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E-Book

Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas

AutorRalph Ghadban
VerlagVerlag Hans Schiler
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783899303025
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
In Kreisen des interreligiösen Dialogs, gilt der Schweizer ägyptischer Abstammung Tariq Ramadan als moderat oder sogar als Modernist. Dort wird behauptet, er bekämpfe die Gewalt und setze auf den Dialog. Durch sein neues Verständnis des Islams trage er zur Integration der Muslime im Westen bei und entwickle einen modernen europäischen Islam, der sich eventuell auf den Modernisierungsprozess in der islamischen Welt auswirken könne. In den Medien streitet man jedoch darüber, ob Ramadan ein Islamist oder doch ein Islamreformer sei. Die Schwierigkeit, Ramadan richtig zu verstehen, ist hauptsächlich auf seine Interkulturalität zurückzuführen, die es ihm erlaubt, von einem kulturellen Feld zum anderen zu wechseln. Seine interkulturelle Kompetenz setzt Ramadan meisterhaft und bewusst ein, um die alten Konzepte der islamischen Kultur mit der modernen Terminologie der westlichen Kultur hoffähig zu machen. So erscheint z. B. der Djihad als Befreiungskrieg und das Kopftuch als Ausdruck der Emanzipation der Frau. Ramadan fordert häufig auf, ihn zu lesen, um Missverständnisse auszuräumen. Ist er Traditionalist, Islamist, Salafi, Salafireformer oder Liberalreformer? Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend für die Einschätzung der Positionen Ramadans bezüglich Integration, Islamisierung, Menschenrechte und Demokratie.

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Leseprobe
Die semantische Verschiebung (S. 36-37)

Mit dieser Erklärung hat Ramadan die Frage nach der Mischehe nicht geklärt. Im Gegenteil, seine Aussage kann unterschiedlich verstanden werden und wir stehen vor einem neuen Rätsel, das entschlüsselt werden muss. Bei einer oberflächlichen Betrachtung besticht die Aussage mit einer Fülle von begrüßenswerten positiven Stichworten: multikulturelle Bereicherung, Aufhebung der Grenzen (symbolischen! Warum nicht tatsächlichen?), Bekämpfung der Isolierung und Gettoisierung, Erweiterung des Bewusstseins. Jeder wohlmeinende Multikulturalist, der das liest, ist von Ramadan überzeugt.

Er sieht in Ramadan endlich den Mann, der die Muslime in den Westen integrieren kann, ja er begreift Ramadan als glänzenden Vertreter eines Euro-Islams, den sich viele wünschen. Bei näherer Betrachtung fallen im zweiten Satz folgende Wörter auf: die Ankunft in der Gemeinschaft", wobei hier die Gemeinschaft der Muslime gemeint ist. Offensichtlich geht es hier nicht um die Ankunft der Muslime in ihrer europäischen Umgebung, sondern um die Ankunft der Europäer in der muslimischen Gemeinschaft. Auf sie bezieht sich die multikulturelle Bereicherung auch, die auf der vorigen Seite (S. 69) behandelt wird: Die Muslime sollen "die zum Islam konvertierten Europäer nicht zwingen, sich zu "arabisieren`, "pakistanisieren` oder "turkifizieren`".

Es findet hier eine Umkehrung der Deutungen statt, eine semantische Verschiebung. Die Eigenschaften, die normalerweise einen positiven Prozess der Integration von Fremden und Minderheiten in ein bestehendes Gemeinwesen charakterisieren, werden hier umgedeutet. Es geht nicht um die Integration der Muslime, sondern der Europäer. Was zuerst als emanzipativ und integrativ erscheint, entpuppt sich als Multikulturalismus kommunitaristischer Prägung. Mischehen gehören in der Migrationsforschung zu den Indikatoren der Integration. Vor allem Mischehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern weisen auf die öffnung der Gemeinschaft der Muslime auf ihre Umgebung hin.

Sie stellen aber einen Verstoß gegen das islamische Recht dar und sind daher ein Hauptproblem für viele Muslime, weil in Europa die Scharia nicht gilt. In allen islamischen Ländern außer der Türkei muss ein Nichtmuslim, der eine Muslimin heiraten will, gemäß dem herrschenden religiösen Familienrecht zum Islam konvertieren. Deshalb kommt diese Problematik nicht vor. In Europa dagegen kann man solche Vorkommnisse nicht gesetzlich verhindern. Wie steht nun Ramadan dazu? Ramadan verfährt nach einer Methode, die er nach seinen Angaben immer verwendet.50 Er zitiert zuerst die Quellen: Koran und überlieferungen des Propheten (Sunna). Diese erlauben die Ehe einer Muslimin mit einem Nichtmuslim nicht.

Er analysiert dann die Position der klassischen Gelehrten, die diesbezüglich die Angaben der heiligen Schriften bekräftigen. Schließlich äußert er mit Rücksichtnahme auf den zeitgenössischen Kontext seine persönliche Meinung, die in diesem Fall lautet: "Meiner Meinung nach sind die Normen eindeutig. Wir dürfen aber, im Kontext, in dem wir leben, auf keinen Fall den Glauben der Frauen, die Nichtmuslime heiraten, negieren und sie aus der Gemeinschaft werfen. Sie haben eine Wahl getroffen, sie sind und bleiben Musliminnen. Es gibt weder einen Anlass, sie zu verurteilen, noch zu beurteilen.

Niemand besitzt dieses Recht und niemand weiß, was sich in den Herzen abspielt: jede Frau, die sich als Muslimin fühlt, jeder Mann, der sich als Muslim fühlt, sind Muslime und niemand darf sich einmischen." Hier haben wir wieder die zwei semantischen Felder, diesmal nebeneinander. Im ersten Satz kommt die klassische islamische Position klar und deutlich zum Ausdruck. Dann folgt ein Plädoyer zugunsten der individuellen Wahlfreiheit und individuellen Religiosität und der Rechte der Frau. Bei näherer Betrachtung stolpern wir wieder über ein Schlüsselwort: Kontext. Was heißt hier "im Kontext, in dem wir leben"? Warum diese Bedingtheit? Wer sich im islamischen Recht etwas auskennt, weiß, dass es sich hier um eine alte Verfahrensweise und keine innovative Methode handelt.

Der prominenteste Theoretiker dieser Methode ist nach Qaradawis Meinung Ibn Qaiyem al Djusiya (1291-1350), der ihr das erste Kapitel in seinem Buch "Die Benachrichtigung der Unterzeichner anstelle Gottes" widmet und dem seither viele Gelehrten folgen. Mit den "Unterzeichnern anstelle Gottes" meint er die Muftis, die die Fatwas aussprechen. Ein Anwender dieser Methode ist heute der berühmte Islamist Scheich Qaradawi selbst, der sie in seinem Buch "Die Fatwa zwischen Rigidität und Dilettantismus" erläutert.53 Der islamische Gelehrte muss die epochale Entwicklung begleiten, ohne jedoch von den Grundsätzen der Scharia abzuweichen.

Das führt bei Qaradawi in der Frage der Mischehen zur folgenden Fatwa: Eine christliche europäische Frau, die mit einem christlichen europäischen Mann verheiratet ist, darf nach ihrer Konversion zum Islam, trotz der negativen Aussage der islamischen Quellen, bei ihrem Mann bleiben. Das gilt aber nicht für die Frauen in der islamischen Welt, die sich von ihrem Mann scheiden lassen müssen, wenn er vom Islam abfällt, wie wir es von dem Fall des ägyptischen Wissenschaftlers Nasr Hamed abu Zaid kennen.

Diese Fatwa scheint manchen widersprüchlich und opportunistisch, weil sie keinen ethischen Grundsatz erkennen lässt. Andere sehen sie als Beweis dafür, dass Qaradawi ein Befürworter der Modernisierung des Islams ist, weil er damit angeblich von klaren islamischen Bestimmungen abweicht. Bei der Diskussion der Methode werden wir sehen, dass sowohl die Interpretationen von Ramadan als auch die von Qaradawi übergeordneten Grundsätzen im islamischen Recht, fiqh, unterliegen, die sie gewissenhaft befolgen. Daher können beide nicht den Modernisierern des Islams zugerechnet werde"
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