2 Gesichter des Assessment-Centers
Das Assessment-Center ist nüchtern betrachtet ein Auswahlverfahren, das die Aufgabe hat, die erfolgversprechendsten Kandidaten von den weniger passenden Kandidaten zu unterscheiden. Im Assessment-Center wird die Passgenauigkeit auf die jeweilige Stelle geprüft. Das Auswahlverfahren trifft damit keine Aussage über die generellen Berufs- und Erfolgsaussichten. Es stehen vielmehr folgende Fragen im Vordergrund:
- ❑ Passt der Kandidat ins Team?
- ❑ Wie arbeitet der Kandidat?
- ❑ Was für ein Typ ist der Bewerber?
- ❑ Wie verhält sich der Kandidat in der Interaktion?
- ❑ Wie arbeitet er mit anderen zusammen?
- ❑ Kann sich der Bewerber integrieren?
- ❑ Ist er konfliktfähig?
- ❑ Kann er seine Untergebenen motivieren?
Bei den eingesetzten Übungen und Methoden stehen die Anforderungen der Stellenausschreibung im Vordergrund. In einem Assessment-Center kann man diese berufliche Situation zumindest teilweise simulieren: Sei es der Umgang mit Untergebenen oder die Reaktion auf Stress. Die folgenden Beispiele verdeutlichen den Einfluss der jeweiligen Position auf die Anforderungen und damit auch auf die Übungen im Assessment-Center:
Position: Vorgesetzter | ❑ | Anforderungen: Führungsmotivation, Intelligenz, Sozialkompetenz etc. |
| ❑ | Übungen im AC: Rollenspiel, Mitarbeitergespräch, Gruppendiskussion, psychometrische Fragebögen, Postkorb, Fallstudien, kognitive Leistungstests u.a. |
Position: Berater | ❑ | Anforderungen: Extraversion, Selbstbewusstsein, Sozialkompetenz etc. |
| ❑ | Übungen im AC: Rollenspiel, Präsentation, Gruppenübung, Persönlichkeitstest, Gabeltest u.a. |
Position: Assistent | ❑ | Anforderungen: Sozialkompetenz, Intelligenz, Gewissenhaftigkeit etc. |
| ❑ | Übungen im AC: Postkorb, Persönlichkeitstest, Interview, Rollenspiel u.a. |
Position: Entwickler | ❑ | Anforderungen: Kreativität, Offenheit für Erfahrungen, Intelligenz, Sozialkompetenz etc. |
| ❑ | Übungen im AC: Fallstudie, Konstruktionsaufgabe, Team-Diskussion u.a. |
Einsatzbereiche
Personalauswahl
Das Assessment-Center wird nicht nur zur externen Personalauswahl, sondern auch zur internen Personalauswahl bzw. bei Beförderungen oder Versetzungen angewendet. Der Hintergrund: Sicher nicht ganz ernst gemeint, aber dennoch gängig ist der Spruch, dass ein Mitarbeiter so lange befördert wird, bis er die Stufe der Inkompetenz erreicht hat. In diesem Spruch steckt leider ein wahrer Kern. Ist ein Mitarbeiter ein guter Verkäufer, so bedeutet das noch lange nicht, dass er auch ein guter Verkaufsleiter wäre. Dennoch ist es normale Praxis, den „besten“ Mitarbeiter mit der Beförderung zu belohnen. Der Gedanke, ob die Anforderungen der neuen Position den Fähigkeiten des Mitarbeiters entsprechen, spielt dabei eine untergeordnete Rolle und das entsprechende Können wird vorausgesetzt. Das gilt dann so lange, bis der Mitarbeiter seine Inkompetenz erreicht hat und auf einem Posten sitzt, an dem er seine Stärken nicht einbringen kann bzw. ihm seine Schwächen zum Verhängnis werden.
Der Einsatz eines Assessment-Centers kann solche Fehlbesetzungen aus den eigenen Reihen im Interesse aller Beteiligten verhindern: Das Assessment-Center-Auswahlverfahren ist immer dann besonders sinnvoll, wenn überfachliche Kompetenzen eine entscheidende Rolle für das erfolgreiche Wirken auf der neuen Position spielen. Es wäre allerdings ein Fehler, daraus zu schließen, dass Assessment-Center ausschließlich bei potenziellen Führungskräften zur Anwendung kommen. Auch Mitarbeiter im Vertrieb, Assistenten oder Sekretärinnen, die viel im Kundenkontakt und im Dialog mit anderen Menschen stehen, müssen über entsprechende Schlüsselqualifikationen verfügen. Gleiches gilt für Nicht-Führungskräfte im gewerblichen Bereich. Da immer weniger „monotone Handgriffe“ und immer mehr Teamarbeit, Lernbereitschaft und Flexibilität gefordert werden, kann das Assessment-Center das (Nicht-)Vorhandensein dieser Eigenschaften gut aufzeigen.
Für die interne Auswahl von Mitarbeitern wird ein Assessment-Center also dann eingesetzt, wenn die „neue“ Position Anforderungen stellt, mit denen der Mitarbeiter bei seiner jetzigen Tätigkeit nicht konfrontiert ist. Die momentane Leistung, ein guter Verkäufer zu sein, reicht zum Beispiel nicht aus, um die Führungsaufgaben als Verkaufsleiter zu „stemmen“.
Personalentwicklung
In der Personalentwicklung finden Assessment-Center Anwendung, um die Tauglichkeit der Mitarbeiter für weitergehende Aufgaben in Augenschein zu nehmen. Dabei kommen Bildungsbedarfsanalysen, Potenzialanalysen und konkrete Laufbahnplanungen zum Einsatz. Diese Instrumente ermöglichen, die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter miteinander zu vergleichen und langfristige Personalplanung zu betreiben. In diesem Zusammenhang wird gern auch der Begriff „Development-Center“ (DC) verwendet. Das DC ist ein Instrument der Personalentwicklung, das besonders bei Nachwuchsfach- und -führungskräften eingesetzt wird. Das Development-Center ist somit ebenfalls ein internes Förderprogramm. Hier ist man sich über die Eignung als Führungskraft schon sicher und möchte die jungen Mitarbeiter in ihrer Entwicklung als Führungskraft bestmöglich unterstützen.
Elemente der Personalauswahl und der Personalentwicklung
Im Rahmen von Entwicklungs-Assessment-Centern kommt immer häufiger das 360-Grad-Feedback zum Einsatz. Dabei werden anhand von Fragebögen Stimmen von Kollegen, Vorgesetzten und Kunden sowie die Eigensicht des Kandidaten eingeholt und mit den „Ergebnissen“ aus dem Assessment-Center verglichen. Das reine 360-Grad-Feedback findet sich meist nur auf der Top-Ebene und im mittleren Management. Das Assessment-Center dagegen hat die häufigste Verbreitung beim Einstieg in Führungspositionen und verwendet das zusätzliche 360-Grad-Feedback nur in abgeschwächter Form, indem der Kandidat zu Beginn des Assessment-Centers eine Einschätzung seiner Stärken und Schwächen vornimmt.
Wer Sie beobachtet: Assessoren und Moderatoren
Während Sie als Assessment-Center-Kandidat Übungen und Rollenspiele absolvieren, werden Sie von drei bis sechs Beobachtern, auch Assessoren genannt, ins Visier genommen. Bei den Beobachtern handelt es sich im Regelfall um Mitarbeiter des Unternehmens, zum Beispiel Vorgesetzte und Personaler. Darüber hinaus setzt man Psychologen und externe Personalberater als Assessoren ein. Die Beobachter notieren auf Bewertungsbögen nach vorgegebenen Bewertungskriterien und Schlüsselmerkmalen ihren persönlichen Eindruck von den Kandidaten. Welche der fachlichen und sozialen Kompetenzen dabei besonderes Augenmerk finden, hängt von den Anforderungen der zu besetzenden Position – und natürlich von der subjektiven Einschätzung des Assessors – ab.
Die Assessoren
Das Assessment-Center hat im Gegensatz zum Vorstellungsgespräch den Vorteil, dass man Sie „in Aktion“ erleben kann. Es fällt jedem Kandidaten viel schwerer, sich bei einem mehrstündigen oder -tägigen AC zu verstellen und zu schauspielern als bei einem einstündigen Vorstellungsgespräch. Bildhaft formuliert bedeutet das: Sie würden sich schwertun, einen Faden in eine Nähnadel einzufädeln und gleichzeitig etwas über ein wichtiges Projekt zu erzählen. Diese Aufgabe erfordert Konzentration und offenbart in Ihrer Erzählung daher Ihr wahres Gesicht. Ähnliches gilt im Assessment-Center. Als Beobachter...