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Soziale Arbeit in der Straffälligenhilfe

AutorAnnette Bukowski, Werner Nickolai
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl301 Seiten
ISBN9783170251113
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Der Band beschreibt ausführlich die Soziale Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen. Nach der Beschreibung der Zielgruppe folgt die Darstellung der Arbeitsfelder in der Straffälligenhilfe sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Strafvollzug. Im Fokus steht hier die Frage nach dem Doppelmandat in der Sozialen Arbeit, das gerade im Strafvollzug besonders brisant erscheint: Soziale Arbeit muss sich am individuellen Wohl ihrer Klienten orientieren, sie muss aber auch für das Gemeinwohl arbeiten. Außerdem werden die wichtigsten Kriminalitätstheorien diskutiert. Bevor der Band mit einer Fallarbeit schließt, setzen sich die Autoren mit dem Thema 'Muss Strafe sein' auseinander.

Annette Bukowski, Dipl. Sozialarbeiterin, Dipl. Kriminologin, lehrt als Lehrbeauftragte an der Katholischen Hochschule Freiburg schon mehr als 10 Jahre u.a. Theorien abweichenden Verhaltens. Professor Werner Nickolai lehrt an der Katholischen Hochschule Freiburg mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen.

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Leseprobe

 

2          Zielgruppen der Sozialen Arbeit in der Straffälligenhilfe


 

 

 

Der Begriff der Zielgruppe kommt ursprünglich aus der Marktforschung (vgl. z. B. Gabler Wirtschaftslexikon online). Dort ist es wichtig, Personengruppen identifizieren zu können, deren (Konsum-)Verhalten möglichst homogen und vorhersagbar ist. Unternehmen können so ihre Waren und Dienstleistungen den Wünschen und Bedarfen der Kundinnen und Kunden anpassen. Die Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg steigen. Auch in der Sozialen Arbeit dient die Definition von Zielgruppen vor allem der Planung. Angebote und Maßnahmen können auf die Bedarfe von identifizierten Zielgruppen besser abgestimmt und in einer zu der Zielgruppengröße quantitativ passenden Menge vorgehalten werden.

Straffällige stellen jedoch keine homogene Zielgruppe dar. Die Hilfeangebote im Arbeitsfeld Straffälligenhilfe sprechen nicht nur eine, sondern mehrere unterschiedliche Zielgruppen an. Diese unterscheiden sich zudem hinsichtlich ihrer Lebenslagen, Lebensbedingungen und auch hinsichtlich ihrer sozialen Situation.

Hauptgrund dafür ist, dass die Straffälligenhilfe ein historisch gewachsenes Arbeitsfeld ist. Im Ursprung geht sie auf die von Ehrenamtlichen geleistete Betreuung von Strafgefangenen zurück. Vor allem christlich motivierte Initiativen besuchten und betreuten Gefangene. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft vor etwa zweihundert Jahren begannen sich diese Ehrenamtlichen zunehmend in Vereinen zu organisieren. Damit verstetigten sich die Angebote und parallel begannen die Vereine, sich neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Reformen der Justiz und des Gefängniswesens, politische Veränderungen und nicht zuletzt die Professionalisierung der Sozialen Arbeit und eine geänderte Sichtweise auf Kriminalität und Resozialisierungsbedarfe waren und sind bis heute dafür verantwortlich, dass sich das Tätigkeitsspektrum der Straffälligenhilfe seit den Anfängen immer weiter verändert und insgesamt ausgeweitet hat.

Zu den tradierten Angeboten Sozialarbeit im Strafvollzug, zu der Beratung und Betreuung von (ehemaligen) Straftätern sind daher heute eine Reihe weiterer Angebote getreten. Ein Teil dieser Angebote hat dabei die Vermeidung von Inhaftierungen zum Ziel, etwa die Vermittlung Gemeinnütziger Arbeit, um Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Andere neuere Tätigkeitsbereiche sind der Täter-Opfer-Ausgleich, die Begleitung minderjähriger Kinder Inhaftierter beim Besuch ihrer Eltern im Strafvollzug, Väter-Kind-Gruppen und Familienseminare, Konfliktschlichtung an Schulen, Therapieangebote für (entlassene) Sexualstraftäter, oder aktuell die psychosoziale Prozessbegleitung, um einige zu nennen. Schon aus dieser exemplarischen und unvollständigen Aufstellung wird deutlich, wie stark sich das Tätigkeitsspektrum der Straffälligenhilfe seit den Anfängen erweitert hat.

Aus der Unterschiedlichkeit dieser Angebote folgt aber auch, dass sich die Personen, die diese Angebote in Anspruch nehmen, hinsichtlich ihres Alters, Geschlechts, ihres sozialen Status, ihrer Vorerfahrungen mit dem Justizsystem usw. deutlich voneinander unterscheiden können, ja müssen. Eine einzige, genau definierte Zielgruppe der Sozialen Arbeit mit Straffälligen kann es also nicht geben. Man kann jedoch die Zielgruppen in größere Untergruppen aufteilen, die einige Gemeinsamkeiten aufweisen. In diesem Buch wird dazu folgende Einteilung verwendet: die Straffälligen selbst, deren Angehörige und die Opfer von Straftaten. Auf eine Besonderheit, die mit dieser Einteilung verbunden ist, soll an dieser Stelle hingewiesen werden: Für die Zuweisung einer Person zu einer dieser drei Gruppen ist als auslösendes zentrales Ereignis eine Straftat verantwortlich. Im Kontext der Straftat wird den daran »Beteiligten« eine der Rollen »Täter(in)« oder »Opfer« zugewiesen. Gleichzeitig werden die Angehörigen der Täter(innen) zu Mitbetroffenen. Die Einteilung in »Täter« und »Opfer« nehmen dabei die Instanzen staatlicher Kriminalitätskontrolle vor, insbesondere Polizei und Staatsanwaltschaft. Dies deckt sich nicht immer mit der Wahrnehmung der Betroffenen. Denn wer als »Täter« oder »Opfer« eingestuft wird, kann auch davon abhängig sein, wer sich mit seiner Darstellung des Tatvorgangs durchsetzen kann.

Die Angebote, die sich an die Straffälligen selbst richten, sind dabei die historisch ältesten und machen auch heute noch den Kern der Sozialen Arbeit in der Straffälligenhilfe aus. Bereits recht früh hat sich die Straffälligenhilfe aber auch schon um die Angehörigen von Gefangenen gekümmert. Angebote für Opfer von Straftaten haben sich hingegen erst in jüngerer Zeit etabliert. Diese findet man vor allem in der Form des Täter-Opfer-Ausgleichs, der jedoch nicht nur ein Angebot für Opfer, sondern auch für die Täter, also für Straffällige ist. Hilfe für den Täter und Hilfe für das Opfer werden oft als widersprüchlich wahrgenommen (vgl. z. B. Müller 2016, Cremer-Schäfer 2004). Eine Verbindung von Straffälligen- und Opferhilfe erscheint dann sinnvoll, wenn Straftaten als Konflikt zwischen Täter, Opfer und Geschlecht betrachtet werden, der unter Einbeziehung aller Beteiligter gelöst werden muss (vgl. z. B. Müller 2016). »Die Verknüpfung der Resozialisierung und Tatverarbeitung mit den Bedürfnissen und Interessen der Opfer dienen sowohl der sozialen Integration als auch der Kriminalprävention und damit der dauerhaften gesellschaftlichen Teilhabe« (Müller 2016: 3). Dieser Band konzentriert sich aber auf Straffällige als Kernklientel der Straffälligenhilfe.

Als Reaktion auf eine deutlich gestiegene Nachfrage nach Kriminalprävention haben sich viele mit der Straffälligenhilfe befassten Institutionen und Organisationen in neuerer Zeit am Ausbau einschlägiger Programme und Angebote beteiligt. Kriminalprävention hat die Verhinderung zukünftiger Straftaten zum Ziel. Adressaten von Kriminalprävention sind damit weitere eigenständige Zielgruppen der Straffälligenhilfe. Besonders häufig werden kriminalpräventive Angebote an Schulen angeboten, manchmal auch in (offenen) Einrichtungen der Jugendhilfe und der Jugendsozialarbeit. Manche Straffälligenhilfeeinrichtungen arbeiten auch – beispielsweise im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention – an Programmen und Angeboten mit, die sich an die allgemeine Wohnbevölkerung richten. Es gibt also auch im Bereich der kriminalpräventiven Angebote unterschiedliche Zielgruppen und eine »typische« Zielgruppe kann nicht angegeben werden.

Nicht alle Personen kommen »freiwillig« mit den Angeboten der Straffälligenhilfe in Berührung. Während den Opfern von Straftaten und den Angehörigen von Straffälligen ausschließlich Hilfen auf freiwilliger Basis angeboten werden, diese also selbst entscheiden, ob und ggf. welche Hilfen sie in Anspruch nehmen, gilt dieses »Freiwilligkeitsparadigma« nicht für alle Angebote, die sich an Straffällige richten. Maßnahmen der staatlichen Straffälligenhilfe haben neben dem Hilfeaspekt häufig auch einen Kontrollauftrag und verpflichtenden Charakter. Wenn beispielsweise Bewährungsproband(inn)en nicht mit ihren Bewährungshelfer(inne)n kooperieren, droht ihnen der Bewährungswiderruf und in der Folge sogar eine Inhaftierung. Im Strafvollzug können Gefangene in manchen Bundesländern zur Mitwirkung an Angeboten der Sozialen Arbeit verpflichtet werden.

Aber auch für den Bereich der Angebote freier Träger, der sogenannten »Freien Straffälligenhilfe« ist zu konstatieren, dass in den letzten Jahren eine Zunahme von solchen Angeboten zu beobachten war, deren Inanspruchnahme für die Betroffenen verpflichtend ist. Dies dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass freie Träger inzwischen einen Teil ihrer Angebote im Auftrag der Justiz durchführen. Damit ist die Teilnahme für die Adressat(inn)en meist nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend, beispielsweise in Form einer gerichtlichen Auflage. »Freiwilligkeit der Inanspruchnahme« taugt damit immer weniger als Abgrenzungsmerkmal zwischen staatlicher und Freier Straffälligenhilfe (vgl. Stelly/Thomas 2008, Die Wohlfahrtsverbände in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e. V. 1996).

Vorläufig könnte man die Zielgruppen der Straffälligenhilfe wie folgt definieren:

Menschen, die im Zusammenhang mit dem tatsächlichen oder auch bloß vermuteten Entstehen und dem Verlauf von...

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