1.1 Definition von Technischen Indikatoren
Unter Technischen Indikatoren versteht man mathematische oder statistische Berechnungen auf der Basis von Kurs- und/oder Volumenzeitreihen. Da diese Verfahren meist umfangreiche Berechnungen erfordern, ist der Computer ein unverzichtbares Werkzeug. Erst die zunehmende Verbreitung des Personalcomputers in den 70er-Jahren brachte auch für die Technischen Indikatoren den Durchbruch. Seit Anfang der 80er-Jahre entwickelte sich unter dem Oberbegriff »Markttechnik« ein eigenständiger Bereich in der Technischen Analyse. Gab es anfangs nur wenige
Indikatoren, so ist ihre Anzahl mittlerweile auf mehrere tausend angewachsen.
Ein besonderer Vorteil der Technischen Indikatoren liegt darin, dass es meist sehr einfache und klare Regeln für deren Interpretation gibt. Im Gegensatz zur klassischen Chartanalyse, wo beispielsweise Chartformationen reichlich Platz für subjektive Interpretationsspielräume lassen, geben die Indikatoren klare Kauf- und Verkaufssignale. Ob diese Signale profitabel in der Praxis einsetzbar sind, bedarf allerdings der Überprüfung.
Als Beispiel soll hier kurz der Stochastik-Indikator vorgestellt werden. Dieser Indikator stellt die relative Position des Schlusskurses zu dem Höchst- und Tiefstkurs einer bestimmten Periode dar. Der Stochastik-Indikator bewegt sich in einer Spanne zwischen 0 und 100, wobei Werte über 80 als »überkauft« und Werte unter 20 als »überverkauft« interpretiert werden. Es gibt noch eine Reihe weiterer Interpretationsmöglichkeiten und auch abgewandelte Berechnungsmethoden, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen werde. Es ist sicher ein interessanter Aspekt zu wissen, ob eine Aktie überkauft oder eher überverkauft ist, doch allein aus der Tatsache, dass die Aktie sich in der Nähe ihres Tiefststandes der letzten 20 Tage befindet, einen Kauf abzuleiten, ist sicher zu kurz gegriffen.
Der Anleger sollte vielmehr die Indikatoren dazu verwenden, um weitere Informationen zu gewinnen. Denn wie ein Arzt die Temperatur, den Blutdruck und den Puls des Patienten misst, kann der Anleger die Indikatoren dazu verwenden, den Zustand des Marktes zu messen. Indikatoren, die die Volatilität, also die Schwankungsintensität des Marktes, messen, können tiefer gehende Informationen liefern, die nicht offensichtlich auch im Chart erkennbar sind. Auch Indikatoren, die die Kursentwicklung ins Verhältnis zur Handelsaktivität (Volumen) setzen, geben wichtige Hinweise.
Ein weiteres interessantes Instrument sind so genannte Marktbreite-Indikatoren, die auf der Basis einer Vielzahl von Aktien berechnet werden. Die Marktbreite-Indikatoren, wie beispielsweise die A/D-Linie, zeigen, ob der Aufschwung beziehungsweise Abschwung nur von wenigen Werten dominiert oder von der Masse der Aktien getragen wird.
Abb. 1: Im oberen Bereich des Charts wird der Kursverlauf der Siemens-Aktie dargestellt und darunter der Stochastic-Indikator mit seinen überkauften und überverkauften Bereichen.
Die wohl am weitesten verbreitete Form der Indikatoren sind die so genannten Trendfolger, die die vorherrschende Trendrichtung ermitteln sollen. Der bekannteste Vertreter dieser Kategorie ist der gleitende Durchschnitt. Durchbricht der Kursverlauf seine gleitende Durchschnittslinie von unten nach oben, so deutet dies auf einen Trendwechsel hin. Der Aufwärtstrend ist intakt, solange der Kurs über seinen gleitenden Durchschnitt verläuft. Befindet sich der Kurs unterhalb der Durchschnittslinie, wird dadurch ein Abwärtstrend signalisiert.
Abb. 2: Der Chart zeigt den Kursverlauf der Continental-Aktie mit dem 200-Tage gleitenden Durchschnitt als Indikator.
Eine weitere Gruppe unter den Indikatoren bezieht sich auf das Momentum, also die Geschwindigkeit, die ein Kurs entwickelt. Hier sind zum Beispiel die Rate of Change (RoC) oder der Relative Strength Index (RSI) zu nennen. Der RoC stellt die prozentuale Kursveränderung zwischen zwei Punkten dar. Dadurch hat dieser Indikator einen sehr flatterhaften Verlauf und weist auch kein festes Schwankungsintervall auf. Anders der RSI: Dieser zwischen 0 und 100 schwankende Indikator setzt die durchschnittlichen aufwärts gerichteten Kursänderungen mit den durchschnittlichen abwärts gerichteten Kursänderungen ins Verhältnis. Eine sehr interessante Erweiterung des RSI ist der Money Flow Index (MFI), der den RSI um eine Volumenkomponente erweitert. Anhand des MFI kann der Anleger erkennen, ob der Unterschied in der Handelsaktivität an positiven und negativen Tagen das Momentum des Trends bestätigt.
Wer bei seinen Analysen auf Technische Indikatoren zurückgreift, sollte sich im Vorfeld informieren, was diese Indikatoren eigentlich messen. Bei der Vielzahl an Indikatoren passiert es leider viel zu leicht, dass zwei Indikatoren mit wohlklingenden Namen fast das Gleiche messen, und so ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn sich diese Indikatoren gegenseitig in ihren Signalen bestätigen.
1.2 Einsatzgebiete von Indikatoren
Technische Indikatoren können Sie bei Ihren Anlageentscheidungen auf vielfältige Art und Weise unterstützen.
Sie können einen Indikator einsetzen, um konkrete Handelssignale zu erzeugen. In diesem Fall signalisiert der Indikator Ihnen den genauen Einstiegs- und/oder Ausstiegszeitpunkt. Der Indikator kann alleinige Entscheidungsgrundlage sein, aber auch im Verbund mit anderen Analysemethoden, die nicht unbedingt aus der Technischen Analyse stammen müssen, eingesetzt werden. So können Sie beispielsweise einen fundamentalen Ansatz verfolgen und eine Aktie anhand der Umsatz- und Gewinnentwicklung auswählen; der genaue Einstiegszeitpunkt wird dann durch einen Indikator bestimmt. Der Indikator ist somit für das Timing innerhalb einer übergeordneten Anlagestrategie zuständig.
Indikatoren können natürlich nicht nur für die Bestimmung des Einstiegszeitpunkts, sondern auch für die Auswahl von Wertpapieren verwendet werden. Dabei wird ein Indikator für alle Wertpapiere einer
vorher definierten Gruppe berechnet, und dann werden diejenigen Wertpapiere ausgewählt, die die besten Werte aufweisen. Ein Beispiel ist die Momentum-Strategie; dort werden diejenigen Wertpapiere ausgewählt, die sich in der Vergangenheit am besten entwickelt haben.
Bei der Kombination von Indikatoren fungiert ein Indikator als Signalgeber und ein zweiter Indikator als Filter. Der Filterindikator hat die Aufgabe, nur dann Signale des Signalgebers durchzulassen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Sind die Bedingungen nicht erfüllt, werden die Signale vom Filter blockiert und dürfen vom Anleger nicht umgesetzt werden. Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die in Phasen ausgeprägter Trends gut funktionieren, aber viele Fehlsignale liefern, wenn sich der Markt seitwärts bewegt. Mit Hilfe eines zweiten Indikators, der die Trendintensität bestimmt und als Filter fungiert, wird nun versucht, den ersten Indikator nur dann zum Zuge kommen zu lassen, wenn die Aussicht auf Erfolg groß ist.
Es gibt natürlich viele weitere Möglichkeiten, Signalgeber und Filter zu kombinieren. Sie können zum Beispiel mehrere Indikatoren als Filter einsetzen, die gemeinsam oder alternativ die Zeit bestimmen, wann Signale eines signalgebenden Indikators umgesetzt werden. Aber Sie können auch mehrere signalgebende Indikatoren mit einem Filter verknüpfen. Da sind Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Aber Indikatoren können auch hilfreich sein, wenn die eigentliche Anlageentscheidung schon gefallen ist. Sie können beispielsweise bei der Bestimmung der Positionsgröße eingesetzt werden und die Frage nach dem »Wie viel« beantworten. Hier bieten sich besonders Indikatoren an, die die Beweglichkeit eines Wertpapiers messen. Die Beweglichkeit wird als Maß für das Risiko angesehen. Wird die Positionsgrößenberechnung über die Beweglichkeit des zu erwerbenden Wertpapiers gesteuert, kann das Risiko einheitlich über die einzelnen Positionen des Depots verteilt werden.
Auch bei der Bestimmung von Stoppmarken oder Kurszielen kann auf Indikatoren zurückgegriffen werden. Eine Stoppmarke kann beispielsweise in Abhängigkeit von der Beweglichkeit des Wertpapiers berechnet werden. Dadurch kann die Wahrscheinlichkeit reduziert werden, dass die Stoppmarke durch eine zufallsbedingte Schwankung vorzeitig ausgelöst wird. Durch die Anpassung an die aktuelle Schwankungsintensität kann der Stopp aber nah genug an den Einstandskurs gesetzt werden, um vor großen Verlusten zu schützen.
1.3 Vor- und Nachteile von Indikatoren
Im Gegensatz zu vielen Instrumenten der klassischen Chartanalyse, wie insbesondere bei Chartformationen, geben die Technischen Indikatoren eindeutige Signale und bieten keinerlei Interpretationsspielraum. Wenn zwei Analysten den gleichen Indikator mit den gleichen Einstellungen einsetzen, kommen sie auch zum gleichen Ergebnis. Die Signale sind somit nachvollziehbar und erlauben eine nachträgliche Fehleranalyse.
Die Berechnung der meisten Indikatoren setzt den Einsatz eines Computers mit geeigneter Software voraus. Der Anwender ist damit von der Validität der eingesetzten Software abhängig, egal ob er nun eine spezialisierte Börsensoftware, eine Tabellenkalkulation oder eine selbst programmierte Software einsetzt. Mit der zunehmenden Komplexität der Software steigt auch die Gefahr, dass Softwarefehler die Ergebnisse beeinträchtigen. Daher sind umfangreiche Tests zu empfehlen, bevor Sie eine Software einsetzen.
Aber der Computer...