Zunächst lässt sich der Begriff Management aus institutioneller Perspektive beschreiben und bezieht sich dabei auf die Unternehmensführung. Die Geschäftsführung eines ambulanten Pflegedienstes oder auch die Pflegedienstleitung erfüllen demnach Aufgaben zur zielgerichteten Koordination von informationellen, personellen und sachlichen Ressourcen (vgl. HOEFFERT 2001, 6).
In funktionaler Perspektive hingegen bezeichnet Management die zur Leistungserstellung notwendigen Prozesse wie Zielsetzung, Planung, Organisation, Steuerung und Kontrolle. Ein Manager führt Fachaufgaben nicht selbst aus. Sie oder er stellt vielmehr die Rahmenbedingungen zur Verfügung, damit Pflegekräfte Fachpflege leisten können (vgl. FALK 2002, 7).
Nach der traditionellen Sichtweise von Management in Organisationen werden Menschen oder Personen als Kernelemente von Organisationen betrachtet, die ihrerseits gegenüber anderen Systemen als offen angesehen werden. BORSI vertritt im Gegensatz dazu die systemtheoretisch-konstruktivistische Sichtweise von Organisationen, die nicht Personen, sondern Kommunikationen als Kernelemente sozialer Systeme auffassen. Die Systeme dieser Sichtweise gelten als autopoietisch geschlossen. Pflegemanagement bedeutet nach dieser Lesart zunächst Selbstmanagement von Pflegeorganisationen und die Herausbildung einer eigenen Pflegeidentität. Der Fokus des Managementhandelns ist somit nicht mehr exakte Planung oder zielgerichtete Beeinflussung, sondern das prozessorientierte Setzen entsprechender Rahmenbedingungen zur Ermöglichung einer Selbstorganisation (vgl. BORSI 2001, Studienbrief 1, 16 f.). Dieser Auffassung wird in den nachstehenden Ausführungen gefolgt.
Der Begriff Konzept hat laut Lexikon zwei Bedeutungen:
- Entwurf, erste Fassung einer Rede oder Schrift
- Plan, Programm
Die Verwendung des Wortes Konzept in pflegewissenschaftlichen Schriften erfolgt ebenfalls in verschiedenen Zusammenhängen. So wird es beispielsweise als Bezeichnung der klassischen Denkgebäude der Pflege im Sinne von Pflegemodell oder Pflegetheorie benutzt. Auch die schriftliche Programmatik einer Pflegeeinrichtung wird als Konzept beschrieben (vgl. MEYER 2001, 14).
Als problematisch erweist sich eine Definition des Wortes Konzept, die ein Synonym zu dem Wort Begriff darstellt. Diese Deutung geht bei pflegewissenschaftlichen Texten wahrscheinlich auf ein Übersetzungsproblem zurück, denn das englische Wort concept heißt auf Deutsch Begriff. Das deutsche Wort Konzept ist eher als blueprint ins Englische zu übersetzen. Somit sind Verwirrungen vorprogrammiert (vgl. MEYER 2001, 39).
Wenn in dieser Arbeit ein Management-Konzept für einen ambulanten Pflegedienst beschrieben wird, geht es dabei um die schriftliche Programmatik, die das pflegerische Angebot für das spezifische Krankheitsbild der Tetraplegie beschreibt. Darüber hinaus wird in dem Konzept die Organisation des Pflegedienstes unter Berücksichtigung aktueller pflegewissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Kenntnisse dargestellt und analysiert. Zu Grunde gelegt wird dabei auch ein modernes Verständnis von Management, welches Management als einen dynamisch verlaufenden Entwicklungsprozess versteht. Kontinuität und Wandel schließen sich demnach nicht aus, sondern existieren gleichberechtigt nebeneinander.
Die Tetraplegie ist eine Form der Querschnittlähmung des Rückenmarks, bei der die Höhe der Läsion oberhalb des fünften Halswirbels zu einer Funktionseinschränkung der Arme und Beine führt. Bei Paraplegikern hingegen sind nur die Beine betroffen. Befindet sich die Schädigung des Rückenmarkquerschnitts oberhalb des vierten Halswirbels, spricht man von einem so genannten „hohen Querschnitt“, der mit einem zumindest zeitweisen Ausfall der Atemmuskulatur einhergeht (vgl. ISERMANN/BONSE 2001, 328 und KLINGELHÖFER/SPRANGER 2001, 410).
Entscheidend zur Beurteilung und Qualität der Querschnittlähmung sind einerseits die Höhe der Läsion und andererseits das Ausmaß der Schädigung (komplett oder inkomplett). Als häufigste Ursachen vollständiger oder halbseitiger Rückenmarksläsionen gelten Traumata aller Art, Tumore, Hämatome, Abszesse, Muskelentzündungen (z.B. nach viralen Infekten bei Heroinsüchtigen oder nach Impfungen), Muskelschwund (z.B. Multiple Sklerose) oder Strahlenmyelopathien nach Röntgentherapie (vgl. MUMENTHALER 1997, 21).
Hier steht die Form der Tetraplegie im Vordergrund, die mit einem hohen Maß an Abhängigkeit der Betroffenen durch eine komplette Atemlähmung einhergeht. Bedingt durch den hohen Querschnitt kommt es zu unterschiedlichen pathologischen Begleiterscheinungen:
- Durch die Läsion des Zwerchfellnervs (Nervus phrenicus) im Rückenmark entsteht eine komplette Lähmung des Zwerchfells. Die dauerhafte Anlage eines Tracheostomas wird ebenso notwendig wie die lebenslange maschinelle Beatmung. Durch die Respirationstherapie und den fehlenden Hustenreflex erhöhen sich die Gefahren der Atemwegsverschleimung und der Pneumonie. Da die Trachealkanüle unterhalb der Stimmbänder geblockt ist, können die Patienten nicht laut sprechen. Die Anlage spezieller Sprechkanülen gelingt nicht in jedem Fall und ist dann nur zeitweise möglich.
- Die Motorik ist in allen vier Extremitäten und im Rumpf so betroffen, dass willentliche Bewegungen nicht möglich sind. Unwillkürlich auftretende Spastiken müssen medikamentös gedämpft werden. Der Kopf kann bewegt werden, die Gesichtsmuskulatur ist ebenfalls erhalten. Kauen und Schlucken ist möglich, so dass die Patienten die Nahrung oral verabreicht bekommen können, die sie vertragen.
- Von der Lähmung betroffen sind die Harnblase und Darm. Der intermittierende sterile Einmalkatheterismus hat sich als die Form der Blasenentleerung erwiesen, die mit den wenigsten Komplikationen hinsichtlich Infektionen behaftet ist. Die Darmperistaltik ist erhalten, muss aber durch Suppositorien und andere Weichmacher unterstützt werden.
- Der Blutkreislauf ist bei den meisten Tetraplegikern beeinträchtigt: Aufgrund der verletzten Nervenbahnen im Rückenmark kann der Sympathikus-Nerv eine vom Gehirn bestimmte Vasokonstriktion nicht mehr weiterleiten. Die Folge ist eine Hypotonie und Bradycardie, die auch bei Anstrengung (z.B. Mobilisation) nicht gegenreguliert werden. Eine Mobilisation in den Rollstuhl ist dennoch bei den meisten Tetraplegikern über mehrere Stunden am Tag möglich.
- Temperaturregulationsstörungen gehören ebenfalls zu den pathologischen Begleiterscheinungen. Je nach der jeweiligen Umgebungstemperatur kühlt der Körper ab oder erwärmt sich, ohne dass er gegensteuern kann. Die zu den Schweißdrüsen verlaufenden Nervenbahnen sind unterbrochen. Dadurch wird das Schwitzen verhindert.
- Sensibilitätsstörungen haben Ultrahochgelähmte am ganzen Körper. Nur am Kopf ist das Gespür für Wärme und Kälte vorhanden. Schmerzen hingegen können am ganzen Körper vor allem als so genannte Phantomschmerzen wahrgenommen werden (vgl. TIEDEMANN 2004, 6-10).
Ein wichtiger Unterschied zwischen ärztlicher und pflegerischer Perspektive bei der Betreuung von Tetraplegikern besteht vor allem in der Zeit, die das jeweilige Personal mit den Patienten verbringt. Bei der ambulanten Pflege von Hochquerschnittgelähmten sind Pflegekräfte vierundzwanzig Stunden am Tag mit den Betroffenen zusammen in deren Wohnung oder Haus, während ein Hausarzt ein bis zweimal in der Woche für etwa fünf Minuten zur Visite kommt. Der Berufsgruppe der Pflege kommt also bei der Versorgung eine zentrale Rolle zu, da sie am intensivsten mit dem Patienten arbeitet und ihn daher am besten kennt. So übernehmen Pflegende eine koordinierende Funktion bei der Betreuung, weil sie entscheiden müssen, wann welche Form der Hilfe bei verschiedenen Problemen hinzugezogen werden muss. Gerade in der häuslichen Pflege geschieht dieses in enger Abstimmung mit den kommunikationsbehinderten Patienten, die schon allein zur Kontaktaufnahme mit ihrem Hausarzt auf Unterstützung angewiesen sind. Um eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten erscheint es also sinnvoll, wenn die „Rehabilitation als pflegerische Kernaufgabe“ (vgl. KRISTEL 1998) von Betroffenen und Betreuenden so wahrgenommen wird, dass die Bedeutung der Vermittlerfunktion des Pflegepersonals allen bewusst ist und akzeptiert wird. Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens in die fachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten kann so eine hohe pflegerische und medizinische Qualität gesichert werden.
Aus pflegerischer Sicht ist ein ganzheitlicher Ansatz bei der häuslichen Versorgung von Tetraplegikern angebracht, der über eine rein medizinisch-funktionale...