2 Modelle
In diesem Kapitel werden vor allem drei wichtige Aspekte behandelt. Im ersten Teil geht es darum, wie Teams sich formieren und über die Zeit hinweg verändern. Wir werden vor allem zwei einflussreiche Modelle diskutieren, die sich zum einen auf relativ langfristig bestehende Gruppen und zum anderen auf Gruppen mit kurzzeitiger Perspektive beziehen. Anschließend werden wir das Input-Prozess-Output-Modell von West et al. (1998) darstellen und einige seiner zentralen Variablen ausführlicher erörtern. Schließlich werden wir auf zwei Modelle zu Innovation und Reflexivität in Teams eingehen, die dann auch im weiteren Verlauf dieses Buches bei der Beschreibung von Diagnoseverfahren und Entwicklungsmaßnahmen eine Rolle spielen. Abschließend werden Aspekte der Arbeit in virtuellen Teams behandelt.
2.1 Modelle der zeitlichen Entwicklung und Veränderung von Teams
Modelle der zeitlichen Veränderung von Teams
Teams werden nicht einfach durch eine Entscheidung des Managements „geboren“ und sind unmittelbar danach voll funktionstüchtig. Zum einen bestehen Teams aus Individuen – in der Regel dauert es eine Weile, bis sich die verschiedenen Teammitglieder aufeinander eingestellt und Beziehungen zueinander entwickelt haben, die zum Beispiel gegenseitiges Vertrauen ermöglichen. Zweitens sind, gerade bei neu gebildeten Teams, die Aufgaben und/oder die Art, die Aufgabe zu lösen, unklar und es erfordert Abstimmung und Kommunikation, um sich über optimale Wege klar zu werden. Zwei Modelle, wie sich neu gebildete Teams entwickeln, sollen im Folgenden diskutiert werden. Zunächst wird das bereits in Kapitel 1.2.3 kurz eingeführte Phasenmodell der Teamentwicklung von Tuckman (1965; Tuckman & Jensen, 1977) vorgestellt, das sich auf Gruppen mit relativ langer Lebensdauer bezieht. Anschließend gehen wir kurz auf das Punctuated-Equilibrium-Modell von Gersick (1988) ein, das sich auf Gruppen mit festgelegter Lebensdauer (definiert zum Beispiel durch eine Deadline, zu der ein Projekt abgeschlossen sein muss).
Das Phasenmodell von Tuckman
Betrachten wir zunächst das Modell von Tuckman. Dieses Modell nimmt an, dass ein Team in seiner Entwicklung fünf Phasen durchläuft. Die Phasen wurden weiter oben bereits kurz dargestellt, sollen hier aber detaillierter diskutiert werden. In Abbildung 3 sind die Grundannahmen des Modells zusammengefasst.
Forming: Unsicherheit, erste Regeln
Wie in Abbildung 3 dargestellt, nimmt Tuckman an, dass ein Team fünf verschiedene Phasen durchläuft. Begonnen wird mit der Phase des Forming. Diese ist gekennzeichnet durch: Unsicherheit, Konfusion, Ausloten der Situation, Einführen erster Regeln und Austesten von Regelüberschreitungen, das Sich-miteinander-Bekanntmachen und die Definition erster Ziele. Man wendet sich langsam der Aufgabe zu, die Beziehungen zueinander sind noch völlig offen und unklar. In der zweiten Phase, dem Storming, kommt es häufig zu Unstimmigkeiten über Prioritätensetzungen bei verschiedenen Zielen, es kommt zu Machtkämpfen um die Führungsrolle, zu Spannungen bis hin zu Feindseligkeiten und zur Bildung von Subgruppen oder Cliquen. Die Beziehungen sind eher konfliktbeladen, es kommt aber langsam zu einer ersten Abstimmung über die Arbeitsorganisation und -abläufe. Die dritte Phase, das Norming, ist gekennzeichnet durch Konsensbildung, durch eine etablierte und akzeptierte Führungsperson (oder einen anderen Modus der Führung, wie z. B. alternierender Vorsitz etc.). Auch die übrigen Teammitglieder haben ihre Rollen gefunden und es wird verstärkt kooperiert. Die Beziehungen sind nun harmonischer und die Gruppe wendet sich verstärkt der Aufgabe zu. Dies wird in der vierten Phase, dem Performing, noch verstärkt – nun arbeitet man erfolgreich zusammen, man kooperiert, Rollen (z. B. die Führung der Gruppe) können durchaus flexibel zwischen Personen wechseln. Man geht offen miteinander um, hilft sich gegenseitig und die Aufgabenbearbeitung verläuft erfolgreich. Nicht für alle Teams ist die fünfte Phase relevant. Diese Phase des Adjourning bezieht sich auf Teams, die zwar relativ langfristig zusammen sind, aber nach Erledigung eines Auftrages wieder auseinandergehen und deren Mitglieder zum Beispiel innerhalb der Organisationen in neu zusammengesetzten Teams an anderen Aufgaben arbeiten. In dieser Phase sind die Teammitglieder häufig traurig über das bevorstehende Ende des Teams und man macht sich Sorgen über die eigene Zukunft. Im Sinne des Unternehmens ist ein reibungsloser Ablauf dieser Phase sehr wichtig, zum Beispiel müssen abschließende Dokumentationen über die Arbeit des Teams erstellt werden, die anderen Mitarbeitern auch noch nach einiger Zeit helfen, Fehler zu finden und zu korrigieren oder erfolgreiche Prozesse auf andere Aufgaben zu übertragen. Moderne Organisationen versuchen zum Beispiel, ehemalige Mitarbeiter in Alumni-Netzwerken zu organisieren, um die letzte Phase zu organisieren.
Abbildung 3:
Phasenmodell der Teamentwicklung von Tuckman und Jensen (1977, nach Brodbeck, 2004, S. 429)
Während Tuckman und Jensen den Phasenverlauf als relativ linear angenommen und beschrieben haben, hat die Forschung gezeigt, dass es auch durchaus zu Rückschritten kommen kann. Brodbeck (2004) hat diese dynamische Sichtweise übernommen und Schleifen in das Modell integriert, die ausdrücken sollen, dass ein Team z. B. von der Performing-Phase zurück in die Norming-Phase oder von dieser in die Storming-Phase fallen kann, wenn es, zum Beispiel durch die Integration neuer Mitarbeiter, erneut zu Rollenunklarheiten kommt, wenn sich die Aufgaben verändern oder wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt (siehe Abbildung 3).
Die zeitliche Entwicklung von temporären Teams
Wie bereits angedeutet, hat das Phasenmodell nach Tuckman besonders für permanente Teams Gültigkeit, obwohl mit der Phase des Adjourning auch in diesem Modell einem potenziellen Ende des Teams Rechnung getragen wird. Was passiert aber in einer temporär angelegten Arbeitsgruppe, die von Vornherein eine begrenzte und fest definierte Lebensdauer hat? Solche Arbeitsgruppen sind in der Realität recht häufig zu finden, zum Beispiel dort, wo Angebote zu einer bestimmten Deadline abgegeben werden müssen, ein Wahlkampfteam am Wahlabend seine Aufgabe erledigt hat, ein Marketingteam mit dem Launch des neuen Produktes sein Ende erreicht usw. Gersick (1988) hat für solche Teams ein alternatives Modell entwickelt, das durch ihre eigene Forschung auch bestätigt wurde (Gersick, 1989). Dieses sogenannte Punctuated-Equilibrium-Modell ist in Abbildung 4 skizziert.
Das Punctuated-Equilibrium-Modell ist trotz seiner vielleicht etwas komplizierten Bezeichnung recht einfach. Gersick nimmt in ihrem Modell nur zwei Phasen an: Nach der ersten Zusammenkunft als Team beginnt man sofort mit der Aufgabenbearbeitung, allerdings auf einem relativ niedrigen Leistungsniveau. Gersick selbst hat mit interessanten Gesprächsprotokollen zeigen können, dass es ziemlich genau in der Mitte zwischen erstem Treffen und der Deadline (z. B. dem Abgabetermin) zu einer sogenannten Transition, einem „Aufwachen“ des Teams kommt. Man wird sich der Deadline bewusst und arbeitet auf einem höheren Leistungsniveau weiter, häufig kommt es hier auch zu Krisen und zu Konflikten. Das Leistungsniveau kann sich dann innerhalb dieser Phase kurz vor Erreichen der Deadline noch einmal steigern. Mit dem Abgabetermin ist die Lebensdauer der Gruppe beendet.
Abbildung 4:
Modell der Entwicklung temporärer Teams von Gersick
(1988, nach Robbins & Judge, 2013, S. 310)
Modelle helfen, die Teambedürfnisse zu verschiedenen Zeiten zu verstehen
Die beiden diskutierten Modelle können der Führungskraft oder dem Personaler bei der in Kapitel 4 besprochenen Teamentwicklung helfen zu verstehen, wann ein Team welche konkreten Hilfen braucht. So kann zum Beispiel mit den Modellen vorhergesagt werden, wann bei der Teamentwicklung eher Konflikte (in der Storming-Phase bei permanenten und der Transitionsphase bei temporären Gruppen) zu erwarten sind, die, wenn sie ungelöst bleiben, den Erfolg der Teamentwicklungsmaßnahme gefährden können. Welche Faktoren über die temporale Entwicklung hinaus für eine gute Teamarbeit eine Rolle spielen, soll im folgenden Abschnitt behandelt werden. Erwähnt sei noch, dass in der Entwicklung realer Arbeitsgruppen vermutlich beide Modelle eine Rolle spielen – auch Teams mit einer relativ begrenzten Lebensdauer werden Phasen erleben, in denen Rollen geklärt werden müssen (Storming) oder in denen man auseinandergeht (Adjourning). Gleichzeitig gibt es auch in permanenten Teams einzelne Projekte mit bestimmten Deadlines, bei denen dann zumindest Elemente des Modells von Gersick zum Tragen kommen.
2.2 Rollen im Team
2.2.1 Der Teamrollenansatz von Belbin
Teammitglieder übernehmen spezifische Rollen im Team
Teammitglieder haben eine ganze Reihe verschiedener Rollen inne. Am offensichtlichsten ist das für die Rolle des Teamleiters, auf die wir im nächsten Abschnitt eingehen. Aber auch alle anderen Teammitglieder füllen innerhalb eines Teams verschiedene Rollen aus. Belbin (1993) nimmt an, dass Teammitglieder nicht nur aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Vorlieben verschiedene Rollen im Team einnehmen, sondern dass diese verschiedenen Rollen auch wichtig und notwendig für erfolgreiche Teamarbeit sind. Aufgrund seiner Studien an mehr als 200 Teams hat Belbin neun Rollen herausgearbeitet. Fast alle Menschen haben eine dieser Rollen...