8. KAPITEL: STRAFRECHT
8.1 Fehler im Strafrecht
Fehler Nr. 1**
(Tatkomplexeinteilung)
»Tatkomplex 1«
Die Tatkomplexeinteilung stellt eine äußerst wichtige Systematisierung des Sachverhalts dar. Aus »einem großen Sachverhalt« sollen mehrere »kleine« gebildet werden. Das Layout der Klausur gibt (etwa durch Abschnitte oder Absätze) nicht die Tatkomplexeinteilung vor, kann die erwartete Einteilung aber indizieren. Insbesondere enthält der Klausurtext jedenfalls keine Nummerierung der zu prüfenden Verhaltensweisen und damit auch keine nach Nummern vorzunehmende Einteilung der Tatkomplexe. Die Einteilung der Tatkomplexe ist allein unter inhaltlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Als grobe Leitlinie gilt, dass aus jedem eigenständigen Handlungsabschnitt ein Tatkomplex zu bilden ist. Im Zweifel sind lieber zu viele als zu wenige Tatkomplexe zu bilden, da ein höherer Grad an Differenzierung regelmäßig mehr nützt als schadet.
Bei Klausuren mit mehr als einem Handlungsabschnitt ist es zunächst essenziell für das Gelingen der Klausur, dass überhaupt eine Tatkomplexeinteilung erfolgt.
Die vom Bearbeiter gebildeten Tatkomplexe sind sodann zu benennen und zwar nicht lediglich durch eine Nummer, denn der Leser des Gutachtens weiß nicht, welche gedankliche Einteilung der Handlungsabschnitte der Bearbeiter vorgenommen hat, sodass er erst recht nicht deren Reihenfolge kennen kann. Entsprechende Nummern nützen ihm deshalb nichts und tragen nichts zur Verständlichkeit des Gutachtens bei. Die Tatkomplexbenennung soll den Handlungsabschnitt nach dessen wesentlichem Geschehen erkennbar machen. Dazu ist die zentrale Handlung des Tatkomplexes nach Inhalt, Art, Ort oder Zeit zu umschreiben. Der Leser soll nach der Lektüre des Sachverhalts anhand der Tatkomplexbezeichnung erkennen können, welcher Handlungsabschnitt jeweils begutachtet wird.
Taugliche Tatkomplexbezeichnungen können daher bspw. lauten:
»Tatkomplex: Der Plan des T«,
»Tatkomplex: Die Hotelbuchung«,
»Tatkomplex: Das Geschehen im Wald« oder
»Tatkomplex: Das Geschehen am Vormittag«.
Fehler Nr. 2**
(Tatkomplexeinteilung)
»Tatkomplex: Der Raub«
Ein methodisch äußerst schwerwiegender Mangel. Die Tatkomplexbenennung darf keinesfalls bereits die komplette Bejahung des Vorliegens einer bestimmten Straftat (hier § 249 StGB) enthalten. Für den Leser eines Gutachtens würde damit nämlich schon bei der Lektüre der Tatkomplexeinteilung feststehen, dass eine Strafbarkeit wegen Raubes gegeben ist. Diese darf aber erst nach einer entsprechenden Prüfung feststehen.
Die Tatkomplexbenennung darf daher niemals nach den amtlichen Überschriften der im StGB aufgezählten Straftatbestände bezeichnet sein. Genauso wenig darf sie aber auch einzelne Tatbestandsmerkmale vorwegnehmen. Mangelhaft wäre deshalb auch eine Bezeichnung wie: »Tatkomplex: Die Wegnahme«.
Fehler Nr. 3**
(Aufbau)
»T hat sich durch den bewaffneten Bankraub also wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB strafbar gemacht. Er könnte sich darüber hinaus auch wegen Mordes strafbar gemacht haben.«
Im strafrechtlichen Gutachten müssen grundsätzlich die in Betracht kommenden Delikte der Schwere nach geordnet in absteigender Reihenfolge geprüft werden. Das bedeutet, zu beginnen ist mit demjenigen Delikt, welches am schwersten wiegt. Dafür kommt es auf die abstrakte Strafdrohung des Gesetzes an.
Wenn das Gesetz für eine Straftat nur eine Freiheitsstrafe vorsieht, dann handelt es sich um eine schwerwiegendere Strafdrohung als für Straftaten, für die sowohl Freiheitsstrafe als auch Geldstrafe infrage kommt. Beispielsweise droht § 153 StGB für eine uneidliche Falschaussage keine Geldstrafe an. In Betracht kommt nur Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. § 258 Abs. 1 StGB sieht dagegen für Strafvereitelung Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Sehen zwei Strafgesetze beide lediglich Freiheitsstrafe vor, ist dasjenige das gewichtigere, welches die höhere Mindeststrafe androht. Ist die Mindestandrohung gleich oder gibt es keine, so kommt es auf die mögliche Maximalstrafe an.
Am schwersten wiegt immer der Mordvorwurf, weil Mord nach der Regelung des § 211 Abs. 1 StGB immer mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden ist.
Wer etwa bei Bankraubfällen, in denen es womöglich sogar Tote gegeben hat, mit einer Prüfung des Hausfriedensbruchs beginnt, zeigt vor allem, dass ihm das Gespür für das Wesentliche fehlt.
Ausnahmen von der oben genannten Prüfungsreihenfolge dürfen jedoch gemacht werden, wenn sie zweckmäßig sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn man unnötige Inzidentprüfungen vermeiden möchte.
Dies ist praktisch immer bei § 239a, § 239b und § 316a StGB geboten. Alle drei Delikte setzen im subjektiven Tatbestand die Absicht der Begehung einer anderen Straftat voraus, die jedoch eine gesetzlich vorgesehene geringere Strafandrohung enthält als diese drei Delikte. Z. B. setzt § 316a Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter zur Begehung eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer räuberischen Erpressung handelt. Würde man bspw. in Taxiraubfällen, wo sowohl ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer nach § 316a StGB als auch ein Raub nach § 249 StGB bzw. eine räuberische Erpressung nach § 255 StGB infrage kommt, entsprechend der oben genannten Regel nun die Prüfungsreihenfolge nach der Schwere vornehmen, müsste man mit der Prüfung des § 316a StGB beginnen, weil dieser mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren im Vergleich zu § 249 StGB und § 255 StGB die gewichtigste Strafandrohung enthält. So müsste man im subjektiven Tatbestand des § 316a StGB untersuchen, ob das, was der Täter vorhat, objektiv ein Raub bzw. eine räuberische Erpressung wäre. Dazu müsste man dann eine komplette Prüfung dieser Tatbestände im subjektiven Tatbestand der Prüfung des § 316a StGB vornehmen. Um diese Verschachtelung zu vermeiden, prüft man schlicht vorab, ob ein Raub bzw. eine räuberische Erpressung gegeben ist, und erst im Anschluss den schwerwiegenderen § 316a StGB. Analog verhält es sich in den Fällen, in denen § 239a StGB oder § 239b StGB geprüft werden müssen.
Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus logischen Gründen. Bei Qualifikationstatbeständen prüft man nicht diese zuerst und sodann, ob auch der Grundtatbestand erfüllt ist. Zu prüfen ist stets zunächst der Grundtatbestand und wenn dieser gegeben ist, wird anschließend untersucht, ob auch ein Qualifikationstatbestand erfüllt ist. Zur Vereinfachung kann es sich anbieten, Grund- und Qualifikationstatbestand »in einem Aufwasch« zusammen zu prüfen.
Eine solche »Zusammen-Prüfung« kann sogar geboten sein, um nicht wichtige Rechtsfragen des Sachverhalts »abzuschneiden« bzw. nur noch hilfsgutachtlich (im Strafrecht verpönt!) prüfen zu können. Dies wäre z. B. der Fall, wenn eine gefährliche Körperverletzung infrage kommt, aber Notwehr im Raum steht. Wenn man dann zunächst § 223 StGB prüft und dann bei der Frage der Rechtswidrigkeit zum Ergebnis kommt, dass diese wegen Notwehr nach § 32 StGB nicht gegeben ist, steht bereits fest, dass sich der Täter durch die Körperverletzung nicht strafbar gemacht hat. Der Gutachtenauftrag (Strafbarkeit untersuchen) ist damit abgeschlossen. Eine anschließende Prüfung des § 224 StGB wäre daher nicht nur unlogisch, sondern für den Leser des Gutachtens verwirrend. Um dieses »technische« Problem zu umgehen, prüft man die Tatbestände der §§ 223, 224 StGB in solchen Fällen stets zusammen. Der Umstand, dass die Tat wegen Notwehr gerechtfertigt ist, sperrt dann keine weitergehende Prüfung.
Fehler Nr. 4**
(Obersatz)
»T könnte sich wegen Betruges nach § 263 StGB strafbar gemacht haben.«
Dieser Obersatz ist völlig unbrauchbar. Das deutsche Strafrecht knüpft eine Strafbarkeit nur an bestimmte Verhaltensweisen. Wenn man entsprechend des Gutachtenauftrags in der Klausur ein Verhalten auf seine Strafbarkeit hin überprüft, muss dieses Verhalten selbstverständlich bezeichnet sein und zwar so bestimmt wie möglich.
Nicht brauchbar ist daher auch ein Obersatz wie:
»T könnte sich durch sein Verhalten wegen Betrugs nach § 263 StGB strafbar gemacht haben.«
Denn hier fehlt es an der Bestimmtheit des Verhaltens. Es wird nicht klar, welches Verhalten untersucht wird.
Grundsätzlich genügt es ebenso wenig, zu schreiben:
»T könnte sich durch sein Verhalten am 15.03.2015 / durch sein Verhalten im Restaurant wegen Betrugs nach § 263 StGB strafbar gemacht haben.«
Denn auch hier fehlt es an einer subsumtionsfähigen Beschreibung desjenigen Verhaltens, welches den Tatbestand des Betrugs erfüllen könnte. Ausnahmsweise reicht eine solche Umschreibung jedoch dann, wenn im Sachverhalt bzw. in dem untersuchten Tatkomplex des Sachverhalts lediglich ein bestimmtes Verhalten geschildert wird, sodass dem Leser des Gutachtens klar sein muss, welche Verhaltensweise gemeint ist.
Fehler Nr. 5*
(Obersatz)
»T könnte sich wegen Totschlags nach § 212 StGB strafbar gemacht haben, indem er O tötete.«
Hier nimmt bereits der Obersatz die Prüfung des gesamten objektiven Tatbestands vorweg. Totschlag nach § 212 StGB setzt objektiv voraus,...