VORWORT
Wir gehen davon aus, dass die Welt auch anders aussehen könnte. Das betrifft persönliche und kollektive Verhältnisse. Das Leben sei kein Schicksal, es sei änderbar. Das Individuum lebe selbstbestimmt. Auch der Gedanke der Revolution und der Utopie zehrt von der Idee, dass die Gegenwart ein Produkt des Zufalls sei. Wir müssten unsere Welt nur selbst in die Hand nehmen, dann …
Wir setzen eine Freiheit voraus, die uns verantwortlich zu machen scheint, nicht nur für unser Tun, sondern auch für den Zustand der Welt. Unsere Moral, unser Rechtsverständnis hängen von ihr ab. Die Bedeutung des Politischen, der Demokratie, basiert darauf.
Der Gedanke, es gebe eine solche Freiheit, ist jedoch fragwürdig. Die Bedingungen und Voraussetzungen des Denkens und Handelns sind keineswegs so neutral und kontingent, dass sie eine andere Welt als die gegenwärtige ergeben könnten. Es gibt keine möglichen Welten. Was ist, ist notwendig, wie es ist.
Der Philosoph, der diese Erkenntnis entfaltet hat, ist Spinoza. Er steht im Hintergrund meiner Überlegungen. Er hat erklärt, dass es keinen Zufall gibt, dass die Freiheit des Menschen lediglich darin besteht, die Bedingungen und Voraussetzungen seines Handelns und Denkens nicht zu kennen. Freiheit ist Ignoranz.
Anders gesagt: Wir sind immer in Möglichkeiten, haben alle Möglichkeiten. Wir konnten nie und können gar nicht anders, als alle Möglichkeiten zu haben. Wir können nicht nicht alle Möglichkeiten haben. Das entspricht der universalen Ontologie von Technik, Kapital und Medium. Im Universal Technik.Kapital.Medium (TKM) versammeln, speichern sich alle Möglichkeiten. Es ist die absolute Möglichkeit. Es gibt keine möglichen Welten, die eine Welt ist immer die absolute Möglichkeit. TKM ist das Universal der Freiheit.
Aber es gibt noch andere Freiheiten, Freiheiten, die sich als Freiheit von der Freiheit des Universals TKM erweisen werden. Die letzte und höchste dieser Freiheiten ist das Unmögliche. Doch wie kann das Unmögliche Freiheit sein?1
Nur die Philosophie ist in der Lage, diese Frage zu stellen und zu beantworten. Einzig die Philosophie gibt uns die Freiheit, von der aus die Freiheit gedacht und vielleicht sogar gelebt werden kann. Freilich ist die akademische Philosophie wie alles andere beinahe vollkommen in das Universal TKM und seine Kanäle integriert. Die Frage, ob wir uns aus diesen Kanälen noch zurückziehen können, betrifft die Philosophie essenziell. Denn sollte sie sich ganz als Moment des Universals TKM begreifen, würde sie sich indifferent der Freiheit TKM überlassen, einer Freiheit also, die vom Universal TKM determiniert wird.
Das Subjekt, das sich als Individuum und Person bestimmt, ist im Universal TKM integriert. Die Affektivität dieses Zustands ist diffus. Während meine Generation, deren Geburtsdaten noch im Zeitschatten von Auschwitz liegen, sich vor allem der banalen Ordnung eines Lebens zwischen Karriere und Privatem überließ, scheint die jüngere Generation die Macht des Universals TKM mindestens ambivalent zu erfahren. Doch diese Macht ist stabil, und sie muss es sein.
Es geht mir in diesem Traktat über die Freiheit und den konsequenten Universalismus darum, die Integration des emanzipierten Subjekts in das Universal TKM zu verstehen. Ich bin der Ansicht, dass es in der Welt keine Alternative gibt. Nur jenseits der Welt gibt es noch eine Freiheit, die wir als ein Echo der Geschichten verstehen können, in der es um anderes ging als um die notwendige Integration in die universale Einheit von Technik.Kapital.Medium. So hatte es die Kulturkritik niemals so leicht wie heute. Technik, Kapital und Medium bieten auf Schritt und Tritt des Subjekts Anknüpfungshaken für den Blick der Eigentlichkeit. Doch das Verständnis fehlt.
Es gibt jedoch keinen Grund, den Weltzustand zu beklagen. Die Wirklichkeit muss in ihrem Recht anerkannt werden. Keine Wirklichkeit, die nicht ihre Gründe hätte. (Welche Gründe hat die Wirklichkeit, unsere Wirklichkeit?) Gewiss, wie Hegel, der eine einzigartige metaphysische Rechtfertigung des Wirklichen entwickelt, können wir – nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts – nicht mehr denken. Aber Technik, Kapital und Medium bilden eine Welt, in der das Leben möglich ist. Von der Apokalypse sind wir so weit entfernt wie vom Paradies. Das ist vielleicht langweilig, aber nicht tragisch. Es gibt Paparazzi des angeblichen Verfalls, die überall Untergang wittern, wo doch nur der distinguierte Geschmack beleidigt wird.
Wir bejahen die technischen Geräte, das Kapital und die Kanäle der Bilder. Wir mögen die Lust der Oberfläche, der Entblößung und des Geldes. Wir konsumieren gern. Wir haben keine Passion und teilen eine Zeitgenossenschaft, die nüchtern genug ist, die Verirrungen nicht greller darzustellen, als sie sind. Das Theater der Klage über die Zeit gehört zum Beklagten.
In der universalen Immanenz TKM ist Kritik anachronistisch. Das liegt daran, dass jede Kritik vom Gegenstand der Kritik immer schon umarmt wird. Diese Umarmung des Kapitals fordert den Kritiker heraus, noch kritischer, noch scharfsinniger zu sein. Sie bildet seine erste Motivation. Denn wir wissen, dass es keine reale Alternative gibt und geben kann. Daher ist in der Tat jede Kritik konstruktiv … Vielleicht wäre es wichtiger, den Anachronismus der Kritik zu verstehen, als mit der Kritik fortzufahren.
Das gilt erst recht für die Politik. Nationale, ideologische oder geopolitische Unterschiede sind anachronistisch und damit sinnlos geworden. Sie tauchen auf wie ein Spuk, um sich kurz darauf oder auch ein wenig später in Luft aufzulösen. Es gibt keinen Ort mehr, an dem das Universal TKM nicht die Regeln diktieren würde. Die, die einen anderen Anfang, einen Bruch mit TKM, zelebrieren, sind zu bloßer Rhetorik verdammt. Sie können »linke« oder »rechte« Popstars sein, aber ihre unglaubwürdigen Bemühungen sind umsonst. Religiöse Fanatiker gar, die mit barbarischen Aktionen die Phantasie erschüttern, sind nichts anderes als nichtig. So sehr ihre Opfer leiden, so nichtig ist ihr Tun.
Wenn anerkannt werden muss, dass mächtiger ist als das Subjekt, was nicht von ihm beherrscht werden kann, dann gilt das für das Universal TKM. Wenn das Mächtigste, was der Mensch kennt, (ein) Gott ist, dann ist TKM beinahe (ein) Gott; beinahe, weil zu zeigen sein wird, dass es nicht sein eigener Anfang ist. Auch ist es nicht in der Lage, die Konstituenten der Subjektivität vollends zu beherrschen. Freilich sind diese Konstituenten – die Determinationen der Intimität – für die Welt des Universals TKM marginal.
Das Universal TKM produziert notwendig Figuren des Lebens, die den aktuellen Determinationen des Universals nicht mehr entsprechen können. Ich bezeichne diese Figuren als Anachronismen. Der erste Anachronismus des Universals ist vielleicht die Religion. Fundamentalismus ist nichts anderes als eine Reaktion auf das Wissen, dass der Gott der Religion nicht mehr die höchste Macht unserer Welt ist. Wenn Religion überhaupt weiter besteht, dann als ein Moment der Intimität. Ihre Erklärungskraft, mit der sie den Kollektiven die Welt erklärt, indem sie sie erzählt, ist aufgezehrt. Der Anachronismus weiß das, will aber auf die wohlige Sicherheit, die von den alten Erzählungen ausgeht, nicht verzichten. Er weiß es umso mehr, als auch diese Erzählungen – universal, d. h. nicht nur im »Westen« – längst in die Produktionen eben des Universals hineingerissen wurden. Wie alles andere repräsentieren sie Kapital. Auch das Anachronistische ist Kapital, das Kapital der Nostalgie.
Die Macht des Universals TKM ist so präsent, dass die Frage nach der Revolution und ihrem Ausbleiben Gegenstand mancher Diskussion ist. Es wurde einmal gesagt, dass die »Ethik, auf die Geschichte angewendet, die Lehre von der Revolution«2 sei. Ein revolutionärer Geist wie der Ulrike Meinhofs verzweifelte schließlich an dem Anspruch, man könne eine Revolution »machen«. Denn es gebe »keinen Ort und keine Zeit« mehr, von dem und der aus »Du« anfangen könntest.3
Der Stil dieses Textes ist knapp, ja hart, wenn ich auch nicht auf ironische oder parodistische Passagen verzichtet habe. Um aber die Notwendigkeit der Knappheit zu verstehen, muss der ausführliche Anmerkungsteil zur Kenntnis genommen werden. Er präsentiert die philosophischen Quellen, auf die ich mich unausgesprochen beziehe.
Teile des Buches sind im Februar 2013 auf einer Kreuzfahrt der MSC Poesia (!) in der Karibik entstanden. Das Schiff umrundete Kuba, ohne in Havanna anzulegen. Die Insel blieb unerreichbar.4
Das Kreuzfahrtschiff ist in vielen Hinsichten eine Parabel auf die Gesellschaften unserer Zeit. Das hat auch Godard in Film Socialisme gezeigt. Doch im Unterschied von manchen, die sich vielleicht an historische Ereignisse halten, bin ich der Ansicht, dass das Kreuzfahrtschiff unsinkbar ist. Ich meine sogar, dass die Titanic, dieses Gesunkensein par excellence, in...