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E-Book

Und was machst Du so?

Vom Flüchtling und Schulabbrecher zum internationalen Unternehmer

AutorAli Mahlodji
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783843716574
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Die Kids haben alle ein Smartphone und Internet, aber immer noch dasselbe Problem, das ich in dem Alter hatte. Sie wissen nicht, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen!' Ali Mahlodj   Ali Mahlodji wurde im Iran geboren und wuchs in einem österreichischen Flüchtlingsheim auf. Er stotterte, schmiss das Abitur und probierte über vierzig verschiedene Jobs aus. Dabei lernte er auch, wie unglücklich der falsche Beruf machen kann. Schon als 14-jähriger hatte er sich ein 'Handbuch der Lebensgeschichten« gewünscht. Ein Buch, in dem man sich von den Lebenswegen anderer inspirieren lassen könnte. 2012 gründete er das StartUp whatchado, eine Internet-Videoplattform auf der Menschen von ihrem Leben, ihrer Karriere und ihren Träumen erzählen. Damit will er Mut machen und Perspektiven bieten. Tausende - vom Auszubildenden bis zum österreichischen Bundespräsidenten - geben dort mittlerweile Einblick in ihren Beruf und in ihr Leben. In diesem Buch erzählt Ali Mahlodji nun seine eigene Geschichte, nach der er immer wieder gefragt wird.    

Ali Mahlodji (*1981) hat u.a. als Apothekenhelfer, Bauarbeiter, Fastfood-Koch, Fotograf, Kassierer, Kundenberater, Lehrer, Projektmanager, Putzmann, Taxifahrer, Verkäufer, Systemadministrator und Management Consultant gearbeitet. Mit der von ihm geschaffenen Internetplattform whatchado ist Ali Mahlodji Gründer eines international beachteten StartUp Unternehmens geworden. Er hat u.a. folgende Auszeichnungen erhalten: Deutscher Online-Kommunikationspreis, European Digital Communication Award, Onliner des Jahres, HR Excellence Award. 2013 wurde er von der Europäischen Union zum Jugendbotschafter ernannt.

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Leseprobe

Der schlimmste Job der Welt


Und wie gerade er mich dazu brachte, groß zu träumen

Bereits beim Vorstellungsgespräch fiel mir auf, wie gespalten das Unternehmen war. Auf der einen Seite die Lieblinge des Chefs, auf der anderen Seite das Fußvolk, genauso austauschbar wie die Chargennummern der verkauften Produkte.

Während ich die im Eingangsbereich ausliegenden Zeitungen durchblätterte, nahm ich bei der Dame am Empfang eine Mischung aus Widerwillen und Angst wahr. Sobald ich dann mit der Personalchefin in einem Meetingraum saß, dauerte es keine Minute, bis sie in Bezug auf die Empfangsdame erwähnte, wie langsam und anstrengend einige Mitarbeiter seien. Ich fragte mich unweigerlich, wie sie wohl über mich reden würde, wenn sie abends ihren Freunden über den Tag erzählte.

Der Betrieb war ein typisches Familienunternehmen alter Schule, das immer noch vom Gründer und seiner Frau geführt wurde. Die beiden hatten sich auf die Produktion von Homöopathie, Tierprodukte und die Zubereitung von Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Ayurveda-Präparate spezialisiert. Zum »Firmen-Imperium« gehörten auch einige Apotheken, mit denen später einmal die Kinder des Ehepaars versorgt werden sollten. Damit einher gingen all die Probleme, die man aus Familiendramen à la Hollywood kennt: der rebellierende Sohn, der Drogen nimmt, der Zwist der Schwestern um die Vorherrschaft als liebste Tochter und ein Patriarch, der versucht, all das zusammenzuhalten, indem er Druck auf die Mitarbeiter ausübt. Ach ja, ich vergaß … eine Ehefrau, die gerne auch mal vor dem Frühstück das eine oder andere Bier mit dem Kaffee verwechselte.

Ich wurde als Lagermitarbeiter in der Wiener Innenstadt eingestellt. Jawohl, nun hatte ich meinen Vollzeitjob und damit meine Einkommensquelle. Obendrein arbeitete ich im Herzen Wiens, wo normalerweise nur Banken oder Anwaltskanzleien zu finden waren, und träumte davon, eines Tages hier auch wohnen zu können. Die Arbeit war allerdings weit weniger glamourös: Es gingen Bestellungen per Fax ein, diese wurden durch ein fünfzehnköpfiges Team in Kartons verpackt und dann verschickt. Eine recht banale und körperlich anstrengende Aufgabe, die in wenigen Jahren wahrscheinlich nur noch von Robotern erledigt werden wird. Unter dem Regime des damaligen Lagerleiters und seiner Ausdrucksweise war der Job manchmal auch ziemlich fragwürdig.

Keiner der Mitarbeiter hatte den Mut, das Wort zu erheben und seinen beleidigenden Tonfall in Frage zu stellen. Zu groß war die Angst, damit den letzten Arbeitstag einzuläuten. Zu präsent war das Bewusstsein, wie wenig man selbst in der Hand hatte. Ausnahmslos alle Mitarbeiter hatten einen Migrationshintergrund, keinen Schulabschluss und sprachen oft schlecht Deutsch. Mit diesen Voraussetzungen anderswo einen besseren Job zu ergattern, war wenig aussichtsreich. Und so arbeiteten alle vor sich hin und versuchten die Beleidigungen und Schikanen runterzuschlucken.

Nach der ersten Woche wurde ich in das Labor einer der Apotheken versetzt. Ab jetzt war ich für die Zubereitung von TCM-Präparaten zuständig. Per Fax gingen Bestellungen von chinesischen Ärzten ein, nach deren Rezeptur ich jeden Tag Pulver zusammenmischte und in kleine Kapseln zu je 0,3 Gramm füllte. Einige der Kapseln musste ich mit einem speziellen Lack überziehen, der in der Produktionsphase so giftig war, dass ich mir Hautverätzungen an den Fingern zuzog. Auch mein Asthma verschlimmerte sich radikal.

Obwohl das Arbeitsinspektorat es mehrmals anmahnte, wurde kein neues Abluftsystem installiert. Anstatt zu klagen, war ich froh, nicht im Lager die Kisten schleppen zu müssen und den Launen des Lagerleiters ausgeliefert zu sein. Dafür hatte ich es jetzt mit der Ehefrau, den Töchtern und dem Chef persönlich zu tun, was einem Drahtseilakt gleichkam.

Mit Atemschutzmaske als Laborant in einer Apotheke.

Auch in meinem neuen Arbeitsbereich verdrängte die Angst jeglichen Optimismus. Die oberste Regel lautete, sich den Launen der Familie zu beugen und das Spiel mitzuspielen. Was das bedeutete, erlebte ich bereits in den ersten Wochen, und zwar mit einem Paradebeispiel für die Kunst des »Management by Angst«.

Es war einer der Tage, wo alle Labormitarbeiter fast zeitgleich in einem großen Raum mit ihren Tätigkeiten beschäftigt waren. Es war auch mein einmonatiges Jubiläum, ich hatte die Probezeit überstanden und zur Feier des Tages eine Torte mitgebracht. Nach dem Mittagessen kam der Boss zu uns ins Labor, sah sich etwas um, aß ein Stück von der Torte und sagte dann vor versammelter Mannschaft:

»Ali ist jetzt seit genau einem Monat bei uns. Was würden wir nur ohne ihn machen.«

Ich merkte, wie in mir eine Mischung aus Stolz, Freude und Demut aufkam.

»Ja, dann hätten wir halt jemand anderen.«

Das Tortenstück, das ich gerade noch genossen hatte, fühlte sich jetzt an wie meine Henkersmahlzeit. Die Freude und der Stolz verwandelten sich in Irritation und Angst. Pure Angst, den Job zu verlieren, und Angst, die eigene Existenz durch einen Fehler zu gefährden.

Klar weiß ich, dass man als Arbeitnehmer theoretisch immer ersetzbar ist – das ist auch ein Merkmal eines gut organisierten Unternehmens, das beim Ausfall eines Mitarbeiters trotzdem irgendwie funktionieren muss. Doch vor versammelter Mannschaft als »austauschbar« diffamiert zu werden, brachte ans Tageslicht, dass hier jemand ganz genau wusste, wie er Menschen steuern konnte.

Existenzangst aufgrund von Jobunsicherheit, gepaart mit Alternativlosigkeit, ist ein Gefühl, das ich keinem Menschen auf dieser Welt wünsche. Es ist ein Gefühl, das einen erstarren lässt und den Glauben fördert, man sei nicht gut genug und hänge nur von der Gnade eines anderen ab. Man fühlt sich eingesperrt, sozial abgehängt und auf dem Arbeitsmarkt ganz am unteren Ende der Nahrungskette. An den Gesichtern meiner Arbeitskollegen sah ich, dass sie genauso geschockt und traurig über die Worte meines Chefs waren wie ich. Und ich sah auch, dass es wohl nicht das erste Mal gewesen war, dass ein Mitarbeiter vor der Belegschaft gedemütigt wurde.

Den Abend verbrachte ich aufgekratzt und heulend zu Hause, mit dem Gefühl, dass mich jemand in der Hand hatte, weil er um meine Existenzangst und meine Alternativlosigkeit wusste. Was konnte ich schon anderes tun, als jeden Tag Pulver zu mischen und in Kapseln abzufüllen? Ein Blick auf meine Arbeitskollegen zeigte mir, wo meine Zukunft lag.

Viele meiner Arbeitskollegen bewegten sich an der Grenze zum Alkoholismus, hatten Depressionen und trugen eine Resignation in sich, die sie einfach weitermachen ließ. Einige von ihnen waren – so wie ich – mit Migrationshintergrund und einem Schulabbruch in der Tasche gekommen und hatten vor, »den Job nur ganz wenige Jahre zu machen«, bis sie etwas anderes finden würden. Bei vielen lag das bereits über 20 Jahre zurück, doch sie arbeiteten immer noch in derselben Position wie damals. Ihrer Hoffnung war Realismus gewichen: Sie standen mit dem Rücken zur Wand und sahen keine Möglichkeit zur Veränderung. Ein Realismus, den sie nun auch mir nahezubringen versuchten. Sie wollten mich vor weiteren Enttäuschungen schützen, sich gleichzeitig aber selbst beweisen, »dass es nun mal so war und man nichts ändern konnte«.

Unser Lagerleiter formulierte es einmal sehr schön, als er über meine Lage und meine Zukunftsaussichten sprach: »Herr Ali, indem Sie die Schule hingeschmissen haben, haben Sie sich selbst in eine Schublade gesteckt. Es gibt ganz viele Ausländer, die die Schule hingeschmissen haben, und Sie sind keine Ausnahme. Finden Sie sich damit ab, es kommt ja irgendwann die Pension – bis dahin machen wir hier unsere Arbeit, und das rate ich Ihnen auch.«

Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man resigniert. Oder es wird einem klar, dass man nichts zu verlieren hat. Genau deshalb kann man auch niemanden mehr enttäuschen oder sich irgendwie blamieren. Man kann eigentlich nur gewinnen.

Die Worte meiner Mutter lagen mir plötzlich wieder in den Ohren. »Die Schule hinzuschmeißen ist deine erste erwachsene Entscheidung, und du musst die Konsequenzen daraus ziehen.« Das waren drohende Worte gewesen – in jener Nacht, in der ich verzweifelt zu Hause saß, wurden sie zu meinem Antrieb.

Konsequenzen zu ziehen bedeutet letztlich, mit den eigenen Entscheidungen zu leben. Und diese können wir jeden Tag beeinflussen. Ich beschloss an jenem Abend, mich nicht mit meinem Schicksal laut Statistik abzugeben, und gab mir das Versprechen, herauszufinden, wie weit ich kommen könnte. Ich war neugierig, was passiert, wenn man sein Schicksal wirklich selbst in die Hand nimmt und sich jeden Tag bewusst macht, dass man eigene Entscheidungen treffen kann.

Aus all den Arbeitskollegen, die sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatten und eine imaginäre Grenze vor sich sahen, wollte ich der eine Mitarbeiter werden, der diese Grenze durchbricht. Manchmal brauchen wir keine Riesenschritte, um weiterzukommen. Es reicht schon ein erster kleiner Schritt, um derjenige zu sein, der in der ersten Reihe steht, während die anderen dahinterstehen und abwarten.

Ja, ich war neugierig, wie weit ich kommen würde. Wie meine Story begonnen hatte, das hatte ich mir nicht ausgesucht, doch wie sie weitergehen würde – das wollte ich selbst bestimmen.

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