Vorwort von Richard Smith
Wahrscheinlich schüttelt es viele Leute, wenn sie hören, dass Peter Gøtzsche demnächst einen Vortrag hält, oder wenn sie seinen Namen im Inhaltsverzeichnis einer Fachzeitschrift lesen. Er gleicht dem kleinen Jungen, der nicht nur sieht, dass der Kaiser nichts anhat, sondern dies auch sagt. Die meisten von uns bemerken nicht, dass der Kaiser nackt ist, oder sie halten den Mund angesichts seiner Blöße. Darum brauchen wir Menschen wie Peter. Er ist kompromisslos und kein Heuchler, und er bevorzugt eine unverblümte Sprache mit anschaulichen Metaphern. Manche oder sogar viele Leserinnen und Leser dieses Buches mögen darüber empört sein, dass Peter die Pharmaindustrie mit dem organisierten Verbrechen vergleicht, doch wer das Buch darum beiseitelegt, verpasst die Chance, etwas Wichtiges über die Welt zu lernen – und darüber schockiert zu sein.
Peter beendet sein Buch mit einer Geschichte. Die Dänische Gesellschaft für Rheumatologie bat ihn, zum Thema Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Ist sie wirklich so schädlich? zu sprechen. Ursprünglich lautete der Titel: Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Ist sie schädlich? Aber das war der Organisation zu heftig. Zu Beginn seines Vortrags zählte Peter die »Verbrechen« der Sponsoren der Konferenz auf. Roche sei durch den illegalen Verkauf von Heroin groß geworden. Abbott habe ihm den Zugang zu unveröffentlichten Studien der Arzneimittelbehörden verweigert, die die Gefährlichkeit eines Schlankheitsmittels belegten. Auch UCB habe Studienergebnisse verheimlicht, und Pfizer habe die Food and Drug Administration belogen und sei in den Vereinigten Staaten wegen der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneien zu einer Strafe von 2,3 Milliarden Dollar verurteilt worden. Merck habe mit falschen Behauptungen über ein Arthritis-Medikament den Tod von Tausenden Patienten verursacht. Nach dieser Eröffnung begann er mit seinem Angriff gegen die Industrie.
Sie können sich vorstellen, dass die Sponsoren vor Wut kochten und die Organisatoren peinlich berührt waren. Peter zitiert einen Kollegen, dem es so vorkam, als »habe ich vielleicht ein paar Leute, die unschlüssig waren, eher abgeschreckt«. Aber die meisten Zuhörer waren auf seiner Seite und fanden seine Kritik gerechtfertigt.
Die vielen begeisterten Verfechter der regelmäßigen Mammografie zur Brustkrebsvorsorge sympathisieren vielleicht mit den Sponsoren, weil Peter sie kritisiert und ein Buch über seine Erfahrungen rund um die Mammografie veröffentlicht hat. Mir ist wichtig, dass Peter einer der wenigen Menschen ist, die routinemäßige Mammografien ablehnten, als er mit seinen Nachforschungen begann. Er wurde deswegen heftig angegriffen, behielt aber im Wesentlichen recht.
Als die dänischen Behörden ihn aufforderten, die Belege für den Nutzen der Mammografie zu prüfen, hatte er noch keine bestimmte Meinung dazu. Doch bald stellte er fest, dass ein großer Teil dieser Belege nicht überzeugend war. Sein allgemeines Fazit lautete: Regelmäßige Mammografien können vielleicht einigen Frauen das Leben retten, wenn auch viel seltener, als die Befürworter behaupten, jedoch auf Kosten zahlreicher falsch positiver Diagnosen, die Frauen zu nutzlosen und Angst auslösenden Operationen verleiten. Außerdem werden dabei zu viele harmlose Tumore entdeckt. Der folgende Streit über die routinemäßige Mammografie verlief bitter und feindselig, aber heute könnte man Peters Standpunkt als herrschende Meinung bezeichnen. Sein Buch zu diesem Thema zeigt detailliert auf, wie Wissenschaftler Daten fälschen, um ihre Meinungen zu verteidigen.
Mir ist seit Langem klar, dass Wissenschaftler Menschen sind und keine objektiven Roboter. Darum sind sie vielen menschlichen Schwächen unterworfen. Aber ich war entsetzt über Peters Fallbeispiele zur Mammografie in seinem Buch.
Auch dieses Buch ist zu einem großen Teil ähnlich schockierend. Es zeigt, wie korrupt Wissenschaftler sein können, um eine bestimmte Einschätzung und Beweisführung zu stützen. Geld, Profite, Jobs und das Image korrumpieren am häufigsten.
Peter räumt ein, dass manche Medikamente sehr nützlich sind. Darum schreibt er: »In meinem Buch geht es nicht um die wohlbekannten Vorteile mancher Arzneimittel, zum Beispiel um die großen Erfolge im Kampf gegen Infektionen, Herzkrankheiten, einige Krebsarten und Hormonmangelzustände wie Diabetes Typ 1.« Manche Leser mögen das für unzureichend halten; doch Peter legt Wert darauf, dass dieses Buch vom Scheitern des ganzen Systems handelt, von der Art und Weise, wie Medikamente entwickelt, produziert, vermarktet und überwacht werden. Es ist kein Buch über den Nutzen von Arzneien.
Viele Leser dieses Buches werden fragen, ob Peter übertreibt, wenn er die Aktivitäten der Pharmaindustrie mit dem organisierten Verbrechen vergleicht. Das amerikanische Recht definiert organisiertes Verbrechen als wiederholte Straftaten bestimmter Art, zum Beispiel Erpressung, Betrug, Drogenhandel, Bestechung, Unterschlagung, Behinderung der Justiz und der Polizei, Beeinflussung von Zeugen und Korruption in der Politik. Peter legt Beweise vor, meist in allen Details, um seine Behauptung zu untermauern, dass Pharmakonzerne die meisten dieser Straftaten begehen.
Und er ist nicht der Erste, der diese Industrie mit dem organisierten Verbrechen vergleicht. Er zitiert einen ehemaligen Vizepräsidenten bei Pfizer mit den Worten:
Die Ähnlichkeit zwischen dieser Industrie und dem organisierten Verbrechen ist beängstigend. Die Mafia verdient unverschämt viel Geld, diese Industrie ebenfalls. Die Nebenwirkungen des organisierten Verbrechens sind Morde und Tote, und das sind auch die Nebenwirkungen dieser Industrie. Die Mafia besticht Politiker und andere Leute, die Pharmakonzerne tun das ebenfalls.
Auf jeden Fall gerät die Industrie häufig mit dem Gesetz in Konflikt, und Firmen wurden zu Milliardenstrafen verurteilt. Peter nimmt sich die größten zehn Unternehmen im Detail vor, doch es gibt noch viele andere. Wahr ist auch, dass sie immer wieder Straftaten begehen, vielleicht mit dem Kalkül, dass sie mit Gesetzesverstößen trotz der Strafen hohe Gewinne erzielen können. Man kann die Strafzahlungen als »Geschäftsausgaben« betrachten, so wie Heizung, Strom und Miete.
Die Industrie tötet viele Menschen, viel mehr als das organisierte Verbrechen. Hunderttausende sterben jedes Jahr an verschreibungspflichtigen Medikamenten. Viele halten das für nahezu unvermeidlich, weil diese Arzneimittel gegen Krankheiten eingesetzt werden, die ihrerseits tödlich sind. Aber ein Gegenargument lautet: Der Nutzen der Medikamente wird übertrieben, und die Belege für ihre Wirksamkeit werden häufig gefälscht. Dieses »Verbrechen« kann man der Industrie getrost vorwerfen.
Ein bekanntes Wort des großen Arztes William Osler lautet, es wäre gut für die Menschheit und schlecht für die Fische, würfe man alle Medikamente ins Meer. Das sagte er vor der therapeutischen Revolution Mitte des 20. Jahrhunderts, der wir Penicillin, andere Antibiotika und viele weitere wirksame Arzneimittel verdanken. Dennoch stimmt Peter weitgehend mit ihm überein, wenn er spekuliert, es ginge uns ohne die meisten Psychopharmaka besser, da ihr Nutzen gering, der von ihnen angerichtete Schaden erheblich und ihr Konsum enorm sei.
Der größte Teil dieses Buches trägt Beweismaterial dafür zusammen, dass die Pharmakonzerne die Wissenschaft systematisch korrumpieren, indem sie den Nutzen ihrer Medikamente übertreiben und den Schaden herunterspielen. Als Epidemiologe, der über eine enorme Erfahrung im Umgang mit Zahlen ebenso wie über eine Leidenschaft fürs Detail verfügt, und als weltweit führender Kritiker klinischer Studien steht Peter auf sehr festem Boden. Zusammen mit vielen anderen, unter ihnen ehemalige Herausgeber des New England Journal of Medicine, deckt er dunkle Machenschaften auf. Er weist nach, dass die Industrie Ärzte, Akademiker, Fachzeitschriften, Berufs- und Patientenorganisationen, Hochschulinstitute, Journalisten, Kontrolleure und Politiker kauft. Das sind Mafiamethoden.
Dieses Buch spricht auch Ärzte und Akademiker nicht frei. Man könnte argumentieren, dass Pharmakonzerne tun, was man von ihnen erwartet, wenn sie die Profite ihrer Aktionäre mehren. Ärzte und Akademiker sollten jedoch moralischer handeln. Gesetze, die Firmen vorschreiben, Zahlungen an Ärzte offenzulegen, beweisen, dass sehr viele Ärzte eng mit der Pharmaindustrie verbunden sind und dass viele von ihnen sechsstellige Geldbeträge dafür erhalten, dass sie Unternehmen beraten oder in ihrem Auftrag Vorträge halten. Man kann sich der Schlussfolgerung nur schwer entziehen, dass diese wichtigen Meinungsmacher gekauft werden. Sie sind Söldner der Industrie.
Und wehe dem, der Missstände aufdeckt oder gegen die Industrie aussagt. Peter berichtet von mehreren Informanten, die gejagt wurden, und John le Carrés Roman Der ewige Gärtner über die Skrupellosigkeit von Pharmakonzernen wurde ein Bestseller und ein erfolgreicher Hollywoodfilm. Es ist wie bei der Mafia.
Darum ist es nicht ganz unrealistisch, die Pharmakonzerne mit dieser zu vergleichen. Auch die Öffentlichkeit ist trotz ihrer Begeisterung für Medikamente skeptisch gegenüber der Pharmaindustrie. In einer Umfrage in Dänemark landete die Pharmaindustrie auf dem vorletzten Platz, als die Teilnehmer gefragt wurden, welchen Unternehmen sie vertrauten. In einer amerikanischen Umfrage bildete die Pharmaindustrie zusammen mit den Tabak- und Ölkonzernen das Schlusslicht. Der Arzt und Autor Ben Goldacre äußert in seinem Buch Die Pharma-Lüge den...