Vorwort von Michaela Huber
Dieses Buch ist einmalig. Und erstmalig. Allein deshalb ist es wichtig, dass Sie es lesen. Denn Katharina Klees, die Begründerin des Aufwind-Instituts und erfahrene Paar-, Sexual- und Traumatherapeutin, ist die erste, die einen eigenen Arbeitsansatz für die gemeinsam durchgeführte Paartherapie mit Menschen vorstellt, welche frühe Bindungstraumata erlitten haben. Dieser Arbeitsansatz ist originell, in langjähriger Arbeit mit von Trauma betroffenen Paaren entwickelt und kreativ lösungsorientiert. Und zwar nicht nur für die einzelnen PartnerInnen, sondern auch für das Paar insgesamt.
Während in der Einzel-Therapie die individuellen „Gewordenheiten“ ins Blickfeld genommen werden, versucht die Paartherapie ja traditionell zu verstehen, welche klassischen Probleme aus der Herkunftsfamilie in die Partnerschaft hineinwirken und Konflikte verursachen. Also könnte man denken: So originell kann der Ansatz der Autorin dieses Buches doch gar nicht sein.
Doch es geht hier um mehr als um die klassischen Themen der Paartherapie. Frühe Traumatisierungen enthalten Bindungserfahrungen, die für viele Menschen so quälend, ja überwältigend waren, dass sich daraus für die Partnerschaftssuche und -gestaltung als Erwachsene noch eine Fülle von Folgeproblemen ergeben. Probleme, die weitaus tiefer gehen, als das bei „Neurotikern wie du und ich“ der Fall ist. Wer auf jede kleine Kränkung wie auf eine Vernichtungsdrohung reagiert, zitternd erstarrt, losbrüllt oder wegläuft, „tickt“ einfach anders als jemand, der sich nur ärgert. Mit herkömmlichen tiefenpsychologischen Analysen, den systemischen „Spielen“ und „Redekuren“ allgemein ist dem nicht beizukommen. Und es hilft auch nicht, den einen als „gesund“ und den anderen (oft: die andere) als traumatisiert und damit psychisch krank zu betrachten. Beide haben schon eine gemeinsame Geschichte. Und diese gemeinsame Geschichte und Gegenwart spiegeln auf charakteristische Weise die traumatisierenden Beziehungen in der oder den Herkunftsfamilie/n wider.
Die traditionelle Paarpsychotherapie hat ihre Wurzeln in der tiefenpsychologischen, häufig auch in der psychoanalytischen sowie der systemischen Tradition. Moderne Methoden der Traumabehandlung haben ihre Wurzeln nicht nur dort, sondern auch in der Bindungsforschung, der Psychotraumatologie, den körperorientierten und kreativ-nonverbalen Therapierichtungen. Besonders die Erkenntnisse aus der strukturellen Dissoziationstheorie – der „heißesten“ Traumatheorie auf dem Theorie-Markt – führen zusammen mit der Zunahme schwerstgestörter Paare zu einer Neuorientierung der Paarberatung und -therapie. Die Erfahrungen von Gewalt, Vernachlässigung, Verwahrlosung und emotionaler Quälereien in der Herkunftsfamilie führen nämlich zu Spaltungsphänomenen innerhalb der Psyche der Überlebenden. Das bedeutet: Es gibt neben dem mehr oder weniger vernünftigen „Alltags-Ich“ – das die Anforderungen des momentanen alltäglichen Lebens erfüllen möchte – (strukturell) abgespaltene Persönlichkeitsanteile, die stets gleichbleibende Reaktionen auf traumatische Lebensumstände „von damals“ enthalten. Anteile oder Zustände also, die gar nichts, buchstäblich nichts, hinzugelernt haben, sondern den Organismus zu immer gleichen Reaktionen zwingen. Zu Flucht, Angriff, Erstarrung und Schweigen, innerem Sich-leer-Machen, bedingungsloser Unterwerfung, kindlichem Bindungsschrei oder dem Gegenteil: totalem Kontaktabbruch. Dominanz oder Unterwerfung, Täter- oder Opfersein – solche Themen bestimmen viele Trauma-Partnerschaften. Ohnmacht und Hilflosigkeit sind ihre Begleiterscheinungen, und so hilflos kommen die Paare, in denen einer oder beide unintegrierte frühe Traumata mitbringen, in die Beratung oder Therapie.
Die erlernten Muster der traumatisierenden Herkunftsfamilie, etwa Opferung und Beschämung, Despotismus und Laissez-faire, Schuldabwehr und Schuldübernahme, Verschweigen und Verraten, Verführung und Erpressung – gemischt unter Umständen mit zärtlich-liebevollen Szenen –, sie sind so verwirrend und undurchschaubar für ein Kind, aber eben auch so durch und durch „normal“, dass sie mit Selbstverständlichkeit in einer Partnerschaft Widerhall finden. Eine Partnerschaft, die Erlösung bringen soll, Verschmelzung, Aufhebung der Qualen, erneute Leidenschaft und Wiederfinden des Glücks – aber doch häufig nur eine Wiederholung oder Reinszenierung der Leiden aus der Ursprungsfamilie bedeutet.
Wie können BeraterInnen und PsychotherapeutInnen solche Muster erkennen, und was können sie dann tun?
Zur Diagnostik aktueller Paar-Probleme durch traumabedingte Bindungsmuster hat Katharina Klees einen praxisnahen Fragebogen entwickelt und stellt ihn hier ebenso vor wie ihre Art, die Ergebnisse mit dem Paar respektvoll und einladend zu besprechen. Wer schon einmal verstehen kann, dass seine oder ihre eigenen Sehnsüchte nach idealem Aufgehoben-Sein innerlich konterkariert werden durch angstvolle Abwehr und den Versuch, auf jeden Fall die Kontrolle über die Situation – und damit: die PartnerIn! – zu behalten, kann sich verstanden und angeregt fühlen, solche Widersprüche in sich wahrzunehmen und sie zu verändern lernen.
Wie die Paarsituation durch einfache Zeichnungen, die durch systematische Fragen mithilfe der TherapeutIn entstehen, plastisch auf den Punkt gebracht werden kann, erklärt die Autorin anhand einiger Beispiele, die durch Abbildungen illustriert werden.
Den Angriffs- und Verteidigungs-Dialog, den wiederholten eskalierenden Streit traumatisierter Paare beleuchtet die Autorin in weiteren Kapiteln genauer. Denn den wenigsten Streitenden ist klar, dass die Reaktionsmuster gar nicht aus der aktuellen Partnerschaft stammen, sondern entweder den traumatisierten und traumatisierenden Eltern abgeschaut oder als kindliche Reaktion auf wiederholte seelische Erschütterungen in der Familie erworben wurden. Von daher taugen diese Streitmuster gar nicht zur Konfliktlösung in der bestehenden Partnerschaft, zwingen sich aber wie automatisch auf. Wer mit Zittern und heftigen Körperreaktionen auf Konflikte reagiert, sich ständig rechtfertigen muss, immer der PartnerIn die Schuld für das bestehende Drama gibt, sich Klärungen in entspannter Atmosphäre entzieht und stattdessen dann mit Vorwürfen herausplatzt, wenn das Klima spannungsgeladen ist; wer vielleicht sogar mit Hohn und Spott auf den Kummer der PartnerIn reagiert oder offene Zeichen von Verachtung zeigt – der oder die hat eigentlich fast schon diese Partnerschaft verloren; es sei denn, sie wird mit Gewalt und / oder existenzieller Not zusammengehalten. Und doch scheinen die Kontrahenten keine Lösung in diesen stets wiederkehrenden und häufig komplementären Mustern des Streitens zu finden.
Dass Streit notwendig sei – dies bezweifelten die meisten der von Katharina Klees befragten Menschen. Und damit hatten sie sicher recht, denn Streit – gar der eskalierende – ist keineswegs eine unerlässliche Zutat jeder Partnerschaft, wie man landläufig meint. Sich zusammenzusetzen, wenn man entspannt ist, und dann die Lösung für Probleme zu suchen, wenn der innere „Rollladen noch nicht gefallen ist“ – das ist weitaus produktiver. Wie aber erreicht man das bei Menschen, die schon ganz verzweifelt sind, weil sie aus der Streitfalle nicht herauszufinden scheinen?
Katharina Klees malt gern. Sie zeichnet im ständigen Dialog mit dem Paar einfache Bilder, die mehr erklären als tausend Worte. Sie erläutert komplexe neurobiologische und Bindungs-Zusammenhänge, lässt die PartnerInnen ihre Zeichenvorschläge korrigieren, kommentieren, ergänzen. Sie verhindert damit, dass das Paar seine Streitroutine wieder aufnimmt und ermöglicht, dass auch beschämende Themen und überkommene Streitmuster angesprochen und – teils humorvoll – zeichnerisch aufgegriffen und mithilfe dieses Mediums spielerisch veränderbar dargestellt werden können. Später übt das Paar dann, diese Muster in ihrem Gesprächsverhalten untereinander zu identifizieren und konstruktiv, also ermutigend, freundlich, lobend, statt destruktiv zu agieren.
In einem weiteren, manchmal auch alternativen Schritt der Therapie können die früheren Erfahrungen mit existenziellen Krisen daheim als Kind in einer Art „Comic Strip“ – die Autorin nennt es „Emotions-Skript“ – zeichnerisch dargestellt und mit Sprechblasen zu den damaligen Gedanken und Gefühlen „gefüllt“ werden. Die Paartherapeutin bittet dabei beide Partner, jeweils für sich in einer sehr strukturierten Form im Halbkreis sieben Bilder zu malen, angefangen bei der Situation, „als es noch in Ordnung war“, über die schwierigste Situation bis „danach“, als es vorbei war. Dies entspricht der Art, wie Traumabearbeitung durch die Bildschirm-Technik, die EMDR-Methode oder andere Therapietechniken angegangen wird, und ist sicher nur anwendbar nach sorgsamer Vorbereitung. Die Verlassenheitssituationen in der Kindheit, den Kummer und das Erschrecken in kurze Strichmännchenbilder zu „verpacken“ und dabei zu enden, wann diese Situation/en vorbei war, kann vieles verstehen helfen. Es hilft den Betroffenen zu verstehen, dass ihre Schreckenserfahrungen Anfang, Mitte und Ende hatten. Es hilft den Paaren zu begreifen, wieso der / die andere so „tickt“. Sie lernen, dass jede/r der beiden nicht schuld ist an der fundamentalen Not der PartnerIn, sondern dass diese Not eine weit vor ihrer Partnerschaft liegende Geschichte hat. Das ist enorm entlastend. Anschließend wird die typische Lerngeschichte der Kinder, die sie waren und die bindungstraumatisiert wurden, gemeinsam diskutiert und erläutert. Das Grundmuster dieser Lerngeschichte kann man laut Katharina Klees so zusammenfassen: Das Kind hatte einen Bindungswunsch und...