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E-Book

Soziale Gerontologie

Grundlagen und Anwendungsfelder

AutorHelene Ignatzi, Sabine Kühnert
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl284 Seiten
ISBN9783170308176
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Mit diesem Lehrbuch erhält der Leser einen verständlich aufbereiteten Überblick über zentrale gerontologische Fragestellungen. Neben der Vermittlung gerontologischen Grundlagenwissens werden aktuelle Themen wie Pflegebedürftigkeit, Migration, Wohnen und Techniknutzung im Alter behandelt. Das Buch ist in einen Grundlagen- und einen anwendungsbezogenen Teil untergliedert. Theorien und Forschungsergebnisse werden anhand von Fallbeispielen anschaulich erläutert und Möglichkeiten für einen Theorie-Praxistransfer aufgezeigt. Auf diese Weise bietet das Buch umfassendes Orientierungswissen nicht nur für Studierende der Sozialen Arbeit und verwandter Studiengänge, sondern auch für Fachkräfte in der Praxis.

Prof. Dr. Sabine Kühnert, Dipl. Psychologin lehrt an der Evangelischen Hochschule Rheinland Westfalen Lippe in Bochum u.a. in den Bereichen Soziale Gerontologie, Demenzversorgung und Angehörigenarbeit. Prof. Dr. Helene Ignatzi, Dipl. Sozialgerontologin, Dipl. Sozialarbeiterin (FH) lehrt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg Handlungslehre und Methoden der Soziale Arbeit.

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Leseprobe

2          Konsequenzen der soziodemografischen Veränderungen für die Praxis der Sozialen Arbeit


 

 

In diesem Unterkapitel wird versucht, auf der Grundlage der zuvor aufgezeigten Entwicklungen bzw. Trends eine Standortbestimmung der Sozialen Altenarbeit in einer alternden Gesellschaft vorzunehmen. Dabei werden die Herausforderungen, aber auch die Chancen beschrieben, die einerseits in den Potenzialen des Alters, andererseits – und eng damit verbunden – in der Weiterentwicklung und Professionalisierung der Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit gesehen werden. Zugleich werden die Schnittstellen zu anderen Professionen und Handlungsfeldern identifiziert. Zunächst wird auf folgende Fragen eingegangen:

•  Welche Konsequenzen haben die demografische Entwicklung und der Strukturwandel des Alters in Deutschland für die bisherigen klassischen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit?

•  Welche Veränderungen ergeben sich hinsichtlich der Entwicklung und Erschließung neuer Arbeitsfelder und Zielgruppen?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird als Grundlage die Einteilung der Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit nach Chassé & Wensierski (2008) sowie nach Bieker & Floerecke (2011) herangezogen ( Tab. 1). Die Tabelle macht deutlich, dass es unterschiedliche Ansätze zur Einteilung der Bedarfssituationen für Soziale Arbeit gibt. Mit Sternchen ist markiert, wo Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit voraussichtlich verändert werden müssen, um auf die mit dem demografischen Wandel einhergehenden neuen Herausforderungen antworten zu können.

Tab. 1: Überblick über Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit

Bei der Betrachtung der Übersicht in Tabelle 1 fällt auf, dass die bisher maßgeblichen Autoren zur Beschreibung der Arbeitsfelder von Sozialer Arbeit die Bereiche der Altenarbeit und der Altenhilfe relativ allgemein darstellen. In der Praxis der Sozialen Arbeit findet aber aufgrund des soziodemografischen Wandels seit längerem eine Spezialisierung und Differenzierung dieser Arbeitsfelder statt. Die Soziale Arbeit mit älteren Menschen hat sich inzwischen zu einer Querschnittsaufgabe entwickelt, die viele Bereiche berührt.

Folgen der Schrumpfung bzw. des Zuwachses der Bevölkerung


Der seit Jahrzehnten andauernde zahlenmäßige Rückgang der Bevölkerung bedeutet nicht zwangsläufig den Rückgang sozialer Probleme. Vielmehr wirkt er sich auf alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit aus und bestimmt nicht nur die Bedarfe an Fachkräften und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, sondern v. a. die Zielgruppenorientierung und Schwerpunktsetzung der Arbeit. So kann die Schrumpfung der Einwohnerzahlen zum Personalabbau in den Kindertagesstätten oder zur Zusammenlegung bzw. Schließung von Schulen führen. (Allerdings ist diese Entwicklung stark abhängig von weiteren Faktoren, etwa gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem Anstieg der Frauenerwerbsquote, und von familienpolitischen Maßnahmen.) Der Rückgang der Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter hat eine direkte Auswirkung auf die sozialen Sicherungssysteme und die Zahl der Pflegenden, zumal bei dem gleichzeitigen Anstieg der Lebenserwartung. Der auf die verstärkte Einwanderung 2015 zurückzuführende geringfügige Anstieg der Bevölkerungszahl bringt einen gestiegenen Bedarf an sozialarbeiterischem bzw. sozialpädagogischem Personal in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Veränderung der Bevölkerungszahl immer vielschichtige und komplexe Folgen für die Soziale Arbeit hat, die differenziert und multiperspektivisch betrachtet werden sollten.

Folgen der Geburtenhäufigkeit und Sterblichkeit


Der durch die voranschreitende Alterung der Bevölkerung hervorgerufene Anstieg der Zahl der Sterbefälle wird voraussichtlich zur Ausweitung der Handlungsbedarfe an den Schnittstellen von professioneller Sozialer Arbeit, Pflege und Therapie führen, wobei die zentralen Arbeitsbereiche in den Hospizen und der Palliativversorgung liegen. Vermehrt wird Soziale Arbeit sich sterbenden und trauernden Menschen zuwenden, und zwar in deren Lebenswelt: in der eigenen Häuslichkeit, in Alten- und Pflegeheimen, Seniorenresidenzen, im Betreuten Wohnen und Service-Wohnen für Senioren, in Seniorenwohnanlagen, ambulanten Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz und diversen alternativen Wohnformen sowie geriatrischen Krankenhäusern und Kliniken –, dort wo hochbetagte, pflegebedürftige Menschen ihren Lebensabend verbringen und wo sie sterben.

In allen diesen Bereichen steigt zugleich der Bedarf an ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die mit ihren anderen Möglichkeiten der emotionalen Begleitung in der ambulanten und stationären Trauer- und Sterbebegleitung unverzichtbar sind. Der Fokus der Sozialen Altenarbeit liegt hier auf der Koordination und Organisation der Sozialen Dienste, auf sozialpädagogischer Beratung und Begleitung von Angehörigen, Fachkräften und weiteren in diesen Prozess eingebundenen professionellen Akteuren sowie auf der Gewinnung, Qualifizierung, Vermittlung und Begleitung von Ehrenamtlichen.

Folgen der steigenden Lebenserwartung, der Veränderungen im Alters-aufbau, der Ausdehnung der Altersphase sowie der Verjüngung des Alters


Die Zunahme der Lebenserwartung und die Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung führen zu einem steigenden Bedarf an Sozialer Arbeit für ältere und alte Menschen in allen Handlungsfeldern und an den Schnittstellen zu den Professionen Pflege, Pädagogik, Medizin, Therapie, Psychologie, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Technik und neue Medien. Diese Entwicklung ist zwingend verbunden mit einer Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Hilfeangebote. Damit wächst auch der Bedarf an Menschen mit spezifischer sozialarbeiterischer, sozialpädagogischer und gerontologischer Fachkompetenz, und zwar sowohl im professionellen als auch im ehrenamtlichen Bereich. Aufgrund sinkender Pflegepotenziale in den Familien verlangt v. a. der Pflegebereich sozialpolitische Veränderungen und Lösungen. Soziale Arbeit an der Schnittstelle zur Pflege wird von den Änderungen direkt betroffen sein. Bspw. könnte den hier Tätigen bei vermehrtem Einsatz von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund in der Pflege eine besondere Flexibilität und interkulturelle Kompetenz abverlangt werden. An der Schnittstelle zur Behinderten- bzw. Eingliederungshilfe ist die soziale Altenhilfe aufgrund der Zunahme der Lebenserwartung bei Menschen mit einer angeborenen oder im späteren Lebensverlauf erworbenen Behinderung gefragt, neue Ansätze und Konzepte für ihre nachberufliche Tagesgestaltung bzw. Betreuung im stationären sowie im ambulanten Bereich zu entwickeln. Aktuelle Modellvorhaben weisen hier bereits interessante Wege.

Durch die zeitliche Ausdehnung der Altersphase auf 30 bis 40 Jahre oder noch länger wird mit einer steigenden Heterogenität unter den Älteren bzgl. Alter, Geschlecht, Herkunft, Gesundheitszustand, Lebenslage, Lebensstil und Lebenslauf gerechnet. Diese Ausdifferenzierung der Zielgruppe der Älteren verlangt von Sozialer Arbeit bereits heute eine entsprechende Zielgruppenorientierung und vielfältige sozialpädagogische Ansätze. Zum einen geht es um die Nutzung der Potentiale der »jungen Alten« wie Kompetenz, Innovationskraft und Kreativität, indem ihre Autonomie, Selbstinitiative, Selbstorganisation und Partizipation gefördert werden. Dafür sind in der gemeinwesenorientierten und sozialraumorientierten Sozialen Arbeit vermehrt Angebote in den Bereichen Bildung, Ehrenamt, politisches und gesellschaftliches Engagement, Wohnen, Reisen, neue Medien, Wellness etc. zu initiieren. Zum anderen geht es um die Unterstützung Älterer in Krisensituationen und problematischen Lebensumständen, die z. B. durch frühe Entberuflichung und dadurch nicht erfüllte Berufsziele und persönliche Erwartungen sowie andere Verluste ausgelöst wurden. Hierzu gehören Bereiche wie Krisenhilfe, Suchthilfe, Obdachlosenhilfe etc.

Folgen der Hochaltrigkeit, Pflegebedürftigkeit und Demenz


Die Zunahme der Hochaltrigkeit und der oft damit einhergehenden Pflegebedürftigkeit, insbes. aufgrund von Demenz und anderer gerontopsychiatrischer Erkrankungen, erfordert in der Sozialen Altenarbeit zunehmend eine hohe Fachkompetenz in ihren originären Bereichen und an den bereits genannten Schnittstellen zur Pflege und Therapie. Aufgaben der Altenarbeit sind hier die Aufklärung und Sensibilisierung im Gemeinwesen bzgl. der Andersartigkeit von z. B. Menschen mit Demenz, um deren Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen, die Entwicklung von Netzwerken, die Gewährleistung von zugehender Beratung und Betreuung und die Förderung von ehrenamtlichem Engagement. Andererseits ist die Soziale Arbeit mit ihrem ganzheitlichen Blick auf das Individuum...

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