A Die altisraelitische Zeit
I. Die Verwurzelung der Israeliten im kanaanäischen Glauben
Einleitung
Der Glaube Israels hat sich in seiner Ausrichtung auf Jahwe geschichtlich, notabene in geschichtlichem Erleben, herausgebildet1. Hieraus erwächst die Notwendigkeit, sein historisches Werden zu verfolgen, will man die Faktoren, die zu seiner Eigenart beitrugen, in ihrer Gewichtung recht verstehen und auf die Ebene treten, von der aus die Nachfahren ihrerseits die adäquate Haltung gegenüber Gott finden können. Nun ist es freilich in der Quellenlage zur Geschichte Israels, in erheblicherem Maße aber im Wesen des Religiösen selbst begründet, daß sich nur die entscheidenden Schritte, welche die menschliche Seite im Denken und Erkennen sowie dem daraus hervorgehenden Agieren voranbrachte, aufspüren lassen. Zudem liegen die frühesten Bewegungen israelitischen Glaubens ebenso im Dunkel wie die Anfänge israelitisch-jüdischer Geschichte und haben zu kontroversen Urteilen Anlaß gegeben.
Als altisraelitische Zeit, deren religiösen Bewegungen in dem ersten Hauptteil nachgegangen wird, versteht sich der Zeitraum von der nicht mehr im einzelnen aufhellbaren Frühzeit israelitischer Geschichte, mithin ebenso der einzelnen Gruppen, welche das nachmalige Israel bildeten, bis hin zu den Ereignissen, die der mehr und mehr eigenständigen Entfaltung der Staaten Israel und Juda ein Ende setzten und sie der Strahlungskraft expandierender Mächte unterwarfen. Man kann dafür, in geschichtlichen Epochen denkend, den Übergang vom 9. zum 8. Jh. v.Chr. ansetzen2.
Zur Problemlage um die Anfänge israelitisch-jüdischer Geschichte – wieweit man von Eroberung Palästinas, friedlicher Infiltration oder Umwälzungen in der ansässigen Bevölkerung bzw. einer die verschiedenen Gesichtspunkte verbindenden Hypothese ausgehen muß – vgl. Isserlin; Lemche, 1984; Soggin, History, 1984; Miller-Hayes; Noort; Fritz, 1987; Thiel, 1988; Soggin, 1988; Gunneweg, 61989 (41–43); Sigrist-Neu (Hgg.); Mazar; Gnuse, 1991; Weippert, 1991; Soggin, Gedanken, 1991; ders., Einführung, 1991 (bes. 120f); Herrmann, 1992 (hier 108–113. 115); Vieweger, 1993; Ahlström (334–370, es gibt keine archäologischen oder schriftlichen Daten, welche einen Bruch der Besiedlung im 12. Jh. nachweisen, keine Erscheinung ist mit den Israeliten in Verbindung zu bringen, ethnische Zuweisung unmöglich, im 12./11. Jh. Anwachsen der Besiedlung in Mittelpalästina, auch da keine ethnische Zuweisung möglich, nicht nachzuweisen, daß die Leute von außen kamen, offenbar von verschiedenen Seiten, archäologisch zeigt sich die Kultur als kanaanäisch; zum Problem der Frühgeschichte Israels: die Mittelposition ist zu befürworten, nämlich das friedliche Zusammenwachsen von Leuten offenbar hauptsächlich semitischer Herkunft, die von außerhalb des Kulturlandes und von innen her zueinander fanden); Fohrer, 61995; Donner, 21995; Dever, Ceramics, 1995; ders., Part I, 1995 (befaßt sich mit der Problematik der Frühge-schichte); ders., Part II, 1995 (forschungsgeschichtliche Erörterung religionswissenschaftli-cher Perspektiven, bei der Diskussion über die israelitische Religion dürfen die archäologi-schen Erkenntnisse nicht außer acht gelassen werden); Finkelstein (in der frühesten Zeit – Ende des 2. Jt. – läßt sich archäologisch nichts über eine Volkszugehörigkeit der Siedler im Bergland ausmachen); Lemche, 1996 (die vorderorientalische Gesellschaft läßt sich nicht in die drei Idealtypen Nomaden, Bauern, Stadtbewohner aufteilen, es sind verschiedene Erscheinungsformen des Nomadismus zu konstatieren, Nomaden trieben z.T. auch Ackerbau, Städte z.T. auch Landbau, Bauern waren auch Viehzüchter, 39–41. 97f); Fritz, 1996; ders., 1997; Ahituv-Oren (Edd.); Long (Ed.), 1999 (die Problematik gegenwärtiger Überlegungen zur Geschichte Israels, alles ist in Bewegung, Wiederabdruck [z.T. in Übersetzung] von 32 bereits vorher publizierten Aufsätzen) – Der Beachtung besonders zu empfehlen ist Zuber, IV Nomadentum und Seßhaftigkeit, 99–138 (argumentiert unter Einbeziehung der Vegetation von den agrarischen Verhältnissen, den wirtschaftlichen Möglichkeiten, den geographi-schen und klimatischen, auch ökonomischen Gegebenheiten her; man dürfe nicht eine Sicht der Vorgänge als die allein zutreffende erklären, der Volkskörper Palästinas stellte in jeder Epoche seiner alten Geschichte ein vielfältiges Gebilde kleiner Systeme und Identitäten dar, die sich auf alle Stufen zwischen Nomadentum und Seßhaftigkeit verteilten und in Raum und Zeit fluktuierten, 133)
Unbenommen bleibt angesichts dessen freilich die Realität, daß der in die geschichtliche Tiefe eintauchende Blick in die Welt kanaanäischer Religiosität vordringt3. Dort hat der Glaube Israels seinen ältesten Wurzelboden, der über alle Veränderungen und Bereicherungen hinweg die Weise bestimmte, wie die Israeliten dem Göttli-chen und endlich desgleichen Jahwe gegenübertraten, wie sie empfanden und das Erleben verarbeiteten, welches aus der Gotteswelt auf sie zukam.
Man kann an diesem Sachverhalt schwerlich vorübergehen, wenn man sich klar macht, daß die im palästinischen Kulturland eingebürgerten Sippenverbände, die sich zu dem späteren, geschichtlich greifbaren, Israel zusammenschlossen, in – oft enger – Nachbarschaft zur kanaanäischen Bevölkerung existierten4, und man darf fragen, inwieweit sie nicht – wenigstens zu einem nicht unerheblichen Teil – dieser Population zugerechnet werden müssen und von dorther kulturell bestimmt waren5.
Im Vorspann zu den sogenannten Rettererzählungen, welche den Grundstock des Richterbuches bildeten, steht eine aufschlußreiche Bemerkung, die man nach ihrem Wahrheitsgehalt hinterfragen mag. Es heißt da: „Die Israeliten siedelten inmitten der Kanaanäer, nahmen sich deren Töchter zu Frauen und gaben ihre Töchter deren Söh nen, und sie verehrten deren Götter“6. Es ist möglich, das Verhältnis der Israeliten zu den Kanaanäern betreffend, hier geradezu von einem Schlüsselsatz zu sprechen. Er besagt, das alte Israel habe im Konnubium mit den Kanaanäern gelebt und deren Religiosität geteilt7. Das ist nicht zuletzt ablesbar an den theophoren Personennamen, deren als von Angehörigen der Israeliten getragen nicht wenige mit Namen kanaanäischer Gottheiten gebildet sind, und die Namen legen Zeugnis ab von dem Glauben derjenigen, die sie ihren Kindern gaben8. Man hat allerdings gemeint, auf Grund des Inschriftenbestandes zu einem anderen Urteil kommen zu müssen9. Die Schlußfolgerung ist, das Gros der Israeliten habe keine Götter neben Jahwe verehrt, allenfalls Angehörige der Oberschicht. Das theophore Element ba‘al in Eigennamen bezeichne Jahwe als den Herrn und die prophetische Polemik gegen Fremdkult habe vornehm lich Dämonen und Geister im Visier. Auf der anderen Seite besteht die Vermutung, die mit ba‘al gebildeten Eigennamen in den Ostraka von Samaria seien offensichtlich auf Phöniker zu beziehen10.
Die jetzt vorliegende bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt vollständige Erfassung der althebräischen Inschriften aus der Zeit vom 10. bis 6. Jh. v.Chr.11 macht freilich davon abweichende Erwägungen möglich und mahnt zu vorsichtigem Urteilen. Denn die Belege rühren überwiegend aus Fundorten im judäischen Gebiet her, können demnach für das gesamte palästinische nicht als eindeutig repräsentativ gelten. Es läßt sich von daher mit einem gewissen Vorbehalt die Beobachtung treffen, daß hinsichtlich der Namengebung, das theophore Element Jahwe auf der einen Seite und Elemente sogenannter kanaanäischer Gottheiten auf der anderen anbelangend, bis hinein in das achte Jahrhundert die jahwehaltigen Namen in der Minderzahl sind und erst ab dem siebenten häufiger werden, folglich während der Zeit, in welcher der Staat Israel nicht mehr existierte12.
Wenn das kleine Stück Ri 3,5a.6 auch z.T. oder gar vollständig spät formuliert worden ist13, so hat es doch Richtiges bewahrt und relativ kurze Zeit zurückliegende Tatsächlichkeiten ins Gedächtnis gerufen, wie auf vielfältige Weise erkannt und aus der alttestamentlichen Literatur begründet werden kann14.
Daß die Israeliten in der Nachbarschaft zu den Kanaanäern lebten, bezeugt gleichfalls das sogenannte negative Besitzverzeichnis in Ri 1,21.27–3515. David integrierte den kanaanäischen Bevölkerungsteil Palästinas in sein israelitisch-judäisches Großreich und sein Nachfolger Salomo räumte ihnen gleiche Rechte ein, so daß sie – namentlich in dem Staatswesen Israel der folgenden beiden Jahrhunderte – Politiker, Militärs und Kaufleute stellten. Immerhin hatte David schon eine alte kanaanäische Stadt zu seiner Residenz gemacht. Darüber hinaus unterhielten die beiden ersten Könige Israels politische Beziehungen zu dem phönikischen Hauptort Tyrus. Diese Politik setzten im 9. Jh. die Omriden fort, die sich in ihrem Staate entscheidend auf das kanaanäische Element stützten, was zur Prosperität Israels nicht zum wenigsten beitrug.
Endlich sei an einen kurzen Satz aus dem Buche Ezechiel erinnert, der sich am Anfang der großen, aus Scheltwort und Gerichtswort bestehenden Redeeinheit von 16,1–43* findet. Eingeleitet mit der Botenformel heißt es in Richtung auf Jerusalem: „Deine Herkunft und deine Abstammung sind aus dem Lande der Kanaanäer“16. Das ist ein im folgenden geschichtlich begründeter Vorwurf, in welchem sich die Wendung gegen kanaanäisches Wesen in Lebensweise und Religion ausdrückt. Beides wird polemisch apostrophiert.
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