoche dabei ganz aktuell: eine religionsplurale Gesellschaft, in der Raum war für originelle religiöse Suchbewegungen.

Martin Wallraff, geb. 1966, Dr. theol., Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

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Leseprobe

2 Bischof, Theologe, Lobredner: Euseb von Caesarea


Ein Konstantinbuch ist immer auch ein Buch über Euseb – ob es will oder nicht, und ob es sich darüber Rechenschaft ablegt oder nicht. Das liegt zunächst an der Menge des durch ihn erhaltenen Materials: Seine Konstantin-Schriften enthalten so viele Informationen über Person und Biographie, dass selbst diejenigen nicht ohne sie auskommen können, die Euseb für einen sehr fragwürdigen Zeugen halten. Zudem sind es bequeme Quellen: Der Historiker muss nicht einen komplizierten „Indizienbeweis“ aufgrund verstreuter Notizen von unterschiedlichen Orten, Gattungen und Tendenzen führen, sondern findet bereits alles geschlossen zwischen zwei Buchdeckeln (oder vier – wenn man die „Lobreden“ vom „Leben Konstantins“ trennt). Mit anderen Worten: Bei Euseb findet sich zum ersten Mal so etwas wie eine Gesamtdeutung Konstantins, der Versuch, die divergierenden Tendenzen in ein weitgehend geschlossenes und überzeugendes Bild zusammenzuführen. Der Suggestivkraft dieser Gesamtdeutung konnten sich auch skeptische Historiker oft nicht entziehen.

Wer war dieser Euseb von Caesarea33 ? Er war unmittelbarer Zeitgenosse Konstantins, oder genauer: Seine Lebenszeit überragte die des Kaisers ein wenig nach vorne und nach hinten. Geboren um 264, also etwa ein Jahrzehnt vor Konstantin, erlebte er noch den Tod des Herrschers 337 (und schilderte ihn in der Lebensbeschreibung), um bald darauf auch selbst zu sterben (um 340). Er stammte aus Palästina und verbrachte fast sein gesamtes Leben dort, nämlich in der Provinzhauptstadt Caesarea Maritima (etwa auf halbem Wege zwischen den modernen Städten Haifa und Tel Aviv), wo er zunächst als christlicher Gelehrter zusammen mit seinem Lehrer Pamphilos wirkte, später (ab etwa 313) auch als Bischof der Stadt. Er kann als Zeitzeuge im intensivsten Sinn des Wortes gelten: Unter unsäglichen Bedingungen hat er in der Verfolgungszeit mit seinem Lehrer im Gefängnis an gelehrten Projekten gearbeitet und schließlich den Märtyrertod des Pamphilos erleben müssen. Wenige Jahre später – wahrlich eine bewegende Wende! – war er aktiv beteiligt, als in Jerusalem die prächtige Basilika über dem Grab Christi eingeweiht wurde, die mit kaiserlichem Geld und Aufwand errichtet worden war. Die Zeitumstände hatte Euseb intensiv erlebt, doch über seine persönlichen Beziehungen zu Konstantin darf man sich keine falschen Vorstellungen machen. Als junger Mann hat er ihn einmal aus der Ferne gesehen, doch zu wirklichen Begegnungen ist es nur sehr selten gekommen; vermutlich haben sich die beiden Männer nur vier- oder fünfmal getroffen34. Und es waren natürlich asymmetrische Begegnungen: Für Euseb bedeuteten sie sehr viel, für Konstantin waren sie zwar nicht völlig marginal, aber doch nur ein Moment unter vielen. Und dennoch ist der Kaiser heute von dem Bischof zutiefst abhängig: Die Nachwelt kann sich den einen nicht ohne den anderen vorstellen.

Eine Konstantin-Biographie ohne Euseb zu schreiben, Eusebio remoto, als gäbe es ihn nicht, als wären die Konstantin-Schriften irgendwo im Prozess der Überlieferung hängen geblieben und nicht zu uns gelangt, das wäre ein methodisch und intellektuell durchaus reizvolles Unternehmen. Was für ein Konstantin käme dabei wohl heraus? Man wüsste es gern, doch niemand hat das je versucht – und dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst wäre es doch ein reichlich theoretisches Gedankenexperiment: Nur ungern würde man auf die umfangreichen Informationen aus dieser Quelle verzichten. Es wäre, als hackte man sich selbst ein Bein ab. Sodann und hauptsächlich aber: Es wäre gar nicht möglich. Die Deutungen, die letztlich auf Euseb zurückgehen, sind immer schon vorhanden, sind in den Hinterköpfen eines jeden Forschers, bevor er überhaupt zu forschen beginnt. Sie sind bekannt aus Schulunterricht und Einführungsvorlesungen, aus Feuilleton und Fachliteratur. Es wird also auch künftig dabei bleiben: Konstantin-Bücher sind immer auch Bücher über Euseb. Man wird den Schatten des palästinischen Bischofs nicht los.

Gleichwohl ist spätestens seit dem Auf kommen neuzeitlicher Quellenkritik deutlich geworden, dass Euseb von nüchterner Geschichtsschreibung sine ira et studio weit entfernt ist. Die von ihm gegebenen Informationen sind zwar zahlreich, aber doch auch sehr tendenziös. Die banale Feststellung, dass er nicht schreibt, um Historiker des 21. Jahrhunderts mit möglichst „objektiven“ Informationen zu versorgen, springt bei Eusebs Konstantin-Schriften besonders massiv ins Auge. Das offensichtlich Wertende, Tendenziöse, ja geradezu Ideologische daran hat immer wieder den Wunsch genährt, diese Quellen doch irgendwie ganz loszuwerden. Eine radikale Möglichkeit, um das zu erreichen, war etwa die grundsätzliche Bestreitung der Echtheit dieser Schriften. Man hat das versucht, doch hat sich diese These nicht durchsetzen können35 – und ohnehin ist der gänzliche Verzicht auf Euseb schlicht nicht möglich, aus den genannten Gründen. Loszuwollen und doch nicht loszukönnen, Emanzipation einerseits und strukturell unaufgebbare Bindung andererseits – dieser Widerspruch hat immer wieder regelrecht Zorn hervorgerufen, ganz vergleichbar einem hoch emotionalen Ablösungsprozess in der Pubertät. Jacob Burckhardt, der Archeget der modernen Konstantin-Forscher, schreibt, der Kaiser sei „in die Hände des widerlichsten aller Lobredner gefallen, der sein Bild durch und durch verfälscht hat“36. Andere sprachen von einem „kaiserfrommen Staatsbischof“37 oder erblickten in Euseb den „Herold des Byzantinismus“, den Ursprung eines (angeblich) byzantinischen „Caesaropapismus“38. Das in diesem Zusammenhang gleichfalls häufig zitierte Diktum von Franz Overbeck vom „Friseur der theologischen Perücke des Kaisers“ sollte übrigens primär Overbecks Intimfeind Adolf Harnack und dessen Verhältnis zu Wilhelm II. treffen, doch war der Vergleich mit Euseb und Konstantin dabei durchaus mitgemeint und mitgesagt39. Indessen ist Zorn und Polemik kein guter Ratgeber für eine wissenschaftliche Wahrnehmung.

Mögen sie ihn auch noch so kritisieren, mögen sie sich an ihm reiben und sich gegen ihn auflehnen – es bleibt trotz allem dabei: Die Gelehrten werden den Schatten des palästinischen Bischofs nicht los. Für einen Konstantin-Forscher stellt sich nicht die Frage, ob er Euseb benutzt, sondern nur wie er es tut. Tatsächlich ist dies der entscheidende Differenzpunkt bei den bis heute teilweise stark divergierenden Konstantindeutungen. Betrachtet man das Spektrum dieser Deutungen, so erkennt man: Es gibt bis heute Darstellungen, die sich im Grunde wie ein Eusebius continuatus lesen, die also ganz die interpretatio christiana fortschreiben, die uns der Bischof gibt. Und es gibt solche, die ihm nicht über den Weg trauen und die die von ihm gegebenen Informationen nur mit äußerst spitzen Fingern anfassen, mit fortwährendem Ideologieverdacht. Der Zorn dieser zweiten Gruppe wird noch dadurch erhöht, dass in den eineinhalb Jahrhunderten seit Jacob Burckhardt nichts unversucht gelassen wurde, um dem „Fälscher“ Euseb endlich auf die Schliche zu kommen, um ihn dabei zu ertappen, wie er an seinem Schreibtisch in Caesarea Urkunden fälscht, Sachverhalte erfindet, falsche Fährten legt. Indes – nichts davon ist gelungen40. Wo immer wir ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen können, wo wir also von ihm gegebene Informationen und Urkunden mit anderen Überlieferungskanälen kontrollieren können (ein Beispiel etwa in Abb. 2), stellen wir fest: Auch im Überschwang seiner Konstantin-Euphorie ist er der nüchterne und gewissenhafte Gelehrte geblieben, als der er lange vor Konstantin angefangen hatte und als der er (zu Recht) Ruhm genießt. Die Korrektheit und Präzision Eusebs sucht in der Antike ihresgleichen, daran ist nicht zu rütteln. Daher hat die kritische Wissenschaft – nolens volens – in den letzten Jahren oft wieder eher die andere Variante gewählt: man folgt Euseb und zeichnet demnach Konstantin als den „ersten christlichen Kaiser“, kann der Rede von seiner „Bekehrung“ Sinn abgewinnen, spricht von einer „konstantinischen Wende“.

So einfach ist es indes nicht: Eusebs Konstantin lässt sich mit einem Werkzeugkoffer, in dem nur die beiden Schraubenschlüssel „richtig“ und „falsch“ liegen, nicht angemessen aufschlüsseln. Wenn sich regelrechte „Fälschungen“ nicht nachweisen lassen, heißt das noch lange nicht, dass deshalb alles „richtig“ ist. Es bedarf offensichtlich einer (im besten Sinn) theologischen Lektüre, um zu einer differenzierteren Wahrnehmung zu kommen. Im besten Sinn, will sagen: man darf das Wort „theologisch“ nicht ganz einfach als Synonym für „tendenziös“, „ideologisch“ oder gar „von Wunschdenken geprägt“ verwenden (obwohl solche Aspekte durchaus eine Rolle spielen). Vielmehr muss man sich der Mühe unterziehen, die Aussageabsichten Eusebs zu analysieren und zu verstehen, und diese Absichten sind eben zu einem guten Teil theologischer Natur. Die Mühe lohnt sich, denn auf diese Weise lassen sich Regeln gewinnen, die dann in den folgenden Kapiteln der Euseb-Verwendung zugrunde liegen. Es geht ja nicht darum, ihn nicht zu verwenden, sondern dies in methodisch kontrollierter Weise zu tun.

Es steht außer Frage, dass Konstantin und seine Regierungszeit für Euseb als Person eine einschneidende Erfahrung war. Etwa zehn Jahre älter als der Kaiser, hat er die Veränderungen intensiv wahrgenommen, die dessen Regentschaft mit sich brachte. Welche theologischen Deutungsmuster standen dem christlichen Bischof zur Verfügung, um das einzuordnen und zu erklären, was...

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