1.
»MAN MUSS FÜR DAS BRENNEN, WAS MAN IN ANDEREN ENTZÜNDEN WILL.«
»Vom Visionär zum Millionär«, das klingt unrealistisch. Doch am Anfang jeder erfolgreichen Karriere steht eine Vision. Ein Traum und ein Plan, wie man sein Leben gestalten will. Das eigene Ziel im Blick zu behalten und beharrlich zu verfolgen, das zeichnet einen Menschen aus, der seine Vision in Erfolg ummünzt. Er ist wie ein Kapitän, der sein Schiff durch ruhige und stürmische Zeiten lenkt, um an sein Ziel zu kommen. Der Weitblick zu den Sternen am Himmel ist wie ein Wegweiser, die eigene Intuition dient als innerer Kompass. Als ich zum ersten Mal meinen Blick in die Zukunft schweifen ließ, sah ich nur unendliche Weite. Doch selbst in dieser großen Weite fielen mir erste Fixpunkte ins Auge, die später zu den Grundpfeilern meiner Karriere werden sollten. Meine »Stars« waren so unterschiedlich wie authentisch. Dr. Martin Luther King mit seinem berühmten Ausspruch »I have a dream« begeisterte mich mit seiner unbändigen rednerischen Kraft und seinem revolutionären Drang, die Welt für seine Landsleute zu verbessern. Er hatte es gewagt, Dinge offen auszusprechen, die andere nicht einmal zu denken wagten. Er hatte sich an die Spitze einer Bewegung gestellt und war ihr bis zum bitteren Ende treu geblieben. Voller Überzeugung hatte er für seine Sache gekämpft und sich damit in den Herzen unzähliger Menschen verewigt. Er hatte ungeheure gesellschaftliche Kräfte in Bewegung gesetzt. Er ist wie kaum ein Zweiter das Beispiel schlechthin, wie weit man es mit Leidenschaft und Herzblut bringen kann.
Martin Luther King hat das Land geprägt, das ich bis heute sehr gerne bereise. Trotz aller Vorbehalte, die man in Zeiten von Trump & Co. gegenüber den USA haben mag, bin ich ein großer Fan des amerikanischen Lebensstils. Das Land atmet den Geist von Freiheit und Unabhängigkeit. Bis heute bin ich gerne in den USA, um Land und Leute zu entdecken. Und so ist auch mein zweites großes Idol ein US-Amerikaner. Elvis Presley, der »King of Rock’n’Roll« mit seiner zweifelsohne großartigen Stimme, zeigte mir, wie sich mit Leidenschaft und Präsenz die eigenen Träume in die Tat umsetzen lassen. Dabei waren die Bedingungen, unter denen er aufwuchs, nicht einfach. Er hatte eine alles andere als unbeschwerte Kindheit. Sein Zwillingsbruder starb bereits bei der Geburt, seine Eltern waren Land- und Textilarbeiter mit bescheidenem Salär. Und auch wenn nicht viel Geld für ausgiebige Freizeitaktivitäten vorhanden war, machte die Familie des jungen Elvis doch das Beste aus dem wenigen, was sie hatte. Elvis wuchs in dem kleinen Ort Tupelo in Mississippi auf. Die technischen Neuerungen der Zeit waren dort noch nicht angekommen. Kaum jemand in Tupelo besaß ein Radio, geschweige denn einen Fernseher. Stattdessen war das Haus der Presleys das abendliche Epizentrum für Unterhaltung. Denn kreativ wie sie waren, sorgten die Presleys mit ihrem Gospelchor für regelmäßiges Entertainment. Mittendrin der kleine Elvis, der mit seiner sonoren Stimme schnell die Hauptattraktion des kleinen Orts und später der ganzen Vereinigten Staaten wurde.
Ähnlich wie Elvis, wuchs auch ich in einfachen Verhältnissen auf. 1963 in Stuttgart geboren, musste ich im Alter von drei Jahren von meinem Vater Abschied nehmen, den es zurück in seine Heimat Griechenland zog. Trotz Mutter und Großmutter an meiner Seite musste ich schnell lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Aufgrund der schwierigen familiären Verhältnisse war das keine leichte Zeit für mich. In Zeiten von Patchwork und freien Lebenspartnerschaften fällt es schwer zu glauben, wie anders das Familienleben in der westdeutschen Provinz der 60er-Jahre war. Gemusterte Tapeten, Möbel, die man heute nur noch in Retroläden findet, und die klare Vorstellung von einer »guten« Familie prägten diese Zeit. In den 60er-Jahren war das Modell der alleinerziehenden Mutter keineswegs gang und gäbe. Ganz im Gegenteil: Alleinerziehende Mütter wurden kritisch beäugt, ihre Lebensweise wurde stetig auf den Prüfstand gestellt. Immer wieder bemerkte ich die Skepsis, die meiner Familie entgegengebracht wurde. So klein ich auch war, ich spürte die Blicke der Nachbarn, bemerkte ihre Fragen: Wo ist der Ehemann? Warum hat er seine Frau verlassen? Wie kann die Mutter ihren Sohn allein versorgen und gleichzeitig arbeiten, ohne ihn zu vernachlässigen? Das Westdeutschland der 60er-Jahre, das ich erlebte, war geprägt von einem konservativen Familienbild, in dem der Vater die Verantwortung zu übernehmen hatte. Nur war mein Vater über alle Berge. Wenn ich etwas aus dieser Zeit gelernt habe, ist es, dass man sich in seinem Leben nicht von der Meinung anderer abhängig machen darf. Egal, wie erdrückend die Mehrheitsmeinung auch sein mag, egal, wie massiv der soziale Anpassungsdruck auch sein mag: Man muss sich selbst treu bleiben. Wer hätte dem kleinen Jungen aus der Stadt Weil, dem Jungen mit Migrationshintergrund und ohne Vaterfigur, zugetraut, einst ein millionenschweres Unternehmen zu führen? Niemand! Und doch habe ich es geschafft entgegen allen Widrigkeiten und Zweifeln. Eben weil ich auf meinem Weg geblieben bin ungeachtet aller Ratschläge und Vorwürfe. Und dieser Weg führte mich zu dem erfolgreichen Unternehmen, das ich heute führe.
Hindernisse und Hürden gab es auf diesem Weg genug – privat wie beruflich. Und das schon von jungen Jahren an. Ich musste früh lernen, selbstständig zu sein. Die klassische familiäre Arbeitsteilung mit dem Vater als »Versorger« und der fürsorgenden Mutter, die in damaligen Verhältnissen üblich war, gab es bei uns nicht. Meine Mutter wie meine Großmutter arbeiteten in einer nahe gelegenen Fabrik, um unseren Unterhalt zu sichern. Sie legten jeden Pfennig zurück, drehten jede Münze zweimal um. Die Akkordarbeit ließ ihnen nicht viel Zeit, sich um mich zu kümmern. Daher schickten sie mich in ein Tagesheim nach Leonberg, einem kleinen beschaulichen Städtchen in der Nähe von Stuttgart. An jedem Wochentag nahmen wir um 5:30 Uhr morgens den ersten Zug. Während die meisten anderen Kinder noch tief in ihren Träumen versunken waren, stand ich schon auf der Matte. Und ich strahlte. Ich war bereit loszugehen. Ich wollte die Welt entdecken und Dinge erleben. Eine Neugier, die mich auch heute immer wieder zu neuen Ufern treibt.
Diese Neugier sollte neues Futter bekommen, als ich mit sechs Jahren eingeschult wurde. Ich versprach mir viel von der Schulzeit, wollte Neues lernen. Aber es lief keineswegs alles gradlinig. Alles begann damit, dass ich nach wenigen Schultagen feststellen musste, dass ich die Buchstaben an der Tafel nicht richtig erkennen konnte. Sie verschwammen vor meinen Augen zu einer unlesbaren weißen Masse auf grünem Hintergrund. Von da an und nach einem kurzen Besuch beim Augenarzt war klar: Ich brauchte eine Brille. Doch bekam ich keine gewöhnliche Brille. Nein, ich trug eine regelrechte Panzerglasbrille. Die Gläser waren dicker, als es meinem Erscheinungsbild noch zuträglich gewesen wäre. Und ehe ich mich versah, galt ich in der Klasse nur noch als die »Brillenschlange«. Schon auf dem Weg zur Schule fing es an. Die anderen Kinder riefen mir hinterher: »Brillenschlange, Brillenschlange! Na, hast du auch deine Gläser gut geputzt?« Niemand wollte mit mir spielen. Als ich einmal einen Klassenkameraden fragte, ob wir etwas zusammen machen wollten, antwortete er nur: »Lern erst einmal richtig zu gucken.« Auf dem Schulhof und im Klassenzimmer ging es weiter mit den Hänseleien. Zu Beginn versuchten die Lehrer noch, mich gegen die Anfeindungen zu verteidigen. Aber sobald sie der Klasse den Rücken zudrehten oder gerade nicht in der Nähe waren, ging es wieder von vorn los: »Brillenschlange, Brillenschlange!« Kinder können grausam sein.
Meine Situation in der Schule war damit alles andere beneidenswert. Man könnte sagen: »Na, wenigstens konnte der Junge Kraft schöpfen aus dem innersten Kreis der Familie.« Zum Teil stimmt das auch. Gleichwohl erwarteten mich zuhause einige Probleme, mit denen ich früh fertig werden musste.
Schon als kleiner Junge erkannte ich, dass etwas seltsam war an meiner Mutter und Großmutter. An einem Tag feierten sie ausgelassen, waren geradezu euphorisiert, ohne dass aus meiner Sicht etwas Besonderes passiert war. Am nächsten Tag lagen sie zermürbt, müde und »verkatert« im Bett. Sie waren kaum dazu zu bewegen, überhaupt aufzustehen. Zunächst konnte ich mir ihre Stimmungsschwankungen nicht erklären. Ich war schlicht zu jung für diese Dinge. Aber später verstand ich, dass es am Alkohol lag. Doch warum hatten beide angefangen, zu exzessiv zu trinken?
Beide, meine Mutter wie auch meine Großmutter, hatten ihr Päckchen zu tragen, Erlebnisse, die sie nie wirklich verarbeiten konnten. Während des Zweiten Weltkrieges hatte meine Großmutter eine Affäre. Ihr Mann trennte sich daraufhin von ihr, als der Krieg vorbei war. Auch meine Mutter wurde verlassen. Von meinem Vater, von dem ich bis heute nichts gehört...