Einleitung
Geschichte des TNM-Systems
Das TNM-System zur Klassifikation der malignen Tumoren wurde von P. Denoix (Frankreich) in den Jahren 1943–1952 entwickelt [1].
1950 bestellte die UICC ein Committee on Tumour Nomenclature and Statistics. Dieses Komitee griff für die Klassifikation der klinischen Stadien die vom Subkomitee der WHO zur Registrierung von Krebserkrankungen und ihrer statistischen Erfassung [2] vorgeschlagenen allgemeinen Definitionen der lokalen Ausdehnung maligner Tumoren auf.
1958 veröffentlichte das Komitee seine ersten Empfehlungen für die klinische Stadieneinteilung des Brust- und Larynxkrebses und für die Darstellung der Behandlungsergebnisse [3]. Eine zweite Veröffentlichung im Jahr 1959 enthielt revidierte Vorschläge für die Klassifikation des Brustkrebses, deren klinische Anwendung und die Auswertung einer 5-Jahres-Periode (1960–1964) [4].
1968 wurden vorausgegangene Broschüren in einem Taschenbuch, dem „Livre de Poche“ [5], zusammengefasst. Ein Jahr später erschien ein Ergänzungsband mit Empfehlungen für die Durchführung von Feldstudien, für die Darstellung von Endergebnissen sowie für die Bestimmung von Überlebensraten [6]. Das „Livre de Poche“ wurde nach und nach in 11 Sprachen übersetzt. 1974 und 1978 erschienen die 2. und 3. Auflage [7, 8] mit Klassifikationen neuer anatomischer Bezirke und Verbesserungen früher veröffentlichter Klassifikationen. Die 4. Auflage der TNM-Klassifikation wurde 1987 veröffentlicht [9].
1993 veröffentlichte das TNM Committee das „TNM Supplement“ [10]. Der Zweck dieses Buches war, die einheitliche Anwendung von TNM durch die Veröffentlichung von detaillierten Erklärungen mit praktischen Beispielen zu fördern. Eine 2. Auflage erschien 2001 [11], die 3. Auflage 2003 [12] und die 4. Auflage 2012 [13].
Das Komitee veröffentlichte auch den TNM-Atlas als illustrierten Leitfaden für die Klassifikation maligner Tumoren. Die 6. Auflage wurde 2014 publiziert und entsprach in ihrem Inhalt der 7. Auflage der TNM-Klassifikation maligner Tumoren [14].
1995 veröffentlichte das TNM Committee das Buch „Prognostic Factors in Cancer“ [15], eine Zusammenstellung und Diskussion von anatomischen und nichtanatomischen Prognosefaktoren bei Krebserkrankungen verschiedener Lokalisation. Eine 2. Auflage erschien 2001 [16] die 3. Auflage im Jahr 2006 [17].
Die vorliegende 8. Auflage enthält Regeln für die Klassifikation und das Staging, die im Wesentlichen denen der 8. Auflage des AJCC Cancer Staging Manual (2016) [18] entsprechen. Wiewohl UICC und AJCC identische Klassifikationen haben möchten, gibt es kleinere Unterschiede, die als Anmerkungen gekennzeichnet sind. Wo immer möglich basiert die Klassifikation der UICC auf publizierten Evidenz-basierten Empfehlungen.
Der Aufbau und die Weiterentwicklung eines allgemein anerkannten Klassifikationssystems konnten nur auf der Basis engster Zusammenarbeit aller nationalen und internationalen Komitees gelingen. Nur so ist eine einheitliche Sprache aller Onkologen beim Vergleich ihres klinischen Krankengutes und bei der Bewertung ihrer Behandlungsresultate zu erreichen. Während die Klassifikationen generell auf publizierter Evidenz basieren, sind sie in Abschnitten ohne sehr gute Evidenz auf einem internationalen Konsensus aufgebaut. Nach wie vor bemüht sich die UICC um eine allgemeine Zustimmung zur Klassifikation der anatomischen Ausbreitung der Erkrankung.
Genauere Angaben zur Geschichte sind auf der UICC-Website verfügbar: www.uicc.org
Prinzipien des TNM-Systems
Aus der Erfahrung, dass die Überlebensraten bei lokalisierten Krebserkrankungen höher liegen als bei Ausbreitung über das Ursprungsorgan hinaus, entwickelte sich die Praxis, Krebspatienten nach sog. Stadien in verschiedene Gruppen zu unterteilen. Diese Gruppen wurden häufig als „Früh-“ bzw. „Spätfälle“ bezeichnet, wobei eine stetige Progression während des Krankheitsverlaufes angenommen wurde. Dabei kann das Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht nur die Wachstumsrate und die Ausdehnung der Geschwulst, sondern auch die Art des Tumors und die Tumor-Wirt-Beziehung widerspiegeln.
Es ist wichtig, für jede Lokalisation exakte Angaben über die Tumorausbreitung zu registrieren, um folgende Ziele zu erreichen:
- dem Kliniker bei der Behandlungsplanung zu helfen,
- Hinweise auf die Prognose zu geben,
- zur Auswertung der Behandlungsergebnisse beizutragen,
- den Informationsaustausch zwischen Behandlungszentren zu erleichtern,
- zur kontinuierlichen Erforschung der menschlichen Krebserkrankungen beitragen und
- Bemühungen zur Kontrolle von Krebserkrankungen zu unterstützen.
Die Bestimmung der anatomischen Ausbreitung (Cancer staging) ist sowohl für die Forschung betreffend die Betreuung der Patienten als auch zur Kontrolle von Krebserkrankungen sehr wichtig. Aktivititäten zur Beherrschung der Krebserkrankungen schließen neben direkten die Patienten-Betreuung betreffenden Bemühungen auch die Entwicklung und Implementierung von klinischen Handlungs-orientierten Leitlinien mit ein. Dazu kommen zentralisierte Aktivitäten wie Feststellung der Tumorausbreitung in Krebsregistern zum Zwecke der Überwachung. Diese verschiedenen Komponenten erleichtern die Auswertung von Erkrankungen in einer bestimmten Population. Die Feststellung der Stadien ist sehr wichtig für die Auswertung klinischer Handlungs-orientierter Leitlinien und Krebsprogramme. Um die Langzeitverläufe in Populationen auswerten zu können, ist es wichtig, dass Klassifikationen stabil bleiben. Dabei kann es zu Konflikten kommen, dadurch dass eine Klassifikation als relevant erkannt und klinisch angewandt wird und damit gebräuchliches medizinisches Wissen unterstützt, während andererseits eine Klassifikation beibehalten wird und damit die Durchführung langfristiger (longitudinaler) Studien unterstützt. Die UICC unterstützt beide Ziele. Eine internationale Verständigung über die Klassifikation von Krebserkrankungen nach ihrer anatomischen Ausbreitung bietet eine Methode an, klinische Erfahrungen Anderen in eindeutiger Weise zur Verfügung zu stellen.
Es gibt viele Grundlagen oder Achsen einer Klassifikation, z. B. der anatomische Sitz sowie die klinische und pathologische Ausbreitung der Erkrankung, die anamnestische Dauer der Beschwerden oder Symptome, Geschlecht und Alter der Patienten, der histologische Typ und Differenzierungsgrad. Alle diese Parameter haben einen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Erkrankung. Das TNM-System behandelt in erster Linie die Klassifikation nach anatomischen Ausbreitung der Erkrankungen. Der Kliniker hat vordringlich die Prognose zu beurteilen und eine Entscheidung hinsichtlich der wirkungsvollsten Behandlung zu treffen. Diese Beurteilung und diese Entscheidung erfordern – unter anderem – eine objektive Bestimmung der anatomischen Ausbreitung der Erkrankung.
Um die genannten Anforderungen zu erfüllen, benötigen wir ein Klassifikationssystem, das
- in seinen grundlegenden Prinzipien ungeachtet der Behandlung auf alle anatomischen Bezirke anwendbar ist und
- spätere Ergänzungen durch Informationen, die erst durch histopathologische Untersuchung und/oder chirurgische Eingriffe erhältlich sind, zulässt.
Das TNM-System entspricht diesen Erfordernissen.
Allgemeine Regeln des TNM-Systems („General Rules“)
Das TNM-System zur Beschreibung der anatomischen Ausbreitung der Erkrankung beruht auf der Feststellung der 3 Komponenten:
T | Ausbreitung des Primärtumors |
N | Fehlen oder Vorhandensein und Ausbreitung von regionären Lymphknotenmetastasen |
M | Fehlen oder Vorhandensein von Fernmetastasen |
Durch Hinzufügen von Ziffern zu diesen 3 Komponenten wird die Ausbreitung der malignen Erkrankung angezeigt:
Im Grunde ist das System eine „Kurzschrift“ zur Beschreibung der Ausdehnung eines bestimmten malignen Tumors.
Grundregeln, die sich auf alle anatomischen Bezirke anwenden lassen
- Alle Fälle sollen mikroskopisch bestätigt sein. Alle nicht auf diese Weise verifizierten Fälle müssen gesondert aufgeführt werden.
- Für jede Lokalisation werden 2 Klassifikationen beschrieben:
- a) Klinische Klassifikation: die prätherapeutische klinische Klassifikation, bezeichnet als TNM (oder cTNM), ist wichtig für die Auswahl und Bewertung der Therapie. Sie basiert auf vor der Behandlung erhobenen Befunden. Solche ergeben sich aufgrund von klinischer Untersuchung, bildgebenden Verfahren, Endoskopie, Biopsie, chirurgischer Exploration und anderen relevanten Untersuchungen.
- b) Pathologische Klassifikation: die postoperative histopathologische Klassifikation, als pTNM bezeichnet, wird für die Indikation zur adjuvanten Therapie verwendet und liefert zusätzliche Daten um die Prognose abzuschätzen und Endergebnisse zu berechnen. Bei dieser Klassifikation wird der vor der Behandlung festgestellte Befund ergänzt oder abgeändert durch Erkenntnisse, die beim chirurgischen Eingriff und durch die...