Prolog
Ein nicht besonders viel versprechender Anfang
Männer kommen vom Mars, weil sie den Flug zur Venus verpasst haben. Wann genau wir in Richtung Flughafen aufbrechen müssen, ist immer ein Thema gewesen, das meine Frau und ich aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Ich denke: spät genug, um es aufregend zu machen. Sie denkt: früh genug, um vor dem Abflug mit eventuell auftretenden Autoschlangen, geplatzten Reifen, zollfreien Einkäufen und mehrgängigen Mahlzeiten fertig zu werden.
Ich bin jahrelang im letzten Moment zum Flughafen aufgebrochen und habe nie einen einzigen Flug verpasst. Vor ungefähr 18 Monaten sind wir nach Martha’s Vineyard umgezogen, wo wir die Fahrtzeit zum Flughafen genau berechnen können, da es außerhalb der Saison nur wenig Straßenverkehr gibt und der Flughafen sehr klein ist – ungefähr so groß wie der in der Fernsehserie „Wings“, nur halt noch kleiner. (Zumindest war das so, als ich mit diesem Buch anfing, mittlerweile hat ein neuer Flughafen seine Tore geöffnet.)
Nur wenige Monate nach unserem Umzug mussten wir eines Morgens einen Flug nach Boston erwischen. Ich vertraute so sehr darauf, den Zeitraum, den unsere Fahrt zum Flughafen beanspruchen würde, genau vorhersagen zu können, dass ich unser Haus – das ungefähr 20 Autominuten vom Flughafen entfernt ist – nur 35 Minuten vor der voraussichtlichen Abflugzeit unseres Flugzeugs verließ. Die Fahrt dauerte dann ein paar Minuten länger als sonst, da wir in einer einspurigen Straße mit Überholverbot hinter einem besonders langsamen Fahrer steckten. Plötzlich beschlich mich der Gedanke, dass ich die Reisezeit vielleicht doch etwas zu knapp berechnet hatte.
„Wir schaffen das noch“, versuchte ich meine Gattin zu beruhigen, „aber nur noch gerade so.“ Sie schien skeptisch – meiner Meinung nach irrational skeptisch. Nur zehn Minuten vor dem planmäßigen Abflug erreichten wir endlich die Einfahrt des Flughafens. Obwohl der Parkplatz nur ein paar Meter vom Terminal entfernt ist, ließ ich Jo Ann aus dem Wagen und trug ihr auf: „Sag Bescheid, dass wir hier sind.“
Als ich etwa eine Minute später zurückkehrte, traf ich meine Gattin, die mit sorgenvoller Miene auf mich wartete. Etwas verwirrt darüber, sie immer noch am selben Fleck zu sehen, fragte ich: „Was ist denn los?“
„Der Flieger ist weg“, antwortete sie mit einer Stimme, die zwischen Enttäuschung und „Hab ich’s dir nicht gesagt?“ schwankte.
„Was soll das heißen, der Flieger ist weg?“, fragte ich mit einem Blick auf meine Uhr, obwohl ich genau wusste, wie viel Uhr es war. „Es ist doch erst acht Minuten vor zehn!“
Also ging ich selbst in das Flughafengebäude, voller Wut darüber, dass eine kleine Propellermaschine vor der planmäßigen Abflugzeit ohne uns gestartet war. „Ich kann das einfach nicht verstehen“, sagte ich zu der Frau am Schalter und bereitete mich innerlich bereits darauf vor, den geschädigten Kunden abzugeben.
Die Dame hätte nicht freundlicher sein können. „Unsere Flugzeuge starten, sobald alle Fluggäste eingetroffen sind. Da Sie uns nicht über Ihre Verspätung informiert haben, mussten wir einfach annehmen, dass Sie nicht mehr kommen. Wenn Sie angerufen hätten, hätten wir noch gewartet.“ Ich wusste sofort, dass das stimmte, denn so funktionieren die Dinge hier in Martha’s Vineyard. Wie konnte ich nach dieser Erklärung noch auf irgendjemand wütend sein außer über mich selbst?
Lassen Sie uns jetzt schnell vorspulen auf einen Zeitpunkt ungefähr sechs Monate später – als ich gerade anfing, die Fakten und Interviews für dieses Buch zu sammeln. Ich muss diesmal ein Flugzeug erwischen, das die erste Etappe in einem äußerst komplizierten Termin- und Flugplan darstellt, der mich innerhalb von vier Tagen durch vier Bundesstaaten bringen soll, in denen ich sechs Interviews durchführen möchte. In einem derartigen Zeitplan gibt es keine Freiräume für irgendwelche verpassten Flüge.
Da ich aus Erfahrungen lerne, vergewissere ich mich diesmal genau, rechtzeitig das Haus zu verlassen und genügend Zeit für alle möglichen Eventualitäten einzuplanen. Auf der Hinfahrt bemerkt Jo Ann, die mich zum Flughafen bringt, dass mein blaues Sakko voller Fusseln ist. Sie erteilt mir den äußerst nützlichen Ratschlag, das Personal am Schalter um etwas Klebeband zu bitten, mit dem ich die Fusseln entfernen kann. Als wir ankommen, habe ich noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit. Wir halten an und ich verabschiede mich von meiner Frau. Nach dem Check-in setze ich mich eine Weile in den Warteraum, bis ich merke, dass mir eigentlich noch genügend Zeit bleibt, mich um die Fusseln an meiner Jacke zu kümmern. Also gehe ich zum Schalter und bitte um Klebestreifen.
In der kleinen Wartehalle befinden sich in diesem Moment ungefähr ein Dutzend Menschen. Ein paar Minuten später kommt die Durchsage für meinen Flug: „Die Fluggäste der Abteilung 1, Sitze eins bis acht, bitte einsteigen.“ Also krame ich meine rote Boardingkarte, die wie ein Plastikumschlag aussieht, hervor und sehe, dass vorne ganz groß die Zahl „11“ draufsteht. „Wie süß“, denke ich noch, „dass sogar ein so kleines Flugzeug auch noch in zwei Etappen bestiegen wird.“ Ich setze mich also wieder hin und widme mich meinen Fusseln.
Eine Zeit lang sitze ich so da und bekämpfe Fasern, ohne an irgendetwas Besonderes zu denken. Plötzlich wird mir die Realität mit einem Schock wieder bewusst. Blitzschnell überkommt mich die Erkenntnis, dass seit der Durchsage für die erste Passagiergruppe bestimmt fünf oder zehn Minuten vergangen sein müssen. Ich schaue mich in der Wartehalle um und erkenne zu meinem Schreck, dass sie so gut wie menschenleer ist. Ich springe auf, renne durch die Tore zu den Landebahnen und sehe ein kleines Flugzeug, dessen Propeller schon laufen. Ich rufe: „Wartet!“ und wedle wie wild mit den Armen, während ich auf die Maschine zustürze. Vor meinem inneren Auge kann ich schon sehen, wie meine ganze, genau geplante Reise – alle vier Tage, vier Bundesstaaten und sechs Interviews – mit einem Schlag ins Wasser fällt.
Ein Angestellter meiner Fluglinie tritt mir in den Weg. Ich winke mit meiner roten Boardingkarte. „Sie gehen erstmal nirgendwo hin“, sagt er mit fester Stimme. Ich denke natürlich sofort, dass es zu spät ist und ich das Flugzeug verpasst habe. Doch dann sagt er: „Ihre Abteilung fliegt erst in fünf Minuten.“ Erst jetzt finde ich heraus, dass sich das Wort „Abteilung“ im Flughafen Martha’s Vineyard auf ein anderes Flugzeug bezieht!
Ich schleiche mich also wieder zurück auf meinen Warteplatz. Da die Panik jetzt abklingt, werde ich mir der Situation wieder voll bewusst und erkenne das wahre Ausmaß meiner Dummheit. Ich hatte mich nicht mehr so beschämt gefühlt, seit ich einer Verwandten, die ich nicht sehr oft zu Gesicht bekam, die Frage stellte, wann denn das „freudige Ereignis“ bevorstehe, nur um zu erfahren, dass ihr Baby schon zwei Monate vorher zur Welt gekommen war. Offensichtlich hatte sich das Gewicht meiner Verwandten noch nicht wieder normalisiert. Peinlich.
„Na ja“, höre ich Sie jetzt sagen, „das ist eine amüsante Anekdote – vielleicht –, aber was hat das mit der Börse und Geldanlagen zu tun?“ Ganz einfach: Wenn Sie zu sehr damit beschäftigt sind, sich die Fusseln von Ihrer Jacke zu entfernen, könnten Sie Ihren Flug verpassen. Anders ausgedrückt: Man sollte sich nie so sehr den Details widmen, dass man darüber die Gesamtperspektive verliert. Hier folgen einige Beispiele für diese Art von Kurzsichtigkeit:
Ein Trader, der sehr ausgiebig recherchiert, um die vielversprechendsten Hersteller neuer Technologien ausfindig zu machen, und darüber vergisst, dass Kursanstiege in diesem Wirtschaftsbereich um über 70 Prozent in den letzten sechs Monaten auf eine Marktumgebung hinweisen, die außergewöhnlich hohe Risiken birgt.
Ein Trader, der die Bilanzen und Jahresberichte eines Unternehmens überprüft und dabei nicht erkennt, dass die sprunghaft ansteigenden Unternehmensgewinne auf ein einziges Produkt zurückzuführen sind, dessen zukünftige Absatzmöglichkeiten durch den Markteintritt neuartiger Konkurrenzprodukte bedroht sind.
Ein Trader, der viel Zeit damit verbringt, bessere Methoden für sein Einstiegstiming zu finden, und dabei völlig vergisst, sich zu fragen: Wann und wie soll ich aus meiner Position aussteigen? Wie kann ich mein Risiko minimieren?
All diese Beispiele enthalten dieselbe Botschaft: Man sollte nie die Gesamtperspektive verlieren, sondern immer den gesamten Markt oder Sektor im Auge behalten, anstatt sich ausschließlich auf eine einzige Aktie zu konzentrieren. Man sollte den qualitativen Faktoren genügend Aufmerksamkeit schenken und sich nicht nur mit den derzeit verfügbaren...