1 Einleitung
„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragt die freundliche dunkelhaarige Frau am Bankschalter und lächelt.
„Ich möchte eine Überweisung tätigen.“
„Dann geben Sie doch bitte zunächst hier Ihre Kontonummer ein“, erläutert sie und deutet auf ein Feld, in das sich die Nummernfolge eintippen lässt.
So oder so ähnlich kann sich bereits heute die Konversation eines Menschen mit einem Interface-Agenten abspielen. Obgleich die Zukunftsvision, dass virtuelle Personen uns in verschiedensten Alltagssituationen als hilfreiche Assistenten begleiten werden, bislang noch nicht eingetroffen ist, sind diese anthropomorphen Figuren zumindest im Rahmen des World Wide Web zahlreich vertreten. Gleichwohl ist die Idee, einen menschenähnlichen Assistenten zu schaffen, der dem Menschen bei der Erledigung von Aufgaben zur Seite steht, nicht neu. Bis in das Altertum lässt sich die Faszination der Entwicklung künstlicher Menschen, die der Menschheit zu Diensten sind, zurückverfolgen. Aktuelle Entwicklungen in unserer zunehmend technisierten Welt liefern den Visionen neuen Nährboden: Seit die Verfügbarkeit von Computern so gestiegen ist, dass auch technische Laien mit diesen interagieren wollen und müssen, wird der intelligente, menschenähnliche Helfer als Schnittstelle der Zukunft propagiert. Sein wesentlicher Vorteil gegenüber herkömmlichen Benutzeroberflächen wird in der Möglichkeit zur natürlichsprachigen Interaktion gesehen, darin, mit ihm zu kommunizieren wie mit dem Servicepersonal im Elektroladen, in der Bank oder an der Kinokasse. Entsprechende Visionen wurden bereits früh etwa von Videoproduktionen genährt. Apple beispielsweise stellt in dem Video „Knowledge Navigator“ (Sculley, 1989; vgl. Catrambone, Stasko & Xiao, 2004) den virtuellen Agenten Phil vor. Negroponte prognostizierte entsprechend bereits 1989, dass „the emphasis in user interfaces will shift from the direct manipulation of objects on a virtual desktop to the delegation of tasks to three dimensional, intelligent agents“ … „these agents will be rendered holographically, and we will communicate with them using many channels, including speech and non-speech audio, gesture, and facial expression“ (zitiert nach Kopp, 2003, S. 1).
Trotz der Tatsache, dass momentan verfügbare Agenten lediglich vereinfachte Vorformen der angestrebten intelligenten Begleiter darstellen, lassen sie dennoch sowohl Funktion als auch Effekte späterer Agenten erahnen. Wie bei vielen Innovationen – insbesondere im Bereich der Medien – mischen sich in der öffentlichen Reaktion begeisterte und warnende Kommentare. Gleichwohl werden in der Öffentlichkeit bislang kaum die auf Forschungsebene angestrebten intelligenten und interaktiv sowie natürlichsprachig mit dem Menschen kommunizierenden Agenten diskutiert, wie sie etwa für pädagogische Programme, als Bedienungshilfe für die Heimelektronik, als virtuelle Bankberater oder Immobilienhändler entwickelt werden. Stattdessen werden in den Medien publikumswirksam eher die Miss-Wahlen digitaler Schönheiten präsentiert (www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,330775,00.html) oder Kuriositäten im Zusammenhang mit Artefakten, wie ein Fliegen fressender Roboter (www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,317195,00.html).
Tatsächlich werden im Forschungsbereich mehr und mehr Prototypen entwickelt, die zum großen Teil noch keiner breiteren Öffentlichkeit vorgestellt oder zur Verfügung gestellt wurden. Dabei sind Anwendungsbereiche und Entwicklungen bereits so vielfältig, dass sich die Frage, ob die Helfer eines Tages auf breiter Front in unser Leben Einzug halten werden, gar nicht mehr zu stellen scheint. Fraglich ist somit weniger, ob diese Entwicklung fortschreiten wird, sondern nur noch, wie deren Ergebnis im Einzelnen aussehen wird. So formulieren etwa auch Elliott und Brzezinski (1998): „Designing software as a social interface is not something we can avoid because it happens whether we plan for it or not; we have no choice in doing it but only in doing it right“ (S. 12). Nicht nur die unmittelbar gestaltenden Disziplinen wie etwa Informatik und Künstliche Intelligenz, sondern mehr und mehr auch die Psychologie sind hiervon betroffen. Dies äußert sich etwa auch darin, dass die Forschung zu Interface-Agenten zu den wenigen Bereichen der Mensch-Technik-Interaktion gehört, die bereits von Beginn der Entwicklungen an stets Evaluationen mit einbezogen haben. Sogar ein systematischer Beitrag der Psychologie wurde schon früh vonseiten der Entwickler eingefordert.
Aber nicht nur im Bereich der Evaluation kann die psychologische Forschung entscheidende Beiträge leisten, auch bei der Gestaltung spielen psychologische Erkenntnisse eine nicht unwesentliche Rolle. Da erklärtes Ziel der Anwendungen die möglichst natürliche und intuitive Kommunikation mit den künstlichen Figuren ist, müssen die Agenten in ihrem Kommunikationsverhalten dem von Menschen möglichst nahekommen. Um dies zu ermöglichen, muss nicht nur das verbale Verhalten mithilfe von Linguisten und Computerlinguisten in Dialogmodulen nachgebildet werden. Darüber hinaus muss auch ein möglichst detailliertes Wissen über mikroskopische Aspekte der menschlichen (nonverbalen) Kommunikation und Interaktion vorhanden sein, das traditionell am ehesten in der Psychologie zu finden ist bzw. durch psychologische Forschung gewonnen werden kann. Ferner wird propagiert, dass die Agenten, um konsistent handeln zu können und glaubwürdig zu sein, sowohl über eine Persönlichkeit als auch über emotionale Zustände verfügen müssen. Auch in diesem Zusammenhang wird psychologische Expertise gesucht bzw. werden publizierte Theorien und Modelle rezipiert und implementiert. Inwieweit das Vorgehen der Implementierung von künstlichen Emotionen allerdings sinnvoll ist, um das angestrebte Ziel der effektiven positiven Beeinflussung des Nutzers zu erreichen, wird bislang zu wenig hinterfragt (vgl. Kap. 3.1.1.2).
Im Rahmen dieses Buches sollen – neben der Diskussion solch grundsätzlicher Fragen – insbesondere Untersuchungen zur Wirkung der virtuellen Agenten eine Rolle spielen. Auf Basis der Ableitung von Designempfehlungen aus empirischen Ergebnissen soll ein Beitrag zur zukünftigen Gestaltung von Interface-Agenten geleistet werden. Die entsprechende Forschung orientiert sich zwangsläufig an der klassischen Evaluationsforschung sowie an Methoden der Usability-Forschung aus dem Bereich der Mensch-Computer-Interaktion und deren klassischen Evaluationskriterien Effizienz, Effektivität und Akzeptanz. In Ergänzung dieser Aspekte sollen hier vor allem die – verglichen mit herkömmlichen Schnittstellen – neuartigen sozialen Wirkungen der Interface-Agenten im Vordergrund stehen. Bereits frühe Untersuchungen im Bereich von virtuellen Helfern zeigten das erstaunliche Ergebnis, dass die Nutzer im Umgang mit den künstlichen Agenten automatisch ähnliche soziale Verhaltenweisen zeigten, wie in der Interaktion mit anderen Menschen zu beobachten. Nachgewiesen wurde dies bereits für soziale Erleichterung, Kooperation, sozial erwünschtes Verhalten und anderes mehr (Rickenberg & Reeves, 2000; Sproull, Subramani, Kiesler, Walker & Waters, 1996; Parise, Kiesler, Sproull & Waters, 1999; Walker, Sproull & Subramani, 1994). Die Diskussion, ob dieses Phänomen letztlich eine oberflächliche Anpassung an die gegebene Menschenähnlichkeit darstellt oder durch die tief verwurzelte soziale Natur des Menschen unwillkürlich gespeist wird, gehört zu den spannendsten Kontroversen im Bereich der Erforschung anthropomorpher Schnittstellen. Entsprechende Ergebnisse und unterschiedliche Beiträge zu dieser Diskussion sollen daher einen weiteren Schwerpunkt ausmachen.
Insbesondere wird diskutiert, inwieweit diese Phänomene Rückschlüsse auf die soziale Natur des Menschen erlauben. In diesem Zusammenhang stellt sich weiterhin die Frage, woher das Interesse an der Gestaltung künstlicher Menschen überhaupt rührt und ob dies tatsächlich lediglich durch den Wunsch motiviert ist, möglichst natürliche Schnittstellen zu schaffen oder etwa auch auf den Wunsch nach Soziabilität oder Ähnliches zurückzuführen ist. Somit werden im Rahmen der Darstellungen an verschiedenen Stellen immer wieder Fragen aufgeworfen und bearbeitet, die letztlich den Menschen und seine soziale Natur fokussieren. Damit gehen die Fragestellungen des Forschungsbereiches deutlich über die normalerweise getätigten Betrachtungen im Rahmen der Mensch-Computer-Interaktion hinaus. Es werden nicht nur die üblichen allgemein- bzw. kognitionspsychologischen Aspekte thematisiert, sondern vermehrt auch soziale Zusammenhänge. Neben klassischen Themen der Ingenieur-Psychologie (Usability, Mensch-Computer-Interaktion) werden somit auch medienpsychologische und sozialpsychologische Theorien und Erkenntnisse eine Rolle spielen.
Im Sinne einer Lesehilfe wird nun der Aufbau des Buches geschildert: Im zweiten Kapitel folgen zunächst ausführliche Darstellungen zum Gegenstand und seiner historischen Entwicklung. Nach einer Begriffsbestimmung wird eine Übersicht über die verschiedenen relevanten Entwicklungslinien wie die Entwicklung von Mensch-Computer-Schnittstellen und Versuche zur Schaffung künstlicher Menschen gegeben. Abgeschlossen wird das Kapitel durch eine Präsentation des momentanen Entwicklungsstandes. Hier werden die aktuell von verschiedenen Forschergruppen präsentierten Interface-Agenten vorgestellt. Im Rahmen des dritten Kapitels werden die beiden erwähnten Beteiligungsfelder psychologischer Forschung behandelt: Sowohl die Möglichkeiten der Mitarbeit bei der Gestaltung – unter besonderer Berücksichtigung der Diskussion, ob Agenten Persönlichkeit und Emotionen benötigen – als auch die Vorgehensweisen bei der...