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E-Book

Sprache fördern in der Krippe

Ein Leitfaden für die Praxis

AutorAnne Groschwald, Henning Rosenkötter
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783451801532
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Das Buch unterstützt pädagogische Fachkräfte in Krippen und Kitas in ihrer Rolle als Sprachvorbild und Sprachförderer. Lebendig und praxisnah, mit vielen Fallbeispielen, greift es die häufigsten Fragen zur Sprachentwicklung im Krippenalter auf und verdeutlicht die Unterschiede zwischen sprachbewusster Begleitung, Sprachförderung und Sprachtherapie. Mit einer Menge an praktischen Tipps, Arbeitsmaterialien und einem Beobachtungsbogen im Anhang.

Anne Groschwald ist Pädagogin und arbeitet als Coach bei educcare. Dr. Henning Rosenkötter ist Kinder- und Jugendarzt, Neuropädiater und Familientherapeut. Er war Ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums in Ludwigsburg. Als Lehrbeauftragter für Frühkindliche und Elementarbildung an der PH Heidelberg.

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Leseprobe

1 Normale Sprachentwicklung von 0 bis 3 Jahren


Sprachentwicklung beginnt bereits im Mutterleib


Die Sprachentwicklung beginnt schon im Mutterleib, genauer gesagt mit dem Beginn des Hörens in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche. Das ungeborene Kind hört den Pulsschlag der Schlagader der Mutter und ihres Herzens, das Glucksen und Rauschen ihres Darms und ihre Sprache, aber auch, gedämpft durch das Fruchtwasser, die Sprache anderer Menschen, die Töne von Musik und die Geräusche des Alltags. Im Laufe der letzten beiden Schwangerschaftsmonate lernt das Kind die Sprache der Mutter – also seine Muttersprache – so gut, dass es nach der Geburt die mütterliche Sprache von der Sprache anderer Menschen unterscheiden kann.

Prosodie  die Musik der Sprache


Wie macht es das? Das Neugeborene kann doch noch nicht sprechen und die Worte verstehen. Es hat aber bereits im Mutterleib gelernt, mit welcher Melodie und in welcher Lautstärke seine Mutter spricht. Die Musik in der Sprache, der individuelle Singsang – das sind die Sprachmelodie, der Sprachrhythmus, die Betonungen und die Lautstärkeveränderungen. Man nennt das Prosodie. Viele Monate, bevor ein Kind Sprache versteht, lernt es also schon, nach welchen Regeln seine Muttersprache betont wird. In der deutschen Sprache werden fast alle zweisilbigen Worte auf der ersten Silbe betont: Die erste Silbe erklingt lauter und dauert länger an als die zweite Silbe. Während „Mama“ im Deutschen auf der ersten Silbe betont wird, lernen französische Kinder „maman“ auf der zweiten Silbe zu betonen. Kennen Sie Beispiele aus anderen Sprachen?

Merksatz

Prosodie ist die Musik der Sprache: Melodie, Lautstärke, Rhythmus, Betonung.

Wozu brauchen wir die Prosodie? Durch die Betonung wird die Sprache gegliedert. Sechs Monate alte Säuglinge erkennen bereits die Pause, die ein Satzende anzeigt. Die kleinen Sprachbausteine (z. B. die Silben) und die Wortgrenzen werden durch die Betonung deutlich. Die Betonungsregeln bestimmen auch, ob ein Satz eine Aussage trifft oder eine Frage darstellt, sie differenzieren verschiedene Bedeutungen (z. B. umfahren und umfahren), und sie geben wichtige Informationen für die Entwicklung der Wortbildung und der Grammatik.

Praxishinweis

Förderbeispiele zur Prosodie: rhythmisches Sprechen, gleichzeitiges Klatschen, Unterscheiden zwischen lauten und leisen Geräuschen, Differenzierung von langen und kurzen Geräuschen, Unterscheidung von hohen und tiefen Tönen; ab drei Jahren: Silben klatschen und Silben erkennen.

Grundlagen der auditiven Wahrnehmung


Und wie kann unser Gehirn so frühzeitig Prosodie lernen? Prosodie wird im Stammhirn und im Schläfenlappen des Großhirns verarbeitet. In den ersten Lebensmonaten werden so die Grundlagen der auditiven Wahrnehmung gelernt. Mithilfe der Wahrnehmung verarbeiten wir alles Gehörte, auch die ganz einfachen Unterscheidungen – wie hoch oder tief ein Ton, ein Geräusch oder ein Laut ist (Frequenz), wie laut oder leise er ist (Lautstärke) oder wann er beginnt und wann er endet (Signaldauer). Später lernt das Gehirn, sprachliche Reize zu unterscheiden: Laute, Silben, Wörter. All das verarbeitet und lernt ein Kind weitgehend unbewusst – je nach Aufmerksamkeit und Vorwissen und beeinflusst von Gefühlen.

Merksatz

Die auditive Wahrnehmung ist die Erfassung, Weiterleitung und Verarbeitung auditiver Informationen. Sie umfasst die basale Verarbeitung einfacher akustischer Signale, die Wahrnehmung sprachlicher Reize und in Teilen die phonologische Bewusstheit.

Zur Wahrnehmung sprachlicher Reize entwickeln Kinder bis zum sechsten Lebensjahr folgende wichtige Fähigkeiten:

  • Richtungshören: die Fähigkeit, zu erkennen, aus welcher Richtung ein akustischer Reiz oder ein gesprochenes Wort kommt
  • Beidohriges Hören: die Fähigkeit, mit beiden Ohren gleichzeitig unterschiedliche Geräusche oder Sprache erkennen zu können
  • Störschall-Nutzschall-Filter: die Fähigkeit, Sprache selbst dann zu erkennen und zu verstehen, wenn gleichzeitig Nebengeräusche oder konkurrierende Sprache stören
  • Zeitliche Auflösung: die Fähigkeit, kurze Pausen oder sehr schnell gesprochene Sprache zu erkennen
  • Lautunterscheidung: die Fähigkeit, ähnlich klingende Geräusche oder Laute voneinander zu unterscheiden, zum Beispiel die Worte „Tasse“ und „Kasse“
  • Wahrnehmung reduzierter Signale: die Fähigkeit, ein Wort selbst dann noch zu erkennen, wenn es unvollständig oder unterbrochen aufgenommen wird, zum Beispiel „Scho-o-lade“

Baby Talk  frühe Eltern-Kind-Dialoge


Neben den angeborenen Sprachfähigkeiten und dem Erlernen von Prosodie und auditiver Wahrnehmung ist die Eltern-Kind-Interaktion der wichtigste Motor für die sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation. Von Geburt an reagieren die Eltern auf die einfachsten Laute ihres Kindes, indem sie es anschauen, sich ihm nähern, den Mund und die Augen dabei öffnen und innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne den Laut des Kindes wiederholen, meist in einer hohen Stimmlage. Wenn das Kind daraufhin den Laut noch einmal sagt, stellt sich der erste Dialog ein. Womöglich reichern die Eltern die Zwiesprache mit anderen, ähnlich klingenden Lauten oder Wörtern an, oder sie sprechen ihr Kind mit seinem Namen an. Dies bleibt das Grundmuster aller intensiven Dialoge im Kleinkindalter, das auch in der pädagogischen Förderung angewandt wird.

Kontrollieren Sie sich manchmal im Gespräch mit den kleinen Kindern, ob Sie diese Voraussetzungen erfüllen? Ein gelungener Dialog festigt die Bindung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen und ermutigt alle Beteiligten, in dieser Weise fortzufahren. Frühe einfühlsame Eltern-Kind-Dialoge nennt man Baby Talk (auch: Motherese, wörtlich: Mutterisch). Sie sind Grundlage für das Einüben von sprachlichen Wechselspielen und wichtige Bestandteile der sozio-emotionalen Entwicklung. Diese Dialoge werden nach und nach teilweise ritualisiert (z. B. in Form von Suchspielen, Guckguck-Spielen) und ausgeweitet.

Merksatz

Kennzeichen des Baby Talks: Die elterliche Sprache ist langsam, deutlich, melodiös, mit kurzen Formulierungen, in angehobener Stimmlage. Vokale (Selbstlaute) werden betont und verlängert. Bevorzugt werden betonte, immer wiederkehrende Muster (Aufforderung, Beruhigung, Belohnung), unterstützt durch Nähe, Blickkontakt, Mimik und Berührung.

Erfreulicherweise muss man Baby Talk nicht lernen. Dieses Verhalten ist uns angeboren. Wer ein Baby hat, wendet diese Sprache intuitiv an. Man beachtet die kindlichen Signale, nimmt sie rasch auf und antwortet dem Kind. Dieses Wechselspiel – egal, ob es von der Mutter oder dem Kind ausgeht – und das feinfühlige Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes stellen die Grundlage für eine sichere Bindung zwischen Mutter / Bezugsperson und Kind dar. Die Berücksichtigung dieses Wechselspiels spielt gerade in der frühen Sprachentwicklung, zum Beispiel auch in der Eingewöhnungszeit in die Krippe, eine wichtige Rolle. Feinfühligkeit oder mütterliche „Responsivität“ (Gutknecht 2012) gegenüber den Signalen des Kindes schafft Vertrauen und Geborgenheit (Heidler 2013). Nur wenn es gelingt, diese sichere emotionale Basis zu schaffen, wird das Kind später den Mut haben, sich von den Eltern zu lösen und die Umwelt selbstständig zu explorieren.

Das erste Lebensjahr


Während das Baby im Alter von drei Monaten vorwiegend Gurrlaute und Vokale babbelt („grrr“, „ngröö“, „aaaa“, „öööö“), wird es mit sechs Monaten die ersten Silben im Konsonant-Vokal-Muster sprechen („ma“) und später zu Ketten zusammengeführen („ma-ma-ma-ma“). Mit acht Monaten werden die ersten Konsonant-Vokal-Silben verdoppelt („ma-ma“, „ba-ba“), ohne dass damit schon eine Person oder ein Objekt gemeint ist („ma-ma“ bedeutet noch nicht „Mama“). Am Ende des ersten Lebensjahres wird das Silbenbabbeln ständig weiter variiert, und die ersten Doppelsilben bekommen eine festere Bedeutung (z. B. „Mama“ für die Mama, „Bobo“ für den Hund).

Am Ende des ersten Lebensjahres wird damit auch deutlich, welche Fortschritte das Kind im Sprachverständnis gemacht hat: Es kennt seine Bezugspersonen, reagiert auf die Nennung ihrer Namen und des eigenen Namens, es versteht einfache Aufforderungen („Gib mir den Ball!“), es wendet den Kopf, wenn es zum Beispiel gefragt wird „Wo ist der Ball?“, oder es versteht Aufforderungen für einzelne ritualisierte Gesten (in die Hände klatschen, zum Abschied winken). Largo (2007) hat mit den Daten der Zürcher Längsschnittstudie in seinem Standardwerk „Babyjahre“ gut nachvollziehbar dargestellt, wie zunächst das Handlungsverständnis aufgebaut werden muss, das dem Sprachverständnis vorausgeht, und wie dieses wiederum die Voraussetzung für die eigene Sprache darstellt. Wenn Sprache nicht nur aus gelernten Worthülsen bestehen soll, dann geht das Sprachverstehen der Sprachproduktion voraus.

Merksatz

HandlungsverständnisSprachverständnisaktive Sprache: Ein Kind kann zum Beispiel das Wort „essen“ erst dann sinnvoll lernen, wenn es die Handlung „essen“ verstanden hat und wenn es danach das Wort...

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