2. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und andere Traumafolgestörungen
2.1 Posttraumatisches Leiden: unmittelbare und mittelfristige Symptome
Traumatische Erlebnisse, die wie beschrieben aus ganz verschiedenen Situationen und Ereignissen bestehen können, führen typischerweise zu unmittelbaren Veränderungen der Psyche. Zuerst geschieht dies in Bezug auf die Bewusstseinsfunktionen (im Wesentlichen Aufmerksamkeit, Wachheit und Reaktionsbereitschaft). Etwas später wirkt diese Veränderung dann auf die Gefühle, das Denken und die soziale Einbindung der Betroffenen. Schon während des traumatischen Geschehens kommt das routinemäßige Funktionsgleichgewicht (Homöostase) der Psyche an die Grenzen seiner Regulationsfähigkeit und kann kurz- oder mittelfristig zusammenbrechen. Diese schockartige, unmittelbare Reaktion auf traumatische Ereignisse ist bei fast allen Betroffenen zu finden und lässt sich als Zustand innerer Betäubung beschreiben. Manche Betroffene berichten danach, sie hätten sich «wie in einem Film gefühlt». Betäubung und ein filmartiges «Außer-sich-Sein» sind dissoziative Zustände (bewusstseinsbeeinträchtigte Zustände). Ob diese Zustände von nicht zu stoppenden Emotionskrämpfen, wie verzweifeltem Wehklagen, starken Weinkrämpfen oder Panikattacken, begleitet werden, ist situativ und individuell verschieden. Mit der Zeit, nach Minuten, Stunden oder ein bis zwei Tagen, beginnen einige psychische Funktionen sich wieder zu erholen. Wie lange das jeweils dauert, ist auch davon abhängig, wie sich die traumatische Situation weiterentwickelt oder ob sie bereits beendet ist. Bei einigen Betroffenen bleiben allerdings wichtige Bewusstseinsfunktionen durch die traumabedingte Überlastung beeinträchtigt, was dann den Kern der mittel- und langfristigen posttraumatischen Störung ausmacht.
In der Tierverhaltensforschung (Ethologie) ist bei Gefahr oder Erschrecken eine ähnliche Verhaltensweise bekannt: die Schreckstarre oder der Todstellreflex. Dabei kommt es zu einer Bewegungsunfähigkeit; im menschlichen Organismus findet sich das beschriebene analoge Verhalten durch das Aussetzen der Bewusstseinsintegration. Da Menschen nicht nur reflexgesteuert sind, ist die Schreckstarre nicht vollständig. Beispielsweise sind viele Betroffene fähig, sich aktiv aus direkten Gefahrenzonen kriegerischer Handlungen, aus Erdbebenzentren zu retten oder sich aus der Gewalt von Sexualtätern zu befreien. Traumatische Situationen sind nicht selten von Tod und schweren Verlusten begleitet. Trotzdem sind die meisten Betroffenen fähig, auch in diesen kritischen Situationen direkt zu reagieren und Rettungsversuche zu unternehmen. Der Zusammenbruch der Bewusstseinsfunktionen ist daher nicht vollständig; in der Folgezeit stellt sich die Integration des Bewusstseins schrittweise wieder her, mit dem Ergebnis, dass es häufig zu psychischem Leiden kommt, das sich wie ein Schmerz über die Seele legt. Dieser psychische Schmerz wird von Emotionen, Kognitionen, Körperempfindungen und Beziehungsveränderungen begleitet, die im Folgenden genauer beschrieben werden.
Die ein bis zwei Tage dauernde Spontanreaktion wird «akute Belastungsreaktion» genannt. Obwohl sie international seit den 1990er Jahren als offizielle Diagnose und damit als krankheitswertig in den Definitionen der Weltgesundheitsorganisation angesehen wird, ist man sich unter Experten eher einig, dass es sich bei dieser Reaktion um eine Normalreaktion handelt. Diese kann allerdings verschieden stark ausfallen und auch – nicht nur bei den Notfalleinsatz-Berufen – mit einem äußerlichen Weiteragieren verbunden sein. Manche Menschen beschreiben das wie ein Funktionieren auf «Autopilot», also ein automatisiertes Weitermachen. Die «akute Belastungsreaktion» kann am besten als «normale Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation» beschrieben werden.
Nach dieser als Schock zu beschreibenden Erstreaktion regenerieren sich die Bewusstseinsfunktionen bei den meisten Menschen. Aufmerksamkeit, Reaktions- und Koordinationsvermögen stellen sich wieder ein. Es kann aber zu einem nicht zu beeinflussenden Wechselbad psychischer Zustände kommen: Einerseits wird man von Erinnerungen an das traumatische Erlebnis überflutet, andererseits läuft das «Alltagsfunktionieren» bereits wieder normal. Dieser Zustand, der bis zu einen Monat anhält, wird auch als «akutes Belastungssyndrom» bezeichnet (Syndrom in Abgrenzung zur davor genannten Reaktion, die sich nur auf ein bis zwei Tage bezieht). Sehr klar abgrenzbar ist dieses Belastungssyndrom mit seinen wechselnden psychischen Zuständen allerdings nicht, so dass auch hier noch gelten sollte, psychische Veränderungen in diesem Zeitraum als «normale Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation» einzuordnen. Bis zur Wiederanpassung, also bis die psychischen Funktionen sich wiederhergestellt haben, vergeht bei vielen einige Zeit. Als Betroffener merkt man an sich selbst, ob man noch ständig an das traumatische Geschehen denkt, ob man schon wieder Erholung im Schlaf findet, unbekümmert mit anderen Menschen agieren kann und einen das Erlebte nicht mehr vollständig aus der Fassung bringt.
Wie beschrieben, kommt es nach einem individuell unterschiedlichen Zeitverlauf bei den Betroffenen zu einem spürbaren psychischen Leiden. Bei miterlebtem Sterben oder Tod sind das zum einen Trauerschmerzen, in Fällen sexueller Gewalterfahrungen der psychische Schmerz der tiefen Demütigung und der Beschmutzung. Dazu kommen typische Veränderungen der Emotionen, Kognitionen, der Körperempfindungen und zwischenmenschlichen Beziehungen.
Typische kurz- und mittelfristige, dem Trauma folgende Emotionen sind Ängste, Ekel, Abscheu, Scham und Wut: Häufig ist die Angst, dass man nie wieder aus dem jetzigen inneren Alarmzustand herauskommt; dann Ekel und Abscheu – körperlich stark spürbare aversive Reaktionen auf die Erinnerungen; Scham – die Betroffenen möchten sich verbergen; Wut – über das, was passiert ist, und über das Nicht- oder das falsche Eingreifen von anderen.
Typische posttraumatische Kognitionen betreffen den Wunsch nach Verdrängung oder Vermeidung: «Ich kann und will nicht mehr an das denken, was passiert ist, denn ich halte es sonst nicht aus; mein Kopf zerspringt, wenn diese Bilder/Gerüche/Geräusche in meinem Kopf bleiben.» Andere Kognitionen zentrieren sich um die innere Beschädigung: «Ich bin zerbrochen; ich bin ein lebloses Ding geworden.» Es treten auch Überzeugungen entweder von einer eigenen (Mit-)Schuld, von der Schuld anderer oder von beidem gleichzeitig auf: «Ich habe mich falsch verhalten» bzw. «Die anderen hätten helfen sollen und haben es unterlassen». Die Selbstachtung ist bei vielen Beteiligten beschädigt oder gar vernichtet: «Ich bin nichts mehr wert; ich bin ein Versager.»
Bei der Aufzählung dieser Gefühle und Gedanken wurden die posttraumatischen Körperempfindungen teilweise schon aufgeführt: der gefühlte innere Alarmzustand bei Angst, Übelkeit und Brechreiz bei Ekel und innere Hitzeempfindungen bei Scham. Hinzu können panikartiges Herzrasen, Schwindel, Druck auf der Brust sowie Schwächegefühle kommen, wenn die Erinnerungen an das Geschehene die betroffene Person überfluten.
Auch im zwischenmenschlichen Bereich kommt es in den Tagen und Wochen nach einem Trauma häufig zu Veränderungen: Ein Entfremdungsgefühl gegenüber anderen setzt ein, das selbst die Allernächsten betrifft, wenn diese das Trauma nicht selbst erlebt haben. «Ich fühle mich wie hinter einer Glaswand, und ihr seid getrennt von mir; ihr habt es nicht erlebt und könnt nicht nachvollziehen, wie es mir geht.» Berührungen und Intimität sind häufig erschwert oder unmöglich. Besonders bestürzend ist, dass beispielsweise Mütter, die während des traumatischen Geschehens ein Kind verloren haben, sich nicht mehr richtig um die anderen, überlebenden Kinder kümmern können. Das Mitgefühl ist in dieser Zeitspanne oft zerstört, selbst wenn es sich um die eigenen nahen Angehörigen handelt.
Zu den bisher geschilderten Symptomen und Leidensäußerungen kommt es ab dem Teenager-Alter. Kindheitstraumata entfalten – wie schon angedeutet – eine andere Dynamik, auf die in Abschnitt 2.3 (zur Entwicklungstraumastörung) eingegangen wird.
2.2 Die PTBS und die Komplexe PTBS
Durch die Medien ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) inzwischen in einem weiten Kontext bekannt geworden. Sie wird manchmal auch mit ihrer englischen Abkürzung als PTSD (post-traumatic stress disorder) bezeichnet. Weniger bekannt ist die «Geschwisterdiagnose» Komplexe Posttraumatische ...