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E-Book

Unerhörter Mut

Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns

AutorAlfons Dür
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783709973059
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Zu Ostern 1942 befreit der 22-jährige Deutsche Heinrich Heinen unter lebensgefährlichen Bedingungen seine jüdische Braut Edith Meyer aus dem Ghetto von Riga. Gemeinsam flüchten sie Richtung Schweiz, wo sie hoffen, eine Zukunft für ihre Liebe zu finden. In Feldkirch an der Grenze zur Schweiz scheitert ihre Flucht. Heinen wird wegen Rassenschande verurteilt, versucht aber erneut, seine Braut zu retten und mit ihr in die Schweiz zu fliehen - wieder vergeblich. Lebendig und packend erzählt Alfons Dür anhand von Originaldokumenten und Bildzeugnissen die wahre Geschichte einer tragischen Liebe in der NS-Zeit.

Alfons Dür, geboren 1948 in Lauterach/Vorarlberg. Studium der Rechtswissenschaften in Wien, Richter, von 1998 bis 2008 Präsident des Landesgerichtes Feldkirch. Forschungen zur NS-Justiz und zu Fragen der Rechts- und Justizgeschichte Vorarlbergs. Bei Haymon: Unerhörter Mut. Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns (2012).

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Leseprobe

Spuren suchen – Spuren finden

Am 22. Juli 1942 richtete der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Feldkirch, Vorarlberg, „Fernruf 27“, folgende Anfrage an die Geheime Staatspolizei in Düsseldorf:

„Der in der Haftanstalt Feldkirch als Untersuchungsgefangener einsitzende Privatangestellte Heinrich H e i n e n aus Berlin, geboren am 14. Mai 1920 in Köln, ledig, hat zugestanden, mit der am 24. April 1920 in Langenfeld bei Düsseldorf geborenen Jüdin Edith Sarah Meyer (Eltern Max und Rebekka, geb. Salomon) seit anfangs 1940 mehrfach Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Die Meyer hat noch angegeben, dass sie zuerst in Langenfeld, Gansbohlerstrasse 23 gewohnt habe, dass sie aber am 8. Dezember 1941 mit einem Sammeltransport nach Riga gebracht worden sei, wo sie dann im Ghetto gewohnt habe. Von hier habe sie Heinen, was dieser auch zugegeben hat, zu Ostern 1942 entführt. Schließlich wurden beide im Juni 1942 bei dem Versuch, die Reichsgrenze gegen die Schweiz zu überschreiten, im hiesigen Landgerichtsbezirk festgenommen.

Ich bitte nun um Mitteilung, was dort über die Meyer bekannt ist und ob nach den dortigen Unterlagen insbesondere feststeht, dass die Meyer, wie sie selbst zugegeben hat, Volljüdin ist. Gleichzeitig bitte ich noch um Bekanntgabe, an welche Stelle ich mich wegen des Aufenthaltes der Meyer in Riga wenden kann.“1

Hinter dieser nüchternen amtlichen Anfrage verbirgt sich eine ungeheuerliche Geschichte, die Geschichte einer großen Liebe, einer waghalsigen Flucht und eines tragischen Scheiterns. Es ist die Geschichte von Heinrich Heinen und Edith Meyer, eines „Deutschen“ und einer „Jüdin“, die für ihre Liebe ihr Leben riskierten – und verloren.

Achtzehn Jahre waren die beiden alt, als sie sich im Jahr 1938 in Köln kennen lernten und ineinander verliebten. Ihre Liebe war stets von Entdeckung und Bestrafung bedroht, denn die in Deutschland geltenden Rassengesetze verboten Liebesbeziehungen zwischen „Deutschen“ und „Juden“. Bis zum Dezember 1941 war es den beiden Liebenden dennoch möglich, sich heimlich und im Verborgenen zu treffen, dann aber brach die Katastrophe über sie herein: Edith wurde wie Tausende andere Juden aus den Städten und Dörfern Deutschlands in den Osten deportiert.

Heinrich versuchte nun, den Aufenthaltsort von Edith in Erfahrung zu bringen und kündigte schon zu Weihnachten 1941 an, „wenn er wüßte, wo die Edith wäre, würde er sie aus dem Lager holen“2.

Zu Ostern 1942 wusste Heinrich, wo Edith war: im Ghetto von Riga. Und er machte sein Vorhaben wahr. Von Berlin aus fuhr er nach Riga, um Edith zu befreien. Es gelang ihm, Edith unter den mehr als 25.000 Juden, die aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei dorthin deportiert worden waren, ausfindig zu machen und mit ihr aus dem mit Stacheldraht umzäunten und schwer bewachten Ghetto zu fliehen. Von da an hatten die beiden nur mehr ein Ziel: die Schweiz zu erreichen. Dort wollten sie heiraten.

Mehr als 3.000 Kilometer legten die beiden auf ihrer Flucht unentdeckt zurück. Von Riga flohen sie zunächst nach Königsberg, von dort nach Berlin, von Berlin nach Solingen. In Solingen konnte sich Edith für einige Tage bei ihrer jüdischen Cousine Helene Krebs verstecken, Heinrich hingegen fuhr wieder an seinen Arbeitsplatz nach Berlin zurück, wohin ihm wenig später auch Edith folgte. Nach acht Tagen verließen sie Berlin wieder und fuhren nach Königswinter am Rhein, wo sie drei Tage in einer Pension verbrachten. Von dort fuhren sie mit der Bahn nach Konstanz und versuchten zum ersten Mal, die Grenze zur Schweiz zu überschreiten, was aber nicht gelang. Deshalb fuhren sie weiter nach Bludenz in Vorarlberg. Dort ging ihnen das Geld aus, worauf sie in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1942 in Feldkirch versuchten, die Grenze zur Schweiz zu überqueren. Hierbei wurden sie festgenommen und in die Haftanstalt des Landgerichtes3 Feldkirch eingeliefert. Die Entscheidung über ihr weiteres Schicksal lag nun in den Händen der Justiz und der Gestapo von Feldkirch.

Auf diese Geschichte wurde ich erstmals im Jahre 1997 im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit als Vizepräsident des Landesgerichtes Feldkirch aufmerksam. Der Langenfelder Historiker Günter Schmitz4 war bei Nachforschungen zur Geschichte der in Langenfeld wohnhaft gewesenen Juden auf die in Feldkirch gescheiterte Flucht dieses Paares aufmerksam geworden und wollte wissen, ob dazu beim Landesgericht Feldkirch noch Akten vorhanden wären. Kurze Zeit später wandte sich ein weiterer Historiker, Holger Berschel, mit dem gleichen Anliegen an das Landesgericht Feldkirch. Er war bei Forschungen zur Geschichte des Judenreferates der Gestapo Düsseldorf5 auf das Ermittlungsverfahren gestoßen, das die Gestapo Düsseldorf gegen Ediths Cousine Helene Krebs eingeleitet hatte, nachdem diese Edith auf ihrer Flucht eine Woche lang in ihrer Wohnung versteckt hatte. Diese Fluchthilfe war der Gestapo Düsseldorf denunziert worden, was schließlich zur Einweisung der hochschwangeren Helene Krebs in das Konzentrationslager Auschwitz führte, wo sie wenig später starb.6 Auch er wollte wissen, ob es in Feldkirch noch Unterlagen zur Flucht von Heinrich Heinen und Edith Meyer gebe.

Nur wenig ließ sich damals zu diesen Anfragen finden. Der Name von Heinrich Heinen und Edith Meyer war zwar im Gefangenenbuch der Haftanstalt (dort „Mejer“ geschrieben) und im Register des Ermittlungsrichters (dort „Mayr“ geschrieben) verzeichnet, Akten waren jedoch nicht vorhanden. Aus den Eintragungen ging lediglich hervor, wann die beiden in die Haftanstalt eingeliefert worden waren und wann sie diese wieder verlassen hatten. Bei Edith Meyer war als Austrittsdatum „29. August 1942,9 Uhr“ und als Austrittsgrund „Gestapo Feldkirch übernommen“ vermerkt. Bei Heinrich Heinen befand sich neben dem Namen ein Kreuzzeichen. Bei ihm war als Grund für den Austritt aus der Haftanstalt eingetragen: „auf der Flucht in Hohenems erschossen“. Dass Heinen gemeinsam mit anderen Häftlingen aus dem Gefängnis von Feldkirch ausgebrochen und dann auf der Flucht in Hohenems erschossen worden war, war bekannt und schon in dem 1985 erschienenen Buch „Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933 bis 1945“7 erwähnt. Ebenso auch, dass er zuvor in Feldkirch wegen Rassenschande und Wehrdienstentziehung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Über den Ausbruch aus dem Gefängnis und die Flucht von Heinen nach Hohenems war aber nichts Näheres bekannt. Und auch zu seiner Verurteilung wegen Rassenschande ließen sich keine Akten finden.

Auszug aus dem Gefangenenbuch der Haftanstalt Feldkirch

1998 kam es neuerlich zu einer Anfrage von Günter Schmitz aus Langenfeld. Die Spur von Edith Meyer ende in Feldkirch. Über ihr weiteres Schicksal lasse sich nichts in Erfahrung bringen. Günter Schmitz wollte wissen, ob sich vielleicht aus anderen Fällen Hinweise ergeben könnten, was mit Edith Meyer geschehen sein könnte. Trotz neuerlicher Nachforschungen konnte diese Frage vorerst nicht geklärt werden. Bei einem Besuch im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes in Wien erhielt ich die Auskunft, dass über das weitere Schicksal von Edith Meyer nichts bekannt sei. Wenige Tage später wurde mir jedoch schriftlich mitgeteilt, dass eine Karteikarte der Gestapo von Innsbruck erhalten sei, aus der sich ergebe, dass Edith Meyer am 9. Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert worden sei. Dorthin also führte ihre Spur.

Im Jahr 2005 stieß ich, mittlerweile Präsident des Landesgerichtes Feldkirch, bei Recherchen für eine Chronik zur Geschichte dieses Gerichtes auf die nur unvollständig erhalten gebliebene Akte des jungen Tschechen Friedrich Frolik8, der im August 1942 bei dem Versuch, illegal die Grenze zur Schweiz zu überschreiten, festgenommen und in der Haftanstalt des Landgerichtes in jenen Haftraum eingewiesen worden war, in dem sich neben anderen Häftlingen auch Heinrich Heinen befand. Aus der Akte ging hervor, dass sich Frolik am Ausbruch von Heinrich Heinen und mehreren anderen Häftlingen aus der Haftanstalt beteiligt hatte. Deswegen wurde er nach seiner neuerlichen Festnahme zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das gegen Friedrich Frolik ergangene Todesurteil enthält eine minuziöse Schilderung dieses Ausbruchs, als dessen geistiger Urheber und Rädelsführer Heinen bezeichnet wird. Über ihn heißt es dort: „Seine Verwegenheit offenbarte sich in der Befreiung seiner Braut Sarah Meier aus dem Ghetto in Riga (…)“ und weiter: „Heinen wollte seine Braut Sarah Meier, die aber inzwischen abgeschoben worden war, und andere Gefangene befreien“. Da mir die Flucht von Heinrich Heinen und Edith Meyer aus Riga auf Grund der Jahre zuvor erfolgten Anfragen von Günter Schmitz und Holger Berschel bekannt und in Erinnerung war, wurde mir rasch bewusst, dass Sarah Meier niemand anderer war als Edith Meyer. Der an sich bekannte Ausbruch mehrerer...

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