Jane (13) und Ariane (17)
„Ich glaube nicht, dass ein Mädchen mit Liebeskummer zu ihrem Papa geht.“
Man käme auf den ersten Blick nicht darauf, dass sie Schwestern sein könnten, denn Jane, die braunhaarige, ist mit 13 schon genauso groß und kräftig wie ihre Mutter. Man könnte Jane leicht für 18 halten. Neben ihr wirkt Ariane, die 17 jährige, mit ihrem blonden halblangen Haar noch kleiner und zierlicher, als sie ist.
Allerdings muss man ihnen nicht lange zuhören, bis jede und jeder merkt, dass sie nur Schwestern sein können oder beste Freundinnen oder eben beides. Und ziemlich schnell kriegt man außerdem mit, dass Ariane vielleicht zart und zerbrechlich wirken mag, aber fuchsteufelswild wird und sich energisch und ohne zu zögern für ihre kleine Schwester Jane einsetzt, falls irgendwem es einfallen sollte, einen blöden Kommentar über Janes Größe zu wagen, sie gar „Planschkuh“ zu nennen oder zu tuscheln, sie sei bestimmt auch lesbisch – so wie ihre Mütter. Auf Jane lässt Ariane absolut nichts kommen, und auf ihre beiden Mütter auch nicht. Da kann es schon vorkommen, dass sie mal zuschlägt, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Was ich überhaupt nicht abkann, ist, wenn man irgendwas über meine Familie sagt, noch schlimmer, wenn man was über meine Mutter sagt. Da bin ich schnell auf hundertachtzig.“ Jane dagegen ist die Stillere von beiden, eine, die erst mal beobachtet, eine, die sich lieber nicht streitet und am allerliebsten in Ruhe gelassen werden will.
Ariane und Jane leben seit zehn Jahren mit ihren Müttern Iljana und Sigi zusammen, in Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern, mitten in der Stadt. Geboren ist Ariane auf Rügen und Jane in Berlin. Ariane kann sich noch ganz gut an die Zeit erinnern, als sie mit ihrem Stiefvater, dem Vater von Jane, und ihrer Mama in Berlin-Friedrichsfelde in der Nähe des Tierparks gewohnt haben und Iljana sich gerade in Sigi verliebt hatte. Da gab es jede Woche mindestens einmal einen Riesenkrach. „Mein Stiefvater, der konnte das überhaupt nicht verstehen, dass Mutti nicht mehr auf Männer steht, sondern sich in eine Frau verliebt hat – es war ganz fürchterlich.“ Ariane war heilfroh, als sie, Jane und Iljana aus der Wohnung ausgezogen sind.
Und wie ihre Mutter ihr die Neuigkeit mitgeteilt hat, das weiß sie übrigens auch noch ganz genau: „Da hat mich Mutti genommen und mir das erklärt, so dass es eine Siebenjährige eben versteht. Sie hat gesagt, dass sie Sigi kennen gelernt hat und sie sehr gern hat. Und ich hab gesagt: ‚Ja, okay.‘“ Aber eigentlich fand Ariane es gar nicht okay. Sie und Jane mochten Sigi anfangs überhaupt nicht leiden. „Als kleines Kind“, so erklärt sich Jane das heute, „ist man halt nicht so unbedingt für Überraschungen.“ Zumindest nicht für solche. Die beiden mussten sich erst mal dran gewöhnen, dass es da jemanden Neues im Leben ihrer Mutter gab. Sigi hat es aber geschafft, die Herzen der beiden Schwestern zu gewinnen: „Sie hat mit mir an der Modelleisenbahn gebastelt“, erzählt Jane und sie erinnert sich noch genau, dass Sigi es war, die ihr die Schultüte überreicht hat. „Das war schon etwas ganz Besonderes.“ Und damit war das Eis gebrochen.
Ariane und Jane mussten sich auch daran gewöhnen, dass andere zunächst ziemlich überrascht sind, wenn sie hören, dass Ariane und Jane zwei Mütter haben. Oder sogar „iih, wie eklig“ rufen. Anfangs hat Ariane deshalb nicht groß darüber gesprochen. „Also ich hab in meiner neuen Grundschule in Neubrandenburg dann im Stuhlkreis erst mal nicht so viel von den Ferien erzählt, ich hab mich nicht getraut, Sigi zu erwähnen.“ Erst später auf der Gesamtschule, gleich in der siebten Klasse, hat Ariane keine Lust mehr auf diese Heimlichtuerei. Und außerdem überlegt sie sich, dass ihr eigentlich egal sein kann, was die anderen über sie denken und ob sie lästern oder nicht. Als sie im Deutschunterricht das Thema Lesben und Schwule besprechen, gibt sich Ariane einen Ruck: „Da habe ich mir so gedacht: ‚So, jetzt nimmste deinen Mut zusammen und stehst auf und sagst, dass du ’ne lesbische Mutti hast.‘“ Und das tat sie auch. „Und dann haben mich alle, die es noch nicht wussten, mit großen Augen angeguckt und mein Banknachbar hat gesagt: ‚Echt, ej?‘ Der wollte es nicht glauben.“ „Und – ein Problem damit?“ fragt Ariane spitz. „Nö“, hört sie nur, und „Ich wusste es halt nicht“.
Seitdem hat Ariane wenig blöde Bemerkungen mitgekriegt. Und wenn es mal vorkommt, dass jemand etwas Abfälliges sagt, dann kann sie sich auf ihre Freundinnen und Freunde verlassen. Einmal haben ihre Freunde mit einem Mädchen, das Janes und Arianes Mutter beleidigt hatte, ein ernstes Wort gesprochen. „Und dann hat sie sich wirklich bei mir entschuldigt.“ Aber ansonsten braucht Ariane keine Jungs, die solche Angelegenheiten für sie regeln: „Ich kann mich schon alleine wehren.“ Und dann erzählt sie, wie sie einen Jungen zur Rede gestellt hat, der über Jane und ihre Mutter immer wieder respektlose und verletzende Sprüche gemacht hatte. Sie begegnet ihm auf der Straße, er in Begleitung von zwei Freunden, sie alleine. Klar hatte sie Herzflattern, schließlich konnte sie ja nicht absehen, ob sie heil aus der Angelegenheit rauskommen würde. „Aber dann habe ich so ’ne innere Kraft entwickelt“, erzählt Ariane, „und hab mich vor ihm aufgebaut und gesagt: ‚Ej, Freundchen, noch so’n Ding und dann gibt’s Ärger!‘ und dann wollte er sich natürlich rausreden und da hab ich gemerkt, der hat ja ganz weiche Knie. Anscheinend hatte er ganz schön Schiss vor mir.“ Ariane verschränkt energisch die Arme. Die Sache ist für sie abgehakt. „Früher“ ergänzt sie noch, „da hab ich mir viel gefallen lassen, aber heute, da hab ich so eine Stärke entwickelt und ich glaube, dadurch haben sie einfach mehr Respekt vor mir bekommen.“
Ihre Freundinnen und Freunde finden ihre Eltern übrigens „total cool.“ „Die sagen oft: ‚Mann, deine Mutter ist ja total locker‘“, erzählt Ariane. Auch ihrem derzeitigen Freund hat sie es gleich gesagt, dass ihre Mutter lesbisch ist. „Dem ist das egal, er akzeptiert das. Außerdem bin ich ja nicht diejenige, die lesbisch ist, und überhaupt – es ist ja nichts Schlimmes“, sagt Ariane.
Jane dagegen hat auch andere Erfahrungen gemacht. Ihren besten Freund, mit dem sie früher regelmäßig Fußball gespielt hat und kurze Zeit waren sie auch ineinander verliebt, darf Jane nicht mehr treffen – zumindest, wenn es nach seinen Eltern ginge. Doch Jane und er sind erfinderisch und suchen immer wieder neue Wege, sich trotzdem zu verabreden. „Aber wenn seine Eltern das rausfinden, kriegt er eine Woche Stubenarrest“. Jane verdreht die Augen. „Aber der kriegt sowieso dauernd Stubenarrest, wegen jeder schlechten Note.“ Selbst ein Gespräch, bei dem sich Janes Mütter und die Eltern des Freundes zusammengesetzt und darüber geredet haben, ändert nichts. „Sie bleiben einfach stur bei ihrer Meinung“, empört sich Jane. Und dabei ist nicht mal offen ausgesprochen, worum es überhaupt geht: Ist es die Tatsache, dass Jane zwei Mütter hat oder weil sie Jane als Person nicht mögen. Oder wegen des Streits um die Rückgabe von Janes Gameboyspiel vor ein paar Monaten. Jane könnte sich auch vorstellen, dass „es vielleicht auch wegen meiner Größe ist.“
Zum Glück fühlt sich Jane in ihrer Klasse inzwischen wohl: „Mit denen versteh ich mich gut, wir halten ganz und gar zusammen“, erzählt sie, zumindest seit einer ihrer Mitschüler, „der, der immer der King sein wollte“, die Schule gewechselt hat. Jetzt hat Jane einen festen Platz in der Gemeinschaft. „Und wenn was sein sollte, dann …“, sagt Jane mit einem kleinen Lächeln. Sie braucht nicht unbedingt immer Arianes Unterstützung.
Dass ihre beiden Mütter immer ein offenes Ohr für sie haben, das finden die Schwestern beide sehr wichtig. „Ich mache da auch keinen Unterschied“ erzählt Ariane, „ich habe beide gleich doll lieb.“ Jane nickt zustimmend, sie kann sich noch erinnern, wie sich Sigi und Iljana mal heftig gestritten hatten. „Das war im Garten und ich saß da und hab geheult und gesagt, dass sie bloß nicht auseinander gehen dürfen.“ Jane ist damals sieben oder acht. Sie ist erleichtert, als ihre Mütter ihr erklären, dass sich zu streiten nicht immer Trennung heißen muss. Mittlerweile haben Sigi und Iljana ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen. „Verheiratet kann man ja nicht sagen, obwohl es für mich das Gleiche ist“, erklärt Ariane. Sie und Jane fänden es gut, wenn Sigi sie adoptieren könnte: „Damit wären wir rechtlich eben auch ihre Kinder, nicht nur Muttis.“
Ariane und Jane sind sich einig darüber, dass es für sie keinen Unterschied zwischen Papa- und Mama-Familien und ihrer Zwei-Mama-Familie gibt. „Der einzige Unterschied“ überlegt Ariane, „ist vielleicht der, dass wenn in einer, ich sag mal, normalen Familie, Mutti bei der Arbeit ist und Papa zuhause, dann glaube ich nicht, dass dann die Tochter mit ihrem Liebeskummer zu ihrem Papa geht. In unserem Fall können wir immer darüber reden, ob nun mit Sigi oder mit Mutti.“
Jane hat vor, das Abitur zu machen, danach möchte sie Mathematik, Informatik und Geographie studieren. Und leben würde sie am liebsten am Meer. Dort, wo es warm ist, in Griechenland vielleicht.
Aber erst mal freut sie sich auf ihre Jugendweihe.
Ariane hofft, dass sie nächstes Jahr endlich ihren Hauptschulabschluss in der Tasche hat. Eigentlich hatte sie vor, nach Rügen zu ziehen, um dort eine Ausbildung in ihrem Wunschberuf als Hotelfachkraft zu machen. Ihre Herzkrankheit, die sie seit...