Da nicht jeder ein Trauma nach einem belastenden Ereignis entwickelt, sollen nun Risiko und Schutzfaktoren benannt werden, die Einfluss auf die Traumatisierung beziehungsweise auf deren Bewältigung nehmen. Diese finden sich sowohl bei den auslösenden als auch subjektiven und sozialen Faktoren.
Schädigende Einflussmöglichkeiten lassen sich einordnen in prätraumatische (vor dem Trauma vorhandene), peritraumatische (während des Traumas entstandene) und posttraumatische (nach dem Trauma entstandene) Risikofaktoren.
a) Prätraumatische Risikofaktoren
Zu den prätraumatischen Risikofaktoren zahlen beispielsweise das Lebensalter bei der Traumatisierung (Kapitel 1), niedrige Intelligenz, wodurch kognitive Bearbeitung erschwert ist, sowie weibliches Geschlecht. Der Grund für Letzeres ist nicht geklärt. Huber (2003, 83) vermutet, dass dies auf die sexuelle Gewalt zurückzuführen ist, von der vorwiegend Mädchen und Frauen betroffen sind. Dagegen spricht, dass Bering et al. (2006, 61) bei Banküberfällen ebenfalls ein erhöhtes Risiko der Traumatisierung bei Frauen nachweisen konnten.
Fischer/Riedesser (2003, 150 f) sehen den Persönlichkeitsstil als wichtigen Faktor, weil daraus sich die Copingstrategie entwickelt.
Weitere Stressoren wie vorhandene körperliche oder psychische Erkrankungen sowie familiäre Vorbelastungen beispielsweise durch Holocausterfahrungen zählen ebenfalls zu den prätraumatischen Risikofaktoren (Hausmann 2006, 84 f).
b) Peritraumatische Risikofaktoren
Zu diesen zählen die Traumaschwere, Traumadauer sowie der erlebte Kontrollverlust (Huber 2003, 83; Kontrollverlust in Kapitel 3.3).
Bering et al. (2006, 62) zählen außerdem die erlebte Dissoziation dazu. Bei einer Metaanalyse von Brewin et al. (in Bering et al. 2006, 63) wird diese jedoch nicht unter den 14 wichtigsten Risikofaktoren aufgeführt.
c) Posttraumatische Risikofaktoren
Hierzu zählen die fehlende soziale Unterstützung, ein negativer Bewertungsstil, das ständige Erinnertwerden an das Trauma sowie Schuld- und Schamgefühle (Hausmann 2006, 85). Letzere verhindern, dass die Betroffenen Hilfe suchen (Brewin et al. in Butollo et al. 1999, 132).
Weitere Stressoren, wie beispielsweise Belastungen am Arbeitsplatz bis zu dessen Verlust, zählen ebenfalls dazu. Die Schlaf- und Konzentrationsstörungen, die als Folgen eines Traumas auftreten, können Ursache der Schwierigkeiten am Arbeitsplatz sein (Seidler et al. 2003, 119).
Andrews, Valentin und Brewin (in Maercker/Rosner 2006, 11) fassten Ergebnisse von 49 Studien zusammen, welche verschiedene Einflussfaktoren auf die Ausbildung einer PTBS untersuchten. Diese sind in der nachfolgenden Abbildung (Abb.5) dargestellt.
Abb.5: Risikofaktoren für die PTBS
Quelle: Maercker/Rosner 2006, 12
Abbildung 5: Die Effektstärken bis 0,2 gelten als schwach, von 0,2 – 08, als mittel und darüber als starke Einflussvarable. Die ersten sieben Säulen (von links) betreffen prätraumatische Faktoren, die achte Säule die Traumaschwere und die letzten beiden die posttraumatischen Faktoren.
So zeigt die Abbildung, dass posttraumatische Faktoren einen höheren Einfluss als die Traumaschwere auf die Entstehung einer PTBS haben (Maercker /Rosner 2006, 11 f).
Die alleinige Betrachtung der Risikofaktoren ist jedoch wenig aussagefähig, um eine PTBS zu prognostizieren. Vielmehr gilt es auch die Schutzfaktoren bei der Prognose mit einzubeziehen (Bering et al. 2006, 63 f).
Der Blick von den pathogenen Faktoren auf die gesundheitserhaltenen Faktoren wurde vor allem durch das Salutogenesemodell von Antonovksi (in Hausmann 2006, 79 ff) entwickelt. Er untersuchte Holocaustüberlebende, die trotz ihrer Traumatisierung gesund waren. Dabei stellte er fest, dass der Grund in dem ausgeprägten Kohärenzgefühl liegt. Hinter diesem Gefühl stecken drei Komponenten:
Verstehbarkeit
Subjektiver Handlungsspielraum
Sinnhaftigkeit
Verstehbarkeit: Der Betroffene findet eine Erklärung für das Geschehene und kann sogar für die Zukunft Schlüsse ziehen (Kognitive Bearbeitung in Kapitel 3.4).
Subjektiver Handlungsspielraum: Der Betroffene ist in der Lage, auch minimale Handlungsspielräume zu nutzen (Kontrollverlust in Kapitel 3.3)
Sinnhaftigkeit: Der Betroffene sieht in seinem Leben einen Sinn und deutet die Erlebnisse als Herausforderungen. Der Zusammenhang zwischen Sinnerfüllung und Gesundheit ist auch in der Logotherapie von Viktor Frankl (in Lukas 2001, 25) verankert.
Der Einfluss von Kohärenzgefühl auf die Ausbildung einer PTBS wurde durch mehrere Untersuchungen beispielsweise bei ehemals Inhaftierten in der DDR nachgewiesen (Maercker in Hausmann 2006, 80). Je stärker das Kohärenzgefühl, umso geringer die Wahrscheinlichkeit eine PTBS zu entwickeln.
Resilienz, ein Begriff aus dem Englischen resilience (Elastizität, Spannkraft, Belastbarkeit) wurde vor allem durch die Arbeiten von Werner und Smith (in Welter-Enderlin 2006, 10) bekannt. Diese untersuchten über 40 Jahre die Entwicklung von Kindern aus Risikofamilien (niedriger sozioökonomischer Status, psychische Erkrankungen der Eltern, chronischer Unfriede). Das Ergebnis war verblüffend: Ein Drittel der Kinder entwickelte sich von Anfang an ohne Probleme, bei den restlichen fand eine positive Entwicklung in ihren 20er und 30er Lebensjahren statt, so dass diese sich zu stabilen Persönlichkeiten entwickeln konnten. Die Erklärung dafür wird in der vorhandenen Resilienz gesucht (Werner 2006, 28 ff).
Auf einem Kongress zum Thema : „Resilienz - Gedeihen trotz widriger Umstände“ in Zürich im Jahre 2005 wurde Resilienz folgendermaßen definiert:
„Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und soziale Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Mit dem Konzept der Resilienz verwandt sind Konzepte wie Salutogenese, Coping und Autopoesie“(Welter-Enderlin 2006, 13).
Zwar beinhaltet Resilienz bestimmte Eigenschaften in der Person und schützende Faktoren in Familie und Umwelt, gleichzeitig wird Resilienz als Prozess gesehen, der sich ausgelöst durch Krisen entwickelt. Resilienz ist nicht per se nach einer Krise vorhanden, sondern erfordert während jeder weiteren Krise einen neuen Prozess (Hildenbrand 2006, 22 ff).
Bei der Untersuchung von 2752 Personen, die von den Terrorakten des 11. September 2001 betroffen waren, konnte bei 65% Resilienz nachgewiesen werden. Diese zeigten keine, beziehungsweise nur leichte Symptome einer PTBS (Schmidt 2006, 8).
Eine Weiterführung des Resilienz- und Salutogenesekonzeptes liegt im Konzept des Posttraumatischen Wachstums. Dieses besagt, dass die Betroffenen nicht nur das traumatische Erlebnis verarbeiten und in ihr Leben integrieren, sondern es sogar zu positiven Veränderungen nutzen können. Diese können sich in der intensiveren Wertschätzung des Lebens, der Intensivierung persönlicher Beziehungen, im Bewusstsein der eigenen Stärke sowie im erhöhten Mitgefühl für andere zeigen. Daneben fand sich ein intensiviertes spirituelles Bewusstsein, sowie die Entdeckung neuer Möglichkeiten im Leben. Erklärung für diese Resultate ist in dem hohen Ausmaß der kognitiven Auseinandersetzung mit dem Trauma zu finden (Zöllner et al. 2006, 36 ff).
Dieses Konzept ist auch umstritten und wird zum einen der Illusion zugeschrieben und zum anderen mit einer konstruktiven Auseinandersetzung gleichgesetzt (Maercker / Zöllner in Zöllner et al. 2006, 40 f).
Neben allgemeinen Konzepten lassen sich auch Einzelfaktoren auflisten, die vor Traumafolgen schützen können. Dazu zählen sicheres Bindungsverhalten, eine überdurchschnittliche Intelligenz, eine geringe physiche, psychische und psychosoziale Gesamtbelastung sowie die Fähigkeit, sich offen mit dem Trauma auseinanderzusetzen. Das Vorhandensein einer verlässlichen, engen Bezugsperson, männliches Geschlecht sowie die Förderung durch Schule, Jugendgruppen oder Kirchen, zählen ebenfalls dazu (Hausmann 2006, 77). Die Klärung der finanziellen, juristischen, gesundheitlichen sowie arbeitstechnischen Fragen sind weitere Faktoren, die zum...