Ich unterscheide zwei Arten der Intuition, die aufeinander aufbauen und die ich nun anhand des Vorganges, eine Entscheidung zu treffen darstelle: Die eine Intuition behandelt sehr persönliche Eingebungen. Ich nenne sie schlicht persönliche Intuition (PI). Eine Intuition, die alles, was wir jemals erlebten in unserem Erfahrungsgedächtnis abspeichert und zu allem Wesentlichen eine emotionale Einstellung oder einen Marker parat hat, um schnell und effizient handeln zu können, wenn wir in uns hinein horchen. Dieser Marker sagt uns, ob der Weg A zu einem Problem C besser funktioniert bzw. bisher besser funktionierte als der Weg B. Darin ist eine Wenn-Dann-Verknüpfung enthalten: Wenn Sie A nehmen, werden Sie erfolgreicher sein. Dieser Marker zeigt uns, welche Motive in welchen Lebensrollen mit einem Thema bei uns wie emotional verknüpft sind und somit auch, worauf wir in einer Entscheidung besonders achten sollten. Solche Wenn-Dann-Verknüpfungen sind sehr sinnvoll, weil sie eine Situation durch persönliche Faustregeln auf das Wesentliche reduzieren.
Dennoch gibt es manche komplexe Situation, die so neu ist, dass die bisherige Wenn-Dann-Verknüpfung nicht mehr oder nur scheinbar funktioniert. Dies führt uns zu dem, was ich die systemische Intuition (SI) nenne.
Eine Intuition, die nicht wirklich alleine funktioniert – sie benötigt die persönliche Intuition – wenn Sie so wollen die emotionalen Erfahrungen, unsere Menschenkenntnis – als Grundlage. Sie braucht den oder die EntscheiderIn, den Zugang zu den persönlichen impliziten Einstellungen und Erfahrungen, den Zugang zu den persönlichen Entscheidungsmotiven. Dennoch ist in komplexen und v.a. für andere risikoreichen Situationen mehr notwendig als 'nur' die persönliche Intuition: eine Art Rückversicherung durch die Erweiterung der Sichtweise. Die systemische Intuition widmet sich dem geschickten Erkennen von Mustern, systemischen Zusammenhängen und Settings. Vieles von dem, was die systemische Intuition kann oder können muss ist bereits in der persönlichen Intuition angelegt: Körperwahrnehmungen, erst nach innen, dann nach außen gerichtet, das Lesen von Mimiken oder allgemeine Menschenkenntnis bezeichnen einige wichtige Punkte. Wenn die PI sich mehr dem Innenleben, d.h. der internen Verarbeitung von Emotionen, Stress als mögliche Folge von Angst und Konflikten als mögliche Folge von Wut widmet, so widmet sich die systemische Intuition u.a. der Frage: Welchen systemischen Zweck erfüllen Emotionen, sozialer Stress und Konflikte, wenn Sie an Team-oder Produkt-Entscheidungen denken?
Oftmals müssen wir uns in die Rollen anderer hinein versetzen, um eine Entscheidung zu treffen, so wie sich Therapeuten-Menschen in Klienten-Menschen hineinversetzen, um an deren Stelle zu empfinden, ob Weg A besser ist als Weg B. Wir müssen für unseren Vorgesetzten oder unser Unternehmen Entscheidungen treffen, hinter denen wir zumindest mit dem Herzen nicht immer ganz stehen.
Wir müssen entscheiden, welche Eigenschaften ein Produkt zum Knüller des Jahres machen oder wann ein Projekt am erfolgreichsten sein wird. Kurz: Wir müssen eine Entscheidung treffen, die nicht nur von unserer eigenen Erfahrung abhängt, sondern auch von vielerlei fremden Interessen.
Die systemische Intuition hat somit auch zu einem vermeintlich unpersönlichen Thema eine Meinung – sofern wir das Thema gut genug kennen oder uns gut genug einfühlen können. Dadurch können wir auch zu einem unpersönlichen Thema eine sichere Entscheidung treffen. Eine Entscheidung, die das System erhält, z.B. einen Kunden glücklich macht – oder eine Entscheidung, die das System erweitert, z.B. unseren Wohlstand oder unser Ansehen in einer Firma oder Einrichtung vergrößert – oder eine Entscheidung, die das System eines Anderen stützt, wieder herstellt oder sinnvoll erweitert. Auf eine pragmatische Art und Weise spielt hier unsere Fähigkeit zu Empathie zu Menschen und Produkten (!) eine wichtige Rolle, wie ein Beispiel im Getty-Museum in Los Angeles unterstreicht. Nach langem Hin und Her, nach langen Untersuchungen und Analysen einer vermeintlich uralten griechischen Statue, die das Museum erwerben wollte, steht eines Tages ein Fachmann vor der Statue und empfindet ein Gefühl der Frische. Da diese Frische kaum mit einem alten Relikt vereinbar erscheint, wird die Statue noch einmal auf 'Hals und Nieren' untersucht mit dem Ergebnis: es handelte sich um eine Fälschung![12].
Wir sollten dennoch nicht vergessen, dass eine komplette Trennschärfe unmöglich ist. Denn letzten Endes klingen bei jedem externen Thema in uns auch eigene Emotionen an. Konkret entscheiden wir auch aufgrund unserer Erfahrungen darüber, ob ein ähnliches Produkt bereits mindestens einmal gut vermarktet wurde oder nicht bzw. ob ein Klienten-Mensch bzw. dessen Prozesse Ähnlichkeiten mit früheren Klienten-Menschen und deren Prozessen aufweist.
Dieses Einfühlen in ein Thema, ein Produkt oder einen Klienten-Menschen finden wir im Focusing unter der Überschrift 'Response'. Der Therapeuten-Mensch fühlt sich in die Gedanken- und Gefühls-Welt seines Klienten-Menschen soweit ein, dass er im Idealfall für ihn entscheiden könnte. Dass die Grenze hierbei sehr fein sein kann wird auch anhand der Unterscheidungen klar: Wo hört das 'Meine' auf und wo fängt das 'Seine' oder 'Ihre' an?
Dieses Einfühlen in die Welt des Klienten-Menschen unter Bezugnahme auf Resonanzphänomene wird sehr anschaulich in Joachim Bauers Buch "Warum ich fühle, was du fühlst" beschrieben. Er beschreibt die Spiegelneuronen und die Gedanken, Bilder, Gefühle, Körperempfindungen, usw. als genau die ergänzenden Informationen, die einen therapeutischen Prozess erst vollständig machen. Erst durch das Einbringen dieser Inhalte durch den Response des Therapeuten-Menschen werden Klienten-Menschen, insbesondere diejenigen, denen der Zugang zu ihrer inneren Welt fehlt – und dies ist schließlich ein gewichtiges Thema in Therapien – befähigt, eben jenen Zugang wieder zu finden.
"Es ist paradox", klagte Einstein, "dass wir ... angefangen haben, den Diener (Verstand) zu verehren und die göttliche Gabe (Intuition) zu entweihen." Dabei verfügen wir über eine sehr mächtige Entscheidungsgrundlage, wenn wir beide Quellen unserer Erfahrung nutzen. Zur Standortbestimmung die Intuition und zur Zielsetzung den Geist.
Die Untersuchungen von Professor Weston H. Agor zeigen, dass Menschen östlicher Länder, insbesondere im fern-asiatischen Raum intuitiver denken und entscheiden. Die Befreiung des Ichs von weltlichen Themen ist ja auch ein Markenzeichen östlicher Religionen. Dort wird allerdings eher von holistisch, also ganzheitlich gesprochen, z.B. von holistischen Unternehmensstrukturen, die den Menschen als Ganzes begreift.
Intuition bedeutet, Zeichen zu erkennen, die Situationen oder Personen aussenden, um daraus Handlungsmaximen ableiten zu können. Intuition filtert Doppeldeutigkeiten in der Kommunikation. Intuition heraus und lässt uns auch in kulturell unsicherem Gelände das Angemessene tun.
Dabei werden mangelnde Informationen so rekonstruiert, dass es einen Sinn ergibt. Wenn Sie so wollen sind Sie bereits im Geiste einen Schritt in der Zukunft und bauen ihn bereits, bevor Sie ihn gehen, in Ihren Gesamt-Handlungs-Kontext mit ein. Dadurch wird dieser Schritt im Focusing-Sinne logisch in der Rückbetrachtung. Dies ist bisweilen äußerst effektiv, ein kleiner Schritt in Richtung Hellsehen, kann aber auch gefährlich sein, wenn unsere Erfahrungen uns an der Nase herumführen oder die persönliche Umwelt sich zu sehr weiterentwickelt hat.
Es wurde Zeit, doch seit einigen Jahren tut sich etwas rund um das Thema Intuition. Es wurde wieder wissenschaftlich hoffähig und bewegt sich weg von dem Gebiet der Parapsychologie und Esoterik. Dies ist nicht zuletzt auch ein Verdienst des Psychologie-Professors Gerd Gigerenzer und einiger Neurologen, Neurobiologen oder Neuropsychologen wie Antonio R. Damasio.
Gigerenzer definiert Intuition als etwas, ...
das rasch im Bewusstsein auftaucht, sofern wir offen dafür sind,
dessen tiefere Gründe Ihnen nicht bewusst sind und
das stark genug ist, um danach zu handeln.
Diese Definition funktioniert im Zuge unserer persönlichen Intuition zu 100%. Die systemische Intuition jedoch funktioniert ein wenig anders. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Schauspieler und stehen auf der Bühne. Sie spielen Ihre Rolle mit absoluter Hingebung. Sie spielen nicht nur Hamlet: Sie sind Hamlet. Für die Stunden, die Sie auf der Bühne stehen (plus Vorbereitung und Nachbereitung) sind Sie Hamlet bis in die letzte Faser Ihres Körpers. Sie denken wie er, Sie fühlen wie er und ... Sie haben seine Emotionen, seine Intuition und verfolgen seine Motive.
Sie...