Kapitel 1 Trumps Sieg als Markenerlebnis pur
Der Abend, an dem Donald Trump zum Gewinner der Wahl von 2016 und zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten erklärt wurde, verwirrte mich auch deshalb, weil es kein Abend war. Ich befand mich auf einer Vortragsreise im australischen Sydney, und wegen der Zeitverschiebung war es Mittwoch, der 9. November, spätvormittags. Für fast alle, die ich kenne, war es Dienstagabend, und meine Freunde schickten mir Textnachrichten von Wahlpartys, auf denen keiner mehr nüchtern war. Für die Australier aber begann ein normaler Werktag, was bei mir nur zu totalen Schwindelgefühlen führte, als die ersten Hochrechnungen gemeldet wurden.
Ich saß in einer Besprechung mit fünfzehn Leitern verschiedener australischer Organisationen, die sich für Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Unsere Debatte drehte sich um eine entscheidende Erkenntnis. Bisher hatten wir unseren Kampf gegen Klimawandel, Rassismus, Ungleichheit und die Verletzung der Rechte von Ureinwohnern, Migranten und Frauen sowie andere zentrale Konflikte separat, jeder auf seinem Feld ausgetragen. Aber wir stellten, wie viele Bewegungen heute, die Frage: Wo sind die Berührungspunkte? Welche tiefer liegenden Ursachen sind das verbindende Element? Wie können diese Probleme gleichzeitig und im Zusammenhang angegangen werden? Welche Werte wären für eine solche Bewegung maßgeblich? Und wie ließe sie sich in politische Macht ummünzen? Mit einigen Kollegen arbeitete ich in Nordamerika daran, eine solche übergreifende Bewegung, die »People’s Platform«, aufzubauen – auf dieses Projekt namens Leap Manifesto werde ich im letzten Kapitel noch einmal zurückkommen –, und es gab viele australische Gruppen, die einen ähnlichen Ansatz verfolgten.
Eine Stunde lang herrschte auf unserem Treffen fröhlich-optimistische Stimmung, und wir sprachen aufgeregt über die neuen Möglichkeiten. Was die US-Wahlen betraf, waren die Teilnehmer völlig entspannt. Wie viele Progressive und Linke und sogar traditionelle Konservative waren wir sicher, dass Trump verlieren würde.
Dann begannen die Handys zu summen. Und im Raum wurde es immer stiller, die Teilnehmer in dem lichtdurchfluteten Versammlungssaal wurden von wachsender Panik ergriffen. Plötzlich erschien uns der Grund für unsere Versammlung – die Idee, dass wir gemeinsam einen Sprung nach vorn für den Klimaschutz, gegen Rassismus, für gute Arbeitsplätze und mehr schaffen würden – völlig absurd. Es war, als würde jeder sofort, und ohne ein Wort darüber zu verlieren, begreifen, dass uns eine Orkanbö ins Gesicht schlug und wir jetzt nichts anderes tun konnten, als die Stellung zu halten. Die Vorstellung, dass wir auch nur bei einer der akuten Krisen, mit denen wir es zu tun haben, vorankommen könnten, schien sich vor unseren Augen in Luft aufzulösen.
Dann, ohne dass jemand die Sitzung beendet hätte, löste sie sich auf, wobei sich die Mitstreiter zum Abschied kaum zunickten. CNN übte eine magische Anziehungskraft aus, und wir begaben uns schweigend auf die Suche nach größeren Bildschirmen.
Es waren nicht die US-Wähler, die sich mehrheitlich für Trump ausgesprochen hätten; Hillary Clinton hatte einen Stimmenvorsprung von fast 2,9 Millionen, eine Tatsache, die den Präsidenten wurmt. Dass er die Wahl gewann, hat er dem Wahlmännersystem zu verdanken, das ursprünglich eingeführt wurde, um die Macht der Sklavenhalter zu schützen. Und im Rest der Welt erklärte die überwältigende Mehrheit der Menschen in Umfragen, hätten sie auf magische Weise an dieser Wahl teilnehmen können, so hätten sie ihr Kreuzchen bei Clinton gemacht. (Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete Russland, wo Trump großen Zuspruch erntete.)
In diesem großen Anti-Trump-Camp hat jeder über diesen Wahlabend, und wie es ihm dabei erging, eine andere Geschichte zu erzählen. Viele ergriff Entsetzen darüber, dass so etwas in den Vereinigten Staaten passieren konnte. Sehr viele andere trauerten, weil das, was wir über tiefverwurzelten Rassismus und Frauenfeindlichkeit in den Vereinigten Staaten längst wissen, so anschaulich bestätigt wurde. Wieder andere bedauerten, dass die erste Kandidatin um das Amt des US-Präsidenten keine Chance bekam, zum Vorbild für die nächste Generation zu werden. Aber es gab auch Leute, die wütend darüber waren, dass eine so kompromittierte Kandidatin überhaupt gegen Trump ins Rennen geschickt wurde. Und für Millionen in den Vereinigten Staaten und in aller Welt war Angst das beherrschende Gefühl – eine dumpfe, geradezu körperliche Vorahnung, dass die Präsidentschaft Trumps als Katalysator extremen Rassismus, Gewalt und Unterdrückung freisetzen würde. Zahlreiche Menschen erlebten einen Mix dieser und anderer Emotionen.
Und viele begriffen auch, dass es bei diesem Wahlergebnis nicht nur um einen Mann in einem Land ging. Trump ist nur eine Spielart einer offenbar global um sich greifenden Infektion. Wir erleben eine Welle autoritärer, fremdenfeindlicher Rechtsaußenpolitik – von Marine Le Pen in Frankreich über Narendra Modi in Indien bis hin zu Rodrigo Duterte in den Philippinen, der britischen UK Independence Party, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei und all ihren Gesinnungsgenossen (einige darunter explizit neofaschistisch), die in aller Welt an die Macht drängen.
Meine Eindrücke vom Wahltag/Wahlabend in Sydney schildere ich deshalb, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass wir etwas Wichtiges lernen können aus der Erfahrung, wie Trumps Sieg unser Gespräch beendete und Pläne für eine optimistische Agenda praktisch ohne Debatte über den Haufen warf. Es war völlig nachvollziehbar, dass wir am Wahltag so empfanden. Aber wenn wir uns damit abfinden, dass es von nun an nur noch Verteidigungsschlachten zu schlagen gibt, dass wir nur noch unsere Stellung halten können angesichts der rückschrittlichen Attacken im Stile Trumps, dann geraten wir tatsächlich in eine sehr gefährliche Situation. Denn die Stellung, die wir hielten, bevor Trump gewählt wurde, war die Situation, die Trump hervorgebracht hat. Eine Situation, die viele Menschen als den sozialen und ökologischen Ernstfall ansahen, und zwar schon ohne die neuesten Rückschläge.
Natürlich müssen wir uns gegen die Angriffe, die von Trump und ähnlichen Demagogen weltweit ausgehen, energisch wehren. Aber wir dürfen die nächsten vier Jahre nicht ausschließlich in der Verteidigung spielen. Die Krisen sind so akut, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Bei einem Problem, über das ich eine ganze Menge weiß, dem Klimawandel, hat die Menschheit ein begrenztes Zeitfenster, in dem gehandelt werden muss; danach wird es unmöglich sein, ein auch nur halbwegs stabiles Klima aufrechtzuerhalten. Und wie wir in Kapitel 4 sehen werden, schließt sich dieses Fenster rasch.
Wir müssen also gleichzeitig das Erreichte verteidigen und in die Offensive gehen – um den Angriffen der Gegenwart standzuhalten und Raum für den Aufbau der Zukunft zu finden, die wir brauchen. Also sagen wir gleichzeitig nein und ja.
Aber bevor wir dazu kommen, was wir statt Trump und all dem wollen, wofür er und seine Regierung stehen, sollten wir mit unerschrockenem Blick betrachten, wo wir stehen und wie wir hierhergeraten sind, und uns damit beschäftigen, dass sich die Lage wahrscheinlich kurzfristig erheblich verschlimmern wird. Zu letzterem Punkt lassen Sie sich gesagt sein: Viel spricht dafür, dass wir auf ein schlimmes Ende zusteuern. Aber davon dürfen wir uns nicht lähmen lassen. Dieses Territorium zu kartieren ist nicht leicht, aber es gibt keinen anderen Weg, wollen wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und dauerhafte Lösungen finden.
Kein Wandel, sondern ein Putsch der Konzerne
Donald Trumps Kabinett der Milliardäre und Multimillionäre steht für eine schlichte Tatsache: Die Menschen, die sich bereits einen obszönen Anteil am Reichtum des Planeten gesichert haben, einen Anteil, der Jahr für Jahr wächst – die neuesten Zahlen von Oxfam belegen, dass acht Männer so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung – sind entschlossen, noch mehr an sich zu reißen.
NBC News meldete im Dezember 2016, dass Trumps Anwärter für Ministerposten insgesamt Vermögen von 14,5 Milliarden Dollar kontrollieren (nicht mitgerechnet »Sonderberater« Carl Icahn, der allein über 15 Milliarden Dollar verfügt). Zudem sind die Kabinettsposten nicht einfach nur mit einer repräsentativen Auswahl der Ultrareichen besetzt. In einem beunruhigenden Ausmaß hat Trump seine Regierungsmannschaft aus Leuten zusammengestellt, die ihren persönlichen Reichtum der Tatsache verdanken, dass sie wissen, wie man den verletzlichsten Menschen auf dem Planeten und dem Planeten selbst Schaden zufügt, und zwar oft mitten in der Krise. Es scheint fast, als wäre dies das Einstellungskriterium gewesen.
Als Finanzminister hat Trump Steve Mnuchin bestellt, einst an der Spitze der Immobilienbank OneWest wurde er als »Mr Zwangsversteigerung« bekannt, weil er zehntausende Menschen nach dem Finanzkollaps von 2008 unter fragwürdiger Ausnutzung der rechtlichen Lage aus ihren Häusern geklagt hatte. Trumps Außenminister heißt Rex Tillerson, früher Geschäftsführer von ExxonMobil, dem größten privaten Erdölunternehmen der Welt. Der Konzern, den er leitete, hatte über Jahrzehnte...