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Technik und Gesellschaft

Sozialwissenschaftliche Techniktheorien und die Transformationen der Moderne

AutorJan-Hendrik Passoth
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl260 Seiten
ISBN9783531908441
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Jan-Hendrik Passoth rekonstruiert die Entwicklung sozialwissenschaftlicher Techniktheorien von der frühen Moderne bis zur Gegenwart. Ziel ist es, eine Verfestigung von zwei Erklärungsmustern zu untersuchen, die sich während der Entwicklung gebildet hat. Diese Erklärungsmuster unterscheiden sich im Kern darin, dass sie entweder der Technik oder der Gesellschaft ein besonderes Gewicht einräumen. Die Varianten der Erklärungsmuster ändern sich mit den Veränderungen der modernen Technik und Gesellschaft. Der Umgang mit den Herausforderungen der Moderne hat auch zu einer Dichotomie in Bezug auf Begriffe und Grundannahmen geführt. In Auseinandersetzung mit drei zeitgenössischen Alternativen formuliert der Autor zudem Grundfragen einer sozialwissenschaftlichen Techniktheorie, die die Trennung von Technizismus und Kulturalismus zu vermeiden versucht.

Jan-Hendrik Passoth ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc, Medien- und Techniksoziologie) an der Universität Bielefeld.

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Leseprobe
1 Einleitung (S. 13)

1.1 Technik, Moderne und die Sozialwissenschaften

Es ist ein Kennzeichen der Moderne, dass uns Technik auf Schritt und Tritt begleitet. Unser Alltag und unser Arbeitsleben sind bis in die feinsten Verästelungen technisiert. Unser Morgen beginnt mit den schrillen Tönen des Radioweckers, die Körperpflege mit elektrischem Rasierapparat und heißem Wasser aus dem Durchlauferhitzer geht uns ebenso leicht von der Hand wie das Lesen der Nachrichten in den Onlineausgaben der Tageszeitungen und der Genuss des ersten Morgenkaffees aus der vollautomatischen Kaffeemaschine.

Mit modernen Massentransportmitteln oder mit dem eigenen Auto fahren wir durch elektrisch erleuchtete Straßen. Ob Massenproduktion oder Mass-Customization, ob moderne Logistik oder Verwaltung von Akten, ob EDV-gestützter Bürobetrieb mit EMail, Telefon und Videokonferenz oder der Traum vom papierlosen Büro: Am Arbeitsplatz bestimmt Technik längst die meisten Abläufe.
Große Bereiche naturwissenschaftlicher Forschung – man denke nur an das Human-Genome- Project – sind ohne Labor- und Automationstechnologie unmöglich. Elektronischer Handel und die zahlreichen Veränderungen in Produktion, Absatz und Dienstleistung, die mit Automation und elektronischer Ablaufsteuerung einhergingen, haben das Tempo wirtschaftlicher Aktivitäten ins kaum Ermessliche gesteigert.

Wählerstimmen werden automatisiert gezählt, Televoting ist auf dem Vormarsch, und die Herstellung politischer Öffentlichkeiten gestaltet sich durch den Einfluss elektronischer Medien deutlich anders als zu Zeiten des Buches und der Zeitung. Dass in einer Analyse der Moderne die Berücksichtigung von Technik, ihrer Einbindnung in und ihrer Auswirkungen auf das Alltagsleben und alle gesellschaftlichen Teilbereiche kaum auszusparen ist, scheint kaum in Frage zu stehen.

Deshalb – so sollte man eigentlich denken – kann sozialwissenschaftliche Forschung, welche diese Moderne in den Blick nimmt, nicht die Augen davor verschließen, welche Veränderungen die „technische Aufrüstung der modernen Gesellschaft mit sich bringt, dass sie zu analysieren sucht, wie eben diese moderne Gesellschaft, die politischen und ökonomischen Verhältnisse, die rechtlichen Bedingungen, die Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens, die institutionel- len Pattern und die kulturellen Deutungsmuster die Entwicklung und Nutzung der modernen Technik geprägt haben und formen.

In der sozialwissenschaftlichen Forschung im Allgemeinen und der soziologischen Theorie im Besonderen aber führt die Technik ein merkwürdiges Schattendasein. Technik als Bestandteil der modernen Gesellschaft kommt in moderner Sozial- und Gesellschaftstheorie explizit nur am Rande vor. Und erst seit den 1970er-Jahren kommt Technik im Rahmen zeitdiagnostischer Arbeiten als spezifisches und riskantes Phänomen der Moderne, Spät- oder Postmoderne in den Blick.

Dabei gibt es – ein wenig abseits von den Debatten um die zentralen Probleme der Sozial- und Gesellschaftstheorie – schon seit den Anfängen institutionalisierter Sozialwissenschaften eine lange Reihe von Versuchen, die Zusammenhänge von Technik und moderner Gesellschaft zu verstehen.

Bei näherem Hinsehen wird sogar deutlich, dass es eine lange Entwicklung sozialwissenschaftlicher Techniktheorie gibt, an die Arbeiten zur Theorie der Moderne meist implizit und nur selten explizit anschließen: Sei es, indem sie deren Erklärungsmuster wiederholen oder bestreiten, sei es, indem sie sich nur auf einzelne Autoren dieser Debatten beziehen.

Und nicht nur sozialwissenschaftliche Texte, auch die öffentliche Diskussion über den Segen und die Gefahren moderner Technik ist ganz deutlich von Argumenten geprägt, die in dieser Theorietradition seit über einem Jahrhundert verhandelt werden.Ziel dieses Buches ist die Rekonstruktion einiger der Entwicklungen, die dieses große und diffuse Feld unterschiedlicher Theorien in den letzten 150 Jahren durchgemacht hat, sowie die Explikation der zentralen Prämissen und Schlüsse.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt7
Vorwort11
1 Einleitung13
1.1 Technik, Moderne und die Sozialwissenschaften13
1.2 Die zwei Kulturen und der Science War21
1.3 Technik-, Sozial- und Gesellschaftstheorie24
2 Rekonstruktionen von Theoriegeschichte: Methodische Vorbemerkungen31
2.1 Realismus und Pragmatismus31
2.2 Fünf Herausforderungen32
2.3 Möglichkeiten einer pragmatistisch-realistischen Position36
3 Methodische Konsequenzen: Problembezüge, Historizitäten und Entwicklungen41
3.1 Problembezüge: Das Feld sozialwissenschaftlicher Techniktheorien43
3.2 Historizitäten: Die Entwicklung von Technik und Gesellschaft und die Transformationen der Moderne52
3.3 Entwicklungen: Progressionen und Degressionen63
3.4 Eine Arbeitsheuristik64
4 Kunstfertige List und instrumentelles Denken: Antike und frühe Neuzeit69
4.1 Technische Kunst zur Überwindung menschlicher Grenzen69
4.2 Spielzeuge, Waffen und Bauwerke71
4.3 Instrumentalismus und außerweltliche Zwecksetzung74
4.4 Handwerk, Kraftmaschine und Gottesfurcht76
4.5 Vom technischen Tun zum technischen Mittel78
5 Befreiung und Rationalisierung: Einrichtung und Krise einer frühen bürgerlichen Moderne81
5.1 Befreiung, Ordnung und die Einrichtung einer bürgerlichen Moderne81
5.2 Planung, Rationalisierung und die Krise der bürgerlichen Moderne92
5.3 Grenzen einer Befreiung durch Technik100
6 Organisierung, Technisierung, Planung: Die fragile Stabilität der organisierten Moderne103
6.1 Organisierung, Massengesellschaft und die Schließung der Moderne103
6.2 Technisierung, Normierung und die Stabilisierung der Moderne116
6.3 Sachgesetzlichkeiten, politische Planung und die Krise der organisierten Moderne134
6.4 Organisierung, Technisierung und Planung153
7 Veralltäglichung und Vernetzung: Nach der zweiten Krise der Moderne157
7.1 Medien, Computer und neue Wissenschaftstechnik160
7.2 Institutionelle Differenzen und die neuen Medien166
7.3 Sachbezug und Sozialkonstruktivismus180
7.4 Entstehung, Folgen und Gebrauch von Technik196
8 Verwickelte Entwicklungen: Moderne, moderne Technik und sozialwissenschaftliche Techniktheorien199
8.1 Antike und früh-neuzeitliche Wurzeln sozialwissenschaftlicher Techniktheorien199
8.2 Trennung und Gegenüberstellung von Technik und Gesellschaft in der frühen bürgerlichen Moderne200
8.3 Bifurkation von Technizismus und Kulturalismus in der organisierten Moderne203
8.4 Unvereinbarkeiten nach der zweiten Krise der Moderne210
8.5 Ergebnisse der theoriegeschichtlichen Rekonstruktion212
9 Einige mögliche Alternativen219
9.1 Aktor-Netzwerk-Theorie: Menschliche und nicht-menschliche Aktanten219
9.2 Pragmatistisch-interaktionistische Technikforschung: Soziale Welten und technische Grenzarbeit225
9.3 Systemtheorie: Techniktheorie als Gesellschaftstheorie232
9.4 Ausblick: Umrisse einer pragmatistisch-realistischen Techniktheorie239
Literatur245

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