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E-Book

Mein Gott, Kirche!

Warum sie wieder für uns da sein muss

AutorUte Pfeiffer
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783843716277
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Warum bleiben so viele Kirchenbänke am Sonntag leer? Sind die Menschen nicht mehr an Gott interessiert? 'Oh doch!', sagt die evangelische Pfarrerin Ute Pfeiffer. 'Die von Vielen empfundene Lebensferne der Kirche ist das Problem.' Ute Pfeiffer beruft sich auf unzählige Begegnungen mit Menschen innerhalb und außerhalb von Kirchenmauern. Sie selbst ist am liebsten mittendrin im Geschehen, im sozialen Raum. Da packt sie mit an. Und mit Menschen über kritische und existenzielle Fragen zu sprechen oder politisch Flagge zu zeigen, wenn ein Stadtteil benachteiligt wird, gehört für Ute Pfeiffer genauso zum pastoralen Dienst wie taufen oder predigen. Für die engagierte Pfarrerin muss die Kirche, so wie Jesus, mitten in der Lebenswirklichkeit der 'normalen' Leute zu finden sein. Nur davon hängt ab, ob sie wieder an Bedeutung beim Einzelnen und in der Gesellschaft gewinnt.  

Ute Pfeiffer, geboren 1960, stammt aus einer nordfriesischen Handwerkerfamilie. Sie ist seit Jahren im pastoralen Dienst tätig. Seit 2006 ist sie evangelisch-landeskirchlich ordinierte Pfarrerin. Sie war u. a. in Berlin Spandau und in Potsdam-Schlaatz tätig.

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Leseprobe

»MEINE FREUNDIN MÖCHTE PATIN FÜR MEINEN SOHN WERDEN … ICH FREU MICH SO!«


Wie es wieder mehr Paten geben könnte


»Hast du mal ’ne Zigarette?« Das war die erste Frage, die Karin mir stellte; eine resolute Frau Mitte dreißig, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Ich hatte sie an diesem Abend das erste Mal gesehen, bei unserer Anwohnerversammlung. In der Pause sprach sie mich an, und ich gab ihr den erbetenen Glimmstengel. Wir rauchten und redeten über die Missstände in unserem Stadtteil und was wir alle gemeinsam dagegen tun könnten. Karin erzählte nichts über sich selbst, wollte auch über mich nichts erfahren. Aber wir waren uns sofort irgendwie sympathisch.

In den folgenden Wochen traf ich sie dann regelmäßig bei weiteren Versammlungen. Es wurde zum schönen Ritual, dass wir in den Pausen eine rauchten und über Gott und die Welt quatschten. Na ja, über Gott eigentlich nicht wirklich.

Eines Tages begegneten wir uns dann zufällig bei Lidl am Käseregal. Karin war schlecht drauf, das merkte ich sofort. Und bevor ich etwas sagen konnte, sprudelte es nur so aus ihr heraus. Das Amt habe mal wieder Stress gemacht, die wollten ihr keine neue Waschmaschine bewilligen. Das ginge ja gar nicht. Karin schimpfte wie ein Rohrspatz. Zu allem Überfluss habe dann auch noch die Schule angerufen und verlangt, dass Karin komme. Ihr älterer Sohn soll einem anderen Kind auf dem Schulhof eine geknallt haben. »Der Thomas ist zwar manchmal etwas aggressiv – aber schlagen, nee, so was macht er nicht.« Karin unterhielt inzwischen den ganzen Laden. Ich versuchte erst gar nicht, sie zu beruhigen. Das hätte wenig Zweck gehabt. Irgendwann schnaufte sie auf einmal durch, schwieg und suchte sich Käse aus.

Nach dem Einkauf lud ich sie auf einen Kaffee am Brotstand ein. Dort erzählte sie mir, jetzt wesentlich leiser, von ihrem Leben. Sie sprach über ihren täglichen Kampf um die Existenz ihrer Familie. Ich hörte von ewig meckernden Nachbarn und dass ihre Kinder ständig in der Schule gemobbt würden, weil sie nicht die angesagten Klamotten haben. »Dagegen machen diese Lehrer übrigens gar nichts, da müssen die Eltern der Mobber-Kids nicht antreten.« Karin erzählte auch vom Vater ihrer Kinder. »Der bekommt jetzt Nachwuchs mit einer anderen Frau, dabei kümmert der sich doch schon um unsere beiden nicht richtig. Wann ich das letzte Mal Geld von ihm bekommen habe, weiß ich auch nicht«, schimpfte sie über ihn.

Als ich Karins ganze Geschichte gehört hatte, fühlte ich mich wie erschlagen. Wo nahm diese Frau wohl die Kraft für ihr Leben her? Wer war an ihrer Seite, außer Sozialarbeiter? Wo blieb sie als Frau mit ihren Wünschen und Bedürfnissen? Gleichzeitig empfand ich große Bewunderung dafür, wie sie versuchte, ihren Kindern alles zu ermöglichen, was irgend ging. Ihre Eltern seien ihr auch keine große Unterstützung, die hätten eigene Probleme, meinte sie nur lakonisch. »Und Freunde?«, fragte ich. »Die gibt es zum Glück – aber leider nur ganz, ganz wenige. Als Alleinerziehende habe ich kaum Gelegenheiten, mal allein rauszugehen, ich kriege meistens nur Kontakt zu anderen Alleinerziehenden.« Gerade, als ich reagieren wollte, erhob sich Karin plötzlich vom Stuhl. Sie nahm den letzten Schluck aus ihrer Tasse und entschwand mit einem »Muss los, bis bald! Danke für den Kaffee!«

Ich hatte noch nicht oft erlebt, dass mich jemand so stehen bzw. sitzen ließ. Aber bei Karin sollte ich mich noch daran gewöhnen müssen, dass sie ab und zu einmal eine Situation auf diese Weise verließ. Zum Glück war sie nicht vor mir weggerannt, weil ich Pfarrerin bin und sie Angst hatte, jetzt »beseelsorgt« zu werden. Meinen Beruf kannte sie da noch gar nicht. Und selbst, wenn ich bei diesem gemeinsamen Kaffee zu Wort gekommen wäre, hätte ich nicht von Gott oder meiner Arbeit angefangen. Wozu? Diese Mutter wollte sich einfach mal ausquatschen, bei jemandem, der ihr nicht unbekannt war. Nicht mehr und nicht weniger. Und ich war im richtigen Moment am richtigen Ort, dort am Käseregal.

Die nächste rituelle Zigarette kam, und Karin verhielt sich nicht anders als vorher, na ja, vielleicht etwas weniger burschikos. Sie verlor auch kein Wort zu unserem Gespräch am Brotstand bei Lidl. Wir rauchten und redeten über alles Mögliche, es war wie immer. Doch dann begrüßte mich eine ältere Dame im Vorbeigehen lauthals mit: »Guten Abend, Frau Pfarrerin!« Karin fiel fast die Zigarette aus der Hand und sie rief: »Krass, Alter!« Sie konnte kaum glauben, dass diese Ute mit der verwaschenen Jeans und der Zigarette in der Hand eine waschechte Pfarrerin der evangelischen Kirche sein sollte. Sie fragte dreimal nach, ob das wirklich stimme, und dreimal antwortete ich wahrheitsgemäß, dass ich wirklich eine solche bin. Da ließ Karin mich, ob ich wollte oder nicht, ihre Vorstellung von »Pfaffen« wissen: »Die stehen über den Dingen, sind unnahbar, haben keinen Spaß und keinen Sex, tragen konservative Kleidung und haben mit dem ›richtigen‹ Leben nichts zu tun.« Ich glaube, ich habe nichts vergessen.

Ich hielt ihr zugute, dass sie nur ein einziges Mal als Kind einen Gottesdienst miterlebt hatte, als ihre Tante beerdigt wurde. Darüber hinaus hatte sie bis zu jenem Abend weder eine Kirche von innen gesehen noch Pfarrerinnen oder Pfarrer persönlich kennengelernt. Und in ihrer Schule habe es sowieso immer geheißen, dass Religion Quatsch sei, dass es keinen Gott gäbe.

Die Bürgerversammlung war inzwischen längst weitergegangen. Aber wir standen noch lange draußen und rauchten. Karin war sehr direkt. Sie fragte mir Löcher in den Bauch; wollte wissen, wie denn so mein alltägliches Leben aussähe, ob ich einen Mann haben dürfe und auch, ob ich wirklich an Gott glaube. Ich tat mein Bestes, um ihren Wissensdurst zu befriedigen. Nur bei sehr intimen Fragen verweigerte ich dann doch die Aussage. Das Ganze muss Karin so spannend gefunden haben, dass sie spontan versprach: »Wenn das so ist – dann komme ich auch mal in deine Kirche!«

Und das tat sie. Nach meinem »Outing« als Pfarrerin kam sie tatsächlich mit ihren Kindern in den sonntäglichen Gottesdienst. Sie war neugierig, was die Ute in dem schwarzen Talar wohl von sich gibt. Und wer da so sitzt und lauscht. Es war anscheinend nicht so schlecht, denn Karin kam fortan ab und zu wieder. Ich freute mich darüber. Und mit der Zeit lernte sie natürlich auch ein paar Leute aus der Gemeinde kennen. Sie fragte mich auch mehr nach Gott. Und ihr älterer Sohn Thomas wollte mehr Geschichten von diesem krassen Jesus hören. Kein Problem!

Eines Tages traf ich Karin dann im Spätkauf. »Ute, ich muss unbedingt mit dir reden«, sagte sie sehr förmlich. Was war los? Wir suchten uns eine ruhige Ecke. Was sie dann sagte, machte mich regelrecht sprachlos – und das will bei mir wirklich etwas heißen.

Karin wollte ihren dreijährigen Sohn Sven taufen lassen. »Geht das denn überhaupt? Ich bin ja nicht Mitglied der evangelischen Kirche.« – »Das ist kein Problem«, beruhigte ich sie. »Elternteile eines Taufkindes müssen nicht zwingend Mitglied sein.« Karin strahlte übers ganze Gesicht und wollte dort, zwischen Bierkästen und Süßigkeiten, gleich alles für den Taufgottesdienst besprechen. Natürlich freute ich mich mit ihr. Und ich war ganz besonders neugierig auf das »Warum«. Warum wollte diese Frau, die sich dem Glauben und der Kirche doch erst langsam näherte, ihr Kind jetzt taufen lassen? Um darüber und auch über alles Weitere in Bezug auf die Taufe zu reden, verabredeten wir uns einige Male bei Karin und ihren Kindern zu Hause.

Sie hatte vorrangig zwei Gründe für ihr Taufanliegen. Zum einen wollte sie ihren kleinen Sven für sein Leben in »Sicherheit« wissen. Er solle unter einem höheren Schutz stehen als den, den Menschen ihm geben können. Und sie habe das Gefühl, dass Sven bei diesem Jesus und in Gottes Armen diesbezüglich bestens aufgehoben wäre. »Du hast doch schließlich auch gepredigt, dass Gott alle Menschen am Herzen liegen, dass er die Kinder aber ganz besonders lieb hat«, erklärte Karin mir. Seit diesen Worten habe sie angefangen, über eine Taufe nachzudenken.

Der andere Grund für ihr Anliegen war eher irdischer Natur. »Wenn Sven getauft wird, bekommt er ja auch Paten, die dann zusammen mit mir ganz besonders für ihn da sein werden. Und falls mir etwas zustößt, können die ihn dann großziehen.« Es sprach viel Liebe und Fürsorge aus diesen Worten – auch wenn ich ihr sicher noch einiges Grundlegendes erklären musste. Zum Beispiel, dass die Taufe und der Segen Gottes nicht in einem magischen Sinne zu verstehen sind. Sozusagen als Garantie, als Getaufter künftig vor Verletzung, Krankheit oder Krisen jeglicher Art bewahrt zu sein. Zum anderen bekommen Paten nicht automatisch das Sorgerecht für ihren Täufling, wenn die Eltern nicht mehr da sind. Das war vor Jahrhunderten mitunter so, aber heute hat das eine mit dem anderen nicht viel zu tun, außer dass es dem Jugendamt natürlich auch viel lieber ist, wenn es Vertraute gibt, die für das Kind sorgen wollen.

Karin wusste nur eins in ihrem Herzen: Sie wollte das Beste für ihr Kind. Und dazu gehörte für sie inzwischen, ihren Sohn in der Obhut Gottes aufgehoben zu wissen. Das ist für mich ein starkes und überzeugendes Glaubensbekenntnis, auch wenn es nicht in kirchlicher Sprache formuliert worden war.

Karin wünschte sich zwei zuverlässige Taufpaten für ihren Sven und suchte mit viel Bedacht. Am Ende kamen für sie nur zwei Freundinnen in Frage, die sich mit dem Jungen schon jetzt sehr gut verstanden. Beim nächsten Treffen erzählte sie mir freudestrahlend davon. Und auch, dass beide...

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