2. Die Vorbereitung
Um ein Ziel zu erreichen, muss man es kennen. Das gilt auch für die Redekunst. Es genügt nicht, wenn Sie mit dem Thema vertraut sind, über das Sie sprechen wollen. Es reicht auch nicht, wenn Sie nur den Anlass oder den Zuhörer benennen können. Nehmen wir einmal an, Sie möchten mit Ihren Teamkollegen über Ihre Ideen zu einem neuen Projekt sprechen. Sie sind von Ihren Ansätzen überzeugt, vermuten aber diffus, dass Ihre Gesprächspartner vielleicht etwas dagegen haben könnten. Wenn Sie nun »einfach fröhlich drauflos« reden, vielleicht sogar all Ihre Begeisterung für Ihre Ideen in Ihre Worte legen würden, ist Letzteres natürlich schon einmal ein guter Anfang. Aber wenn Sie nicht die Hürden kennen, die Sie umschiffen müssen, wenn Etappenziele und Gesamtziel Ihrer Präsentation nicht feststehen, die Argumente nicht gut gesetzt potenzielle Skepsis am richtigen Punkt entschärfen, wenn Ihrer Rede der Aufbau, die Dramaturgie, die Brillanz fehlen, werden Sie dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit mit Ihrem Überzeugungsversuch scheitern. Anders gesagt: Einfach »irgendwie« etwas erzählen reicht bei Weitem nicht für eine gute Rede. Und noch etwas, das viele Menschen bei Reden oder Präsentationen vergessen: Sie sind Experte auf Ihrem Gebiet; Ihr Gegenüber ist das in der Regel nicht. Das KISS-Prinzip und Credo der Werbebranche gilt auch hier: Keep it sweet and simple – Gestalte es gefällig und einfach. Auch Ihr Publikum muss verstehen, worüber Sie sprechen, und je ansprechender Sie ihm Ihre Inhalte präsentieren, desto eher wird es zugreifen.
Eine gute Vorbereitung auf eine Rede ist somit unerlässlich. Diese beinhaltet:
eine Entscheidung für die Redeart (Handelt es sich um eine Überzeugungsrede, eine Führungsrede oder eine reine Informationsrede? Möchten Sie jemanden loben oder jemandem danken?),
eine grundlegende Stoffsammlung (Recherche) zum Thema,
das Fokussieren der Inhalte, die Sie vermitteln wollen, auf die wesentlichen Punkte (Hilfe erhalten Sie durch einen Fragenkatalog, siehe Kapitel 2) sowie
das Strukturieren dieser wesentlichen Punkte, das Erstellen einer Rededramaturgie.
Welche Rede darf’s denn sein?
Bevor Sie mit den konkreten Vorbereitungen für Ihre Präsentation beginnen, müssen Sie sich gedanklich auf die Art Ihrer Rede einstellen. Es ist ein großer Unterschied, ob Sie jemanden überzeugen möchten, jemanden loben wollen, Trauer aussprechen müssen oder vielleicht zu einer spontanen Rede aufgefordert werden. Eine Rede hat je nach Art ihres Anlasses und ihrer Zuhörerschaft ihre eigenen Erfordernisse.
Die Überzeugungsrede
Mit fast allen Reden versuchen Redner, ihr Publikum von etwas zu überzeugen. Der Politiker etwa sucht Unterstützung für seine Vorstellung der Zukunftsgestaltung, der Chef eines Unternehmens wirbt bei seinen Mitarbeitern um Förderung der Unternehmensziele, Pfarrer oder Priester werben für ihren Glauben, Naturschützer möchten das Verhalten der Menschen ihrer Umwelt gegenüber verändern und Verkäufer ihr Gegenüber dazu bringen, ein bestimmtes Produkt zu erwerben. Obwohl die Redeanlässe grundverschieden sein können, hat die Struktur einer Überzeugungsrede einige Merkmale, die andere Reden nicht haben. Die Glieder der Argumentationskette müssen nahtlos ineinandergreifen – und eine sehr vielversprechende Art des Aufbaues für eine Überzeugungsrede ist die Folgende:
Sympathie erwecken
Sprechen Sie Gemeinsamkeiten an. Der Zuhörer muss spüren, dass Sie als Redner ihn respektieren, ihn in seiner Person, seiner Leistung, seiner Lage achten und schätzen. Vermitteln Sie Ihrem Zuhörer: Ich interessiere mich für dich. Erzählen Sie, wie Sie denken und fühlen. Persönliche Gedanken verbinden viel mehr als abstrakte Aussagen. Nehmen wir nochmals Barack Obama als Beispiel, dieses Mal seine Rede vom 24. Juli 2008 in Berlin vor der Siegessäule. Im Einstieg dankte er in zwei Sätzen Institutionen und sofort danach den anwesenden Menschen. Und er fuhr fort: »Ich komme eben wie so viele meiner Landsleute nach Berlin, obwohl ich heute Abend nicht als Präsidentschaftskandidat, sondern als Bürger spreche. Als stolzer Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika und als euer Mitbürger dieser Welt. Es ist mir bewusst, dass ich nicht so aussehe wie der Amerikaner, der zuletzt hier gesprochen hat. [Dezent eingesetzter Humor macht sympathisch!] Die Reise die mich hierher geführt hat, war nicht unproblematisch, obwohl ich mitten in Amerika geboren bin. Mein Vater ist in Afrika aufgewachsen. Sein Vater, mein Großvater, war bei den Briten als Koch, ein Hausangestellter …«
Interessenlage der Hörer ansprechen
Ihr erster und wichtigster Auftrag zu Beginn einer Rede ist, Ihre Zuhörer richtig einzuschätzen: Was interessiert sie, wo sind sie zu packen? Erst auf dieser Grundlage entscheiden Sie, wie Sie sie motivieren: Auf materieller Ebene? Auf ideeller? Oder mittels einer Mischung von beidem? Versuchen Sie, in den ersten Sätzen schon so zu formulieren, dass die Zuhörer erkennen: Sie verstehen ihre Probleme und Gefühle. Das könnte dann vielleicht so klingen: »Ungefähr 300 Menschen sind heute hier zu dieser Versammlung gekommen. 300 Menschen, die das Recht haben zu erfahren, wie es weitergehen soll. 300 Menschen, die wissen wollen, wie es um ihren Arbeitsplatz bestellt ist. Ich will und werde Ihnen heute darauf Antworten geben.«
Glaubwürdig sein
Wer überzeugen und motivieren will, muss als Redner glaubwürdig sein. Der Grund liegt auf der Hand: Wer selbst nicht hundertprozentig hinter dem steht, was er sagt, kann den Zuhörer auch nicht mitreißen oder gar mit seiner Begeisterung anstecken und überzeugen. Wie man als Redner überzeugt? Mit der Wahrheit zum Beispiel. Mit detaillierten Auskünften über die eigenen Pläne oder Fähigkeiten. Mit Fakten, die jederzeit nachprüfbar sind und die man daher umso glaubwürdiger vermitteln kann.
Begeisterung wecken durch Nennung konkreter Ziele
Begeisterung verleiht Flügel und stärkt das Selbstvertrauen. Zeigen Sie Ihren Zuhörern, wo deren Nutzen liegt, wenn sie Ihren Zielen folgen. Sie müssen es hören, schmecken, fühlen! Beschreiben Sie, wie es sich anfühlt, dieses Ziel bereits erreicht zu haben. Was sich ändern würde. Was plötzlich leichter wäre. Welche Probleme, unter denen man jetzt noch sorgenschwer das müde Haupt neigt, es mit einem Mal nicht mehr gäbe. Wo genau stehen Ihre Zuhörer nach dem Erreichen dieses Zieles? Welche konkreten Schritte liegen zwischen Theorie und Praxis? Wo können Ihre Zuhörer ansetzen, wo beginnen, wie fortfahren? Wenn Sie wirklich gut sind, werden Ihre Zuhörer sich nicht nur in Ihrer Rede wiederfinden, sondern auch anfangen wollen, das Ziel zu erreichen. Jetzt.
Einwände und Kritik würdigen
Ein ewiger Quertreiber sitzt in Ihrer Zuhörerschaft? Macht beständig missmutige Einwürfe und runzelt skeptisch die Brauen? Flüstert seinem Nachbarn bedeutungsschwanger zu und schüttelt bei jedem Ihrer Sätze den Kopf? Nehmen Sie Gegenargumente in Ihre Ausführungen auf und entkräften Sie sie – aber nur die allerwichtigsten, sonst wird Ihre Rede defensiv. Im Kapitel 2 »Der klassische Fünf-Satz in der modernen Rhetorik« und teils in den Praxisbeispielen im Kapitel 4 sehen Sie, wie Sie mit den Gegenargumenten umgehen können.
Klarer Appell
Reden Sie nicht um den heißen Brei herum. Sprechen Sie klar aus, wozu Sie motivieren wollen. Sie wollen überzeugen – und Sie sollten Ihren Zuhörern sagen, mit welchem Ziel Sie das tun. Jeder Redner, der zu anderen Menschen spricht, trägt Verantwortung. Ein guter Rhetoriker lässt Moral und Ethik nicht außer Acht. Täte er dies, erteilte er der demagogischen Manipulation das Wort. Dass auch dies Erfolg haben kann, dafür gibt es in der Geschichte unzählige traurige Beispiele. Einmal enttarnt, tragen Manipulationen nicht länger. Und sind schon davor ein Verbrechen. Bereits die großen Redner der Antike, Sokrates, Aristoteles und Cicero, beschäftigten sich mit der ethischen Komponente der Rede. Allen gemein war die Vorstellung, dass »Beredsamkeit, Weisheit und tugendhaftes Leben miteinander verknüpft sein müssen«. Von Aristoteles stammt das Zitat: »Dadurch, wie der Redner erscheint, gewinnen wir Vertrauen, und das ist dann der Fall, wenn er als rechtschaffener oder freundlich gesinnter Mensch oder als beides erscheint.«
Die Jubiläumsrede
Ganz gleich, ob es um ein Firmenjubiläum oder den runden Geburtstag eines Verwandten geht, um die Ehrung eines Mitarbeiters oder den Studienabschluss des Nachwuchses: Die Jubiläumsrede geht »tiefer«, kann Menschen in ihrem Innersten berühren. Wenn dabei die eine oder andere Träne der Rührung fließt, ist das nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: Mit einer Jubiläumsrede können – und sollten – wir Menschen (oder Institutionen), die uns oder unseren Zuhörern etwas bedeuten, hochleben lassen – auf nette, unterhaltsame Art, aber auch bewegend, berührend. In der Praxis aber sind die meisten Jubiläumsreden zu oberflächlich gehalten, zu allgemein. Da hören wir Sätze wie:
»Heute feiern wir in unserem kleinen Unternehmen das zehnjährige Jubiläum. Es waren viele Jahre der Arbeit, der Überstunden und der Mühen. Aber sie haben sich gelohnt! Unser Unternehmen steht und wir mit ihm!«
»Aus unbekannten Menschen sind Kollegen und auch Freunde geworden, die sich mit viel Elan für einen gemeinsamen Erfolg eingesetzt haben und noch einsetzen. Das ist sicher für uns alle ein Grund zur...