Jagdverhalten ist ein absolut normales Verhalten für Hunde. Wir sagen gern: Jagdproblem. Es ist ein Problem für uns, jedoch nicht für unsere Hunde.
Nicht alle Hunde jagen. Es gibt Rassen, aus denen man den Jagdtrieb mehr oder weniger herausgezüchtet hat. Zudem findet man auch in der restlichen Hundewelt immer wieder Individuen, die kaum oder keine jagdlichen Ambitionen zeigen. Aber das ist nicht die Regel. Die meisten Hunde haben einen durchschnittlichen Jagdtrieb, einige auch einen ausgeprägten.
Bevor wir mit den ersten Schritten eines Antijagdtrainings beginnen, sollten wir uns bewusst machen, was Jagen für unsere Hunde eigentlich heißt und, vor allem, wie genial sie für diese Tätigkeit ausgestattet sind. Erst wenn wir dies verstehen, werden wir in der Lage sein, sinnvolles von sinnlosem Training zu unterscheiden. Genau das möchte ich Ihnen mit den nächsten Kapiteln ermöglichen. Damit Sie von Anfang an sich und Ihrem Hund helfen können, den richtigen Weg zu gehen, sollten Sie unbedingt einige Dinge wissen.
Wissenschaftlich ausgedrückt ist der Jagdtrieb der angeborene, ursprünglich aus dem Ernährungstrieb hervorgegangene Drang, geruchlich oder optisch wahrgenommenes Wild aufzusuchen und zu verfolgen.
Das dachten Sie sich schon, nicht wahr? Genau so sieht es auch aus, wenn Ihr Hund mal wieder einem Kaninchen nachstellt. Wir gehen der Sache mit dem Trieb jedoch erst auf den Grund, wenn wir uns anschauen, was genau hinter diesem Ausdruck steht: Ein Trieb ist eine unbewusste, biologisch zweckmäßige Handlung. Sie erfüllt wichtige Lebensfunktionen. Ein Trieb ist sowohl mit körperlichen als auch mit seelischen Vorgängen verbunden. Auch wenn man es kaum glauben mag: Die letzten Sätze bilden den Kernpunkt für ein erfolgreiches Antijagdtraining. Dies ist der Grund dafür, dass wir ein Antijagdtraining – soll es Erfolg haben – auf unsere drei Säulen aufbauen müssen.
Das Wort „Jagdtrieb“ ist immer so leicht dahergesagt. Um zu verstehen, was wirklich im Hund vorgeht, muss man wissen, dass es noch andere Triebe gibt, die mit dem Jagdtrieb eng verwandt sind.
Der Beutetrieb ist das zielgerichtete Bestreben, Wild nicht nur zu jagen, sondern auch Beute zu machen.
Der Bringtrieb ist die Bereitschaft, das Beuteobjekt aufzunehmen, zu verschleppen, zu verstecken, zu vergraben oder zur Wurfhöhle zu bringen.
Der Spürtrieb veranlasst den Hund, eine Fährte aufzunehmen und freudig und ausdauernd zu verfolgen.
Der Stöbertrieb ist der Drang, mit allen Sinnen und hoher Nase Witterung aufzunehmen und sie ausdauernd zu verfolgen, ohne Fährten auf dem Boden zu beachten.
Der Bewegungs- und Betätigungstrieb lässt den Hund durch Bewegung oder Betätigung die angestaute Energie entladen.
Diesem Windhund steckt die Jagd im Blut. Man sieht ihm den Spaß daran förmlich an.
Dieser Hund hat Witterung aufgenommen und stöbert...
Praktisch bedeutet dies für uns, dass der Jagdtrieb bei den meisten Hunden vorhanden ist. Er hat nur noch selten mit einem Hungergefühl zu tun oder mit dem Bedürfnis, sich oder seine Welpen satt zu machen, denn Jagen ist für jeden Hund eine selbst belohnende Handlung. So hat es die Natur aus Sicherheitsgründen vorgesehen, denn mit diesen Anlagen muss kein Hund verhungern, wenn er sich irgendwann einmal selbst ernähren müsste. Das heißt, dass der Körper durch die Ausschüttung bestimmter Hormone in eine Art Glückszustand versetzt wird und sich so besser belohnt, als wir es je mit einem Leckerchen, einem Ballspiel oder irgendeiner anderen Belohnung könnten.
Dass es so viele unterschiedliche Triebe gibt, die unsere Hunde zum Jagen veranlassen, sollte uns zu denken geben. Nicht jeder Trieb ist gleichermaßen stark in jedem Hund ausgebildet. Ein Hund, der zum Beispiel einen starken Bringtrieb hat, jagt vorwiegend, um diesen auszulasten; ein anderer kann nicht umhin, jeder Fährte nachzugehen, und bedient damit seinen ausgeprägten Spürtrieb. Dies muss man berücksichtigen, will man seinen Hund erfolgreich trainieren. Beobachten Sie also zuerst einmal Ihren Hund und entscheiden Sie: Welche Triebe sind ausgeprägt, welche gar nicht vorhanden? Dann sind Sie schon ein schönes Stück vorangekommen in Ihrem persönlichen Antijagdtraining.
Eine vollständige Jagdsequenz besteht aus den folgenden Phasen:
Weltweit gibt es so viele Jagdhundrassen, dass man fast den Überblick verlieren könnte. Viele Hundebesitzer, die Hunde mit Jagdproblemen besitzen, haben noch nie in Erwägung gezogen, dass ihr Hund eventuell einer Jagdhundrasse angehört beziehungsweise als Mischling aus dieser hervorgegangen sein könnte. Dies muss nicht unbedingt eine hierzulande populäre und häufig gebrauchte Jagdhundrasse sein. Sie könnte auch aus einem anderen Erdteil oder einfach aus Südeuropa stammen, wo man ganz andere Jagdhunde kennt als hier
Die einzelnen Phasen sind zumeist unterschiedlich stark ausgeprägt. Die schlechte Nachricht ist, dass Hunde generell ihre Jagdsequenz in einer beliebigen Phase beginnen können, was ihr Jagdverhalten für uns anfangs unkalkulierbar und undurchschaubar machen könnte, wäre da nicht die gute Nachricht: Nicht alle Hunde durchlaufen alle Phasen in gleichem Maße. Je nach Typ oder Rasse durchlebt ein Hund entweder alle Phasen oder nur einige bestimmte, nämlich genetisch fixierte. Zumeist sind diese Phasen vor allem durch züchterische Selektion abgeändert, geschwächt oder verstärkt.
in Mitteleuropa. Dies bei einem anstehenden Antijagdtraining in Betracht zu ziehen ist sehr wichtig, denn vor allem Angehörige von Jagdhundrassen und deren Nachkommen haben einen ausgeprägten Jagdtrieb. Ganz allgemein kann man die Jagdhundpopulation einteilen in Stöberhunde, Vorstehhunde, Lauf- und Schweißhunde, Apportierhunde, Windhunde und Terrier.
Je nach Jagdgebrauch findet die Zuchtauswahl statt, was im Umkehrschluss heißt: Diese Hunde haben sehr unterschiedliche Eigenschaften und unterscheiden sich teils erheblich in ihrem Jagdverhalten.
Dieser Border Collie zeigt deutlich die Phase des Fixierens.
Durch ein individuelles Training kann man die vorhandenen Phasen schwächen oder die schwach ausgeprägten stärken oder wegtrainieren, je nach Notwendigkeit. Inwieweit uns dieses Wissen eine große Hilfe sein kann, ahnen Sie vielleicht schon. Stärken Sie die Phasen, die Sie gebrauchen können, vor allem bei Welpen und Junghunden, und schwächen Sie die Phasen, die Ihnen später Ärger bereiten könnten. So ist es zum Beispiel eine gute Idee, einem Vorstehhund das Apportieren von Spielzeug oder Dummys so richtig schmackhaft zu machen und zusätzlich seine Vorsteheigenschaften zu verstärken, während man ihn gleichzeitig davon abhält, unkontrolliertes Hetzverhalten zu zeigen, und ihm möglichst keinen Wildkontakt ermöglicht.
Nur ein wenig komplizierter wird es, wenn man bedenkt, dass nicht jeder Hund automatisch in die nächste folgende Phase eintritt. Auch hier bieten sich Chancen für ein Antijagdtraining. Es ist außerdem möglich, dass bei einem Hund ein genetisch fixiertes Programm abläuft. Eine bestimmte Phase löst dabei automatisch die nächste aus, ohne dass man dies verhindern kann. In diesem Fall stößt man häufig an die machbaren Grenzen eines Antijagdtrainings. Nehmen wir den Vorstehhund als Beispiel: Er ortet Wild, und in dieser Sekunde steht er wie angewachsen vor, jedoch kommt er nicht genauso automatisch in die Phase Anpirschen und Hetzen. Macht er dies trotzdem und jagt daher unkontrolliert, stehen die Chancen nicht schlecht, durch Training das ohnehin gezeigte Vorstehen zu verstärken und auszubauen und ihm den nächsten Schritt abzutrainieren. Ihm jedoch das Vorstehen abzutrainieren wäre erstens ein fast unmögliches Unterfangen, zweitens unklug, weil wir es nur verstärken müssen, damit seine Jagdsequenz abgeschlossen ist und er nicht hetzt.
Ähnliche Überlegungen sind bei jedem Hund sinnvoll, der einer Jagdhundrasse angehört oder ein Jagdhundmischling ist, weil man den Ablauf der Jagdsequenz kennt, die zu diesen Rassen gehört.
Ein besonderes Kapitel sind Hütehunde und solche Hunde, die einfach aus Leidenschaft jagen.
Der als Jagdgebrauchshund gezüchtete Weimaraner macht aufgrund seiner Jagdleidenschaft in der Hand von Nichtjägern oft Probleme.
Hütehunde hüten Viehherden. Sie umkreisen die Herde, treiben sie von A nach B, zwicken einem Schaf oder einer Ziege auch schon mal in die Beine, wenn sie nicht gehorchen, und stehen fixierend vor ihnen.
Und natürlich gibt es auch sie: die Jäger aus Leidenschaft. Man kann sie keiner Jagdhundrasse zuordnen und auch keiner Hütehundrasse. Rückschlüsse auf einen gewissen Arbeitsstil kann man daher nicht ziehen, und irgendwie hat man den Eindruck, sie befinden sich 24 Stunden am Tag auf der Jagd, und das mit allen Sinnen. Sie sind so engagiert, dass man sich fragt, was sie wohl mit einem erbeuteten Tier machen würden. Viele von ihnen haben sich das Jagen selbst beigebracht,...