3 Jugendliche Schülerinnen und Schüler als besondere Zielgruppe von Coachinggesprächen
Nachdem wir dargestellt haben, was wir unter Coaching und insbesondere Systemischem Coaching verstehen, möchten wir nun auf die Besonderheiten der Zielgruppe der Jugendlichen im Coaching eingehen. Sowohl aus theoretischen als auch empirischen Perspektiven zur Adoleszenz werden wir auf den folgenden Seiten verdeutlichen, welche Besonderheiten diese Lebensphase ausmachen und welche Konsequenzen sich hieraus für die Arbeit mit Jugendlichen als Zielgruppe von Coachingprozessen ergeben können. Dazu beleuchten wir zunächst die vielseitigen Entwicklungsaufgaben sowie körperliche, kognitive und emotionale Entwicklungsprozesse von Jugendlichen. Auf Forschungsbefunde zum Coaching mit Jugendlichen gehen wir anschließend ein. Zusammenfassend leiten wir hieraus Konsequenzen für die Gestaltung von Coachinggesprächen mit Jugendlichen ab, die wir abschließend nochmals zusammenfassen.
3.1 Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen
Die Adoleszenz ist von zahlreichen Entwicklungsaufgaben und damit von großen Herausforderungen gekennzeichnet, die auch bei einem Coaching mit Jugendlichen berücksichtigt werden sollten, da sie sich häufig – zumindest implizit – in den Anliegen der Coachees widerspiegeln. Daher möchten wir an dieser Stelle auf einige Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen eingehen. Dabei widmen wir uns ausgewählten entwicklungspsychologischen Perspektiven, aus denen Konsequenzen für Coachinggespräche mit jugendlichen Schülerinnen und Schülern abgeleitet werden können. Die folgende Übersicht ( Abb. 8) zeigt verschiedene Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz auf.
Das Zurechtfinden in diesen verschiedenen Lebenskontexten ( Abb. 9) zählt zu den zentralen Herausforderungen von jugendlichen Schülerinnen und Schülern. Sie bewegen sich in verschiedenen sozialen Systemen: ihrer Familie, der Peergroup, ersten romantischen Beziehungen, der Schule.
Abb. 8: Entwicklungsaufgaben im Jugendalter (in Anlehnung an Wiethoff 2011, 23)
Abb. 9: Verschiedene Lebenskontexte (Systeme) von Max
In jedem dieser Bereiche stehen sie vor unterschiedlichen Herausforderungen. Hurrelmann und Quenzel (2016) sprechen von einer
»übergeordnete[n] Schlüsselaufgabe des Jugendalters, die im Austarieren der persönlichen Individuation mit der sozialen Integration und in der darauf aufbauenden Bildung der Ich-Identität besteht« (ebd., 222).
Wir müssen uns klarmachen, dass in dieser Schlüsselaufgabe sich teilweise widersprechende Tendenzen enthalten sind. So findet z. B. in der eigenen Familie ein Bindungs- und gleichzeitig auch ein Ablösungsprozess statt. Hubrig und Herrmann beschreiben dies als »Dialektik von Bezogenheit und Autonomie« (Hubrig/Herrmann 2014, 39; vgl. auch Papastefanou 1995, 99ff.). Während die Jugendlichen in ihrer Entwicklung ihre Herkunftsfamilie als sehr wichtigen und zentralen Bezugspunkt empfinden und benötigen, stellen sie sich gleichzeitig einem Ablösungsprozess und lernen mit der eigenen Freiheit umzugehen (Weinberger/Papastefanou 2008, 33f.). Dieser besondere Prozess der »bezogenen Individuation« (Stierlin 1994, 159) lässt sich auf unterschiedlichste Beziehungen in dem in Abbildung 9 dargestellten System ausweiten, z. B. auch auf (erste) Paarbeziehungen sowie bestehende Freundschaften. So ist es auch für diese Arten der Beziehung wichtig, sich im Prozess der eigenen Individuation gleichzeitig immer wieder aufeinander zu beziehen, um das Verbindende zu bewahren.
In der Ausbildung von Selbstständigkeit besteht eine weitere zentrale Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen, da sie übergreifend zu allen in Abbildung 8 dargestellten Aufgaben zu verstehen ist.
»Das Konzept der ›handelnden Bewältigung von Entwicklungsaufgaben‹ ist zwar eine theoretische Perspektive. Sie läßt sich aber schwellenlos in die pädagogische Leitidee übersetzen, daß es im Prozeß der Entwicklung um eine immer stärkere ›Ermächtigung‹ der Person geht, selbstverantwortlich ihre Entwicklung zu gestalten« (Fend 2005, 205.).
In Bezug zu dieser Aussage sehen wir das Instrument Coaching – gerade in der klienten- und prozessorientierten Haltung des Coachs ( Kap. 2.4) – als einen geeigneten Ansatz zur Unterstützung von Jugendlichen bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben. Es kann ein wichtiges Unterstützungsformat sein, das den Jugendlichen Raum gibt, ihre eigenen Lösungswege zu finden und diese selbstständig zu erproben. Aktuell scheint solch ein Freiraum umso wichtiger zu sein. In einer von Pluralismus und hohem Obsolenztempo geprägten Gesellschaft bietet sich Jugendlichen die sehr
»frühe Chance, eigene Wege zu gehen und einen höchst individuellen Lebensstil aufzubauen … Zugleich steigen hiermit auch die Anforderungen an die persönlichen Kompetenzen der Lebensgestaltung und der Stabilisierung einer eigenen Identität« (Hurrelmann 1995, 44).
Bei diesen erhöhten Anforderungen können Jugendliche hilfreiche Unterstützung durch Erwachsene erfahren, die sich vom ›alltäglichen Belehren durch Ältere‹ abgrenzt und die Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit der Jugendlichen in den Mittelpunkt des Unterstützungsprozesses stellt. Gerade in der Schule als einem zentralen Lebenskontext von Jugendlichen (Fend 2005, 153) und somit einem zentralen Ort für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, sollten Unterstützungsformate vorhanden sein, die jugendlichen Schülerinnen und Schülern das Finden dieses persönlichen Weges ermöglichen.
»Feste Vorgaben für die Art und Weise der Bewältigung einer Entwicklungsaufgabe gibt es in den heutigen offenen, individualistischen Gesellschaften nicht. Jede und jeder einzelne Jugendliche kann vielmehr einen persönlichen Weg wählen, der den eigenen Voraussetzungen am besten gerecht wird« (Hurrelmann/Quenzel 2016, 223).
Durch diese Aussage bekommt die individuelle, klientenzentrierte Idee von Coaching gerade im Kontext von Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen und der Ausbildung von Selbstständigkeit noch einmal eine besondere Bedeutung. Die Adoleszenten sollten in ihren individuellen Situationen ernst genommen und begleitet werden, ohne ihnen die Verantwortung für ihre Situation abzunehmen. Wie bereits in Kapitel 2.2.2 dargestellt ist dies ein wesentlicher Ansatz des systemischen Coachings. Dem Coachee sollen keine Lösungen übergestülpt werden:
»Coaching bedeutet, andere Menschen zu unterstützen,
• die Situation aus einer neuen Perspektive zu sehen
• und selbst neue Lösungen zu finden« (König/Volmer 2012, 16).
Nimmt der Coach in der Zusammenarbeit mit jugendlichen Schülerinnen und Schülern diesen Ansatz ernst, werden Coachinggespräche eher den diversen Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen – vor allem unter dem Aspekt der Individuation – gerecht. John Whitmore fasst in diesem Kontext jedoch eine wesentliche Herausforderung – gerade für Lehrpersonen – zusammen: »Es ist vermutlich schwieriger, das Unterweisen aufzugeben, als das Coaching zu lernen« (Whitmore 2011, 17). Auf das hier angesprochene Rollendilemma der Lehrer- vs. Coach-Rolle gehen wir in Kapitel 4 ausführlich ein.
3.2 Körperliche, kognitive und emotionale Entwicklung von Jugendlichen
Jugendliche Coachees gehen teilweise mit einer grundlegenden Unsicherheit in Coachinggespräche mit Erwachsenen. Da Erwachsene einen Wissens- bzw. Entwicklungsvorsprung haben, können sich die Jugendlichen in Gesprächen unterlegen fühlen. Erwachsene sind bspw. kompetenter im Führen von Gesprächen und erfahrener im Umgang mit Herausforderungen (Weinberger/Papastefanou 2008, 21). Dies kann auch dazu führen, dass Jugendliche ungern oder erst bei sehr hohem Leidensdruck ein Coaching aufsuchen. Daher sollten wir uns als Coachs zumindest in Grundzügen mit unterschiedlichen Entwicklungsständen von Jugendlichen auseinandersetzen, um ihnen im Coaching gerecht werden zu können. Betrachtet man den durchschnittlichen kognitiven und emotionalen Entwicklungsstand von Adoleszenten, wird deutlich, dass jugendliche Gesprächspartner von den Voraussetzungen her zumeist in der Lage sind, einen Meta-Blick auf die eigenen Handlungen zu werfen und eigenständige Problemlösungen zu entwickeln. Gleichermaßen sollte der Coach aber auch im Blick haben, dass diese Kompetenzen im Aufbau sind (z. B. Knafla et al. 2016, 32ff.). Im Coaching mit Jugendlichen...