A Träume
I Traumdeutung in der germanischen Überlieferung
Die Deutung der Träume bildet in diesem Buch den ersten Teil, weil die Träume die häufigste Begegnung mit der Bilderwelt sind, die sich im Innen als Träume und im Außen als Omen und Orakel finden.
I 1. allgemein
I 1. a) Wortschatz
Es gibt nächtliche Träume:
svefna-farir | - „Schlaf-Fahrten“ = Träume
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drauma-vetr | - Traum-Winter = Schlaf (Winter = Nacht)
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draum-thing | - Thing der Träume = Schlaf
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dreyma | - träumen, im Traum erscheinen
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Und es gibt Tagträume:
hima | - tagträumen, in Gedanken versunken sein (zu „himin“ für „Himmel“)
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himaldi | - Träumer, Taugenichts (zu „himin“ für „Himmel“)
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Weiterhin gibt es Wahrträume:
draum-heill | - Zukunftsdeutung mithilfe von Träumen
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drauma-madr | - Träumer = jemand, der oft Wahrträume hat
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räsir draum | - ein Traum wird wahr, d.h. er hat die Zukunft gezeigt
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svefna-synir | - „im Schlaf Gesehenes“ = nächtliche Vision, Wahrtraum
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Und es gibt Visionen:
em er draums | - „in einem Traum sein“ = in Trance sein, auf einer Traumreise sein, eine Vision haben
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Dann gibt es die Wesen, die im Traum erscheinen:
draum-kona | - Traumfrau (Frau, die in einem Traum erscheint)
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draum-madr | - Traummann (Mann, die in einem Traum erscheint)
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draum-orar | - Traum-Gespinste, Phantome, Phantasien
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draum-skrök | - Traum-Gespinste, Phantome, Phantasien
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Und schließlich gibt es noch die Traumdeutung:
draum-spakr | - in der Traumdeutung geübt sein
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draum-speki | - Übung in der Traumdeutung
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Die überlieferten Träume der Germanen sind so gut wie alle Wahrträume. Diese Träume werden bisweilen von Frauen (Walküren) und seltener Männern im Traum verkündet. Manchmal müssen sie von einem Traumkundigen gedeutet werden.
Träume scheinen mit dem Himmel und daher evtl. auch mit den Göttern assoziiert worden zu sein.
I 1. b) Jakob Grimm: Deutsche Mythologie
Von der traumdeutung hier nur weniges. dreám hieß den Angelsachsen jubilum, entzückung und so ist auch das altsächsisch drohtines drôm = himmel als dei jubilum, gaudium aufzufassen, gegenüber dem manno, liudo drôm, dem vergänglichen traum der welt.
Für den begrif von somnium (schlafen) galt angelsächsisch svefen, altsächsich suebhan; altnordisch ist svefn somnus. mittelhochdeutsch entsweben, einschläfern, wozu auch das althochdeutsche suëp (aer) gehört, so daß schlafen und träumen eigentlich entzücken, entschweben des geistes in die luft aussagt („Astralreise“).
Nahe liegen die lateinischen sopor und sompnus, somnus, somnium. althochdeutsch wie altnordisch scheint troum, draumr auf somnium eingeschränkt.
Der Traum ist seinen Bezeichnungen zufolge eine Wahrnehmung, die stattfindet, wenn die Seele den Körper verlassen hat (siehe „Astralreise“ in Band 50).
I 1. c) Alwis-Lied
Thor:
„Sage mir, Alwis, da alle Wesen,
Kluger Zwerg, Du kennst,
Wie heißt die Nacht, die Nörwis Tochter ist,
In all den Welten?“
Alwis (Tyr):
„Nacht bei den Menschen, Nebel den Göttern,
Hülle höheren Wesen,
Riesen Ohnelicht, Alfen Schlummerlust,
Traumgenuß nennen sie die Zwerge.“
Der Schlaf konnte mit „Traumgenuß“ umschrieben werden.
I 2. Todes-Ankündigungen für einen einzelnen Menschen
Es sind insgesamt 22 Todesankündigungen im Traum überliefert worden. Diese Art von Wahrträumen scheint bei den Germanen eine große Rolle gespielt zu haben.
I 2. a) Jomsvikinger-Saga
Es wurde eine stattliche Hochzeit gefeiert und dann wurden Palnir und Ingibjörg in ihr Ehebett geführt.
Sie schlief schnell ein und hatte einen Traum. Als sie aufwachte, erzählte sie Palnir den Traum. „Ich träumte,“ sagte sie, „daß ich hier auf diesem Hof war und ein Gewebe auf dem Webstuhl hatte, das von grauer Farbe war. Die Websteine waren daran befestigt und ich war dabei, zu weben. Dann fiel einer der Steine von der Mitte des Gewebes nach hinten. Da sah ich, daß die Websteine Menschenköpfe waren. Ich hob den einen Kopf auf und erkannte ihn.“
Palnir frug, wessen Kopf es gewesen sei, und sie sagte, es sie der des Königs Haraldr Gorm-Sohn gewesen.
Palnir sagte, es sei besser, dies geträumt zu haben als nicht.
„Das meine ich auch,“ sagte sie.
Ein Totenkopf kündigt den Tod des betreffenden Menschen an.
I 2. b) Gisli-Saga
„Mir träumte,“ sagte Gisli, „daß uns Männer entgegenkamen und daß Eyolf bei ihnen war und als wir uns trafen, wußte ich, daß es fröhliche Arbeit zwischen uns geben würde. Einer von der Gruppe lief den anderen voraus und er grinste und riß seinen Mund weit auf und mir schien, daß ich ihn in der Mitte entzweischlug und mir schien, daß er einen Wolfskopf trug. Dann fielen viel andere über mich her und mir war, als ob ich meinen Schild in meiner Hand halten würde und lange Zeit meinen Stand wahren konnte.“
fröhliche Arbeit = Kampf
einen Wolfskopf tragen = ein Ulfhedinn (Wolfsfell-Ekstasekämpfer) sein
In manchen Träumen wird die Zukunft ganz konkret vorhergesehen.
I 2. c) Gesta danorum
Ethelred verweigerte ihrem Mann König Gorm nach ihrer Hochzeit die sexuelle Vereinigung, da sie unsicher war, ob sie von ihm Kinder empfangen konnte. Daher wollte sie zunächst ein Orakel befragen – eigentlich ein bißchen spät …
Doch da hatte Gorm einen Traum:
Als sein Geist im Schlummer ruhte, schien ihm, daß zwei Vögel aus der Scham seiner Frau hervorgeglitten kamen – der eine von ihnen größer als der andere – und daß sie emporflogen und durch den Himmel segelten und daß sie, nachdem eine Weile verstrichen war, zurückkehrten und sich auf seine Hände setzten. Dann schwangen sie sich, nachdem sie sich ein wenig ausgeruht hatten, ein zweites und ein drittes mal mit ausgebreiteten Flügeln in den Himmel hinauf.
Schließlich kehrte der kleinere von den beiden ohne seinen Gefährten zurück und seine Flügeln waren mit Blut beschmiert.
Der letzte Satz bedeutet vermutlich, daß die beiden Brüder auf Raubfahrt ausgezogen sind, also zu „echten Wikingern“ herangewachsen waren – was wohl auch den letzten Zweifel der Königin daran, daß Gorm ein passender Ehemann für sie sei, beseitigt haben wird …
Der größere der beiden Brüder ist anscheinend auf dieser Raubfahrt gestorben – er kehrte nicht zurück.
Diese beiden Vögel sind Seelenvögel, die nicht beim Tod vom Diesseits in das Jenseits hinüberreisen, sondern bei der Geburt vom Jenseits in das Diesseits kommen.
Vögel symbolisieren Menschen – es handelt sich um Seelenvögel.
Die vorhergesehenen Ereignisse werden im Traum oft fast realistisch dargestellt – manchmal steht jedoch z.B. „Blut“ für...