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E-Book

»Steine in Hitlers Fenster'

Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940-1945

AutorSonja Valentin
VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl335 Seiten
ISBN9783835328136
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Die BBC-Radiosendungen des Nobelpreisträgers als Zeugnis seines politischen Engagements aus dem Exil. »Es ist die Stimme eines Freundes, eine deutsche Stimme; die Stimme eines Deutschland, das der Welt ein anderes Gesicht zeigt und wieder zeigen wird als die scheußliche Medusen-Maske, die der Hitlerismus ihm aufgeprägt hat.' Thomas Mann, Nobelpreisträger und Exponent der durch den Nationalsozialismus deklassierten deutschen Kultur, richtete diese Worte am 19. März 1941 über die BBC an seine Hörer in Deutschland. Die insgesamt 58 Deutsche Hörer!-Sendungen sind ein herausragendes Beispiel für das politische Engagement eines Schriftstellers im Kampf gegen Faschismus und Barbarei. »Steine in Hitlers Fenster' - so nannte Thomas Mann seine flammenden Plädoyers, mit denen er die Deutschen wachrütteln und zum Widerstand bewegen wollte. In der Forschung fanden Thomas Manns BBC-Reden kaum Beachtung. Die Rundfunktexte ließen sich mit dem traditionellen Bild des politikfernen Dichters nur schwer vereinbaren und führten neben seinen Romanen, Erzählungen und Essays ein Schattendasein. »Steine in Hitlers Fenster' bietet die erste umfassende Dokumentation und Analyse der Deutsche Hörer!-Sendungen Thomas Manns und würdigt sie als bedeutsamen Bestandteil seines Gesamtwerkes.

Sonja Valentin, geb. 1971, studierte Germanistik, Anglistik und Journalistik in Hamburg und London. Es folgten diverse Theater- und Filmprojekte, u. a. mit Karin Beier, Peter Zadek und István Szabó. Nach Stationen am Goethe-Institut in London und am Wiener Burgtheater arbeitete sie als Dramaturgin an verschiedenen Theatern in Hamburg, London und Berlin.

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Leseprobe

II. Die Macht am Mikrophon
Psychologische Kriegsführung im Äther


1. »Hier ist England!« – Der Deutsche Dienst der BBC


Die psychologische Kriegsführung ist im wesentlichen eine Hilfswaffe. Sie kann von sich aus keine Siege erringen. Sie muß innerhalb der Grenzen der nationalen Politik funktionieren und diese Politik widerspiegeln, selbst wenn sie schlecht oder dumm ist.

Hugh Carleton Greene1

Die British Broadcasting Corporation wurde 1922 als privatrechtliches Unternehmen gegründet und ist seit 1927 eine öffentlich-rechtliche Institution. Der deutschsprachige Dienst der BBC existierte ab September 1938 und stellte am 31. März 1999, relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit, seine Arbeit ein.2

Die erste Sendung wurde am 27. September 1938 ausgestrahlt, zu der Zeit, als mit dem Münchener Abkommen der britischen Regierung die Gefahr eines bevorstehenden Krieges bewusst wurde. Jede Sendung begann mit folgender Ansage: »This is London calling in the European Service of the BBC. London calling Europe!« Daran anschließend: »Hier ist England! Hier ist England! Hier spricht der Deutsche Dienst der BBC!«

Der Abspann war gleichlautend mit ausführlicher Angabe der Sendezeiten und Wellenlängen. Als akustische Kennmarke erklangen von September 1938 bis zum 27. Juni 1941 die Anfangstakte von Jeremiah Clarkes Komposition Trumpet Voluntary; vom 28. Juni 1941 bis zum 8. Mai 1945 gab es zu Beginn jeder Sendung die dreimalige Wiederholung der ersten vier Noten von Beethovens 5. Symphonie, gespielt auf einer Pauke.3 Das Gesamtprogramm des Deutschen Dienstes dauerte zu Beginn etwas weniger als vier Stunden pro Tag und wurde ausgestrahlt in Sendeblöcken von 15 bis 30 Minuten. Alle Sendungen wurden in eine der folgenden Kategorien eingeteilt: Nachrichten (»news«), Hintergrundberichte und Dokumentationen (»features«), Ansprachen (»talks«).

Während die Feature-Sendungen hauptsächlich satirisch im Ton und in ihrer sprachlichen Gestaltung unkonventionell waren, sollten die Ansprachen (»talks«) seriös und anspruchsvoll sein. Um Propaganda ging es in beiden Fällen, doch den Ansprachen lag eine andere Propagandastrategie zugrunde, auf die im Folgenden noch näher einzugehen sein wird.

Erfunden von BBC-Regisseuren, genossen die »broadcast talks« seit der Gründung der BBC im Jahr 1922 einen hohen Stellenwert und spielten bis in die 1960er Jahre eine zentrale Rolle in allen Programmbereichen der Rundfunkanstalt. Sie trugen maßgeblich bei zur exzellenten Reputation, die die BBC im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Neutralität in der Berichterstattung weltweit genoss.4

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren die BBC-Redakteure hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen der unterschiedlichen Sendeformate bereits sehr erfahren.5 Leonard Miall, damals ein junger Angestellter, der später als Redakteur und Mitglied der »British Political Warfare Mission« in den USA für Thomas Mann ein wichtiger Ansprechpartner sein sollte, führte 1939 den Begriff »news-talk« ein.6 Der Begriff stand für Nachrichtenkommentare zu aktuellen Themen. Von 1939 bis 1945 wurden »talks« und »news-talks« bei der BBC zu politischen, sozialen und militärischen Themen von bekannten Sprechern präsentiert, darunter Sefton Delmer, ehemaliger Berliner Korrespondent des Daily Telegraph, Lindley Fraser7 sowie die späteren Politiker Richard Howard Stafford Crossman und Patrick Gordon-Walker.

Von allen Sprechern, deren Worte die BBC während des Krieges nach Deutschland sendete, war Thomas Mann zweifellos der berühmteste.8 Unabhängig von seinem weltweiten Bekanntheitsgrad als Schriftsteller und Nobelpreisträger genoss er aufgrund seines demonstrativen Protestes gegen Hitler-Deutschland Glaubwürdigkeit und Respekt.

Spätestens 1937, mit der Veröffentlichung seines Briefes an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn9, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und in vielen Ländern verbreitet wurde, war bekannt, welchen Standpunkt Thomas Mann eingenommen hatte.

Für die folgende Untersuchung der Deutsche Hörer!-Sendungen als wichtiger Bestandteil der britischen Kriegspropaganda sollen die maßgeblichen Ziele und Schwerpunkte des deutschsprachigen Programms der BBC hier vorgestellt werden. Die Richtlinien, festgehalten in einem Dokument vom 3. September 194010, galten auch für die Reden, mit denen Thomas Mann sich am britischen Ätherkrieg gegen Hitler-Deutschland beteiligte. Inwieweit er sich an die Vorgaben hielt oder davon abwich, gilt es anhand der einzelnen Deutsche Hörer!-Sendungen zu überprüfen.

Layout of BBC broadcasts in German

There are four main objects in foreign broadcasting in time of war:

(1) to convince the audience that we are likely to win; (2) to make them want us to win; (3) to undermine the listener’s morale by confusing him, and (4) to invite listeners to passive and, later on, to active resistance. […]

The primary purpose of the broadcasts is to fulfil the first two objectives, […] to convince the Germans that we are going to win the war and to make it seem desirable or at any rate tolerable that we should do so. No hard and fast distinction can be made between news and other forms of propaganda, but on the whole news is the primary means of convincing the Germans, first that they may lose, and later on that they will lose.

In addition to this, the news can help to build up a new point of view in the listener. […]

If we are to convince the Germans that we have a tolerable or even workable alternative for Europe, this must be done by means of programmes designed to re-educate the listener in Western European modes of thought and to put before him an alternative to the Nazi view of the world.11

Who are the broadcasts meant for?

Clearly this sort of propaganda is meant for those who are likely converts to our point of view or will have influence on the course of events before and after the German collapse.

They include army officers, party officials, government officials, people occupying responsible positions in industry, skilled workers, […] farmers and, as important as any of the other classes, the women of Germany who have a common interest in the safety of their menfolk.

The optimum listening time

The strain and danger of listening to foreign broadcasts in Germany has probably been exaggerated, but is certainly considerable.12

[…] As a general rule a quarter of an hour or 20 minutes at the most is probably the most effective. In the early morning for reasons which are common to all countries […], 10 minutes is probably the maximum effective period, i. e. 5 minutes news plus 5 minutes talk.13

Differentiation of Appeal

Each programme period must contain at least some news in the strict sense of the word but in many cases a short news summary may be more effective than a full news bulletin, and leave space for other forms of propaganda. […] Talks, discussions, news commentaries, feature programmes and music, […] all have their place in a balanced programme. […] Good material can often be used several times over in programmes directed to different sections of the audience.

 

Im Zusammenhang mit den zielgruppenspezifischen Sendeformaten ist ein Hinweis wichtig, der sich auf die Deutsche Hörer!-Sendungen und die nach Einschätzung der BBC optimale Ausstrahlungszeit der Ansprachen beziehen lässt:

The »intelligentsia« period from 12.30 to 1 and from 2.45 to 3 would be primarily designed for upper middle class listeners who have or had strong ties with traditional Western European civilisation. In addition to the news commentary of the ordinary kind, they would contain news of a more specialised kind […]. The remainder of these periods would be devoted to talks14, discussions, features, book reviews and musical programmes designed to re-educate the listener in civilised ways of thought. […]

The period from 10.15 (pm) to 10.30 (pm) corresponds with 12.15 to 12.30 German Summer Times. It must be supposed that the audiences that stay up for this period are tougher and keener than most. This period gives a chance of appealing to the élite who will make the next German revolution and who, we hope, will run the country afterwards. […] Listeners at this time of night can be assumed to be more sympathetic to the allied cause than those at other times.15

Es wird im Einzelnen noch zu zeigen sein, welche der von der BBC hier programmatisch vorgegebenen Richtlinien sich in Thomas Manns Deutsche Hörer!-Reden wiederfinden und welche davon abweichen.

2. Rundfunk und Propaganda im Nationalsozialismus


In einer Diktatur sind die Medien, insbesondere die Massenmedien, ein entscheidendes machtpolitisches Instrument. Die Nationalsozialisten verwandten viel Mühe auf eine möglichst umfassende Nachrichtenkontrolle im deutschen Presse- und Rundfunkwesen.

...
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Umschlag1
Titel4
Impressum5
Inhalt6
I. Einleitung8
II. Die Macht am Mikrophon. Psychologische Kriegsfu?hrung im Äther14
1. »Hier ist England!« – Der Deutsche Dienst der BBC14
2. Rundfunk und Propaganda im Nationalsozialismus19
3. Die Zusammenarbeit zwischen Thomas Mann und der BBC23
4. Die Deutsche Hörer!-Sendungen als Instrument der psychologischen Kriegsfu?hrung47
5. »Meine eigene Stimme« – Thomas Mann spricht selbst53
III. »Where I am, there is Germany«. Thomas Manns Situation als Emigrant64
1. Thomas Mann im amerikanischen Exil64
2. Der Anspruch auf Repräsentanz deutscher Kultur70
3. »Ich habe ihn gekannt, geliebt und verehrt«. Thomas Mann und Franklin Delano Roosevelt73
4. Der Briefwechsel mit Agnes E. Meyer81
5. Bekenntnis zur Politik: Die Bedeutung des Briefwechsels fu?r Thomas Manns Deutsche Hörer!-Sendungen84
6. Robert Gilbert Vansittart und Black Record (Exkurs I)89
IV. »Es ist die Stimme eines Freundes«. Thomas Mann am Mikrophon95
1. Die Radiosendungen Deutsche Hörer! von Oktober 1940 bis Mai 194495
2. Analyse der Reden (I)99
3. »Wider den undeutschen Geist«. Die Bu?cherverbrennung vom 10. Mai 1933 als Ausdruck nationalsozialistischer Kulturpolitik (Exkurs II)196
4. Analyse der Reden (II)200
5. Zusammenfassung232
V. »Was soll man ihnen sagen?« Thomas Manns letzte Reden an seine deutschen Hörer237
1. Die Sendepause zwischen Mai 1944 und Januar 1945237
2. Gru?nde fu?r die Wiederaufnahme der Sendungen241
3. »Wir wollen von Schuld nicht reden«. Die Deutsche Hörer!-Sendungen von Januar bis Mai 1945244
VI. »Du hast einen anderen Geist als wir«. Der Disput um Thomas Manns Ru?ckkehr nach Deutschland258
1. Die »große Kontroverse«: Thomas Mann im Streit mit den Vertretern der »inneren Emigration«258
2. »Kommen Sie bald zu Rat und Tat«. Walter von Molo bittet Thomas Mann um Ru?ckkehr nach Deutschland267
3. »Warum ich nicht nach Deutschland zuru?ckgehe«. Thomas Manns Brief nach Deutschland271
4. Frank Thieß und die »innere Emigration«276
5. Das zerschnittene Tischtuch: »Abschied von Thomas Mann«280
6. Gottfried Benns »Antwort an die literarischen Emigranten« (Exkurs III)282
7. Thomas Manns letzte Deutsche Hörer!-Sendung und die Zuspitzung der »großen Kontroverse«285
8. »Man gönne mir mein Weltdeutschtum …«. Analyse der Radioansprache vom 30. Dezember 1945286
VII. »Wollt ihr Thomas Mann wiederhaben? «Reaktionen auf Thomas Manns BBC-Reden291
1. Hass und Gehässigkeit: deutsche Intellektuelle gegen Thomas Mann nach 1945291
2. Thomas Mann, ein »unwissender Magier«?297
3. Reaktionen auf Deutsche Hörer!302
3.1 Stimmen aus Deutschland303
3.2 Stimmen aus Großbritannien310
3.3 Stimmen aus den USA311
VIII. Schlussbetrachtung318
Literatur323
Dank333
Register334

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