Vom Bärenhund zum Festungs-Ziegel
Nashörner, Krokodile, Tapire, Schildkröten, Maulwürfe, Bärenhunde! Die Paläontologen jubelten, als sie im Herbst 1987 auf der Baustelle der Westtangente auf einen wahren Friedhof von versteinerten Land- und Wassertieren gestoßen waren. Die hatten vor 21 bis 22 Mio. Jahren eine subtropische Fluss- und Seenlandschaft bevölkert, an deren Stelle sich heute das Oberzentrum Ulm/Neu-Ulm befindet.
Die Sensation bestand weniger in der Erkenntnis, dass das hornlose Riesennashorn Plesiaceratherium nebst seinem kleinwüchsigen Verwandten, dem Protaceratherium, auch in dieser Gegend gegrast haben. Vielmehr war es die immense Artenvielfalt, deren Knochen, Schädel, Schnäbel, Zähne und Panzer auf wenigen Quadratmetern in einer etwa 40 cm mächtigen Bodenschicht versammelt waren: 10.000 Reste von etwa 50 Wirbeltierarten, davon mehr als die Hälfte Säuger.
Dafür gab es nur eine plausible Erklärung: Die Tiere hatten sich hier nicht etwa zum Sterben niedergelegt. Vielmehr waren sie schon tot, möglicherweise ertrunken, als sie im Zuge einer Überschwemmungskatastrophe von der Strömung eines Flusses oder Sees an dieser Stelle zusammengetrieben worden waren, bevor das Wasser sich in seine gewohnten Bahnen zurückzog.
Diese Episode wirft ein Schlaglicht auf den dramatischen Wandel, der seit Hunderten von Jahrmillionen die Landschaft gebildet und verändert hat – und, woran kaum jemand denkt, weiterhin verändern wird. Um zu ergründen, wie das vor sich ging, wollen wir die regionale Erdgeschichte nur so weit erkunden, wie sie in Landschaft und Bauwerken der Region noch erlebbar ist. Das heißt: zurück bis zur Jura-Zeit.
Land unter
Vor etwa 200 Mio. Jahren lag die Ulmer Region wesentlich weiter südlich, grob geschätzt in den Breiten, wo sich heute die Pyramiden von Gizeh befinden. Damals zerbrach der Superkontinent Pangäa in den nördlichen Teil Laurasia, der auch das nachmalige Europa umfasste, und das südliche Gondwana. Zwischen beide drängte sich die Tethys, der weltumspannende Ozean, der mittlerweile zum Mittelmeer geschrumpft ist. Deswegen stieg damals, zu Beginn des Jura-Zeitalters, der Meeresspiegel, während das Germanische Becken, in dem auch der Bereich der heutigen Schwäbischen Alb liegt, sank. Von Nordosten und Südwesten drang Wasser vor. So überflutete vor etwa 195 Mio. Jahren das Jura-Meer die Region und bedeckte sie gute 50 Mio. Jahre lang. Zunächst war sie nur durch einen schmalen Zugang mit der Tethys verbunden. Später, im Weißen Jura, war das hiesige Schelfmeer quasi die Flachwasserzone der Tethys.
Der relativ flache Meeresboden blieb ständig in Bewegung. Er hob und senkte sich weiterhin, bildete mitunter Inseln, verschob die Küstenlinien. Die unterschiedliche Tiefe wiederum wirkte sich auf die Meeres-Flora und -Fauna aus – und auf die Farbe dessen, was davon übrig ist: Die unterste und älteste Schicht des Jura ist schwarz, da sie aus einem tieferen Bereich stammt. Das Wasser dort war schlecht durchlüftet und daher arm an Sauerstoff, weshalb die abgestorbenen Organismen verfaulten und den sich ablagernden Ton schwarz färbten. Doch haben sich in der mutmaßlich stinkenden Masse die einzigartigen Skelette der lebendgebärenden Fischsaurier erhalten, die bis zu 18 m lang werden konnten.
Darüber liegen die eisenhaltigen Mergel, Tone, eisenhaltigen Sandsteine des braunen Jura, die sich in der Nähe eines Festlandes gebildet hatten. Von den letztgenannten profitierten die Erbauer des Ulmer Münsters: Für den mittelalterlichen Teil des Turmes haben sie unter anderem den bräunlich-gelblichen Donzdorfer Sandstein verwendet, der an manchen Stellen der Westfassade noch deutlich zu erkennen ist.
Weiter entfernt von der Küste haben sich die hellen Kalke des Weißen Jura abgelagert, der mit seinen Riffen das Bild der Schwäbischen Alb prägt. Aus diesen Jura-Kalksteinen wurden im 19. Jh. die gewaltigen Werke der Bundesfestung Ulm erbaut. Damals erblühte auch die Ulmer Zementindustrie, die maßgeblich zum Wohlstand der Stadt beitrug.
Der Unterkiefer des Bärenhundes, der beim Bau der Ulmer Westtangente ausgegraben wurde.
Das Meer, das sich vor etwa 145 Mio. Jahren, gegen Ende der Jura-Zeit, zurückgezogen hat, war allerdings nicht das letzte, das die Region bedeckte. Gut 100 Mio. Jahre später, im Tertiär, setzte ein Vorgang ein, der eine ganze Abfolge von Wassereinbrüchen zur Folge hatte: die Entstehung der Alpen. Damals bewegte sich Afrika nach Norden, Spanien dockte an Südfrankreich an, und Italien steuerte auf die europäische Kontinentalscholle zu. Bei dieser Kollision diente das heutige Alpengebiet als Knautschzone und schlug heftige Falten. Doch unmittelbar nördlich davon senkte sich das Land und bildete einen Trog, der sich vor 35 bis vor 10 Mio. Jahren bis zu etwa 5 km hoch mit den Schutt-Sedimenten der Alpen, der sog. Molasse, füllte.
Zunächst war über einen schmalen Meeresarm Salzwasser eingedrungen. Nach der Verlandung dieses Armes, der die »Untere Meeresmolasse« zurückließ, bildeten sich vor etwa 24 Mio. Jahren jene Seen und Flüsse, in deren Umgebung die eingangs erwähnten Nashörner, Krokodile, Schildkröten und Bärenhunde lebten. Die Schichten dieser »Unteren Süßwassermolasse« können im Ulmer Raum bis zu 90 m mächtig sein, denn sie reichten bis hierher, an den Südrand der späteren Alb. Aus ihren Kalken und Kalkmergeln bestehen die Höhen Ulms, der Kuhberg, der Eselsberg, des Michelsberg und der Safranberg.
Dann aber senkte sich das Alpenvorland erneut. Vom Rhonetal sowie vom Wiener Becken drangen die Fluten der Tethys ein und bildeten jenes Tertiär-Meer, dessen Küstenstreifen, die »Klifflinie«, sich noch heute ein paar Kilometer nördlich von Ulm klar abzeichnet. Ein eindrucksvolles Stück dieser Küstenfelsen, in denen vor 18 Mio. Jahren Bohrmuscheln ihre Löcher hinterlassen haben, erinnert etwa 25 km Luftlinie von Ulm, bei Heldenfingen, an die Bahamas. Aus der »Oberen Meeresmolasse«, die jenes Meer produziert hat, ragen die zusammengebackenen Turmschnecken hervor, die auf der nach ihnen benannten »Turritellenplatte« beim Fernsehturm im Stadtteil Ermingen zu finden sind.
Wieder hob sich das Land. Nun wurde es von einem mächtigen Fluss entwässert, der sich eine etwa 10 km breite und bis zu 150 m tiefe Rinne dort ins Gelände grub, wo heute der Südrand der Alb verläuft. Allerdings floss er entgegengesetzt zur heutigen Donau, nämlich von Nordosten in Richtung Schaffhausen, wohin sich das Meer zurückgezogen hatte. Dieser Fluss hat die tiefgelben Graupensande in die Gruben des Stadtteils Eggingen geschwemmt, aus denen die Ulmer Baustellen lange Zeit ihr Material bezogen.
Sparen wir uns die komplexen Einzelheiten der weiteren regionalen Erdgeschichte. Kurz gesagt: Das Hin und Her von Salz- und Süßwasser ging weiter, was sich in den Schichten der »Süßbrackwasser-« und schließlich der »Oberen Süßwassermolasse« niederschlug.
Als die Donau ihr Bett verließ
Die Flüsse jener Zeit flossen immer noch von Osten nach Westen. Doch vor etwa 8 Mio. Jahren änderte sich die Richtung: Die Landschaft geriet in Schieflage. Bis dahin hatten die steinernen und sandigen Hinterlassenschaften der Jahrmillionen wie die Schichten einer Torte übereinandergelegen. Doch nun kippte die Torte. So entstand die Schwäbische Alb. Wie bei einer Eisscholle, die an einer Seite unter Wasser gedrückt wird, ragt die entgegengesetzte Bruchkante steil in die Höhe. Diese Kante entspricht dem Albtrauf, dem Steilabfall am Nordwestrand der Alb, wo die Schichten des weißen und braunen Juras offen zutage liegen – was in Ulm nicht der Fall ist. Vom Scheitel laufen diese Schichten schräg nach unten und versinken südlich der Donau in der Tiefe unter den Schottern der Eiszeit.
Der Strom, der nun südlich entlang der Klifflinie nach Osten floss, war die Urdonau. Ihr Quellgebiet lag im Bereich des St. Gotthard, da sich die Alb im Westen stärker gehoben hatte. Das heißt, die Donau sammelte die Wasser nicht nur des Alpenrheins und der Wutach, sondern womöglich auch der Aare und der oberen Rhone. Im Ulmer Bereich finden sich ihre Schotter hoch über dem heutigen Fluss auf dem Hochsträß und dem Oberen Eselsberg – und auf den Höhen beiderseits Blaubeurens.
Doch als das Flussbett infolge weiteren Kippens der Alb gehoben wurde, begab sich die Urdonau mehrere Stufen nach unten. Vor etwa 1 Mio. Jahren begann sie damit, ihren Lauf, der damals in der Schleife von Ehingen über Blaubeuren nach Ulm verlief, einzutiefen, womit sie während der beiden ersten Eiszeiten beschäftigt war. Doch vor etwa 200 000 Jahren, in der Mitte der Riß-Eiszeit, suchte sie sich ein neues Bett am Südrand des Hochsträß. Dort bildet sie seither die Grenze zwischen Alb und Alpenvorland. Ihr altes Bett überließ sie der Schmiech,...