EINLEITUNG
Netzwerke regieren die Finanzwelt
Die internationale Finanzelite beherrscht die Welt mit direkten Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns. Ihre Macht wird durch Verflechtungen mit globalen Konzernen und der Politik noch weiter verstärkt. Warum ist sie trotz Finanzkrisen, Skandalen und weitreichender Kritik so unantastbar und erfolgreich?
Durch meine Tätigkeit an der Wall Street hatte ich Gelegenheit, Finanzchefs und hochrangige Entscheidungsträger in ihrem professionellen und persönlichen Umfeld zu beobachten. Nach einer Weile realisierte ich, dass sie in einer Zeit, in der alles automatisierbar und kopierbar ist und menschliche Beziehungen zunehmend digitalisierbar werden, über das exklusivste und wertvollste Gut verfügen: Ein allumspannendes Netzwerk höchstpersönlicher Beziehungen. Die Tatsache als solche erstaunt wenig, aber wie sie diese Bande im Einzelnen knüpfen und wie ihre Netzwerke funktionieren ist sehr aufschlussreich. »Vernetzt-sein« ist angesichts fortschreitender Globalisierung auch unerlässlich, denn es wird als Teil des Humankapitals bei Führungskräften vorausgesetzt und stellt gegenüber Konkurrenten mit ähnlicher Intelligenz und Bildung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar. Selbst wenn aufgrund zunehmender geo-ökonomischer Krisen ein Entglobalisierungstrend einsetzen sollte, bleiben persönliche Beziehungen, die eine direkte Kommunikation und Kooperation ermöglichen, ein wertvolles Gut. Und weil solche Beziehungen höchstpersönlicher Natur sind, können sie auch nur selbst geführt und nicht an andere delegiert werden. Finanzchefs sind mächtig, weil das Finanzsystem die Basis für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist. Mit ihren Entscheidungen beeinflussen sie Industrien, Arbeitsplätze, Wechselkurse, Rohstoffe, Lebensmittelpreise und vieles mehr. Zentralbankchefs wie Janet Yellen (Chefin der US-Notenbank Federal Reserve) und Mario Draghi (Chef der Europäischen Zentralbank) haben einen direkten Einfluss darauf, wie viel uns unser Erspartes bringt, wie viel wir für Hypotheken bezahlen und was unsere Investitionen abwerfen. Die Macht einzelner Finanziers wird durch ihre Verflechtung in eng geknüpften Netzwerken potenziert. Gemäß einer Studie der ETH Zürich1 kontrollieren einige wenige Finanzinstitute einen Großteil der bedeutendsten Unternehmen der Welt, insbesondere durch Überkreuzbeteiligungen und Aufsichtsratssitze. Darüber hinaus helfen ihnen gute Kontakte zu Spitzenpolitikern und Finanzchefs, ihre Interessen durchzusetzen und auf wichtige Entwicklungen in der Finanz- und Geldpolitik frühzeitig zu reagieren. Diese Verflechtungen verleihen den Individuen, die diesen Finanzorganisationen vorstehen, eine enorme Netzwerkmacht.
Die Stellung an der Spitze des Finanzsystems verleiht ihnen eine »Vogelperspektive«, aufgrund derer sie das System in seiner Gesamtheit im Auge haben und begreifen. Das ermöglicht es ihnen, vielschichtige globale Beziehungsstrukturen zu durchschauen und mächtige Allianzen zu schmieden. Die Tatsache, dass Investoren das System verstehen, befähigt sie, Milliardengewinne einzufahren, wie beispielsweise der Hedgefonds-Titan George Soros mit seiner Wette gegen das britische Pfund oder der Hedgefonds-Manager John Paulsen mit seiner Wette gegen den US-Hypothekenmarkt. Andere, wie die weltgrößten Vermögensverwalter Larry Fink und Steve Schwarzman, haben ihr Systemverständnis in weltweite Milliarden- bzw. Billionen-Dollar-Fondsimperien umgesetzt.
Durch ihre privilegierte Stellung haben diese Finanziers entscheidende Vorteile gegenüber dem Rest der Bevölkerung. Zunächst haben sie direkten Zugang zu anderen Spitzenvertretern der Finanzwelt, die das Geschehen durch ihre Entscheidungen mitgestalten, was ihnen Informationen aus originären Quellen und damit bessere Chancen und Entscheidungsgrundlagen eröffnet. Beispielsweise hat einer der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten, der Milliardär George Soros, mit seinem in über 100 Ländern vertretenen Open Society Institute eine weltumspannende, gemeinnützige Organisation geschaffen – mit dem Nebeneffekt eines direkten Zugangs zu Entscheidungsträgern und Informationen. Ferner sorgen persönliche Beziehungen dafür, dass die Auftragsbücher der Finanzinstitute stets mit Transaktionen gefüllt bleiben. Steve Schwarzmans Investmentfirma Blackstone war vom ersten Tag an erfolgreich, weil Mitbegründer Pete Peterson als ehemaliger US-Finanzminister seine Kontakte zu allen wichtigen Konzernchefs mitbrachte. Topfinanziers haben auch unmittelbaren Zugang zu Kapital. Als Warren Buffett kurzfristig acht Milliarden Dollar für die Finanzierung der Eisenbahngesellschaft Burlington Northern benötigte, griff er zum Telefon, und der Chef von JPMorgan, Jamie Dimon, antwortete ohne Zögern: »Kein Problem«!
Die Entschlüsselung der Finanznetzwelt mittels der Netzwerktheorie
Das Finanzsystem wird nachfolgend anhand der persönlichen Beziehungen der Finanzchefs und mithilfe der Netzwerktheorie erklärt. Eine Analyse des Aufbaus und des Funktionierens von Netzwerken zeigt, dass Beziehungsgeflechte nicht willkürlich entstehen, sondern Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Wir werden sehen, dass das Finanzsystem ein komplexes System ist, das sich – ähnlich wie andere komplexe Systeme beispielsweise das Ökosystem, das Gehirn oder schlicht eine Ameisenkolonie – selbst organisiert. Insofern haben die Spitzenvertreter der Finanzindustrie keine Kontrolle über das Gesamtsystem, sondern unterliegen selbst dessen Gesetzmäßigkeiten und Dynamik. Nichtsdestotrotz beeinflussen sie es in einer Wechselwirkung wiederum mit ihren individuellen Handlungen.
Dieses Buch nimmt Sie mit hinter die Kulissen des Weltwirtschaftsforums in Davos, zu den Treffen des Internationalen Währungsfonds und zu anderen Plattformen, auf denen die Mächtigen der Finanzwelt zusammentreffen. Sie werden die Persönlichkeiten der Hochfinanz kennenlernen, konkrete Einblicke in abstrakte Institutionen erhalten und Details über das Geschehen jenseits der Schlagzeilen erfahren. Die Mitglieder der globalen Finanzelite haben aufgrund ihres Hintergrunds und Werdegangs mehr miteinander gemein hat als mit den Menschen in ihren Heimatländern. Neben einer ähnlichen Persönlichkeitsstruktur spielen dabei die Alumni-Netzwerke ihrer Kaderschmieden und ihre exklusiven gesellschaftlichen Zirkel eine bedeutende Rolle. Es wird deutlich, dass das sogenannte Netzwerk-Kapital – Status, Reputation und das Transaktionspotenzial des sozialen Kapitals – direkt mit finanziellem Gewinn und Macht korrelieren.
Super-hub-Netzwerke: Die Kehrseite des Super-hubs-Daseins
Exklusive Top-Netzwerke mögen begehrenswert erscheinen, aber sie fordern auch nicht zu unterschätzende Opfer. Voraussetzung für den Erfolg als Super-hub ist, dass der Job stets und unter allen Umständen Priorität hat. Familie, Freunde und alles Persönliche müssen zurücktreten. Neben dem unausgeglichenen Lebensstil fordern auch die aus der privilegierten Stellung resultierende Isolation und der immense Erfolgsdruck der Profitkultur ihren Tribut. Darüber hinaus bedeuten die ständige Erreichbarkeit, die strenger gewordene staatliche Kontrolle, die öffentliche Dauerbeobachtung und eine kritische Medienberichterstattung eine Extrembelastung. Der Konkurrenzkampf, der in einem dauerhaft niedrigen Wachstumsumfeld mit immer härteren Bandagen ausgetragen wird, zehrt ebenfalls an der Substanz. Persönlichkeiten, die sich in der Hauptsache über Geld, Macht und Status definieren, sind bei einem Jobverlust in Gefahr, in eine Identitätskrise oder Depression zu verfallen.
Netzwerke sind auch keine Garantie für den Erhalt einer Super-hub-Position. Zwar sind die Kontakte auf diesem Level so eng geknüpft, dass selten jemand durch die Maschen fällt. Bei groben Verstößen gegen den Verhaltenskodex droht jedoch eine Verbannung. So erging es Dominique Strauss-Kahn, dem vormals mächtigen IWF-Chef. Aufgrund seiner groben Verstöße gegen allgemein akzeptierte Normen der Ethik wurde er so »toxisch«, dass niemand mehr mit ihm assoziiert sein wollte. Als Persona non grata hat er seither versucht, von außerhalb zumindest wieder in niedere Netzwerkgefilde vorzustoßen. Oder John Meriwether, der Mitbegründer des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM), der wiederholt zwischen spektakulären Erfolgen und noch dramatischeren Pleiten schwankte. LTCMs Implosion im Jahre 1998 erschütterte das Finanzsystem und war Vorbote der ein Jahrzehnt später stattfindenden, weltweiten Finanzkrise. Meriwethers Netzwerk, Ansehen und Fähigkeiten haben ihm erstaunlicherweise mehrmals ein Comeback innerhalb der Top-Netzwerke ermöglicht. Oder Mike Milken, der geniale Erfinder von Junk Bonds, auch Schrottanleihen genannt, der in den Achtzigerjahren den Markt von Unternehmensübernahmen mithilfe seines unvergleichlichen Netzwerkes und seines unnachahmlichen Verkaufstalents revolutionierte: Er stieg zu einem der mächtigsten Finanziers der Welt auf, bevor er zum Inbegriff kapitalistischer Gier wurde. Wegen Verstößen gegen das Wertpapiergesetz wurde er 1990 zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, von der er 22 Monate verbüßte. Mittels seines ihm weitgehend erhalten gebliebenen Netzwerkes und seiner mit unermüdlichem Eifer geschaffenen neuen Verbindungen gelang ihm ein weitgehendes berufliches sowie gesellschaftliches Comeback.
Die Gefahr des Zusammenbruchs eines instabilen Systems
Die systemischen Risiken des Finanzsystems sind nach der Krise von 2008 hauptsächlich anhand der Verflechtungen von Finanzinstitutionen analysiert worden. Aber es sind nicht Institutionen, die Entscheidungen mit enormen...