2 Marktbedingungen beachten
Neben den Änderungen im Kommunikationsbereich sind für die Marktkommunikation vor allem noch die grundlegenden Änderungen der Marktbedingungen zu beachten. Es handelt sich hauptsächlich um die Marktsättigung und die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen der Konsumenten.
2.1 Gesättigte Märkte
»Gekauft wird nicht, was gebraucht wird. Gebraucht wird nur das Kaufen selbst.«
(Marion Gräfin Dönhoff)
Weltweit gelten 75% aller Märkte als gesättigt (Harrigan, 1989). Auf gesättigten Märkten ist das Marktpotential weitgehend ausgeschöpft. So besitzen beispielsweise in Deutschland 95% aller Haushalte Waschmaschinen und 100% Kühlgeräte (Statistisches Bundesamt, 2013). Ein Anbieter kann seinen Anteil an einem Produkt oder Dienstleistungsmarkt nur noch zu Lasten anderer Anbieter wesentlich vergrößern. Das bedeutet im Vergleich zu wachsenden Märkten verstärkte Konkurrenz und Verdrängungswettbewerb.
Auf diesen Märkten sind die Produkte im Allgemeinen ausgereift. Sie weisen kaum noch innovative Eigenschaften auf. Die objektive und funktionale Qualität der von verschiedenen Anbietern auf den Markt gebrachten Produkte und Dienstleistungen (Marken) gleicht sich mehr und mehr an.
Austauschbare Angebote: Die geringen Qualitätsunterschiede führen zu austauschbaren Angeboten. Beispiele bietet die austauschbare Qualität von Marken auf dem Markt für Bier oder Zigaretten, für Kühlschränke oder Elektroherde, ja sogar für bestimmte Autotypen, wie Kompaktwagen. Bei Dienstleistungen ist an die austauschbar gewordenen Angebote von Banken und Versicherungen oder von Fluglinien zu denken. Es darf deshalb nicht verwundern, dass Testergebnisse oft nur marginale Unterschiede zwischen Marken aufweisen: In 102 Tests der Stiftung Warentest wurden 85% der getesteten Produkte gleich mit »gut« bewertet (Michael, 1994).
Hinzu kommt, dass sich die Konsumenten auf den gesättigten Märkten einer hochentwickelten Industriegesellschaft weitgehend auf die Qualität der angebotenen Güter verlassen können, nicht zuletzt wegen der verbraucherpolitischen Maßnahmen.
Unter diesen Marktbedingungen können sich die verschiedenen Anbieter kaum noch auf objektive Produkt- und Leistungsvorteile gegenüber ihrer Konkurrenz berufen.
Kanter stellte bereits 1981 fest, dass die meisten Konsumenten in den europäischen Staaten die Qualität führender Marken auf typischen Konsumgütermärkten ungefähr gleich einschätzen. Diese wahrgenommene Markengleichheit spiegelt sich auch in einer Untersuchung der Werbeagentur BBDO Consulting (2009) wider ( Abb. 7). Kurz gesagt: Die objektive und funktionale Qualität der angebotenen Produkte und Dienstleistungen wird mehr und mehr zu einer Selbstverständlichkeit. Mehr noch: In ihrer internationalen Studie »Meaningful Brands« mit 134.000 Konsumenten in 23 Ländern kommt Havas Media zu dem Ergebnis, dass 73 Prozent aller Marken aus Sicht der Konsumenten überflüssig sind. 2011 waren es noch 70 Prozent (Havas Media Group, 2013).
Abb. 7: Wahrgenommene Markengleichheit in Deutschland
(Quelle: BBDO Consulting, 2009)
Nachlassendes Informationsinteresse: Das hat Folgen für die Bedeutung der Produktinformationen. Angaben über ausgereifte Güter ohne innovative Eigenschaften und über geringe, oft triviale Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Anbietern, sind für den Konsumenten nur noch von untergeordnetem Interesse.
Entgegen ideologischen Behauptungen, die Konsumenten würden informationsbewusster, lässt das Interesse an Qualitätsinformationen auf vielen Märkten nach. Das wird auch in einer von der Allensbacher Werbeträgeranalyse ausgewiesenen Schlüsselzahl zum Ausdruck gebracht.
Dabei ist zu beachten, dass bei Befragungen weit mehr Interesse geäußert wird als tatsächlich vorhanden ist. Zudem wird in vielen Situationen – wie Zeitdruck oder Informationsüberlastung – so gehandelt, als ob das Produktinteresse gering sei.
Von der erwachsenen Bevölkerung über 14 Jahren äußerten 1979 insgesamt 30% besonderes Interesse an den Ergebnissen von Warentests, 1986 waren es weniger als 25%, im Jahr 2014 nur noch 15% (AWA, 2014).
Versagen der informativen Werbung: Qualitätsinformationen bieten auf gesättigten Märkten nur schwache Anhaltspunkte für Markenpräferenzen.
Die Werbung kann demzufolge kaum noch mit Informationen über die sachliche Qualität argumentieren. Wenn sie nicht bloß Pseudovorteile der angebotenen Produkte und Dienstleistungen hervorheben will (»wäscht noch weißer, fährt noch schneller, bietet noch mehr Sicherheit«), ist sie darauf angewiesen, das Erlebnisprofil der angebotenen Produkte und Dienstleistungen in den Mittelpunkt zu stellen (auf diese Positionierungsstrategie wird in Kapitel C.5 eingegangen).
Aus Inhaltsanalysen amerikanischer Werbung geht hervor, dass im Zuge der Marktentwicklung und des Ausreifens von Produkten und Dienstleistungen die informative Werbung mit ihren rationalen Appellen immer mehr abnimmt (Leiss et al., 2005, S. 75, 168 ff.).
Nicht zu übersehen ist, dass die informative Werbung auf gesättigten Märkten leicht zu einem austauschbaren Auftritt führen kann:
Bei austauschbarer Qualität beziehen sich die Informationen eines Anbieters zwangsläufig mehr oder weniger auf gleiche oder ähnliche Eigenschaften wie die Qualitätsinformationen der konkurrierenden Anbieter. Dadurch werden die in der Werbung angebotenen Informationen austauschbar. Ein Beispiel dafür stellte 1998 die »Euro-Manie« der Banken dar: Alle deutschen Banken vermittelten in ihrer Werbung gleichermaßen Informationen zum Euro, um dadurch ihre Kompetenz zu manifestieren. Aus Sicht der Kunden waren diese Maßnahmen nichts anderes als ein informativer Einheitsbrei, der keine Differenzierungsmöglichkeit zwischen Banken bot. Ein weiteres Beispiel bildet die Airbag-Welle Mitte der 1990er Jahre in der Automobilwerbung, durch die die Sicherheit der Fahrzeuge unter Beweis gestellt werden sollte.
Neuerdings sind es die Touchscreens bei Smartphones und die Darstellung der Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung, die eine Austauschbarkeit darstellen.
Wir finden deswegen auf gesättigten Märkten nicht nur austauschbare Produkte und Dienstleistungen, sondern häufig auch eine austauschbare Werbung und damit eine weit verbreitete Unfähigkeit, sich wirksam gegenüber der Konkurrenz zu positionieren. Eine Positionierung setzt ja voraus, dass das eigene Angebot anders wahrgenommen wird als die Angebote der Konkurrenz.
Beispiele für austauschbare Leistungen und zugleich für einen auswechselbaren Auftritt im Laden und in der Werbung bieten die klassischen Warenhäuser Karstadt und Kaufhof.
2.2 Zunehmende Marktdifferenzierung
»Das Geheimnis, mit allen Menschen in Frieden zu leben, besteht in der Kunst, jeden seiner Individualität nach zu verstehen.«
(Friedrich Ludwig Jahn)
Sehr vereinfacht kann man modernes Marketing als ein Denken in Zielgruppen umschreiben. Um die Abnehmer mit einem Produkt oder einer Dienstleistung besser zu erreichen, teilt man den gesamten Absatzmarkt in verschiedene Marktsegmente auf. Das sind Gruppen von Abnehmern mit gleichen oder weitgehend ähnlichen Verhaltensweisen, auf die man dann die Absatzpolitik (Produktgestaltung, Werbung, Distribution usw.) abstellen kann.
Beispiele sind die Segmentierung des Marktes nach Lebensalter (Jugendliche, mittleres Alter, Senioren), nach sozialer Schicht oder psychologischer Einstellung (wie Persönlichkeitsstärke oder Gesundheitsbewusstsein), nach Lebensstil oder Beruf7.
Für die Kommunikation ist zu beachten, dass die zunehmende Marktsegmentierung zu stärkerer Differenzierung des Angebots und der Marktkommunikation führt.
Differenzierung des Angebots: Nehmen wir als Beispiel Tee: Früher gab es eine überschaubare Anzahl von Teesorten im Beutel oder lose. Der »Earl Grey« durfte in dem Angebot nicht fehlen. Heute ist die Zahl der Teesorten mit über 100 Varianten förmlich explodiert ( Abb. 8): So gibt es heute Tees für jede Jahres- und Tageszeit, wie Winterzeit- oder Sommerzeit-Tee, Gute Nacht- oder Guten Morgen-Tee, für bestimmte Anlässe, z. B. Hüttentraum oder Kaminabend, für Körper und Seele, Ländertees und Tees für bestimmte Ziel- und Altersgruppen, z....