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E-Book

Theodor Storms öffentliches Wirken

Eine politische Biografie

AutorKarl E Laage
VerlagBoyens Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783804230255
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Theodor Storm als 'homo politicus' ist von der Forschung und von den Lesern erst verhältnismäßig spät entdeckt worden. Es gibt zwar mehrere frühe Einzeluntersuchungen, aber eine zusammenfassende Darstellung der politischen Aktivitäten und Ansichten Storms ist erst 1989 mit einer Ausstellung im Husumer Storm-Haus und mit dem dazu von K. E. Laage herausgegebenen Katalog versucht worden ('Der kritische Storm'). Dieser neue Band zum Thema bietet neue Einsichten, indem der Autor K. E. Laage nun das gesamte Leben des Dichters unter dem Aspekt seiner politischen Tätigkeiten und Anschauungen untersucht. Aber auch die Zeit, in der Theodor Storm lebte, erhält schärfere Konturen - gerade im Hinblick auf die geschichtlichen Ereignisse seiner Zeit.

Prof. Dr. Karl Ernst Laage, Studium der Germanistik, Latinistik und Slawistik in Kiel und Tübingen, Gründer des Storm-Museums in Husum, Ehren-Präsident der Storm-Gesellschaft, lange Zeit Professor an der Universität Kiel. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Theodor Storm und anderen Themen der Literatur.

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Leseprobe

Theodor Storm, dem im November 1852 vom dänischen König die Bestallung als Rechtsanwalt entzogen worden war, ist am 23. November 1853 in Berlin im Kammergericht (in der Lindenstraße) auf die preußische Verfassung vereidigt worden. Das war für ihn – wie er es seiner Frau gegenüber ausgesprochen hat (24.9.1853) – „ein recht saurer Gang“: Ihn drückte das Gefühl, dass er in einem „wildfremden Lande, wo einem doch der Boden unter den Füßen fehlt, in ein Verhältnis der Unterordnung“ treten, „dienen“ sollte, „was ich nie gekonnt habe“.

Für den Emigranten, der in der „goldenen Zeit“ (vgl. S. 13) des dänischen Gesamtstaates aufgewachsen war und als selbständiger Rechtsanwalt sein gutes Auskommen hatte, waren die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse in Preußen viel beengter, als er sich das vorgestellt hatte. Der junge Assessor spürte, dass er alle seine Kräfte aufbieten musste, um sich in das hier übliche „millionenfach detaillierte“ Verfahren einzuarbeiten (an Brinkmann 13.2.1854), dass er nur ein „Rad in der Staatsmaschine“ war, und dass es schwer war, die „Arbeits-Hetzjagd, unter der ein preußischer Richter lebt“, zu überstehen (an Esmarch, 22.12.1854).

Eine politische Betätigung verbot sich unter diesen Umständen von selbst. Trotzdem ist Storm in Potsdam und Heiligenstadt ein politischer Mensch geblieben; er hat auf die neuen politischen und sozialen Gegebenheiten, die sich ihm darboten, reagiert, nicht öffentlich zwar, aber in Briefen, in persönlichen Gesprächen und in seiner Dichtung.

In Gesprächen mit Fontane und anderen Dichterfreunden hat er seine Kritik an Preußen nicht zurückgehalten. Er bemängelte, dass in Preußen die „goldene Rücksichtslosigkeit“ fehle, „die allein den Menschen innerlich frei“ mache (an Fontane 27.3.1853), und meinte, dass in der Gesellschaft, besonders in der Beamtenschaft, zuviel Rücksicht genommen werde auf „Rang, Titel, Orden und dergleichen Nippes“; nicht die „Persönlichkeit“ gelte, nicht „die Vollendung der sittlichen, der Gemütsbildung“, sondern die „Rücksichtnahme“ auf ein „bequemes Leben“.

Fontane dagegen meinte, dass es in Preußen „so wenig exklusive Gesellschaft“ gebe wie sonst „nirgends in der Welt“. Storm hielt dagegen (5.6.1853): „Fragen Sie Ihren Grafen Arnim doch einmal, ob er dem Prof. Dove oder dem Maschinenbauer Borsig auch seine Tochter zur Ehe geben wolle!“ und fügte hinzu: „ein junger Mann sollte zu stolz sein, in einem Hause zu verkehren, wovon er bestimmt weiß, daß man ihm die Tochter nicht zur Frau geben würde.“

Storm hat diese und ähnliche kritische Gedanken dann in seinem Gedicht „Für meine Söhne“ zum Ausdruck gebracht (zum erstenmal gedruckt im „Deutschen Museum“ 1854, I 66 f.):

 

Für meine Söhne

 

Hehle nimmer mit der Wahrheit!

Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;

Doch, weil Wahrheit eine Perle,

Wirf sie auch nicht vor die Säue.

 

Blüte edelsten Gemütes

Ist die Rücksicht; doch zu Zeiten

Sind erfrischend wie Gewitter

Goldne Rücksichtslosigkeiten.

 

Wackrer heimatlicher Grobheit

Setze deine Stirn entgegen;

Artigen Leutseligkeiten

Gehe schweigend aus den Wegen.

 

Wo zum Weib du nicht die Tochter

Wagen würdest zu begehren,

Halte dich zu wert, um gastlich

In dem Hause zu verkehren.

 

Was du immer kannst, zu werden,

Arbeit scheue nicht und Wachen;

Aber hüte deine Seele

Vor dem Karriere-Machen.

 

Wenn der Pöbel aller Sorte

Tanzet um die goldnen Kälber,

Halte fest: du hast vom Leben

Doch am Ende nur dich selber.

 

Es war offenbar der Unterschied zwischen Preußen bzw. dem „Militärkasino“ Potsdam und den verhältnismäßig zwangsfreien politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im dänischen Gesamtstaat, den Storm empfunden und der ihn zu dem Disput mit Fontane sowie zu dem Gedicht „Für meine Söhne“ angeregt hat. Storm jedoch hat seine Kritik an Preußen bzw. an dem „Berliner Wesen“ (an Fontane 27.3.1853)1 aus der „schmutzigen Welle der Alltäglichkeit“ (an Brinkmann 18.2.1854) auf eine höhere Ebene gehoben, indem er sie als allgemeine Regeln für „seine Söhne“ formuliert hat. Dabei hat er auf seine brieflichen Auseinandersetzungen mit Fontane zurückgegriffen („goldene Rücksichtslosigkeit“, „wo zum Weib du nicht die Tochter …“), aber er ist noch einen Schritt weitergegangen und hat ganz konkret das „Karriere“-Denken der Gesellschaft angeprangert.

Fonate missfiel die „ewige Verkleinerung Preußens“; sie war seiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.2 Storm aber blieb bei seiner Kritik und seiner politischen Linie.

Besonders kritisierte Storm die Militarisierung des preußischen Staates: „Der Militaire-Etat“ – so schrieb er seinem Freund Brinkmann (18.12.1854) – „frißt hier ja alles auf, und da bleibt für die Civilbeamten, die eine so schwere und massenhafte Arbeit haben, … nichts übrig“. Seinen Eltern gegenüber beklagte er den „preußischen Menschenverbrauch im Staatsmechanismus, daß die Mehrzahl auch nur in Hoffnung auf ein Bändchen im Knopfloch <Orden, Beförderung> auszuhalten vermag“ (7.5.1854). „Beamter zu sein hier“ – so meinte er – „ist das denkbar trostloseste“ (an Brinkmann 22.8.1854).

Storms Abneigung gegen die Dominanz des Militärischen im preußischen Staat war so groß und wurde von Storm so oft artikuliert, dass Fontane ihn deswegen verspottete, weil Storm „einen Gardeleutnant (von dem ihm ein gut Teil zu wünschen gewesen wäre)“ entweder für „unbedeutend“ oder „nichtssagend“ oder für „ein trauriges Werkzeug der Tyrannei“ hielt3.

14 Theodor Storm: „Für meine Söhne“ (Handschrift in einem Brief Storms an Paul Heyse im Oktober 1854: StA Husum). Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Preußen. Storm an Fontane am 20.3.1853: „Es scheint mir im Ganzen ‚die goldene Rücksichtslosigkeit’ zu fehlen (vgl. 2. Strophe) und am 3.6.1853: „ein junger Mann sollte zu stolz sein, in einem Hause zu verkehren, wovon er bestimmt weiß, dass man ihm die Tochter nicht zur Frau geben würde“ (vgl. die 4. Strophe).

Selbst in der kleinen 1854 in Potsdam entstandenen Novelle „Im Sonnenschein“ sind Storms antipreußischen und antimilitärischen Emotionen spürbar. Sie besteht nur aus einem „ersten“ und einem „letzten“ Kapitel, und der „Roman“ – so Heyse an Storm (24.10.1854) – fehlt; aber es wird doch deutlich, dass hier die Liebe zwischen zwei jungen Menschen zerstört wird, weil der Vater des Mädchens, offenbar Inhaber einer größeren Firma, seiner Tochter die Verbindung mit dem von ihr geliebten Offizier versagt.

Im ersten Teil der Novelle führt der Dichter den Leser in einen stillen, blühenden Garten, und das „Glück“ der Liebenden scheint vollkommen zu sein (I 356). Aber ein dunkler militärisch-preußischer Ton klingt auf, allerdings ohne dass die Liebenden ihm Bedeutung zumessen. Fränzchen weiß wohl, dass „die ganze Firma“, auch ihr Vater, „die Soldaten eigentlich nicht leiden“ kann (I 351). Aber sie meint, ihre Liebe durchsetzen zu können („Ich bin meines Vaters Tochter“) (I 351). Der Geliebte ist ganz Soldat: Als von der Stadt „Militärmusik“ herüberschallt, „leuchten“ seine Augen. Und wenn er mit seinem Rohrstock auf die Pflanzen und das Ungeziefer einschlägt, meint man einen Soldaten vor sich zu haben, der mit dem Säbel zuschlägt und den Gegner mit dem Degen niederstößt. „Das kannst du bleiben lassen“ meint die Geliebte (I 353).

Im zweiten Teil der Novelle wird deutlich, dass der Vater sich durchgesetzt und dass die „Hochzeit“, von der seine Tochter geträumt hat (I 351), nicht zustande gekommen ist: „er war Offizier und Edelmann, und <der Vater> war immer sehr gegen das Militär“. (I 359)

Mit der Ernennung zum Kreisrichter (September 1856) und dem Umzug von Potsdam nach Heiligenstadt im katholischen Eichsfeld begann für Storm ein neuer Abschnitt seines Emigrantendaseins. Wie er seiner Mutter versicherte (24.1.1858), wollte er sich durch die „kümmerlichen Verhältnisse“ und die „fremdartige Beschäftigung“ nicht davon abhalten lassen, „an der Fortbildung seines geistigen und moralischen Menschen fortzuarbeiten“. Auch seine politischen Träume gab er nicht auf. Ihm ging es nach wie vor um eine demokratischere Gesellschaft mit größeren Freiheiten für den Einzelnen, mit weniger sozialen Abgrenzungen und Klassen, mit weniger ökonomischen Zwängen.

Das wird ansatzweise schon in seiner Novelle „Drüben am Markt“ (1861) deutlich. Die Hauptgestalt, der „Doktor“, ist der Sohn einer „Schneiderswitwe“ und wohnt in einem „schmalen altertümlichen Haus“ (I 442 ff.). „Drüben“ am Markt, in dem „großen Giebelhaus“, wohnt der Zweite Bürgermeister. Seine Tochter wünscht sich der Doktor zur Frau, richtet für sie im oberen Stockwerk seines schmalen Hauses ein vornehmes, dem Lebensstandard des Mädchens entsprechendes Mahagoni-Zimmer ein, erhält von ihr aber einen Korb. „Drüben“ am Markt, das ist eine andere, höhere Welt, die dem Sohn der Schneiderswitwe unerreichbar ist. Das Mädchen heiratet einen „Justizrat“. Die Standesgegensätze und die ökonomischen Gegebenheiten sind offenbar unüberwindbar.

Um soziale Spannungen geht es auch in der Novelle „Auf der Universität“ (1862/63). Lore ist die Tochter eines französischen „Flickschneiders“ und wohnt „am Ende der...

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