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SS-Geiseln in der Alpenfestung

Die Verschleppung prominenter KZ-Häftlinge aus Deutschland nach Südtirol

AutorHans-Günter Richardi
VerlagEdition Raetia
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9788872835302
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das Buch dokumentiert erstmalig den Transport von prominenten Sippen- und Sonderhäftlingen aus deutschen Konzentrationslagern nach Südtirol. Die 139 Gefangenen aus 17 Nationen waren als Geiseln der SS in die Alpen verschleppt worden, wo sie dem Chef der Sicherheitspolizei Dr. Ernst Kaltenbrunner für Verhandlungen mit den Alliierten zur Verfügung stehen sollten. Unter den Internierten befanden sich der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, der frühere französische Ministerpräsident Léon Blum sowie Familienangehörige des Obersten Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Adolf Hitler verübt hatte. Die Gefangenen wurden im April 1945 aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Flossenbürg im KZ Dachau zusammengezogen und dann von einem Sonderkommando der SS und des SD über Innsbruck nach Niederdorf im Hochpustertal gebracht, wo sie am 30. April 1945 von Soldaten der deutschen Wehrmacht aus der Gewalt der SS befreit wurden. Die Wehrmacht übernahm den Schutz der Häftlinge und brachte sie ins Hotel 'Pragser Wildsee', wo sie am 4. Mai 1945 von amerikanischen Truppen übernommen wurden.

Geboren 1939 in Berlin, war mehr als dreißig Jahre lang Redakteur der 'Süddeutschen Zeitung'. In seinen Büchern beschäftigt er sich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Wichtigste Veröffentlichungen: 'Schule der Gewalt', 'Hitler und seine Hintermänner' und 'Bomber über München'. Richardi konzipierte und verfasste auch den ersten 'Dachauer Zeitgeschichtsführer'.

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Leseprobe

Vom NS-Regime geächtet: Die Sippenhäftlinge des 20. Juli 1944


Der 14. April 1943 endet im KL Sachsenhausen mit einer Tragödie. Im „Sonderlager A“, das Teil des Konzentrationslagers ist, nimmt sich der Sohn Stalins, Oberleutnant Jakob Dschugaschwili, der am 16. Juli 1941 als Chef einer Haubitzenbatterie bei Witebsk in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten ist,1 das Leben. Wie ist es zu dieser Verzweiflungstat gekommen?

Als deutsche Soldaten Dschugaschwili in die Gefangenschaft abführten, gab sich der Offizier nicht als Sohn des Kremlchefs zu erkennen. Erst ein Mitgefangener machte die Deutschen darauf aufmerksam, wer sich in dem Bauernmantel ohne Rangabzeichen verbarg. Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels triumphierte, als er von dem prominenten Gefangenen erfuhr, der nun Hitlers wertvollste Geisel war. Er hoffte, Dschugaschwili für die antisowjetische Propaganda gewinnen zu können. Doch Stalins Sohn lehnte als überzeugter Kommunist dieses Ansinnen ab. So verlor Goebbels schnell sein Interesse an dem Gefangenen, und Dschugaschwili mußte das luxuriöse Berliner Hotel „Adlon“ wieder mit einem Kriegsgefangenenlager vertauschen. Schließlich landete er im Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Dschugaschwili hatte seinen Wert als Geisel verloren, nachdem den Deutschen Stalins Äußerung bekannt geworden war: „Es gibt keinen Sohn Stalins in deutscher Gefangenschaft.“ Mit diesen Worten lehnte er den Austausch seines Sohnes gegen deutsche Generäle ab, die sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befanden.

Gebäudeplan des Konzentrationslagers Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin: Ganz oben am rechten Rand sind die vier Sonderhäuser für prominente Häftlinge eingezeichnet. Die Gefangenen leben dort hinter Mauern streng isoliert und kommen aus Gründen der Geheimhaltung nie mit dem allgemeinen Schutzhaftlager in Berührung.

Doch Anfang 1943 erlebt Dschugaschwili im KL Sachsenhausen eine Überraschung, die ihn sprachlos macht. Als er in die Wachstube des Zellenbaus befohlen wird, steht vor ihm sein alter Freund Wassilij Wassiljewitsch Kokorin, Leutnant der Luftstreitkräfte der Roten Armee und Neffe des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, der am 11. April 1942 im Fronteinsatz gefangengenommen worden ist.2 Die beiden Freunde werden nun zusammen ins Sonderlager A eingewiesen, in dem sich zu dieser Zeit bereits vier Iren befinden: Patrick O’Brien, Thomas J. Cushing, William Murphy und Andrew Walsh.

Welches Geheimnis mit diesen Gefangenen verbunden ist, deckt nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Illustrierte Stern auf: „Die vier Iren gerieten 1940 bei Calais in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sie gaben sich als Mitglieder der antibritischen Freiheitsbewegung Irlands aus. Solche Leute waren für die Deutschen interessant. Die Abwehr holte sie aus den Gefangenenlagern Landsdorf und Friesack heraus, brachte sie in einer komfortablen Wohnung in der Berliner Hohenstaufenstraße unter und bildete sie für Spezialaufgaben aus. Cushing, der schon als irischer Freiheitskrieger, als panamesischer Söldner, roter Spanienkämpfer und amerikanischer wie britischer Soldat viele Abenteuer bestanden hatte, sollte mit einem Kommandotrupp die Schleusen des Panamakanals in die Luft jagen.

Walsh bekam den Auftrag, mit dem Fallschirm über Schottland abzuspringen und ein großes Industriewerk zu sprengen. Er machte nur zum Schein mit. Seinem Kameraden Cushing vertraute Walsh an, er wolle sich gleich nach dem Absprung den Engländern stellen. Kurz vor seinem Einsatz wurde er in Trondheim (Norwegen) von der Gestapo verhaftet. Walsh ist überzeugt, daß Cushing ihn und die anderen verraten habe. Cushing verteidigt sich: ’Die Gestapo muß wohl mein Gespräch mit Walsh mitgehört haben.‘

Walsh wurde in das Sonderlager A in Sachsenhausen gebracht. Weil die Gestapo sichergehen wollte, sperrte sie Cushing und die anderen Iren gleich mit dazu.“

Der Massenmord im Wald von Katyn


Im Sonderlager A, das für prominente Gefangene vorgesehen ist,3 erwarten die Internierten bessere Lebensverhältnisse als im übrigen Konzentrationslager, in dem grauenvolle Lebensbedingungen herrschen. „Die Häftlinge“, berichten die Stern-Reporter Edmund Brettschneider und Arnim von Manikowsky, „lebten in Einzel- und Doppelzimmern, bekamen ordentliches Essen aus der Truppenküche des Wachbataillons, hatten eigene Waschräume und Toiletten. Sie konnten unter den Kiefern im Lager Fußball spielen, hatten Blumen in der Baracke, bekamen Bücher und Zeitungen – das NS-Organ ’Völkischer Beobachter‘ natürlich. Sie erhielten Liebesgaben-Pakete, und der Wachführer Jüngling (die Iren nannten den 184 cm großen Zweizentnermann ’Big Jim‘) verteilte freigebig Zigaretten, die General Papagos (auch vor ihm liegt noch der Weg nach Niederdorf, Anm. d. Verf.) und die anderen Griechen in der Nachbarbaracke jenseits des Stacheldrahts übrig hatten.

Zwar gab es den Todesstreifen, den Stacheldraht, den elektrischen Zaun und die Mauer ringsum und nachts die Wachen mit den scharfen Hunden – aber von dem Grauen im Konzentrationslager hinter der Mauer merkten die Sonderhäftlinge nichts.“

Doch dies alles kann Dschugaschwili nicht darüber hinwegtäuschen, daß er ein Gefangener der verhaßten Deutschen ist. Er leidet unter der Internierung und sehnt sich nach der Rückkehr in die Heimat. Vor allem zieht es ihn zu seinem Vater, den er als „Vater aller Russen“ anbetet. Um so entsetzter ist er, als er vom Massenmord im Wald von Katyn bei Smolensk erfährt, den Stalin angeordnet hat. Im April 1940 wurden dort 4143 polnische Kriegsgefangene, in der Mehrzahl Offiziere, aus dem Sonderlager Kosjelsk von einem Sonderkommando der sowjetischen Geheimpolizei NKWD erschossen.4

Stalins Sohn nimmt sich das Leben


Aber das Verbrechen, über das die Mörder den Mantel des Schweigens breiten wollten, wird entdeckt. Einheimische machen die deutsche Geheime Feldpolizei im Februar 1943 auf die gespenstische Hinrichtungsstätte von Kosi-Gory (zu deutsch: „Ziegenberge“), wie dieser Teil des Katyner Waldes heißt, aufmerksam, und am 13. April läßt Goebbels zum erstenmal über den Rundfunk die Nachricht von der Ermordung der Polen ausstrahlen.5 Der Reichspropagandaminister will mit der Enthüllung der Tragödie von Katyn einen Keil zwischen die Sowjetunion und ihre westlichen Verbündeten treiben.

Die Meldung erregt internationales Aufsehen und dringt natürlich auch ins Sonderlager A, wo für Stalins Sohn eine Welt zusammenbricht. „Als Unterscharführer (Karl) Jüngling am Mittag des 14. April 1943 das Essen austeilen ließ“, berichten die Stern-Reporter, „hielt er Jakob Stalin eine Zeitung unter die Nase: ’Herr Oberleutnant! Hier sehen Sie, was Ihre Leute für eine Schweinerei gemacht haben.‘“

Dschugaschwili erleidet einen Schock und ist nicht mehr zu beruhigen. „Er rannte aus der Baracke“, heißt es im Stern-Bericht weiter, „und lief den ganzen Nachmittag wie von Sinnen zwischen den Kiefern umher. Walsh ging ihm nach und versuchte, ihn zu beruhigen. Bei Einbruch der Dunkelheit wollte Unterscharführer Jüngling wie gewöhnlich die Gefangenen in der Baracke einschließen. Walsh ging zu den anderen hinein, aber Jakob Stalin weigerte sich. Er verlangte unablässig, den Lagerkommandanten, (SS-Obersturmbannführer) Anton Keindel (richtig: Kaindl, Anm. d. Verf.) zu sprechen. Als Jüngling ihn auf den nächsten Tag vertröstete und auf seiner Ablehnung beharrte, schrie ihn Jakob in gebrochenem Deutsch an: ’Herr Unteroffizier! Sie sind Soldat, seien Sie nicht feige und erschießen Sie mich.‘“

Als der Wachführer der Aufforderung des Verzweifelten nicht nachkommt, macht Dschugaschwili schließlich seinem Leben selbst ein Ende. Walsh bemerkt vom Barackenfenster aus, wie der Oberleutnant plötzlich mit einem Sprung über den Todesstreifen setzt, um sich in den elektrischen Draht zu stürzen. Dann sieht er einen blauen Blitz und hört einen Schuß, den der SS-Posten, der SS-Rottenführer Konrad Harfich, auf den Selbstmörder abgegeben hat. Dschugaschwili ist sofort tot.

Die Behauptung, daß Stalins Sohn ein handfester Streit zwischen seinen Mitgefangenen in den Tod getrieben habe,6 erweist sich später als falsch. Jüngling erklärt den Stern-Reportern, die dem Fall auf den Grund gehen: „Ernsthaften Streit hat es zwischen den Iren und Russen nie gegeben, nur manchmal die üblichen Reibereien, weil die russischen Offiziere nicht für die englischen Unteroffiziere saubermachen wollten.“ Walsh schließt sich dieser Aussage an: „Von einer Prügelei kann schon gar nicht die Rede sein.“ Und Cushing, der zuerst vor einer Sonderkommission des Reichssicherheitshauptamtes auf einen angeblich folgenschweren Streit mit Handgreiflichkeiten zwischen Kokorin und O’Brien hingewiesen...

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